Landgericht München I:
Urteil vom 23. Oktober 2008
Aktenzeichen: 7 O 17209/07
(LG München I: Urteil v. 23.10.2008, Az.: 7 O 17209/07)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Landgericht München I hat am 23. Oktober 2008 ein Urteil in einem Patentstreit gefällt. In dem Verfahren ging es um die Frage, ob die Klägerin das Patent der Beklagten verletzt hat. Die Klägerin ist ein deutsches Unternehmen, das ein flüssiges Additiv für Klebstoffe herstellt und vertreibt. Die Beklagte ist ein französisches Unternehmen, das Inhaberin eines europäischen Patents ist. Die Beklagte hatte die Klägerin mit dem Vorwurf einer Patentverletzung konfrontiert, woraufhin die Klägerin eine negative Feststellungsklage eingereicht hat. In dieser Klage beantragte sie festzustellen, dass sie keine Verpflichtung hat, das Additiv herzustellen, anzubieten oder zu verkaufen. Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, da es keine internationale Zuständigkeit für deutsche Gerichte gab. Es fehlte eine territoriale Beziehung zwischen dem Fall und dem Gerichtsbezirk. Zudem wurde die Anwendbarkeit von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 (EuGVVO) auf negative Feststellungsklagen diskutiert, wobei das Gericht letztlich die Auffassung vertrat, dass diese Bestimmung nicht auf den vorliegenden Fall anwendbar sei. Das Gericht wies die Klage ab und legte die Kosten des Verfahrens der Klägerin auf. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Streitwertfestsetzung erfolgte mit 50.000 Euro für den deutschen Teil des Klagepatents I und 200.000 Euro für die ursprüngliche Klage.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
LG München I: Urteil v. 23.10.2008, Az: 7 O 17209/07
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der zu vollstreckenden Kosten vorläufig vollstreckbar.
sowie folgenden
BESCHLUSS
Der Streitwert wird bis zur teilweisen Klagerücknahme vom 24.7.2008 auf Euro 200.000,€ und für die Zeit danach auf Euro 50.000,€ festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Rahmen einer negativen Feststellungsklage (noch) darüber, ob die Klägerin den deutschen Teil eines europäischen Patents der Beklagten verletzt.
Die Klägerin ist ein deutsches Unternehmen mit Sitz in ... Sie gehört zu dem US-amerikanischen Konzern ... und stellt her und vertreibt unter der Bezeichnung "..." ein flüssiges Additiv für Klebstoffe für die Herstellung von Wellpappe.
Die Beklagte ist ein französisches Unternehmen mit Sitz in ... Die Beklagte ist Inhaberin des europäischen Patents ... mit den benannten Vertragsstaaten AT, BE, CH, DE, DK, ES, FR, GB, GR, IE, IT, LI, LU, AC, NL, PT und SE (Klagepatent I; vgl. Anlage K 1) sowie des französischen Patents 2 731 008 (Klagepatent II; vgl. Anlage K 2), beide betreffend eine borierte, wässrige Lösung, insbesondere als Zusatz zum Stärkeklebstoff. Klagepatent I steht noch in den Vertragsstaaten BE, DE, ES, GB und IT in Kraft.
Mit Schreiben vom 20.4.2007 (Anlage K 3) wandten sich die französischen anwaltlichen Vertreter der Beklagten unter Hinweis auf das französische Patent sowie das Europäische Patent, das noch in den Vertragsstaaten BE, ES, GB, IT, NL und DE in Kraft stehe, mit der Behauptung an die Klägerin, das von der Klägerin hergestellte und vertriebene "..." mache von diesen Patenten Gebrauch. Die Klägerin wurde aufgefordert, innerhalb von 15 Tagen u. a. eine Unterlassungserklärung abzugeben.
Mit Schreiben vom 7.5.2007 (Anlage K 4) ließen die in München ansässigen patentanwaltlichen Vertreter der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche mit der Begründung zurückweisen, dass die jeweiligen Patentansprüche zwingend die Anwesenheit mindestens einer "aminierten Verbindung" voraussetzten und "..." eine solche nicht aufweise. Die Beklagte wurde aufgefordert, bis zum 22.5.2007 u. a. von dem erhobenen Verletzungsvorwurf Abstand zu nehmen.
