Bundesgerichtshof:
Urteil vom 25. September 2012
Aktenzeichen: X ZR 10/10
(BGH: Urteil v. 25.09.2012, Az.: X ZR 10/10)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Die vorliegende Entscheidung des Bundesgerichtshofs betrifft das Urteil des 2. Senats des Bundespatentgerichts vom 10. September 2009. In diesem Urteil wurde die Klage einer Klägerin gegen die Beklagte abgewiesen, nachdem das Streitpatent für nichtig erklärt wurde. In dem Streitpatent geht es um eine Kniehebelklemmvorrichtung, die dazu dient, ein Werkstück durch den Antrieb eines Kolbens zu klemmen. Das Patentgericht begründete seine Entscheidung damit, dass der Gegenstand des Streitpatents dem Fachmann bereits aus dem Stand der Technik bekannt war und somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Insbesondere wurde auf eine britische Patentschrift verwiesen, die eine ähnliche Kniehebelklemmvorrichtung beschreibt. Der Bundesgerichtshof bestätigte die Entscheidung des Patentgerichts und wies die Berufung der Beklagten zurück. Die Kosten des Verfahrens wurden der Beklagten auferlegt.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BGH: Urteil v. 25.09.2012, Az: X ZR 10/10
Tenor
Die Berufung gegen das Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts vom 10. September 2009 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 25. Februar 1998 in der Verfahrenssprache Englisch angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 862 970 (Streitpatent), für das die Prioritäten japanischer Patentanmeldungen vom 5. März 1997 und vom 27. Juni 1997 in Anspruch genommen worden sind. Das Streitpatent umfasst neun Patentansprüche, von denen Anspruch 1 folgenden Wortlaut hat:
"A togglelever clamping device comprising:
a body (14, 14a, 14b) having a parallelepiped shape with a width which is small compared to the height and the depth;
an arm (22) capable of clamping a workpiece (w);
a cylinder unit (18) connected to one end of said body (14, 14a, 14b), for accommodating a piston (28) which is reciprocatable along a cylinder chamber (38, 38a) of said cylinder unit (18);
a toggle link mechanism (60), provided in the interior said body (14, 14a, 14b), for converting linear motion of a piston rod (40) connected to said piston (28) into rotational motion of said arm (22);
said arm (22, 22a to 22c) being connected to said toggle link mechanism (60), for making rotation within a predetermined angle in reaction to a driving stroke of said piston (28) of said cylinder unit (18);
a reaction forceabsorbing member (106a, 106b) disposed in said body (14, 14a, 14b) for absorbing the reaction force (H) from said toggle link mechanism (60) applied when in use a workpiece (W) is clamped to the rotatable arm (22), characterized in that said reaction forceabsorbing member is constituted by a reaction forcereceiving plate (106a, 106b) detachably fastened by fastening means to an upper portion in an opening (12a, 12b) of said body (14, 14a, 14b), and in that said reaction forcereceiving plate (106a, 106b) is provided to engage 1 with a roller (66a, 66b) provided at the end of the piston rod (40) not attached to the piston (28), said reaction forcereceiving plate engaging said roller (66a, 66b) only during a clamping state of said arm (22, 22a, to 22c)."
Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig, da er weder neu sei noch auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Sie behauptet, sie habe viele Jahre vor den Prioritätsdaten des Streitpatents in der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und in Schweden Kniehebelspannvorrichtungen (Kniehebelklemmvorrichtungen) offen vertrieben, die sämtliche Merkmale des Gegenstands des Streitpatents gemäß Anspruch 1 vorweggenommen hätten.
Das Patentgericht hat das Streitpatent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie im Hauptantrag das Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt.
Mit drei Hilfsanträgen verteidigt die Beklagte das Streitpatent in jeweils beschränkten Fassungen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Prof. Dr.-Ing. J. F. , Tech- nische Hochschule A. , ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.
