Bundespatentgericht:
Beschluss vom 24. Juni 2004
Aktenzeichen: 11 W (pat) 308/03
(BPatG: Beschluss v. 24.06.2004, Az.: 11 W (pat) 308/03)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Bundespatentgericht hat in einem Beschluss vom 24. Juni 2004 das Patent widerrufen. In der Gerichtsentscheidung wurde festgestellt, dass das patentierte Verfahren und die Vorrichtung zum Identifizieren und Sortieren von bandgeförderten Objekten nicht patentfähig sind. Die Patentinhaberin hat angegeben, dass das Verfahren und die Vorrichtung neu, erfinderisch und gewerblich anwendbar seien. Es wurde jedoch festgestellt, dass das patentierte Verfahren bereits in einer vorveröffentlichten europäischen Patentschrift beschrieben ist und somit nicht neu ist. Das Bundespatentgericht hat daher entschieden, das Patent insgesamt für nicht bestandsfähig zu erklären.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BPatG: Beschluss v. 24.06.2004, Az: 11 W (pat) 308/03
Tenor
Auf die Einsprüche wird das Patent widerrufen.
Gründe
I Die am 22. November 1997 beim Patentamt eingereichte Anmeldung mit der Bezeichnung "Verfahren und Vorrichtung zum Identifizieren und Sortieren von bandgeförderten Objekten" ist am 27. Mai 1999 offengelegt worden. Auf die Anmeldung wurde ein Patent erteilt und die Erteilung am 19. September 2002 veröffentlicht.
Gegen das Patent ist am 14. November 2002 von der U... GmbH in L... (Einsprechende I) und am 10. Dezember 2002 von der B...- ... GmbH in R... jeweils gem. § 59 PatG Einspruch erhoben worden. Die R... GmbH in B... (Einsprechende II), ist durch Über- nahme des betreffenden Geschäftsbereichs der B... GmbH in R..., in die Einsprechendenstellung der B... GmbH in R..., eingetreten.
Die Einsprechende I hat am 12. März 2003 ihren Einspruch zurückgenommen und ist deshalb am Verfahren nicht mehr beteiligt.
Jeder Einspruch war mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, der Gegenstand des Patents sei nach §§ 3 und 4 PatG nicht patentfähig.
Die Einsprechende II hat mit Schriftsatz vom 19. Mai 2004, eingegangen am 21. Mai 2004, angezeigt, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.
Seitens der Einsprechenden II liegt schriftsätzlich der Antrag vor, das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin widerspricht in allen Punkten, sie sieht Neuheit, erfinderische Tätigkeit und gewerbliche Anwendbarkeit sowohl bei dem Verfahren nach Anspruch 1 wie auch der Vorrichtung nach Anspruch 5 jeweils in der erteilten Fassung gegeben. Sie erachtet die Erfindung somit als patentfähig. Auf den Hinweis des Senats, der Anspruch 1 könnte eine klärungsbedürftige Unstimmigkeit aufweisen, beantragt sie, das Patent aufrecht zu erhalten, mit der Maßgabe, dass es im Patentanspruch 1 (Patentschrift, Spalte 6, Zeile 32) wegen eines Schreibversehens anstatt "Oberflächenbeschaffenheit" lautet: "Materialbeschaffenheit".
Der geltende Patentanspruch 1:
1. Verfahren zum Identifizieren und Sortieren von bandgeförderten Objekten, insbesondere zur Müllsortierung, bei dem die Materialbeschaffenheit der Objekte mittels eines NIR-Meßgeräts (13) spektroskopisch erfaßt wird und die Sortierung in Abhängigkeit des Spektroskopieergebnisses durch Entfernen von Objekten vom Förderband (7, 8, 9) erfolgt, dadurch gekennzeichnet, daß das Förderband (7, 8, 9) in einem vorbestimmten Bereich (17) über seine gesamte Breite abgetastet wird, um jedes der in diesem Bereich (17) befindlichen Objekte nach Lage der Objekte auf dem Förderband (7, 8, 9) und ihrer Gestalt zu lokalisieren, daß ausschließlich am Ort der lokalisierten Objekte unter Aussparung von nicht besetzten Stellen des Förderbandes (7, 8, 9) die Oberflächenbeschaffenheit (lies: Materialbeschaffenheit) erfaßt (12) wird, wobei unterschiedliche Objektmaterialien durch das NIR-Meßgerät (13) gleichzeitig identifiziert werden, und daß die Objekte durch den Meßpunkt (19) des NIR-Meßgeräts (13) in Abhängigkeit von zumindest deren zuvor erfaßter Lage abgetastet und vom Förderband (7, 8, 9) entfernt werden.
