Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 6. Mai 2004
Aktenzeichen: 26 W 20/04
(OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 06.05.2004, Az.: 26 W 20/04)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main betrifft eine Beschwerde gegen einen Beschluss des Landgerichts Gießen. In dem Beschluss des Landgerichts wurden den Schuldnern die Kosten des Vollstreckungsverfahrens auferlegt. Das Oberlandesgericht hat diese Entscheidung abgeändert und nun muss der Gläubiger die Kosten tragen.
Der Hintergrund des Beschwerdeverfahrens ist ein Vollstreckungsantrag des Gläubigers, der auf einen Vergleich aus dem Jahr 2003 basiert. In diesem Vergleich haben sich die Schuldner verpflichtet, alle erforderlichen Handlungen vorzunehmen, um den Kläger aus einer Bürgschaft zu entlassen. Der Gläubiger behauptet, dass die Schuldner diese Verpflichtung nicht erfüllt haben, insbesondere haben sie keine Ausgleichsbilanz vorgelegt.
Das Landgericht hat zunächst Bedenken bezüglich der Vollstreckungsfähigkeit geäußert. Der Gläubiger hat dann klargestellt, dass er im Moment nur die Vorlage der Ausgleichsbilanz verlangt. Nachdem der Gläubiger ohne Vorlage der Bilanz von Dritten aus den Bürgschaften befreit wurde, erklärten die Parteien einvernehmlich die Erledigung des Vollstreckungsverfahrens.
Das Landgericht hat die Kosten des Vollstreckungsverfahrens den Schuldnern auferlegt. Gegen diesen Beschluss haben die Schuldner Beschwerde eingelegt, die vom Oberlandesgericht für zulässig und begründet erklärt wurde.
Das Oberlandesgericht argumentiert, dass der Vollstreckungsantrag des Gläubigers keine Aussicht auf Erfolg hatte, weil der Vergleich keine ausreichend bestimmte Handlungsverpflichtung enthält. Die Regelung im Vergleich besagt nur, dass die Schuldner alle erforderlichen Mitwirkungshandlungen zur Entlassung des Gläubigers aus den Bürgschaften vornehmen müssen, nennt aber nicht konkret, welche Handlungen das sind. Daher war der Vollstreckungsantrag des Gläubigers unbegründet.
Das Oberlandesgericht stellt auch klar, dass die Vollstreckungsfähigkeit eines Titels im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens geprüft wird. In diesem Fall hat das Vollstreckungsorgan jedoch offensichtlich übersehen, dass der Titel nicht vollstreckungsfähig war. Daher gilt die amtliche Bescheinigung der Vollstreckbarkeit nicht und das Oberlandesgericht ändert die Kostenentscheidung zu Gunsten der Schuldnern.
Der Gegenstandswert des Vollstreckungsverfahrens wird aufgrund einer Wertreduzierung festgesetzt, die sich aus den Erledigungserklärungen und den bislang entstandenen Kosten ergibt. Der Gegenstandswert beträgt 679,09 Euro.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 06.05.2004, Az: 26 W 20/04
Tenor
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Landgerichts Gießen - 1. Kammer für Handelssachen € vom 29. März 2004 in Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses vom 7. April 2004, durch welchen den Schuldnern die Kosten des Vollstreckungsverfahrens auferlegt worden sind, abgeändert.
Die Kosten des Vollstreckungsverfahrens hat der Gläubiger zu tragen.
Beschwerdewert: 679,09 €
Gründe
I.
Dem Beschwerdeverfahren liegt ein auf § 888 ZPO gestützter Vollstreckungsantrag des Gläubigers zugrunde, welcher an einen vor dem erstinstanzlichen Gericht am 4. März 2003 geschlossenen Vergleich anknüpft. Die hier streitgegenständliche, in Ziffer 5 des Vergleichs titulierte Verpflichtung der Schuldner lautet:
"Die Beklagten zu 1), 2) und 3) erbringen sämtliche Mitwirkungshandlungen, die erforderlich sind, damit eine Entlassung des Klägers aus gegenüber der Volksbank eingegangenen Bürgschaften erfolgen kann".
Seinen Vollstreckungsantrag begründete der Gläubiger damit, die Schuldner hätten €sämtliche erforderlichen Mitwirkungshandlungen zur Erreichung der Entlassung des Klägers aus den gegenüber der Volksbank eingegangenen Bürgschaften und Darlehen" nicht erbracht, insbesondere eine der Volksbank vorzulegende Auseinandersetzungsbilanz nicht erstellt.