Gründe
I. Das Streitpatent betrifft eine Kniehebelklemmvorrichtung, mit der durch ein Druckmittel (z.B. Druckluft oder Hydrauliköl), über einen Kolben (28) angetrieben, ein Arm (22) aus der in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 5 2 des Streitpatents in die in Figur 6 gezeigte Position zur Klemmung eines Werkstücks (W) geschwenkt wird.
1. Nach der Beschreibung des Streitpatents gab es im Stand der Technik Kniehebelklemmvorrichtungen, mit denen eine lineare Bewegung eines Kolbens in eine Drehbewegung eines Arms zum Klemmen eines Werkstücks umgewandelt werden konnte. Dabei sieht die französische Patentanmeldung 2 340 798 (Anlage K4) eine längliche Reaktionsplatte vor, die eine am Ende der Kolbenstange gelagerte Walze während der gesamten Hin- und Herbewegung im ungeklemmten wie im geklemmten Zustand stützt. Um diese Reaktionsplatte auszutauschen, muss die gesamte Klemmvorrichtung zerlegt werden.
Dem Streitpatent liegt danach das Problem zugrunde, eine Aufnahme der insbesondere bei der Klemmung auftretenden Kräfte durch Elemente zu 8 bewirken, die mit nur wenig Aufwand diese Funktion dauerhaft erfüllen, und damit dauerhaft ein stabiles Klemmen gewährleisten.
2. Zur Lösung dieses Problems zeigt Patentanspruch 1 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen (kursiv die zusätzlichen Merkmale gemäß Hilfsantrag I, in eckigen Klammern die abweichende Gliederung des Patentsgerichts):
Die Kniehebelklemmvorrichtung hat 1. einen Grundkörper (14, 14a, 14b), der 1.1 eine parallelepipedförmige Gestalt mit einer Breite, die im Vergleich zu der Höhe und der Tiefe klein ist, aufweist [1] und 1.2 geschlossen ist, um das Eintreten von Staub oder dergleichen zu verhindern [1.1];
2. einen Arm (22), mit dem ein Werkstück (W) geklemmt werden kann;
3. eine Zylindereinheit (18), die mit einem Ende des Grundkörpers (14, 14a, 14b) verbunden ist, um einen Kolben (28) aufzunehmen, der entlang einer Zylinderkammer (38, 38a) der Zylindereinheit (18) hin und her bewegbar ist;
4. einen Gelenkstangenmechanismus (60), 4.1 der im Inneren des Grundkörpers (14, 14a, 14b) vorgesehen ist, [4] 10 4.2 um eine Linearbewegung der Kolbenstange (40), die mit dem Kolben (28) verbunden ist, in eine Drehbewegung des Armes (22) umzuwandeln; [4]
4.3. wobei der Arm (22, 22a bis 22c)
4.3.1 über Lagerabschnitte des Gelenkstangenmechanismus, die von einer Seitenfläche des Grundkörpers nach außen vorstehen, [5.1]
4.3.2 mit dem Gelenkstangenmechanismus (60) verbunden ist, um sich in Reaktion auf einen Antriebshub des Kolbens (28) der Zylindereinheit (18) um einen festgelegten Winkel zu drehen; [5]
5. ein Reaktionskraftabsorptionselement (106a, 106b), [6]
5.1 das im Grundkörper (14, 14a, 14b) angeordnet ist, [6]
5.2 um die Reaktionskraft (H) von dem Gelenkstangenmechanismus (60) zu absorbieren, die aufgebracht wird, wenn bei der Verwendung ein Werkstück (W) an den drehbaren Arm (22) geklemmt wird, und [6]
5.3. das durch eine Reaktionskraftaufnahmeplatte (106a, 106b) gebildet wird, [7]
5.3.1 die durch Befestigungsmittel lösbar an einem oberen Bereich in einer Öffnung (12a, 12b) des Grundkörpers befestigt ist, [7]
5.3.2 die vorgesehen ist, um mit einer Walze (66a, 66b) in Eingriff zu treten, die an dem Ende der Kolbenstange (40), welches nicht an dem Kolben (28) befestigt ist, vorgesehen ist, und [8]
5.3.3 die an der Walze (66a, 66b) lediglich während eines Klemmzustands des Armes (22, 22a bis 22c) angreift, [9]
6. an in einem Paar von Ausnehmungen vorgesehenes mit einem Walzenpaar in Eingriff tretendes Paar von Platten als Reaktionskraftabsorptionselement [7.2.].