Mit Schreiben vom 22.5.2007 (Anlage K 4) wandten sich die französischen anwaltlichen Vertreter der Beklagten an die in München ansässigen patentanwaltlichen Vertreter der Klägerin und machten geltend, dass die dem Schreiben vom 7.5.2007 zugrunde liegende Auslegung der Patentansprüche falsch sei und nach wie vor der Abgabe u.a. einer Unterlassungserklärung entgegengesehen werde.
Mit Schreiben vom 24.5.2007 (Anlage K 4) beharrten die anwaltlichen Vertreter der Klägerin auf ihrer Rechtsansicht.
Mit Klage vom 13.9.2007, eingegangen bei Gericht am selben Tag, der Beklagten in Frankreich zugestellt am 13.11.2007 kündigte die Klägerin die Stellung des nachfolgenden Antrags an:
"Es wird festgestellt, dass der Beklagten gegenüber der Klägerin kein Anspruch des Inhalts zusteht, wonach die Klägerin es zu unterlassen hat, im Geltungsbereich des Europäischen Patents ... sowie des französischen Patents ..., im geschäftlichen Verkehr ein flüssiges Additiv für Klebstoffe für die Herstellung von Wellpappe namens "..." herzustellen, feilzuhalten, anzubieten und/oder zu verkaufen."
Zur Begründung machte die Klägerin geltend, dass "..." von Anspruch 1 der beiden Klagepatente seit April/Mai 2006, dem Zeitpunkt des Auslaufens eines Lizenzvertrages mit der früheren Inhaberin der Klagepatente, keinen Gebrauch mache, da es seit diesem Zeitpunkt keine Aminogruppe (-NH 2 ), kein Derivat einer solchen und auch keinerlei anderweitige stickstoffhaltige (N) Verbindung enthalte.
Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergebe sich aus Art. 5 Nr. 3 EuGVVO, der auch im Falle einer negativen Feststellungsklage Anwendung finde. Die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung begründe einen widerrechtlichen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB und begründe auch einen Verstoß gegen § 4 Nr. 10 UWG.
Im Termin vom 24.7.2008 nahm die Klägerin die Klage in Bezug auf das Klagepatent II ganz und in Bezug auf Klagepatent I insoweit zurück, als die ausländischen Teile betroffen sind. Ferner erhob sie den Einwand, dass der deutsche Teil des Klagepatents I nicht rechtsbeständig sei, da er durch den diskutierten Stand der Technik vorweggenommen worden sei (Prot. S. 3 = Bl. 67).
Die Klägerin beantragt noch:
Es wird festgestellt, dass der Beklagten gegenüber der Klägerin kein Anspruch des Inhalts zusteht, wonach die Klägerin es zu unterlassen hat, im Geltungsbereich des deutschen Teils des Europäischen Patents ... im geschäftlichen Verkehr ein flüssiges Additiv für Klebstoffe für die Herstellung von Wellpappe namens "..." herzustellen, feilzuhalten, anzubieten und/oder zu verkaufen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte rügt die internationale und örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München I. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO sei nach einer Entscheidung des OLG München (OLGR 2002, 147) bereits dem Wortlaut nach nicht auf negative Feststellungsklagen anwendbar. Es gebe es auch keinerlei örtliche Berührungspunkte im Gerichtsbezirk.
In der Abmahnung sei ausschließlich eine Verletzung des Klagepatents II geltend gemacht worden. Bezüglich des Klagepatents I sei lediglich im Rahmen eines unverbindlichen Meinungsaustausches die Ansicht vertreten worden, dass auch insoweit eine Schutzrechtsverletzung vorliegen könnte. Der Klägerin fehle insoweit das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.
