Oberlandesgericht Hamm:
Beschluss vom 17. August 2006
Aktenzeichen: 2 Ws 134/06
(OLG Hamm: Beschluss v. 17.08.2006, Az.: 2 Ws 134/06)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Oberlandesgericht Hamm hat in einem Beschluss vom 17. August 2006 über die Gebührenfestsetzung für einen Rechtsanwalt entschieden. Dabei wurde der Beschluss des Landgerichts Hagen vom 23. Februar 2006 aufgehoben und die Rechtsanwaltsgebühren auf 621,37 € festgesetzt. Die sofortige Beschwerde wurde im Übrigen verworfen. Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet.
Inhaltlich ging es in dem Verfahren um einen inhaftierten Angeklagten, dem ein Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beigeordnet war. Der Angeklagte wurde durch ein Urteil des Schwurgerichts verurteilt und es wurde Revision eingelegt. Jedoch wurde die Revision vom Mandanten nach einem Gespräch mit seinem Pflichtverteidiger zurückgenommen. Der Rechtsanwalt beantragte daraufhin eine Zusatzgebühr für seine Tätigkeit. Die Bezirksrevisorin lehnte diesen Antrag ab, da das Rechtsmittel nicht begründet worden war. Die Urkundsbeamtin setzte daraufhin teilweise Gebühren und Auslagen ab, was vom Landgericht bestätigt wurde.
Das Oberlandesgericht entschied nun, dass dem Pflichtverteidiger nur eine Verfahrensgebühr zusteht, da die Gebühr für die Rücksichtnahme der Revision nicht entstanden ist. Eine Verfahrensgebühr entsteht für alle Tätigkeiten, die der Rechtsanwalt im Revisionsverfahren erbringt. Die Einlegung der Revision selbst gehört jedoch nicht dazu. Die Rücksichtnahme der Revision und die Prüfung der Erfolgsaussichten sind jedoch in den Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr einbezogen. Der Pflichtverteidiger hatte die Revision zurückgenommen und somit eine solche Tätigkeit erbracht.
Die Gebühr für die Vermeidung einer Hauptverhandlung, die durch die rücksichtsvolle Mitwirkung des Rechtsanwalts entsteht, ist hingegen nicht entstanden. Die Auslegung der neuen Vorschrift zur Gebühr ist umstritten. Einige gehen davon aus, dass es ausreicht, wenn der Verteidiger lediglich die Erfolgsaussichten der Revision mit dem Mandanten besprochen hat. Die überwiegende Auffassung verlangt jedoch, dass zumindest eine Revisionsbegründung vorliegen muss. Für das Entstehen der Gebühr müssen keine konkreten Anhaltspunkte für die Anberaumung einer Revisionshauptverhandlung vorliegen.
Das Oberlandesgericht schloss sich der Meinung an, dass zumindest eine Revisionsbegründung vorliegen muss, damit die Gebühr entstehen kann. Weitere Voraussetzungen müssen jedoch nicht erfüllt sein. Im vorliegenden Fall war jedoch keine Revisionsbegründung erfolgt, daher entstand auch die Gebühr nicht. Die anderen Tätigkeiten des Rechtsanwalts im Zusammenhang mit der Revision führten trotz der fehlenden Begründung nicht zum Entstehen der Gebühr.