3. Einige Merkmale bedürfen näherer Erläuterung.
a) Für die Anordnung des Gelenkstangenmechanismus im Inneren des Grundkörpers gemäß Merkmal 4.1 reicht es aus, wenn sich der Mechanismus innerhalb der äußeren Kanten des Grundkörpers befindet. Dieses Merkmal trifft keine Aussage darüber, wie der Grundkörper selbst gestaltet ist, insbesondere ob er nach außen zum Schutz vor Staub und anderen Einwirkungen geschlossen gebaut ist.
b) Die Begrenzung des Kontakts zwischen der Walze und der Reaktionskraftaufnahmeplatte auf "lediglich" den Klemmzustand des Armes im Sinne des Merkmals 5.3.3 bedeutet nicht, dass dieser Kontakt sofort nach dem Ende des Klemmzustands unterbrochen sein muss. Wie es die Figur 6 des Streitpatents zeigt, reicht es hierfür aus, wenn dieser Kontakt auf dem Weg des Kolbens vom Klemmzustand aus erst kurz nach diesem Zustand nicht mehr vorliegt.
II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Dem Streitpatent liege die Aufgabe zugrunde, eine Kniehebelklemmvorrichtung zu beschreiben, bei der im Falle der Einklemmung eines Werkstücks jegliches Spiel, das aus der dabei auftretenden Reaktionskraft resultiere, und eine damit verbundene Klemmkraftverringerung vermieden werde. 12 Der Gegenstand des Streitpatents nach Anspruch 1 sei dem Fachmann durch die britische Patentschrift 1 523 565 (Anlage K89) in Verbindung mit seinem Fachwissen nahegelegt und damit nicht patentfähig gewesen. Die darin offenbarte Kniehebelklemmvorrichtung habe einen Grundkörper, einen Arm, eine Zylindereinheit und einen Gelenkstangenmechanismus entsprechend den Merkmalen 1, 1.1, 2 bis 4.3 und 4.3.2.
Mit der langgestreckten Platte 15, wie sie in Figur 1 der K89 gezeigt werde, werde auch ein Reaktionskraftabsorptionselement im Sinne der Merkmale 5.1, 5.2 und 5.3.2 offenbart, denn diese sei ausgelegt, die Kräfte aufzunehmen, die durch den Arm 6 und die Kolbenstange 4 auf die Rollen 14 übertragen werden.
Der Gegenstand von Patentanspruch 1 des Streitpatents unterscheide sich von der K89 allein darin, dass es zusätzlich die Merkmalsgruppen 5.3.1 (lösbar durch Befestigungsmittel) und 5.3.3 (Angreifen der Reaktionsaufnahmeplatte lediglich während des Klemmzustands) aufweise.