Im Übrigen sei die Abmahnung, die sich auf die frühere Zusammensetzung des Produkts "..." bezogen habe, berechtigt gewesen. Bei richtiger Auslegung des Klagepatents I erfordere Anspruch 1 keine aminierte Verbindung. Gleichwohl mache "..." sowohl in den alten, als auch in der aktuellen Zusammensetzung von Anspruch 1 auch dann wortsinngemäßen Gebrauch, wenn man das Vorhandensein einer aminierten Verbindung fordere, dies hätten die von der Beklagten durchgeführten chemischen Untersuchungen (Anlage MBP 4) ergeben. Hilfsweise liege eine äquivalente Patentverletzung vor.
Die Klägerin hält diesem Vortrag entgegen, dass die Rechtssprechung des OLG München, die noch zu Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ ergangen sei, in der Literatur überwiegend auf Ablehnung gestoßen sei. Ferner sei zu berücksichtigen, dass Art. 5 Nr. 3 EuGVVO nunmehr auch den Ort erfasse, an dem der Eintritt eines schädigenden Ereignisses drohe und dass im Rahmen des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO nach einhelliger Meinung eine Klage auf Feststellung, dass keine vertragliche Verpflichtung bestehe, als zulässig angesehen würden. Insoweit sei auch auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf (Urt. v. 12.5.2005, Az. 2 U 67/03) zu verweisen, in dem eine auf Art. 5 Nr. 3 EuGVVO gestützte Klage auf Feststellung der Nichtverletzung eines deutschen Patents in Deutschland grundsätzlich für zulässig erachtet worden sei.
Zur Ergänzung des Parteivorbringens wird auf die eingereichten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 24.7.2008 (Bl. 64/70) verwiesen.
Gründe
Die Klage war als unzulässig abzuweisen, da eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht gegeben ist.
A.
Internationale Zuständigkeit
Eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist nicht gegeben.
I. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte in Bezug auf eine Klage in einer Zivil- und Handelssache gegen eine juristische Person, die ihren Sitz in Frankreich hat, beurteilt sich nach den Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 12/01 S. 1 ff. = EuGVVO), die gem. Art. 68 EuGVVO mit Wirkung zum 1.3.2002 an die Stelle des Brüsseler Übereinkommens (= EuGVÜ) getreten ist.
Bei der Frage, ob ein Patent verletzt wurde, handelt es sich um eine Zivil- und Handelssache im Sinne des Art. 1 Abs. 1 EuGVVO (EuGH, GRUR Int. 1984, 693 - Duijnstee).
Die Beklagte hat ihren Sitz in ... in Frankreich, wo sie gem. Art. 2 Abs. 1, 60 Abs. 1 EuGVVO regelmäßig zu verklagen ist.
II. Vorliegend ist kein ausschließlicher Gerichtsstand in Deutschland gem. Art. 22 Nr. 4 EuGVVO gegeben:
1. Nach Art. 22 Nr. 4 EuGVVO sind ohne Rücksicht auf den Wohnsitz ausschließlich zuständig für Klagen, welche die Eintragung und die Gültigkeit von Patenten ... zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitgliedsstaates, in dessen Hoheitsgebiet die Hinterlegung oder Registrierung beantragt oder vorgenommen worden ist ... Unbeschadet der Zuständigkeit des Europäischen Patentamtes nach dem am 5.10.1973 in München unterzeichneten Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente sind die Gerichte eines jeden Mitgliedsstaates ohne Rücksicht auf den Wohnsitz der Parteien für alle Verfahren ausschließlich zuständig, welche die Erteilung oder die Gültigkeit eines europäischen Patents zum Gegenstand haben, das für diesen Staat erteilt wurde.
2. Diese Bestimmung ist autonom auszulegen (EuGH GRUR INt. 1984, 693 € Duijinstee), wobei es nicht darauf ankommt, ob der Einwand der Nichtigkeit klageweise oder einredeweise aufgeworfen wird (EuGH GRUR 2007, 49 € GAT). Im Fall "Duijnstee" (GRUR Int. 1984, 693) hat der EuGH jedoch entschieden, dass Art. 16 Nr. 4 EuGVÜ (= Art. 22 Nr. 4 EuGVVO) bei Patentverletzungsklagen dann keine Anwendung findet, wenn die Gültigkeit des angeblich verletzten Patents nicht infrage gestellt wird.