Das Oberlandesgericht wies abschließend darauf hin, dass in Zukunft besonders auf die Frage der Mitwirkung des Rechtsanwalts geachtet wird. Zumindest wird die Gebühr in der Regel nicht entstehen, wenn der Rechtsanwalt die nicht begründete Revision vor Kenntnisnahme vom schriftlich begründeten Urteil zurücknimmt. In solchen Fällen muss der Rechtsanwalt erklären, warum er entgegen der Annahme von Rechtsfehlern die Revision zurücknimmt. In anderen Fällen wird die Mitwirkung des Rechtsanwalts eine Einzelfallentscheidung sein.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
OLG Hamm: Beschluss v. 17.08.2006, Az: 2 Ws 134/06
Tenor
Unter Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts Hagen vom 23. Februar 2006 werden die Rechtsanwalt U aus J aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 621,37 € (in Worten: sechs-hunderteinundzwanzig € und siebenunddreißig Cent) festgesetzt.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde verworfen.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Der inhaftierte Angeklagte, dem Rechtsanwalt U als Pflichtverteidiger beigeordnet war, ist durch Urteil des Schwurgerichts vom 15. Juli 2005 wegen Totschlags und anderen Delikten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden. Mit Schreiben vom 18. Juli 2005 hat die Nebenklägerin vertreten durch ihren Beistand Revision eingelegt. Auch der Angeklagte hat - vertreten durch seinen Pflichtverteidiger - mit Fax vom 22. Juli 2005 "fristwahrend" Revision eingelegt, diese aber nach einem am 25. Juli 2005 geführten Gespräch mit dem Pflichtverteidiger in der Justizvollzugsanstalt Hagen mit Fax vom 26. Juli 2005 zurückgenommen. Auch die Revision der Nebenklägerin ist inzwischen, ohne dass sie begründet worden ist, zurückgenommen worden.
Unter dem 19. Oktober 2005 hat Rechtsanwalt U unter anderem die Festsetzung einer Zusatzgebühr gem. der Nr. 4141 Anm. 1 Ziff. 3 VV RVG in Höhe von 505,00 € zuzüglich anteiliger Umsatzsteuer beantragt. Zu diesem Antrag hat die Bezirksrevisorin beim Landgericht Hagen dahingehend Stellung genommen, dass diese Gebühr nicht anfalle, wenn das Rechtsmittel - wie im vorliegenden Fall - nicht begründet worden sei. Mit Beschluss vom 18. Oktober 2005 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle sodann die vorgenannte Gebühr sowie teilweise Fahrtkosten und Abwesenheitsgelder abgesetzt und auch der hiergegen gerichteten Beschwerde mit Beschluss vom 21. Dezember 2005 nicht abgeholfen. Das Landgericht hat durch den angefochtenen Beschluss (RVGreport 2006, 229 = AGS 2006, 233) dem Pflichtverteidiger die Gebühr Nr. 4141 Anm. 1 Ziff. 3 VV RVG gewährt.
Hiergegen richtet sich nunmehr noch das weitere Rechtsmittel der Staatskasse, das vom Leiter des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts dahingehend erweitert worden ist, dass dem Pflichtverteidiger auch die Verfahrensgebühr Nr. 4130, 4131 VV RVG nicht zustehe. Er habe sein Rechtsmittel nicht begründet. Die Gebühr sei auch nicht durch die Rücknahme entstanden, da eine vorhergehende Prüfungstätigkeit des Rechtsanwalts nur sinnvoll sei, wenn ein schriftlich begründetes Urteil vorliege. Das sei aber nicht der Fall. Hinsichtlich der Gebühr der Nr. 4141 Anm. 1 Ziff. 3 VV RVG sei eine ausreichende Mitwirkung des Pflichtverteidigers im Hinblick auf eine sachliche Förderung der Erledigung des Verfahrens nicht festzustellen. Zudem erfordere das Entstehen der Gebühr, dass konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Hauptverhandlung durchgeführt worden wäre. Der Pflichtverteidiger ist dem entgegengetreten. Er ist der Auffassung, dass für eine Prüfung der Erfolgsaussichten der Revision nicht unbedingt das schriftlich begründete tatrichterliche Urteil vorliegen müsse. Die Nr. 4141 Anm. 1 Ziff. 3 VV RVG setze im Übrigen nicht die Anberaumung eines Revisionshauptverhandlungstermins voraus.
II.
Die Beschwerde ist zulässig (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 bis 8 RVG). Sie ist auch teilweise begründet. Dem Pflichtverteidiger steht für seine Tätigkeit im Revisionsverfahren nur eine Verfahrensgebühr Nr. 4130, 4141 VV RVG zu. Die Gebühr Nr. 4141 Anm. 1 Ziff. 3 VV RVG ist vorliegend hingegen nicht entstanden.
1.
Die Gebühr Nr. 4130, 4131 VV RVG ist - entgegen der Ansicht des Vertreters der Staatskasse - entstanden.