Aus der K89 sei aber bekannt gewesen, dass bei einem Sperrmechanismus starker Druck auf die Kolbenstange zu Deformationen führen könne, die mit der für die Sperrwirkung erforderlichen Präzision nicht zu vereinbaren sei. Die Lösung bestehe offensichtlich darin, die Platte 15 so auszulegen, dass sie die Kräfte aufnehmen könne, die durch den Arm und die Kolbenstange auf jede Rolle übertragen würden. Offensichtlich sei auch, dass der Sperrmechanismus nur in der Phase wirke, in der das Werkstück eingeklemmt werde, denn nach der K89 solle verhindert werden, dass sich die Klemmung löse, wenn der Druck des Fluids im Kolben sinke. Damit seien bei Kniehebelklemmvorrichtungen bereits Kraft aufnehmende Platten bekannt, an denen Walzen während eines Klemmzustands angreifen. Dem Fachmann sei aus seinem Fachwissen geläu-17 fig, dass bei solchen Vorrichtungen die größten Kräfte im Bereich des oberen Totpunkts aufträten und die erforderliche Präzision zum Klemmen des Werkstücks durch Deformation leiden könne. Um dem zu begegnen, bestehe die nächstliegende Lösung darin, die Platte, an der die Deformationen auftreten könnten, austauschbar zu gestalten. Aus Kostengründen werde der Fachmann eine austauschbare Platte nur an den Stellen vorsehen, wo die größten Kräfte auftreten, mithin im oberen Bereich, wo die Walzen während des Klemmzustandes an der Platte angreifen.
Dass die aus der K89 bekannte Platte langgestreckt sei, stehe dem nicht entgegen. Denn dort erfordere die besondere Form der lösbaren Verbindung zwischen der Kolbenstange und dem Gelenkstangenmechanismus eine Führung für den hierfür verwendeten Gleitblock. Der Fachmann erkenne jedoch sofort, dass die Platte im unteren Bereich keine nennenswerten Kräfte aufnehmen müsse und deshalb bei einer anderen Art der Befestigung der Kolbenstange eine Führung durch eine Platte nicht notwendig sei. Daher liege es für den Fachmann auf der Hand, die Platte nur im oberen Bereich austauschbar zu gestalten. Es habe daher keiner erfinderischen Tätigkeit bedurft, die Reaktionsaufnahmeplatte durch Befestigungsmittel lediglich im oberen Bereich in einer Öffnung des Grundkörpers lösbar im Sinne der Merkmale 5.3.1 und 5.3.3 zu befestigen.
III. Dies hält der Überprüfung im Berufungsverfahren stand.
1. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 des Streitpatents ist nicht patentfähig, da er nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
a) Ausgehend von der K89, die wie die deutsche Offenlegungsschrift 27 04 911 auf der Priorität der in der Streitpatentschrift genannten K4 (Anlage K14) beruht, war dem Fachmann, den das Patentgericht zutreffend als einen 21 Fachhochschulingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit langjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Spanntechnik definiert, eine Kniehebelklemmvorrichtung bekannt, die einen Grundkörper, einen Arm, eine Zylindereinheit, einen Gelenkstangenmechanismus und ein Reaktionskraftabsorptionselement entsprechend den Merkmalen 1, 1.1, 2, 3, 4.2, 4.3.2 bis 5.2 und 5.3.2 aufweist. Dies wird insoweit von den Parteien nicht in Zweifel gezogen.
b) Der Gelenkmechanismus befindet sich entsprechend dem Merkmal 4.1 im Inneren des Grundkörpers. Nach der Figur 1 zur K89 ist der Mechanismus vollständig innerhalb der Außenkanten des Grundkörpers angeordnet, so dass auch dieses Merkmal dem Fachmann aus der K89 bekannt war.
c) Die K89 zeigt zwar eine Reaktionsplatte (15) im oberen Bereich in einer Öffnung des Grundkörpers, jedoch nicht, wie diese Platte an dem Grundkörper befestigt ist. Für den Fachmann lag es indessen nahe, hierfür auch an eine lösbare Verbindung zu denken und diese vorzusehen.