Ob die Gültigkeit des Klagepatents in Frage gestellt wird, kann nur nach dem jeweiligen nationalen Verfahrensrecht des angerufenen Gerichts beurteilt werden, da nur dieses Aufschluss darüber gibt, welche Einwendungen gegen die Klageforderung überhaupt zulässig sind und in welcher Form und in welcher Frist diese Einwendungen vorzubringen sind.
3. Vorliegend stützt die Klägerin ihre Klage auf Feststellung der Nichtverletzung zwar auch auf eine € nicht näher erläuterte € Nichtigkeit des deutschen Teils des Klagepatents I. Dieser Einwand ist aber offensichtlich unbeachtlich, da für Angriffe gegen die Gültigkeit bestandskräftig erteilter deutscher Patente bzw. deutscher nationaler Teile europäischer Patente gem. § 81 PatG allein die Nichtigkeitsklage vor dem Bundespatentgericht vorgesehen ist. Einer negativen Feststellungsklage, die damit begründet wird, dass das geltend gemachte Patent nichtig sei, fehlt ganz offensichtlich das gem. § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Denn das Feststellungsinteresse fehlt, wenn dem Kläger ein einfacherer Weg zur Verfügung steht, um sein Ziel zu erreichen (vgl. Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, 29. Aufl., § 256 Rdn. 18). Dies ist die Nichtigkeitsklage vor dem Bundespatentgericht (vgl. Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl., § 139 Rdn. 95 i. V. m. Rdn. 25 mwN; Schulte/Kühnen, PatG, 8. Aufl., § 139 Rdn. 184).
Dieser Beurteilung steht die EuGH-Entscheidung "GAT" nicht entgegen. Denn die vorliegende Fallgestaltung weicht von dem vom EuGH entschiedenen Fall "GAT" (GRUR 2007, 49) in zwei entscheidenden Punkten ab. Im Verfahren "GAT" ging es um eine Klage auf Feststellung, dass die deutsche Klägerin zwei französische Patente der deutschen Beklagten nicht verletze, die u.a. damit begründet worden war, dass die beiden französischen Patente nicht rechtsbeständig seien. Für die Vernichtung französischer Patente ist aber, anders als bei deutschen Patenten, kein dem Verfahren vor dem Bundespatentgericht gem. §§ 81 ff. PatG entsprechendes Verfahren vorgesehen. Der Einwand der mangelnden Rechtsbeständigkeit kann auch vor den Zivilgerichten im Verletzungsverfahren einredeweise oder durch Widerklage auf Löschung geltend gemacht werden. Die von der Klägerin im Fall "GAT" vorgetragene Begründung, die Patente der Beklagten seien nicht rechtsbeständig, war daher nicht von vornherein unbeachtlich, weswegen der EuGH in seiner Entscheidung wohl auch nicht weiter dazu Stellung genommen hat, welche Mindestanforderungen an diesen Einwand zu stellen sind (vgl. Schulte/Kühnen, § 139 Rdn. 245). Ferner wurde die Klage am allgemeinen Gerichtsstand der Beklagten gem. Art. 2 Abs. 1 EuGVVO erhoben.
III. Auch liegt keine besondere Zuständigkeit gem. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO vor.
1. Die Beklagte hat die internationale Zuständigkeit rechtzeitig gerügt, so dass keine Zuständigkeit aufgrund rügeloser Einlassung gem. Art. 24 EuGVVO eingetreten ist.
2. Nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats hat, in einem anderen Mitgliedsstaat verklagte werden, wenn eine unerlaubte Handlung, oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht.