Der nebengeordnete Anspruch 5 lautet:
5. Vorrichtung zum Identifizieren und Sortieren von bandgeförderten Objekten mit einem NIR-Meßgerät (13), das an einem ersten Erfassungsbereich (18) über einem Förderband (7) angeordnet ist, welchem zumindest eine Trennstelle (10) zum Entfernen von Objekten vom Förderband (7) nachgeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, daß stromaufwärts von dem ersten Erfassungsbereich (18) eine Einrichtung (12) zum optischen Erfassen der Objekte in einem zweiten Erfassungsbereich (17) über die gesamte Breite des Förderbandes (7) angeordnet ist, daß eine Einrichtung (16) zur Bildverarbeitung bzw. -erkennung, welche Meßsignale der Einrichtung (12) zum optischen Erfassen von Objekten verarbeitet, um Lage und Gestalt der Objekte auf dem Förderband (7) zu erfassen, vorgesehen ist, um Daten betreffend die Objektlage und -gestalt mit den Meßergebnissen des NIR-Geräts (13) zu verknüpfen, und daß dem NIR-Gerät (13), welches in der Lage ist, unterschiedliche Objektmaterialien gleichzeitig zu identifizieren, eine Einrichtung (15) zum abtastenden Bewegen seines Meßpunkts (19) über die Objekte auf dem Förderband (7) nur dort, wo ein Objekt lokalisiert ist, zugeordnet ist.
In der Patentschrift ist im Anspruch 5 (wie im Anspruch 6) zwar statt NIR teilweise MR zu finden. Dies ist aber ein offensichtlicher Fehler, der beim Erstellen der Patentschrift entstanden ist. In den der Erteilung zugrunde gelegten Ansprüchen ist an gleicher Stelle jeweils NIR angegeben.
Wegen der Unteransprüche 2 bis 4 und 6 bis 8 und weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II Über den Einspruch ist gemäß § 147 Abs. 3 Satz 1 PatG durch den technischen Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts zu entscheiden.
Die frist- und formgerecht erhobenen Einsprüche sind zulässig. Sie führen aus den nachfolgend dargelegten Gründen zum Widerruf des Patents.
Die Erfindung bezieht sich auf das Identifizieren und Sortieren von bandgeförderten Objekten. Solchen bislang bekannten Verfahren wird in der Patentschrift der Nachteil zugesprochen, dass eine relativ aufwendige Vorsortierung und Vereinzelung erforderlich ist, bevor die Objekte dem punktförmigen Messpunkt zugeführt werden. Angesichts dieses Standes der Technik liegt das technische Problem (die Aufgabe) zugrunde, ein solches Verfahren zu schaffen, mit dem ohne großen mechanischen Aufwand die sortenreine Trennung verschiedener Gegenstände bei hoher Massenförderung gelingt. Außerdem soll eine Vorrichtung zur Durchführung dieses Verfahrens bereitgestellt werden.
Die Lösung dieser Aufgabe wird in einem Verfahren nach Anspruch 1 sowie einer Vorrichtung nach Anspruch 5 gesehen.
Als zuständiger Fachmann ist hier ein Diplomingenieur mit Fachhochschulabschluss im allgemeinen Maschinenbau anzusehen, der über entsprechende Berufserfahrung auf dem einschlägigen Gebiet verfügt und wegen der NIR-Spektroskopie ggf. einen Diplom-Physiker zu Rate zieht.
1. Der erteilte Anspruch 1 ist aus dem ursprünglichen Anspruch 1 entstanden und um Merkmale ergänzt worden, die in der Beschreibung ursprünglich offenbart sind. Der erteilte Patentanspruch enthält eine offensichtliche Unrichtigkeit. Während im ursprünglichen Anspruch 1 und in der ursprünglichen Beschreibung S. 9, 1. Absatz "vor der Materialbeschaffenheit die ... Oberflächenbeschaffenheit der Objekte ... erfasst" wird, ist im erteilten Anspruch 1 dagegen zu finden, "dass ausschließlich am Ort der lokalisierten Objekte ... die Oberflächenbeschaffenheit erfasst wird". In der Patentschrift (Sp. 4, Z. 30 - 37) ist allerdings nach wie vor angegeben, dass die Erfassung der Oberflächenbeschaffenheit im ersten Erfassungsbereich stattfindet, welcher (Sp. 4, Z. 29, 30) über die volle Breite des Förderbandes erstreckt. Das patentierte Verfahren ist demnach gar nicht in der Lage, die Oberflächenbeschaffenheit lediglich am Ort der lokalisierten Objekte zu erfassen. Dort erlaubt das Verfahren allein die Erfassung der Materialbeschaffenheit, weshalb "Oberflächenbeschaffenheit" im Anspruch 1 durch "Materialbeschaffenheit" zu ersetzen ist. Der antragsgemäß berichtigte Anspruch 1 sowie die weiteren Ansprüche sind deshalb zulässig.