Für diese Verbindung standen dem Fachmann verschiedene Befestigungsmöglichkeiten zur Wahl, die sich in lösbare wie z.B. Schrauben und nicht lösbare wie z.B. Verklebungen und Verlötungen unterscheiden lassen. Solche Verbindungen einschließlich der damit jeweils verbundenen Vor- und Nachteile waren dem Fachmann sämtlich aufgrund seines allgemeinen und spezifischen Fachwissens bekannt. Da es sich bei der Reaktionsplatte (15) um ein Element handelt, das die vom Arm (6) und der Kolbenstange (4) ausgehenden Kräfte aufnehmen soll (K89 S. 2 Z. 49-52), wusste er auch, dass diese Platte einem erhöhten Verschleiß unterliegen kann (SV-Gutachten S. 65 Nr. 5). Um die Funktion dieser Platte dauerhaft zu gewährleisten, war von ihm deshalb zu erwarten, die Platte entsprechend dem Merkmal 5.3.1 (schnell) lösbar zu befestigen, weil jede zeitraubende Reparatur zu einem betriebswirtschaftlich nicht ver-25 tretbaren Stillstand der Maschinen führen würde, in dem die Kniehebelklemmvorrichtung eingesetzt wird. Insoweit ist weniger von Bedeutung, mit welcher Wahrscheinlichkeit und mit welchem Zeithorizont die Reaktionsplatte (15) verschleißen würde. Wie der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung überzeugend erläutert hat, war eine lösbare Verbindung, die einen schnellen Austausch ermöglicht, für den Fachmann allein aus Vorsicht geboten.
d) Schließlich lag es für den Fachmann auch nahe, die Reaktionskraftaufnahmeplatte so auszugestalten, dass die die Kräfte auf sie übertragende Walze im Sinne des Merkmals 5.3.3 lediglich während des Klemmzustands des Armes mit ihr in Kontakt steht, indem er diese Platte so verkürzte, dass der Kontakt mit der Walze im Wesentlichen nur während dieses Zustands besteht.
Die nebenstehende Figur 1 der K89 zeigt eine Reaktionsplatte, deren Länge sich fast über den gesamten Hub der Kolbenstange erstreckt. Wie das Patentgericht zutreffend erkannt hat, ist dies dem Umstand geschuldet, dass in dieser Druckschrift das obere Ende der Kolbenstange nicht unmittelbar, sondern lösbar über einen Gleitkopf 12 mit dem Gelenkstangenmechanismus verbunden ist und damit eine Trennung zwischen diesem Mechanismus und dem Kolben ermöglicht. Der Kontakt dieses Gleitkopfs mit der Innenwand des Grundkörpers könnte zu einer Reibung und damit auch im unteren Bereich des Kolbenstangenhubs zu einem gewissen Verschleiß führen, dem eine längere Reak-28 An dieser Stelle befindet sich eine Abbildung.
tionsplatte vorbeugen soll. Der Sachverständige hat hierzu jedoch überzeugend ergänzt, dass die Länge der Reaktionsplatte eher eine Vorsichtsmaßnahme in dieser Richtung offenbare, als dass ein solcher Verschleiß auch bei der besonderen Gestaltung gemäß der K89 tatsächlich zu befürchten wäre.
Aus fachmännischer Sicht war erkennbar, dass es bei Verzicht auf einen solchen Gleitkopf und die Trennbarkeit des Gelenkstangenmechanismus vom Kolben, wie er beispielsweise aus der deutschen Auslegeschrift 22 22 686 (K10) bekannt war und auch dem Gegenstand des Streitpatents zugrunde liegt, keinen Grund gibt, die Reaktionsplatte über eine größere Fläche zu erstrecken als es für die Aufnahme der vom Arm in der Phase des Klemmzustands ausgehenden Kräfte erforderlich ist. Für die Frage des Naheliegens einer technischen Weiterentwicklung sind zwar in erster Linie die druckschriftlichen Hinweise und Anregungen aus dem Stand der Technik zu betrachten. Daneben sind indessen auch die sich aus der Ausbildung und der üblichen Vorgehensweise des Fachmanns ergebende Sichtweise und sein allgemeines und fachgebietstypisches Fachwissen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2011 - X ZB 6/10, GRUR 2012, 378 Rn. 17 - Installiereinrichtung II; Urteil vom 26. April 2012 - X ZR 72/11, juris Rn. 33). Hierzu gehört, dass der Fachmann mit der Ausbildung eines Maschinenbauingenieurs - wie es der gerichtliche Sachverständige anschaulich verdeutlichte - in den Funktionen denkt, die das von ihm zu konstruierende Bauteil erfüllen muss. Schon weil er dabei auch immer den Kostenaufwand im Blick haben muss, wird er bei Neukonstruktionen darauf achten, nicht über das hinaus zu gehen, was mit Blick auf die zu erfüllenden Funktionen erforderlich ist.