3. Ob diese Bestimmung, die autonom auszulegen ist und jede Schadenshaftung erfasst, die nicht an eine Vertragsverletzung im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO anknüpft (vgl. EuGH Slg. 1988, 5565 € Kalfelis/Schröder; Geimer/Schütze, Intern. Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, B Vor I 10 b Art. 5 Rdn. 125; Geimer/Schütze, Int. Urteilsanerkennung, § 84 Ziff. III.1), auch auf negative Feststellungsklagen der vorliegenden Art anzuwenden ist, ist umstritten. Eine klärende Entscheidung des EuGH liegt hierzu nicht vor.
a. Die Mehrzahl der bisher hierzu ergangenen und recherchierbaren Entscheidungen der mitgliedsstaatlichen Gerichte verneint dies mit der Begründung, dass der Kläger gerade geltend mache, dass er das Patent der beklagten Partei nicht verletze, dass also gerade keine unerlaubte Handlung vorliege. Bestätigt werde dieses Ergebnis auch durch die Regelungen zur Gemeinschaftsmarke und zum € noch nicht in Kraft getretenen € Gemeinschaftspatent, in denen ebenfalls keine gerichtliche Zuständigkeit am forum delicti commissi bei Klage auf Feststellung der Nichtverletzung vorgesehen sei. Da Art. 5 EuGVVO nach der EuGH-Entscheidung "Frahuil SA/Assitalia SpA" (EuZW 2004, 351) als Ausnahme zum Regelgerichtsstand nach Art. 2 EuGVVO eng auszulegen sei, komme auch keine analoge Anwendung, auch nicht in Hinblick auf die Zulässigkeit einer Klage auf Feststellung, dass keine vertragliche Verpflichtung vorliege, am Gerichtsstand gem. 5 Nr. 1 EuGVVO, in Betracht:
€ Cass. Civ. Sez. Unite (vereinigte Zivilsenate Italiens), Entscheidung v. 1989, JURE Id. 702.
€ Högsta Domstolen (Oberster Gerichtshof Schwedens), Urt. v. 14.6.2000, GRUR Int 2001, 178 € Flootek € betreffend zwei schwedische Patente eines Unternehmens mit Sitz in Norwegen. Die Anwendbarkeit des insoweit gleichlautenden Art. 5 Nr. 3 des Luganer Übereinkommens (= LuGVÜ) wurde verneint.
€ OLG München, Urt. v. 25.10.2001, Az. 6 U 5508/00, InstEG 2, 61 = OLGR 2002, 147 € Leit- und Informationssystem II € betreffend den deutschen und den französischen Teil eines europäischen Patents des in Paris lebenden Beklagten.
€ Cass. Civ. Sez. Unite (Vereinigte Zivilsenate Italiens), Entscheidung v. 19.12.2003, Nr. 19550, GRUR Int 2005, 264 = Mitt. 2005, 369 € B.L. Macchine automatiche s.p.a. / Windmöller & Holscher KG € Verpackungsmaschine II € betreffend den italienischen Teil eines europäischen Patents der in Deutschland ansässigen Beklagten
(Vorinstanz: Tribunale di Bologna, Urt. v. 16.9.1998, GRUR Int 2000, 1021 € Verpackungsmaschine I).
b. Teilweise wurde zwischen der Klage auf Feststellung der Nichtverletzung des einheimischen Patents und fremder Patente differenziert und nur eine Zuständigkeit für die einheimischen Patente angenommen:
€ Rechtbank van eerste aanlegte Brussel (Landgericht Brüssel), Entscheidung v. 12.5.2000, GRUR Int 2001, 170 € Röhm Enzyme € betreffend folgende Teile eines europäischen Patents: Österreich, Belgien, Dänemark, Deutschland, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Italien, Schweden, Schweiz, Niederlande und Finnland. Es wurde nur die Zuständigkeit für die negative Feststellungsklage in Bezug auf den belgischen Teil bejaht.
€ OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.5.2005, Az. 2 U 67/03 € betreffend eine Klage auf Nichtverletzung des deutschen, niederländischen, belgischen, französischen, spanischen und italienischen Teils eines europäischen Patents eines ausländischen Beklagten. Das Gericht verneinte die internationale Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO für die ausländischen Teile, hielt aber eine Zuständigkeit für den deutschen Teil grundsätzlich für gegeben. Die Klage wurde aber mangels Feststellungsinteresse abgewiesen.
c. Teilweise wurde die Bejahung der internationalen Zuständigkeit auch davon abhängig gemacht, ob eine Sachnähe des angegangenen Gerichts festgestellt werden kann:
€ Schweizerisches Bundesgericht, Urt. v. 13.3.2007, Az. 4C.318/2006/len € betreffend eine Klage auf Feststellung, dass die schweizerische Klägerin den niederländischen Beklagten nichts aus sogenannten "Cash-Back-Aktionen" schulde. Das Gericht hätte eine internationale Zuständigkeit gem. Art. 5 Nr. 3 LuGVÜ angenommen, wenn durch Beweisaufnahme zu klären gewesen wäre, ob die Klägerin bestimmt Handlungen in Basel vorgenommen hat. Denn die Annahme einer internationalen Zuständigkeit sei in derartigen Fällen dann unbedenklich, wenn das angerufene Gericht in besonderer Beweis- und Sachnähe zu den zu beurteilenden Handlungen stehe. Dies wurde im konkreten Fall verneint, da die Klägerin insoweit ungenügend vorgetragen habe.
d. In der Literatur wurde die von o. g. Gerichten angenommene Nichtanwendbarkeit von Art. 5 Nr. 3 EuGVVO auf negative Feststellungsklagen überwiegend kritisiert:
aa. für die Anwendbarkeit u.a.:
€ Neuhaus, Das Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssache vom 27.9.1968 (EuGVÜ) und das Luganer Übereinkommen vom 16.9.1988 (LugÜ) soweit hiervon Streitigkeiten des gewerblichen Rechtsschutzes betroffen werden (Mitt. 1996, 257, 261 f.)
€ Lundstedt, Gerichtliche Zuständigkeit und Territorialitätsprinzip im Immaterialgüterrecht € geht der Pendelschlag zu weit€ (= Anmerkung zu "Flootek"), GRUR Int 2001, 103
€ Stauder, Anmerkung zu "Verpackungsmaschine I", GRUR Int 2000, 1022
€ Wurmnest, Anmerkung zu "Verpackungsmaschine II", GRUR Int 2005, 265
€ Franzosi, Anmerkung zu "Verpackungsmaschine II", Mitt. 2005, 370
€ Von Falck/Leitzen, Abschied vom Torpedo auf Raten€ (= Anmerkung zu Verpackungsmaschine II), Mitt. 2005, 534
€ Grabinski, GRUR Int 2001, 203
€ Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Art. 5 Rdn. 78
€ Geimer/Schütze, Europ. Zivilverfahrensrecht, Art. 5 Rdn. 228
€ MünchKommZPO/Gottwald, ZPO-Reform, 2. Aufl., Art. 5 EuGVO Rdn. 20
€ Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rdn. 296
€ Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl., § 139 Rdn. 101 b mwN
€ Schulte/Kühnen, § 139 Rdn. 241
Hierbei wird argumentiert, dass nach der EuGH-Entscheidung "Tatry" (Urt. v. 6.12.1994, Rs. 406/92, Slg. 1994, 5439) eine Klage auf Zahlung von Schadensersatz aufgrund einer unerlaubten Handlung "denselben Anspruch" bilde wie eine Klage auf Feststellung, dass keine unerlaubte Handlung vorliege, und dass eine negative Feststellungsklage ersichtlich nicht auf einen Vertrag gestützt sei. Ferner müsse der Beklagte als Inhaber eines im Ausland eingetragenen Rechts im Falle einer von ihm ausgesprochenen unberechtigten Abmahnung aus diesem Recht eben damit rechnen, vor den Gerichten des ausländischen Schutzstaates auf Feststellung der Nichtverletzung in Anspruch genommen zu werden. Ferner seien die Gerichte des Schutzstaates in besonderem Maße sachkundig für die Beurteilung der hierdurch aufgeworfenen Fragen.