Nach Nr. 4130 VV RVG in Verbindung mit der Vorbemerkung 4 Abs. 2 VV RVG erhält der Rechtsanwalt im Revisionsverfahren die Verfahrensgebühr für das "Betreiben des Geschäfts". Darunter fallen nach allgemeiner Meinung alle nach Erteilung des Auftrags zur Verteidigung im Revisionsverfahren bis zum Abschluss der Revisionsinstanz vom Rechtsanwalt erbrachte Tätigkeiten (vgl. Burhoff in Burhoff (Hrsg.), RVG, Straf- und Bußgeldsachen, Nr. 4130 Rn. 10 und der Katalog der von der Nr. 4130 VV RVG erfassten Tätigkeiten in Rn. 11). Die Einlegung der Revision selbst gehört nach § 19 Nr. 10 RVG für den Verteidiger, der in dem vorhergehenden Rechtszug bereits tätig war, nicht zum Abgeltungsbereich der Nr. 4130 VV RVG, sondern noch zu dem der Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens des vorhergehenden Rechtszugs (Burhoff, a.a.O.; Nr. 4130 Rn. 6; N.Schneider in Schneider/Wolf, RVG, 3. Aufl., Rn. 6). Die Rücknahme der Revision und die Prüfung der Erfolgsaussichten gehören hingegen zum Abgeltungsbereich der Nr. 4130 VV RVG.
Danach ist nach Auffassung des Senats vorliegend die Gebühr Nr. 4130, 4131 VV RVG entstanden. Der Pflichtverteidiger hat mit Schriftsatz vom 26. Juli 2005 das von ihm für den ehemaligen Angeklagten eingelegte Rechtsmittel zurückgenommen und damit eine vom Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr der Nr. 4130 VV RVG erfasste Tätigkeit erbracht.
Dem kann nicht entgegengehalten werden, die Tätigkeit, die der Pflichtverteidiger im Revisionsverfahren erbracht habe, sei nicht notwendig gewesen. Zwar wird in Rechtsprechung und Literatur vertreten, dass völlig überflüssige und bedeutungslose Prozesshandlungen, die offensichtlich ohne jeden sachlichen Grund vorgenommen werden, nur um den Gebührentatbestand zu erfüllen, keinen Vergütungsanspruch auslösen (sollen) (vgl. dazu Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl., § 48 Rn. 9; OLG Oldenburg JurBüro 1991, 540, 541; KG, Beschluss vom 13. Februar 2006, 3 Ws 463/05, www.burhoff.de, für den Fall, dass der Verteidiger der Revision der Staatsanwaltschaft - vor Abgabe der Revisionsbegründung - mit einem Schriftsatz entgegentritt, in dem er allein darauf hinweist, die Urteilsgründe hielten rechtlicher Nachprüfung stand und die Verwerfung des Rechtsmittels beantragt). Dieser Auffassung ist auch der Vertreter der Staatskasse. Dabei übersieht er jedoch, dass diese Auffassung nur für den Fall der "völlig überflüssigen und bedeutungslosen Prozesshandlung" vertreten wird. Davon kann vorliegend jedoch nicht ausgegangen werden. Der Pflichtverteidiger hat in seiner Stellungnahme darauf hingewiesen, dass mit dem Angeklagten verabredet gewesen sei, gegen das Urteil des Schwurgerichts vom 15. Juli 2005 nur dann - fristwahrend - Revision einzulegen, wenn die Nebenklägerin Revision einlegt. Das ist im Hinblick auf den Grundsatz der Waffengleichheit und Fairness nicht zu beanstanden. Dann ist es aber auch nicht zu beanstanden, wenn der Angeklagte nach Beratung durch seinen Pflichtverteidiger über die sich aus § 400 StPO auf das Rechtsmittel der Nebenklägerin ergebenden Folgen diese Revision wieder zurücknimmt, wobei an dieser Stelle dahinstehen kann, welche Auswirkungen das auf die Gebühr Nr. 4141 Anm. 1 Ziff. 3 VV RVG hat.