Demnach war vom Fachmann zu erwarten, dass er den beschränkten Bedarf für eine Reaktionsplatte allein für den Bereich erkannte, in dem sich der Arm im Klemmzustand befindet. Dies entspricht im Wesentlichen dem oberen 30 Totpunkt des Gelenkmechanismus. Darüber hinaus war insbesondere bei Verzicht auf einen Gleitkopf zwischen Kolbenstange und Gelenk entsprechend der K89 ein Verschleiß durch das Angreifen der Walzen an dem Grundkörper nicht zu befürchten. Die insoweit auftretenden Querkräfte sind vernachlässigbar klein. Eine Verlängerung der Reaktionsplatte auch in diesen Bereich hinein hätte keine Funktion erfüllt, so dass vom Fachmann zu erwarten war, die Platte nicht auch in diesen Bereich zu erstrecken, sondern lediglich im Bereich des Klemmzustands des Armes vorzusehen (Merkmal 5.3.3).
e) Auch bei einer Gesamtbetrachtung der Abweichungen des Gegenstands des Streitpatents von demjenigen der K89 waren diese Weiterentwicklungen naheliegend und beruhten nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
2. Der Gegenstand der Patentansprüche in der Fassung nach dem Hilfsantrag I beruht ebenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
a) Mit Hilfsantrag I sollen dem Patentanspruch 1 die Merkmale 1.2 (geschlossener Grundkörper), 4.3.1 (nach außen vorstehende Lagerabschnitte am Gelenkstangenmechanismus) und 6 (ein Paar Ausnehmungen) sowie die paarweise Anordnung von Walzen und Reaktionskraftaufnahmeplatten hinzugefügt werden.
b) Die Beschränkung des Patentanspruchs durch diese Merkmale ist zulässig. Wie das Patentgericht zutreffend festgestellt hat, sind sie sämtlich in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen und in der Patentschrift offenbart.
c) Indessen war der Gegenstand des Streitpatents auch mit diesen Merkmalen dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt.
(1) Eine geschlossene Bauweise des Grundkörpers (Merkmal 1.2) war aus der Figur 3 der K89 bekannt. 32
(2) Die K89 offenbart auch eine Welle des Gelenkstangenmechanismus, die aus einer Seitenfläche des Grundkörpers herausragt, und die Befestigung des Arms zum Klemmen des Werkstücks hieran (Merkmal 4.3.1).
(3) Weiterhin beschreibt die K89, dass der Gelenkstangenmechanismus "zwei Walzen" (two rollers) enthalten kann (K89 S. 2 Z. 53-54). In diesem Fall sollen die Kräfte von jeder Walze von einer Reaktionsaufnahmeplatte aufgenommen werden (K89 S. 2 Z. 49-52).