bb. gegen die Anwendbarkeit u.a.:
€ Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 5 EuGVVO Rdn. 15
€ Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 29. Aufl., Art. 5 EuGVVO Rdn. 17 b
e. Der Meinungsstreit zeigt, dass eine klärende Entscheidung durch den EuGH erforderlich ist. Der Kammer ist indes eine Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung gem. Art. 68 Abs. 1, 234 Abs. 1 EGV (vgl. Thomas/Putzo-Hüßtege, ZPO, 29. Aufl., Vorbem EuGVVO, Rdn. 14; € MünchKommZPO/Gottwald, ZPO-Reform, 2. Aufl., Vor Art. 1 EuGVVO Rdn. 6) € anders als noch unter Geltung des EuGVÜ € verwehrt, da gegen die Entscheidung der Kammer Berufung zum OLG München eingelegt werden kann, die Kammer daher nicht als letzte Instanz eines mitgliedsstaatlichen Gerichts entscheidet.
f. Unter Abwägung der dargestellten Argumente sieht die Kammer keine Veranlassung, von der Beurteilung durch das OLG München in der Entscheidung "Leit- und Informationssystem II" (InstEG 2, 61 = OLGR 2002, 147) abzuweichen.
Hierbei waren folgende Überlegungen ausschlaggebend:
aa. Der Gegenstand eines Rechtsstreits wird durch die Anträge und den zur Begründung vom Kläger vorgetragenen Lebenssachverhalt bestimmt.
Eine unberechtigte Schutzrechtsverwarnung stellt eine unerlaubte Handlung dar, die bei Wiederholungsgefahr zur Unterlassung wiederholter Behauptungen und zum Schadensersatz verpflichtet. Auch ein Anspruch auf Feststellung, dass die Abmahnung unberechtigt war, ist denkbar.
Soweit Unterlassung, Schadensersatz oder Feststellung der Rechtswidrigkeit der Abmahnung aufgrund einer unberechtigten Abmahnung im Antrag gefordert wird, kann ein inländischer Gerichtsstand nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO gegeben sein, wenn die Abmahnung im Gerichtsbezirk ausgesprochen oder zugegangen ist (vgl. LG Mannheim, GRUR 1980, 935 € Kabelendhülsen). Denn insoweit deckt sich der Vortrag des Klägers, dass eine unerlaubte Handlung in Form der unberechtigten Abmahnung im Inland begangen worden sei, mit seinen Anträgen.
Ein dahingehender Antrag ist nicht aber nicht Gegenstand des Verfahrens.
bb. Davon zu unterscheiden ist aber eine Klage auf Feststellung der Nichtverletzung. Denn insoweit trägt der Kläger vor, dass er im Inland keine unerlaubte Handlung begangen habe, was das Gericht feststellen möge. Mithin bildet keine im Inland begangene unerlaubte Handlung den Gegenstand der Klage, wie er durch die Anträge und den Lebenssachverhalt gebildet wird, sondern die Behauptung, dass eine solche unerlaubte Handlung nicht begangen worden sei. Mithin greift der Wortlaut des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO nicht.
Eine erweiternde Auslegung des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO ist nicht veranlasst, da die besonderen Gerichtsstände der Art. 5-7 EuGVVO als Ausnahmen vom Grundsatz des Beklagtengerichtsstandes am Sitz oder Wohnsitz des Beklagten (Art. 2 Abs. 1 EuGVVO) nach der oben zitierten Rechtsprechung des EuGH eng auszulegen sind.
B.
Nebenentscheidungen
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
Die Streitreitwertfestsetzung beruht auf §§ 3, 5 ZPO; §§ 39 Abs. 1, 51 GKG:
Der Geltungsbereich des Klagepatents I umfasste im Zeitpunkt der Klageerhebung noch die fünf Vertragsstaaten BE, DE, ES, GB und IT. Das Klagepatent II umfasst das Gebiet Frankreichs. Da die Parteien keine abweichenden Informationen vorgetragen haben, gewichtet die Kammer den nach der teilweisen Klagerücknahme vom 24.7.2008 verbliebenen Rest, den deutschen Teil des Klagepatents I, aufgrund der Wichtigkeit des deutschen Marktes mit Euro 50.000,€. Den Wert der ursprünglichen Klage bemisst die Kammer auf Euro 200.000,€.
LG München I:
Urteil v. 23.10.2008
Az: 7 O 17209/07
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