Nach Auffassung des Senats ist es - entgegen der Ansicht des Vertreters der Staatskasse - auch nicht Voraussetzung für den Gebührenanspruch nach Nr. 4130, 4131 VV RVG, wenn dieser durch die Rücknahme einer Revision entstanden sein soll, dass dann das schriftlich begründete tatrichterliche Urteil bereits vorliegen müsse. Der hiesige 4. Strafsenat hat bereits in seinem Beschluss vom 20. Januar 2006 (4 Ws 221/05, www.burhoff.de) darauf hingewiesen, dass das noch nicht einmal für die Begründung der Revision durch den in der tatrichterlichen Hauptverhandlung anwesenden Verteidiger der Fall sein müsse. Dem schließt sich der Senat an. Geht man aber davon aus, muss der Verteidiger für die Rücknahme einer nicht begründeten Revision erst recht das angefochtene Urteil nicht kennen. Das gilt insbesondere dann, wenn - wie hier - das Rechtsmittel fristwahrend eingelegt worden ist und zudem noch eine Beratung des Angeklagten über den Auswirkungsbereich des § 400 StPO stattgefunden hat. Ob im Fall eines erkennbaren Missbrauchs etwas Anderes gilt, kann dahinstehen, da ein solcher nach Auffassung des Senats auf keinen Fall vorliegt.
2.
Die vom Pflichtverteidiger geltend gemachte Gebühr Nr. 4130, 4141 VV RVG ist hingegen nicht entstanden. Insoweit folgt der Senat im Ergebnis dem Vertreter der Staatskasse.
Nach 4141 VV RVG steht dem Rechtsanwalt eine Verfahrensgebühr zu, wenn - in bestimmten in der Anmerkung 1 näher beschriebenen Fallgestaltungen - durch die anwaltliche Mitwirkung die Hauptverhandlung entbehrlich wird. Sie entsteht bei Vorliegen der Voraussetzungen zusätzlich zu der jeweiligen (gerichtlichen) Verfahrensgebühr. Nach Nr. 4141 Anm. 1 Ziff 3 VV RVG entsteht die Gebühr nach der durch das RVG erfolgten Neuregelung nun auch dann, wenn sich das gerichtliche Verfahren durch Rücknahme der Revision erledigt. Nach Nr. 4141 Anm. 2 VV RVG entsteht die Zusatzgebühr jedoch nicht, wenn eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht ersichtlich ist.
Sinn der Zusatzgebühr ist es, anwaltliche Tätigkeiten abzugelten, die zu einer Vermeidung der Hauptverhandlung führen. Sie übernimmt den Grundgedanken der Regelung des § 84 Abs. 2 BRAGO und erweitert ihn auf Verfahrenserledigungen, die durch Revisionsrücknahmen eintreten. Die Regelung sollte intensive und zeitaufwendige Tätigkeiten des Verteidigers, die zu einer Vermeidung der Hauptverhandlung und damit beim Verteidiger zum Verlust der Hauptverhandlungsgebühr führten, gebührenrechtlich honorieren (vgl. BT-Drucks. 12/6962, S. 106). Der Gesetzgeber hat sich von ihr insbesondere einen Entlastungseffekt für die Revisionsgerichte versprochen (vgl. Burhoff, a.a.O., Nr. 4141 VV Rn. 37; vgl. dazu BT-Dr. 15/1971, S. 228).