(4) Für diese Platte war jeweils eine Ausnehmung vorzusehen, denn wenn der Fachmann eine Reaktionsaufnahmeplatte lediglich für den Bereich vorsehen wollte, in dem die Walzen sich im Klemmzustand befinden und die sich daraus ergebenden Kräfte übertragen, bedingte dies für ein gleichmäßiges Rollen der Walzen, dass sie in dem weiteren, dem Kolbenhub folgenden Bereich nicht auf Kanten der Platten stoßen, sondern weiterhin am Grundkörper bündig ablaufen können, auch wenn hier kaum noch Kräfte auf diesen zu übertragen sind. Demnach war es konsequent in diesem Bereich die Fläche des Grundkörpers in annähernd derselben Flucht anzuordnen, wie die für den Walzenkontakt vorgesehenen Fläche der Reaktionsaufnahmeplatte. Um eine solche annähernd gleiche Flucht dieser Fläche herzustellen, kennt der Fachmann die Konstruktion von Ausnehmungen, in die die Reaktionsaufnahmeplatten eingefügt werden, weshalb von ihm zu erwarten war, mit Hilfe einer solchen Ausnehmung eine annähernd gleiche Flucht zwischen der Kontaktfläche der Reaktionsaufnahmeplatte und der weiteren Abrollfläche auf dem Grundkörper herzustellen.
(5) Auch das Vorsehen von paarweisen Ausnehmungen, in die jeweils eine Reaktionsaufnahmeplatte eingefügt wird, war im Rahmen der vom Fachmann zu erwartenden Überlegungen nahegelegt und beruht nicht auf erfinderi-38 scher Tätigkeit. Entsprechend der funktionalen Sichtweise, die von einem Maschinenbauingenieur für die Konstruktion solcher Bauteile zu erwarten war, ist es aus der Sicht des Fachmanns zunächst konsequent, die Platten bei einer Verwendung von zwei Walzen nur dort vorzusehen, wo die Walzen angreifen. Da sich dies insbesondere bei einer symmetrischen Bauweise, die mit einer solchen Anordnung implizit verfolgt wird, in getrennten Bereichen des Grundkörpers vollzieht, führt deshalb die funktionale Sichtweise zunächst auch dazu, die Reaktionsaufnahmeplatten getrennt mithin paarweise vorzusehen und in ein Paar von Ausnehmungen einzufügen.
Der gerichtliche Sachverständige hat allerdings hierzu in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass eine solche Konstruktion zu einer technisch unvorteilhaften Doppelpassung und einem erhöhten Montageaufwand führen würde, weshalb der Fachmann Anlass gehabt haben könnte, von einer solchen Konstruktion wieder Abstand zu nehmen und stattdessen für die beiden Walzen nur eine gemeinsame Reaktionsplatte vorzusehen.
Diese weitergehenden Überlegungen führen indessen nicht dazu, die im Hilfsantrag I vorgesehene Trennung der Reaktionsaufnahmeplatte in zwei Bereiche als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend anzusehen. Hat der Fachmann Anlass oder gibt es Anregungen oder Hinweise, im Rahmen einer technischen Weiterentwicklung eine bestimmte Konstruktion in Erwägung zu ziehen und ist deshalb hierfür keine erfinderische Tätigkeit erforderlich, führt allein das Verharren bei dieser Konstruktion nicht zu einer anderen Bewertung. Dies gilt auch dann, wenn es aus dem Stand der Technik, dem Fachwissen, dem fachtypischen Vorgehen oder sonstigen Umständen hinreichenden Anlass, Hinweise oder Anregungen gab, bei dieser Konstruktion nicht stehen zu bleiben, und deshalb vom Fachmann eigentlich zu erwarten war, den Gegenstand mit anderen Merkmalen zu konstruieren. Die technischen Gründe, die eine 42 Trennung der Reaktionsplatte in zwei Platten nach den Ausführungen des Sachverständigen als unvorteilhaft erscheinen lassen könnten, führen deshalb nicht dazu, das Verharren bei zwei Platten als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend anzusehen, denn die zu dieser Konstruktionsform führenden Überlegungen des Fachmanns gehören sämtlich zu seinem durchschnittlichen Fachkönnen.
(6) Das Merkmal 6 und damit insgesamt ein Gegenstand, wie er sich aus der Zusammenfassung der gemäß Hilfsantrag I kombinierten Merkmale ergibt, waren deshalb dem Fachmann ebenfalls nahegelegt.
