Bundespatentgericht:
Beschluss vom 17. März 2003
Aktenzeichen: 20 W (pat) 6/01
(BPatG: Beschluss v. 17.03.2003, Az.: 20 W (pat) 6/01)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Bundespatentgericht hat in seinem Beschluss vom 17. März 2003 (Aktenzeichen 20 W (pat) 6/01) die Beschwerde der Patentinhaberin zurückgewiesen. Das Patent 44 41 413 wurde widerrufen, da sein Gegenstand durch den Stand der Technik nahegelegt sei.
Die Beschwerdeführerin hatte den Antrag gestellt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent mit den Patentansprüchen 1 bis 5 vom 11. März 2003 aufrechtzuerhalten. Alternativ wurde ein Hilfsantrag gestellt, der den Patentanspruch 1 vom 11. März 2003 mit dem zusätzlichen Merkmal einer Programmverzweigung enthielt.
In der mündlichen Verhandlung spielte unter anderem die Literaturstelle Elektronik, 20/1993, Seite 58 eine Rolle, die bereits im Prüfungsverfahren zur Beurteilung der Patentfähigkeit in Betracht gezogen wurde.
Das Patent wurde als nicht rechtsbeständig angesehen und sein Gegenstand als nicht patentfähig gemäß den §§ 1 und 4 PatG. Der Gegenstand des Hauptanspruchs nach Hilfsantrag wurde dem Fachmann durch die Literaturstelle Elektronik nahegelegt. Diese beschrieb die Verwendung von nicht kopierbaren Chipkarten als "elektronisches Geld", bei dem der Karteninhaber durch Eingabe einer Geheimnummer Beträge auf die Karte umbuchen und bargeldlos bezahlen konnte. Diese Anwendung war durch eine PIN gesichert.
Die Literaturstelle schlug auch vor, die Chipkarte als Multifunktionskarte mit einer Telefonfunktion auszulegen. In diesem Fall würde der Fachmann aus praktischen Gründen auf eine PIN-gesicherte Anwendung verzichten und den Wertabzug ohne Eingabe einer Geheimnummer ermöglichen. Für andere Anwendungsmöglichkeiten der Karte als elektronisches Zahlungsmittel würde der Fachmann eine nicht PIN-gesicherte Anwendung bis zu einem bestimmten Maximalwert des Wertabzugs vorsehen, um den Verlust bei Kartenverlust in erträglichen Grenzen zu halten. Diese Entscheidung würde das Programm verzweigen und unterschiedliche Befehlsfolgen für einen nicht PIN-gesicherten oder PIN-gesicherten Wertabzug veranlassen.
Ob diese Art von elektronischem Geld tatsächlich als Zahlungsmittel von Banken und Betreibern von Verkaufsautomaten akzeptiert werden würde, hängt nicht von der Technik ab, sondern von wirtschaftlichen Faktoren.
Der Hauptantrag wurde nicht gesondert behandelt, da sein allgemeinerer Anspruch den Gegenstand des Anspruchs nach Hilfsantrag umfasst.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BPatG: Beschluss v. 17.03.2003, Az: 20 W (pat) 6/01
Tenor
Die Beschwerde der Patentinhaberin wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Das Patent 44 41 413 wurde widerrufen, weil sein Gegenstand durch den Stand der Technik nahegelegt sei.
Die Beschwerdeführerin stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent mit den Patentansprüchen 1 bis 5 vom 11. März 2003 aufrechtzuerhalten, hilfsweise mit Patentanspruch 1 vom 11. März 2003 gemäß Hilfsantrag.
Der Anspruch 1 nach Hauptantrag lautet:
"1. Datenaustauschsystem mit einem Grundgerät zur Aufnahme eines tragbaren Datenträgers, mit Einrichtungen im Grundgerät zur Aufnahme und Abgabe von Daten aus dem und an den Datentäger sowie zur Verarbeitung von Daten, mit Einrichtungen auf dem Datenträger zur Aufnahme und Abgabe von Daten aus dem und an das Grundgerät sowie zur Verarbeitung von Daten, wobei auf dem Datenträger wenigstens eine Anwendung durch eine PIN gesichert ist und dieser PIN-gesicherten Anwendung eine Börse zugeordnet ist und auf dem Datenträger ein Kontrollfeld zur Registrierung von nicht PIN-gesicherten Anwendungen angelegt ist, ein Maximalwert für nicht PIN-gesicherte Anwendungen auf dem tragbaren Datenträger gespeichert ist und bei durch Vergleich zwischen dem Maximalwert und dem Kontrollfeld festgestelltem Überschreiten des Maximalwertes der Zugriff nur noch auf die PIN-gesicherte Anwendung begrenzt ist, wobei bei der nicht PIN-gesicherten Anwendung mittels einer Routine (REDUCE2)
undbei der PIN-gesicherten Anwendung mittels einer Routine (REDUCE) ein Buchungsbetrag von dem Betragsfeld (EF_Kredit) abbuchbar ist."
Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag enthält zusätzlich noch das Merkmal einer Programmverzweigung, wonach
"diese Routinen, (REDUCE) oder (REDUCE 2), durch Programmverzweigung auswählbar sind."
In der mündlichen Verhandlung hat ua die bereits im Prüfungsverfahren zur Beurteilung der Patentfähigkeit in Betracht gezogene Literaturstelle Elektronik, 20/1993, Seite 58 eine Rolle gespielt.
II.
Das Patent ist nicht rechtsbeständig, sein Gegenstand nach den §§ 1 und 4 PatG nicht patentfähig.
1. Der Gegenstand des Hauptanspruchs nach Hilfsantrag ist dem Fachmann durch die Literaturstelle Elektronik aaO nahegelegt.
Sie weist auf die Möglichkeit hin, nicht kopierbare Chipkarten als "elektronisches Geld" zu benutzen (reSp Abs 3 und 4). Der Karteninhaber kann durch eine Online-Verbindung zum Zentralrechner der Bank und durch Eingabe seiner Geheimnummer über die Tastatur des Grundgerätes von seinem Bankkonto einen bestimmten Betrag auf die Karte umbuchen. Er kann dann mit ihr in Geschäften und an Automaten bargeldlos bezahlen. Dabei wird in einer PIN-gesicherten Anwendung durch PIN-Überprüfung innerhalb der Karte der entsprechende Betrag von ihrer Börse ab- und auf das Konto des Zahlungsempfängers aufgebucht.
Die Literaturstelle schlägt weiter vor, die Chipkarte als Multifunktionskarte auszulegen, wobei namentlich an die Aufnahme der Telefonfunktion gedacht ist (reSp Abs 5).
Da der Karteninhaber nicht jedesmal, wenn er mit seiner Multifunktionskarte telefonieren will, die Geheimnummer eingeben möchte, so wird der Fachmann schon unter diesem Gesichtspunkt bei dieser Funktion eine PIN-gesicherte Anwendung nicht in Betracht ziehen. Vielmehr wird er, um die Multifunktionskarte auch zum Telefonieren verwenden zu können, sie dahingehend programmieren, daß beim Telefonieren der Wertabzug des "elektronischen" Geldbetrages vom Börsenguthaben ohne Eingabe einer Geheimnummer stattfindet. Diese nicht PIN-gesicherte Anwendung wird der Fachmann auch für alle noch weiter denkbaren Anwendungen der Karte als elektronisches Zahlungsmittel im Auge behalten, für die, wie beim Telefonieren, in der Regel gleichfalls nur verhältnismäßig kleine Wertabzüge erfolgen. Daß er für höhere Geldbeträge die PIN-gesicherte Anwendung nach wie vor beibehält, verlangt die Sicherheit gegenüber Mißbrauch bei Kartenverlust: Die nicht PIN-gesicherte Anwendung bis zu einem Maximalwert des Wertabzuges hält den Verlust in erträglichen Grenzen.
Dies erreicht der Fachmann mittels eines Kontrollfeldes, das bei Überschreiten eines von der Chipkartenbörse abzubuchenden Maximalwertes den Zugriff auf PIN-gesicherte Anwendungen begrenzt. Abhängig von dieser Entscheidung verzweigt das Programm zu unterschiedlichen Befehlsfolgen (Routinen), die einen nicht PIN-gesicherten oder PIN-gesicherten Wertabzug von der Kartenbörse veranlassen.
Ob der Fachmann mit seinem in Betracht gezogenen Vorschlag letztlich Erfolg hat, ist keine Frage der Technik, sondern hängt davon ab, ob die Banken und die Betreiber von "Verkaufsautomaten", wie Kartentelefonen, Getränke-, Parkhaus-, Zigarren- und Fahrscheinautomaten letztlich sich auf diese Art elektronisches Geld als Zahlungsmittel einigen können (vgl hierzu auch reSp Abs 5).
2. Auf den Hauptantrag braucht nicht gesondert eingegangen zu werden, weil sein allgemeinerer Anspruch 1 den Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag mitumfaßt.
Dr. Anders Obermayer Dr. Hartung Martensbr/Ju
BPatG:
Beschluss v. 17.03.2003
Az: 20 W (pat) 6/01
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/01f6bb7921a0/BPatG_Beschluss_vom_17-Maerz-2003_Az_20-W-pat-6-01