a) Die Auslegung der neuen Vorschrift ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten. Teilweise wird es als ausreichend angesehen, wenn der Verteidiger ohne vorherige Revisionsbegründung allein die Erfolgsaussichten der Revision mit dem Mandanten erörtert hat (s. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. September 2005, 111-1 Ws 288/05, www.burhoff.de; so auch die Strafkammer im angefochtenen Beschluss). Die wohl überwiegende Auffassung in der Rechtsprechung verlangt hingegen, dass zumindest eine Revisionsbegründung vorliegen müsse, da anderenfalls wegen Unzulässigkeit der Revision schon deshalb eine Revisionshauptverhandlung ausscheide (vgl. KG JurBüro 2005, 533 = AGS 2005, 434 m. Anm. Schneider AGS 2005, 435 = RVGreport 2005, 352; OLG Braunschweig RVGreport 2006, 228 = AGS 2006, 232; OLG Bamberg, Beschluss vom 22. März 2006, 1 Ws 142/06, www.burhoff.de; ähnlich LG Duisburg RVGreport 2006, 230). Teilweise wird die Frage darüber hinaus noch restriktiver gesehen, wenn davon ausgegangen wird, die Gebühr nach Nr. 4141 Anm. 1 Ziff. 3 VV RVG entstehe nur dann, wenn nach Begründung der Revision konkrete Anhaltspunkte für die Anberaumung einer Revisionshauptverhandlung bestünden (vgl. KG, Beschluss vom 4. Mai 2006 - 4 Ws 57/06, www.burhoff.de; OLG Zweibrücken AGS 2006, 74; OLG Hamm, Beschluss vom 28. März 2006, 1 Ws 203/06, www.burhoff.de, allerdings ohne nähere Begründung und Beschluss vom 20. Juni 2006, 4 Ws 144/06, www.burhoff.de).
In diesem Meinungsstreit schließt sich der Senat der (Mittel)Meinung an, wonach für das Entstehen der Gebühr in der Regel zumindest die Revision begründet worden sein muss (vgl. dazu insbesondere KG JurBüro 2005, 533 = AGS 2005, 434 mit Anmerkung N.Schneider AGS 2005, 435 = RVGreport 2005, 352). Ist das nicht der Fall, ist von vornherein kein Raum für eine "Vermeidung eines Hauptverhandlung", sondern muss die Revision nach § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen werden.
Weitere Voraussetzungen müssen aber - entgegen der Ansicht des Vertreters der Staatskasse - für das Entstehen der Gebühr nicht gegeben sein. Insbesondere müssen keine konkreten Anhaltspunkte für die Anberaumung einer Revisionshauptverhandlung, wie etwa ein Antrag der Generalstaatsanwaltschaft oder der Bundesanwaltschaft, vorliegen (so aber KG, Beschluss vom 4. Mai 2006, OLG Zweibrücken und der hiesige 1. und 4 Strafsenat, jeweils a.a.O.). Diese Auslegung widerspricht nach Auffassung des Senats zunächst dem eindeutigen Wortlaut der Nr. 4141 VV RVG, der für das Entstehen der Gebühr nach Anm. 1 Ziff. 3 die vorherigen Anberaumung der Hauptverhandlung nicht verlangt. Die entgegenstehende Ansicht lässt sich auch nicht mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift begründen. Die vom Gesetzgeber gewollte Entlastung tritt auch dann ein, wenn die Revision - nach Begründung - noch zurückgenommen wird. Dadurch erübrigt sich ggf. für die staatsanwaltschaftlichen Behörden eine Stellungnahme zur Revisionsbegründung (§ 349 Abs. 3 StPO) und für das Revisionsgericht eine Entscheidung entweder in Form eines Beschlusses oder eines Urteils mit vorheriger Prüfung des Revisionsvorbringens. Zudem wird übersehen, dass grundsätzlich auch das Revisionsverfahren eine Entscheidung aufgrund einer Revisionshauptverhandlung vorsieht. Dass die Praxis im Revisionsverfahren eine andere und die Entscheidung aufgrund einer Hauptverhandlung eher die Ausnahme ist und deshalb das Entstehen der Befriedungsgebühr im Revisionsverfahren möglicherweise an andere bzw. weitere Voraussetzungen zu knüpfen ist, mag der Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren bei der Neuregelung der Nr. 4141 VV RVG und deren Ausdehnung auch auf das Revisionsverfahren übersehen haben. Das rechtfertigt nach Auffassung des Senats aber nicht, das Entstehen der Gebühr von zusätzlichen Voraussetzungen, wie der konkreten Aussicht auf die Anberaumung eines Revisionshauptverhandlungstermins, abhängig zu machen. Abgesehen davon, dass die Gebühr dann im Zweifel in der Praxis kaum entstehen würde, was nicht Sinn und Zweck der Neuregelung sein kann, ist auch im Revisionsverfahren die (theoretische) Möglichkeit der Entscheidung aufgrund einer Revisionshauptverhandlung nicht von vornherein ausgeschlossen. Auch fiskalische Interessen rechtfertigen die einengende Auslegung nicht. Schließlich übersieht auch der Senat nicht, dass die Erstreckung der Befriedungsgebühr des § 84 Abs. 2 BRAGO auch auf den Fall der Rücknahme der Revision zu einer vom Gesetzgeber möglicherweise übersehenen potenziellen Mehrbelastung bei den Tatgerichten führt, wenn vermehrt allein aus Kostengründen von Verteidigern Revisionen eingelegt werden und damit die Tatgerichte nicht von der Möglichkeit des § 267 Abs. 4 StPO Gebrauch machen können. Es ist aber Aufgabe des Gesetzgebers, wenn solcher Missbrauch erkennbar wird, dem durch eine Änderung bzw. Beschränkung der Nr. 4141 Anm. Ziff. 3 VV RVG zu begegnen.