Nach Hinweis des Landgerichts auf Bedenken wegen der Vollstreckungsfähigkeit stellte der Gläubiger klar, dass "zurzeit nur als konkrete Handlung € die Vorlage der Auseinandersetzungsbilanz" begehrt werde.
Nachdem in der Folgezeit der Gläubiger aus sämtlichen Krediten und Bürgschaften Dritter ohne Vorlage einer Auseinandersetzungsbilanz durch die Schuldner entlassen worden war, erklärten die Parteien bei gegenseitigen Kostenanträgen das Vollstreckungsverfahren übereinstimmend für erledigt.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht die Kosten des Vollstreckungsverfahrens den Schuldnern auferlegt.
Gegen diesen am 31. März 2004 zugestellten Beschluss haben die Schuldner mit am 6. April 2004 eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt, welcher das erstinstanzliche Gericht durch Beschluss vom 7. April 2004 nicht abgeholfen hat.
Der Gläubiger verteidigt die angegriffene Entscheidung.
II.
Die nach § 91 a Abs. 2 S. 1 ZPO an sich statthafte, nach §§ 567 ff ZPO auch form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
Das Landgericht hat die Kosten des Vollstreckungsverfahrens nach Erledigung der Hauptsache auf der Grundlage von § 91 a Abs. 1 ZPO zu Unrecht den Schuldnern auferlegt. Unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes entsprach es allein billigem Ermessen, die Kosten des Vollstreckungsverfahrens dem Gläubiger aufzuerlegen, weil dessen Vollstreckungsantrag als unbegründet hätte zurückgewiesen werden müssen.
Der Vollstreckungsantrag des Gläubigers hatte keine Aussicht auf Erfolg, weil Ziffer 5 des durch den Vergleich geschaffenen Titels (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), an welchen der Vollstreckungsantrag anknüpfte, evident keinen vollstreckungsfähigen Inhalt aufweist.
1.
Die hier streitige Verpflichtung der Schuldner ist Teil eines einen Rechtsstreit abschließenden Vergleichs, welcher nach allgemeiner Auffassung eine rechtliche Doppelnatur hat. Der Vergleich ist nämlich sowohl eine nach den Grundsätzen des Verfahrensrechts zu beurteilende Prozesshandlung; diese ist für das Zustandekommen des Titels im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO konstitutiv. Zugleich beinhaltet der Prozessvergleich auch einen privatrechtlichen Vertrag, für den die Regeln des materiellen Rechts gelten (BGH, FamRZ 1982, 782 f.).
Inhalt und Umfang der materiell-rechtlichen Vereinbarung einerseits und des den Vollstreckungstitel begründenden prozessualen Vertrages andererseits können auseinander fallen. Denn während die Parteien durch den Prozessvergleich materiell-rechtlich auch soweit gebunden sein können, als ihr übereinstimmender Wille nach außen nicht eindeutig hervortritt, stellt ein Prozessvergleich einen zur Vollstreckung geeigneten Titel nur her, wenn er einen aus sich heraus genügend bestimmten oder doch bestimmbaren Inhalt hat (Stöber in: Zöller, ZPO, 24. Aufl., § 794 Rn. 14; Wolfsteiner in: MünchKomm, ZPO, 2. Aufl., § 724 Rn. 31 ff; § 794 Rn. 87). Für die Feststellung der prozessrechtlichen Wirkungen des Vergleichs ist daher nicht in erster Linie auf den übereinstimmenden Willen der Parteien abzustellen, der den Inhalt des materiell-rechtlichen Vertrages bestimmt und für diesen selbst dann maßgebend bleibt, wenn die Erklärungen der Vertragspartner objektiv eine andere Bedeutung haben sollen. Vielmehr ist entscheidend darauf abzustellen, wie das Vollstreckungsorgan den Inhalt der zu erzwingenden Leistungen vernünftigerweise verstehen und festlegen muss (Münzberg in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., vor § 704 Rn. 26).