2. Das ersichtlich gewerblich anwendbare Verfahren gemäß Anspruch 1 ist gegenüber der der europäischen Patentschrift 0 696 236 B1 [im Folgenden kurz EP-B1] entnehmbaren Lehre nicht neu. Zwar mag das streitpatentgemäße Verfahren, wie die Patentinhaberin vortragen ließ, demgegenüber Vorteile aufweisen, nämlich geringere Ansprüche an die Vereinzelung der Objekte stellen, in der Praxis komfortabler in der Anwendung sein und einen höheren Durchsatz ermöglichen. Aber entsprechende Merkmale, die zwingend zu diesen Vorteilen führen, finden sich im Hauptanspruch jedoch nicht. So ist auch beim streitpatentgemäßen Verfahren eine berührungslose Vereinzelung der Objekte, wie sie in der EP-B1 verlangt ist, nicht ausgeschlossen, was die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung zugestanden hat.
Aus der EP-B1 ist ein Verfahren zum Identifizieren und Sortieren von Objekten, die dort Materialteile heißen, bekannt, welches in vollumfänglicher Übereinstimmung mit dem patengemäßen Verfahren gemäß Anspruch 1 folgende Maßnahmen umfasst:
a) Als Stoffsensor 42 kommt dort ein NIR-Spektroskopiesensor zum Einsatz (Sp. 4, Z. 52, 53), somit wird die Materialbeschaffenheit der Objekte mittels eines NIR-Messgeräts spektroskopisch erfasst.
b) Weil die vom Stofferkennungsrechner 60 gelieferten Stoffsorteninformationen zu einem Sortierungsrechner 70 geliefert werden und der Sortierrechner die Sortierung über Sortierweichen 32 steuert, die im einfachsten Fall aus pneumatischen Ejektoren bestehen können, welche die Materialteile 14 über Rutschen 74 in getrennte Behälter ausblasen, (Sp. 8, Z. 35 - 42), erfolgt dort wie beim Streitpatent die Sortierung in Abhängigkeit des Spektroskopieergebnisses durch Entfernen von Objekten vom Förderband.
c) Die Materialteile 14 werden beim bekannten Verfahren mittels eines Förderbandes einem bildbearbeitenden System 20 zugeführt (Sp. 3, Z. 31 - 33). Die Kameras 22 und 26 sind gem. Fig. 1 in einem definierten Abschnitt 20 auf das Förderband 12 gerichtet, dabei setzt der Fachmann als selbstverständlich voraus, dass jede Stelle des Bandes im Erfassungsbereich abgedeckt ist, damit keine am Rand liegenden Materialteile unerfasst bleiben. Demzufolge wird schon bei der EP-B1 wie bei der streitpatentgemäßen Lehre das Förderband in einem vorbestimmten Bereich über seine gesamte Breite vom Bilderfassungssystem abgetastet.
d) Damit die vom Bildrechner 30 ermittelten Farb- und Formmerkmale den Materialteilen 14 und deren Bestandteilen positionsrichtig zugeordnet werden können, erhält der Bildrechner Informationen von einem Positionsgeber 32 und von einem Geschwindigkeitssensor 34 (Sp. 4, Z. 19 - 24). Anhand dieser Informationen kann der Bildrechner die Position jedes Materialteils 14 berechnen (Sp.4, Z. 34). Das bildverarbeitende System der EP-B1 vermag demzufolge wie das streitpatentgemäße Verfahren nach Anspruch 1 jedes der im vorbestimmten Erfassungsbereich befindlichen Objekte nach Lage der Objekte auf dem Förderband und ihrer Gestalt zu lokalisieren.