b) Auf dieser Grundlage ist vorliegend die Gebühr Nr. 4141 Anm. 1 Ziff. 3 VV RVG nicht entstanden, da der Verteidiger das Rechtsmittel nicht begründet hatte.
Auch die übrigen im Zusammenhang mit der Revision und deren Rücknahme entwickelten Tätigkeiten führen trotz der nicht erfolgten Begründung nicht ausnahmsweise zum Entstehen der Gebühr. Zwar hat der Verteidiger in seiner Stellungnahme darauf hingewiesen, dass er mit dem Mandanten über die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels der Nebenklägerin gesprochen habe. Das ist aber eine von der Verfahrensgebühr Nr. 4130, 4131 VV RVG erfasste Tätigkeit und kein darüber hinausgehender Beitrag auf Förderung der Erledigung des Verfahrens, der als Mitwirkung i.S. der Nr. 4141 Anm. 2 VV RVG anzusehen wäre und dann ggf. den Ansatz der Gebühr rechtfertigen würde. Dabei darf nämlich vorliegend nicht übersehen werden, dass nicht nur der Pflichtverteidiger sein Rechtsmittel nicht begründet hatte, sondern noch nicht einmal das schriftlich begründete Urteil des Landgerichts vorlag und zudem auch die Revision der Nebenklägerin nicht begründet war. In solchen Fällen wird der Verteidiger erklären müssen, wodurch er - nachdem er, auch wenn er (nur) fristwahrend Revision eingelegt hatte, er zunächst offensichtlich von der Verletzung sachlichen Rechts ausgegangen war - nun die Erkenntnis gewonnen hat, das Urteil sei doch frei von Rechtsfehlern, obgleich er weder das Urteil in schriftlicher Form noch nicht vorliegen hatte (vgl. dazu für den Fall der Rücknahme nach Revisionsbegründung Beschluss des hiesigen 4. Strafsenats in 4 Ws 221/05) noch die Revision der Nebenklägerin begründet worden war.
Der Senat weist abschließend darauf hin, dass er in Zukunft in den Fällen der Rücknahme der Revision bei der Prüfung des Entstehens der Gebühr Nr. 4141 Anm. 1 Ziff. 3 VV RVG besonderes Gewicht auf die Frage der "Mitwirkung" des Rechtsanwalts legen wird. Zwar muss diese grundsätzlich nicht erheblich sein, in den Fällen der Nr. 4141 Anm. 1 Ziff. 3 entsteht die Gebühr aber nach Auffassung des Senats in der Regel zumindest dann nicht, wenn der Rechtsanwalt die nicht begründete Revision vor Kenntnisnahme vom schriftlich begründeten Urteil zurückgenommen hat. Zumindest wird der Verteidiger in diesen Fällen erklären müssen, warum er entgegen der in der Revisionseinlegung liegenden Kundgabe, dass man von Rechtsfehlern ausgehe, nun offenbar doch vom Gegenteil überzeugt ist, so dass die Revision zurückgenommen wird. Wann darüber hinaus die Mitwirkung des Rechtsanwalts zu verneinen ist, ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalls.
OLG Hamm:
Beschluss v. 17.08.2006
Az: 2 Ws 134/06
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