Unabhängig von seinem Inhalt und der danach in Betracht kommenden Vollstreckungsart muss deshalb jeder Vollstreckungstitel aus sich selbst heraus nicht nur für Gläubiger und Schuldner, sondern auch das Vollstreckungsorgan ausreichend bestimmt sein. Dies bedeutet, dass sich aus dem Titel, der eine Handlungsverpflichtung begründet, der Inhalt der Handlung, die erzwungen werden soll, eindeutig ergibt (vgl. BGH, NJW 1985, 2022; Brox/Walker, Vollstreckungsrecht, 7. Aufl., Rn. 42; Senat, Beschl. v. 02.07.1998, 26 W 40/98).
2.
Davon ausgehend fehlt Ziffer 5 des Vergleichs die Vollstreckungsfähigkeit.
Zwar mag der Gläubiger gegen die Schuldner (auch) aufgrund von Ziff. 5 des Vergleichs einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Vorlage einer Auseinandersetzungsbilanz erlangt haben, sofern die Parteien insoweit im Willen übereinstimmten.
Die Regelung des Vergleichs bezeichnet aber die konkret von den Schuldnern vorzunehmenden Handlungen gerade nicht, sondern beschränkt sich darauf, den Schuldnern abstrakt "sämtliche Mitwirkungshandlungen" aufzugeben, die für eine Entlassung des Gläubigers aus gegenüber der Volksbank eingegangenen Bürgschaften erforderlich waren. Mit der Formulierung "alle erforderlichen Erklärungen abzugeben" ist indes vollstreckungsrechtlich keine ausreichende Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit der zu erbringenden Handlungspflichten verbunden (ebenso OLG Hamburg MDR 1969, 393).
Zwar kann ein nach seinem Wortlaut nicht ausreichend bestimmter Titel im Wege der Auslegung eine für das Vollstreckungsverfahren ausreichende Bestimmbarkeit erhalten. Insoweit kann grundsätzlich auch Inhalt und Umfang eines Prozessvergleichs durch Auslegung ermittelt werden (vgl. BGH, Rechtspfleger 1993, 454; Münzberg in: Stein/Jonas, a.a.O).
Im Rahmen der im Erkenntnisverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien war jedoch zu keiner Zeit die Rede davon, dass die Beklagten durch Erstellung einer Auseinandersetzungsbilanz die Voraussetzung für die Entlassung des Klägers aus einer von der Volksbank gewährten Bürgschaft herbeiführen sollten. Dass Banken zur Entlassung aus einer Bürgschaft - worauf das Landgericht hinweist - regelmäßig Auseinandersetzungsbilanzen verlangen, ist rechtlich ohne Bedeutung, weil zur Auslegung eines Titels grundsätzlich nur solche Umstände herangezogen werden können, die sich konkret aus dem geschaffenen Titel bzw. den zugrunde liegenden Schriftsätzen ergeben; abgesehen davon zeigt der vorliegende Fall, dass diese generalisierende Annahme im Einzelfall unzutreffend sein kann.
3.
Zwar wird die Vollstreckungsfähigkeit eines Titels grundsätzlich im Klauselerteilungsverfahren geprüft, sodass die mit der Erteilung der Klausel verbundene amtliche Bescheinigung der Vollstreckbarkeit für das Vollstreckungsverfahren grundsätzlich Bindungswirkung entfaltet (KG, JW 1937, 1509 f; Münzberg in: Stein/Jonas, a.a.O.; Brox/Walker, a.a.O., Rn 103). Dies gilt indes nicht, wenn das für die Klauselerteilung zuständige Organ - wie vorliegend - die evident fehlende Vollstreckungsfähigkeit übersehen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 3 ZPO.
Ausgehend von dem vom Landgericht angenommenen Gegenstandswert des Vollstreckungsverfahrens hat sich nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen indes eine Wertreduzierung ergeben. Wertbestimmend ist der Betrag der bislang entstandenen Kosten des Vollstreckungsverfahrens (vgl. Zöller-Herget, ZPO, 24. Auflage, § 3 Rn. 16, Stichwort: Erledigung der Hauptsache). Da das Vollstreckungsverfahren gerichtsgebührenfrei ist, ergibt sich danach unter Berücksichtigung von § 58 Abs. 3 BRAGO ein Gegenstandswert von 679,09 €.
OLG Frankfurt am Main:
Beschluss v. 06.05.2004
Az: 26 W 20/04
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/014624628b07/OLG-Frankfurt-am-Main_Beschluss_vom_6-Mai-2004_Az_26-W-20-04