e) Diese Positionsinformationen werden einem dem Stofferkennungssystem 40 zugeordneten Stofferkennungsrechner 60 zugeführt und aufgrund der bekannten Fördergeschwindigkeit und des bekannten Abstands zwischen dem bildgebenden System und dem Stofferkennungssystem 40 auf die Position der Bestandteile beim Durchgang durch das Stofferkennungssystem 40 umgerechnet (Sp. 6, Z. 8 - 17). In einer bevorzugten Ausgestaltung des Verfahrens der EP-B1 ist vorgesehen, dass die Bestimmung der Stoffsorte nicht fortlaufend geschieht, sondern durch den Stofferkennungsrechner immer dann ausgelöst wird, wenn sich das Messfeld auf einer für die Stoffsortenbestimmung gewünschten Stelle befindet (Sp. 6, Z. 49 - 55). Obgleich bei dem bekannten Verfahren dafür gesorgt ist, dass die Messpunkte konkret lokalisiert sind und das Messfeld ausschließlich auf definierte Bestandteile oder Orte der Materialteile ausgerichtet ist, wird die Stoffbestimmung beim bekannten Verfahren auch nur auf die Materialteile selbst beschränkt und das Förderband nicht miterfasst. Somit zeichnet sich jenes bekannte Verfahren ebenfalls schon dadurch aus, dass wie beim streitpatentgemäßen Verfahren die Materialbeschaffenheit am Ort der lokalisierten Objekte unter Aussparung von nicht besetzten Stellen des Förderbandes erfasst wird.
f) Zur Bestimmung der Stoffsorten von Materialteilen, die aus mehreren unterschiedlichen Kunststoffen bestehen, kann gemäß der EP-B1 die Apertur des Stoffsensors so aufgeteilt werden, dass mehrere Messfelder entstehen, die dann gleichzeitig erfasst werden (Sp. 7, Z. 47 - 52). Demzufolge werden auch beim bekannten Verfahren wie in Anspruch 1 des Streitpatents unterschiedliche Objektmaterialien durch das NIR-Meßgerät gleichzeitig identifiziert.
g) Bei dem aus der EP-B1 schon bekannten Verfahren erfolgt die Stofferkennung auch dadurch, dass ein Spiegel 62 (Sp.7, Z. 24: oder auch der Stoffsensor selbst) so gesteuert wird, dass das Messfeld 48 unter Berücksichtigung der im Bildrechner ermittelten Farb- und Formmerkmale auf eine bestimmte Stelle des Materialteils 14 gerichtet wird, deren Position aufgrund der vom Bildrechner 30 gelieferten Positionsinformationen bekannt ist (Sp. 7, Z. 9 - 16). Das Messfeld vermag auch die gewählte Stelle des Materialteils 14 bei dessen Bewegung eine gewisse Zeit zu verfolgen (Sp. 7, Z. 19 - 21). Somit werden beim bekannten Verfahren wie beim Anspruch 1 des Streitpatents die Objekte durch den Messpunkt des NIR-Meßgeräts zumindest in Abhängigkeit von deren zuvor erfasster Lage (doch auch der zuvor ermittelten Informationen über deren Bestandteile) abgetastet.
h) In der Sortieranlage der Fig. 1 der EP-B1 werden die vom Bildrechner 30 und vom Stofferkennungsrechner 60 gelieferten Informationen in einem Sortierungsrechner 70 verarbeitet, welcher Sortierweichen 72 dazu veranlasst, die Materialteile 14 auszusondern (Sp. 8, Z. 32 - Sp. 9, Z.4). Auch bei dem bekannten Verfahren der EP-B1 werden wie in Anspruch 1 des Streitpatents die erfassten Objekte schließlich vom Förderband entfernt.
Somit offenbart die vorveröffentlichte EP-B1 alle Merkmale des Verfahrens des Anspruchs 1. Dieser kann demzufolge nicht als neu gelten. Mangels Neuheit kann Anspruch 1 somit nicht bestehen bleiben. Die auf ihn rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 4 müssen sein Schicksal teilen.
Der auf eine Vorrichtung gerichtete Anspruch 5 ist Bestandteil desselben einzigen Antrags der Patentinhaberin wie der ein Verfahren betreffende Anspruch 1. Demzufolge bedarf es keiner weitergehenden Würdigung, da selbst für solche Ansprüche, die sich sachlich als sogenannte Nebenansprüche darstellen, keine Begründungspflicht für die Entscheidung besteht (BGH X ZB 18/95, GRUR, 120, 122 - Elektrisches Speicherheizgerät).
Anspruch 5 sowie die hierauf zurückbezogenen Ansprüche 6 bis 8 fallen somit mit dem Anspruch 1.
Nach alledem ist das Patent insgesamt nicht bestandsfähig.
Dellinger Skribanowitz Sekretaruk Schmitz Bb
BPatG:
Beschluss v. 24.06.2004
Az: 11 W (pat) 308/03
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