3. Weiterhin ist auch ein Gegenstand des Streitpatents entsprechend den Fassungen der Hilfsanträge II und III nicht patentfähig.
a) Mit Hilfsantrag II soll der dem Hilfsantrag I entsprechende Patentgegenstand zusätzlich um das Merkmal beschränkt werden, dass die Ausnehmungen gemäß Merkmal 6 "durch jeweils vier Wandflächen gebildet" sind.
Gemäß Hilfsantrag III soll der dem Hilfsantrag I entsprechende Patentgegenstand um das folgende Merkmal ergänzt werden:
"die Ausnehmungen (104) bilden jeweils einen parallelepipedförmigen Raum, wobei zwei aneinandergrenzende Flächen der Ausnehmungen (104) offen sind und dann, wenn die Reaktionsaufnahmeplatten (106a, 106b) in den Ausnehmungen (104) angebracht sind, die Walzen (66a, 66b) jeweils an einer Fläche einer Reaktionskraftaufnahmeplatte (106a, 106b) anliegt, welche an einer der offenen Flächen der Ausnehmung (104) exponiert ist, und wobei eine andere Fläche der Reaktionsaufnahmeplatten (106a, 44 106b) innerhalb des Körpers an der anderen offenen Fläche der Ausnehmung (104) exponiert ist."
b) Es kann offenbleiben, ob diese Hilfsanträge zulässig sind und die weiteren Merkmale in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart sind.
c) Jedenfalls war es naheliegend, die Ausnehmungen gemäß Artikel 6 jeweils mit vier Wandflächen zu bilden und im Übrigen die Reaktionsplatten mit zwei Seiten offen im Grundkörper zu "exponieren". Unter Exponieren ist im Sinne dieser Hilfsanträge lediglich zu verstehen, dass die parallelepipedförmigen Reaktionsaufnahmeplatten mit der jeweiligen Seite nicht in Kontakt zu einer Fläche des Grundkörpers stehen, sondern insoweit dem Luftraum "exponiert" sind.
Für die Reaktionsaufnahmeplatten ist die nächstliegende Form ein Quader, weil damit die Platten mit rechtwinkligen Kanten kostensparend gefertigt werden können. Damit war ein parallelepipedförmiger Raum für die Ausnehmungen vorgegeben.
Um einen solchen Quader formschlüssig mit dem Grundkörper verbinden zu können, muss eine seiner sechs Seiten offenbleiben, damit die Walze auf der Platte eine Stütze finden kann, wie es Hilfsantrag III beschreibt. Um die Platten schnell austauschen und die Ausnehmungen für die Platten mit einem möglichst geringen Fertigungsaufwand herstellen zu können, kann der Quader nur mit vier Seiten im Kontakt mit dem Grundkörper stehen. Ein fünfseitiges Umschließen des Quaders wäre aufwendig herzustellen und würde den Austausch erschweren. Dies war dem Fachmann durch sein Fachwissen hinreichend bekannt, weshalb von ihm zu erwarten war, die Ausnehmungen für quaderförmige Reaktionsplatten mit genau vier Wandflächen entsprechend dem 48 Hilfsantrag II zu fertigen. Mit zwei Seiten mussten die Platten dann offen dem Luftraum zu gewandt sein, woraus sich eine Exposition im Sinne des Hilfsantrags III als naheliegend ergibt.
4. Hinsichtlich der Gegenstände der Unteransprüche ist eine eigene erfinderische Leistung weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich (BGH, Urteil vom 29. September 2011 - X ZR 109/08, GRUR 2012, 149 - Sensoranordnung).
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Mühlens Grabinski Hoffmann Schuster Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 10.09.2009 - 2 Ni 48/07 (EU) - 52
BGH:
Urteil v. 25.09.2012
Az: X ZR 10/10
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/136f99e75fbc/BGH_Urteil_vom_25-September-2012_Az_X-ZR-10-10