Bundesgerichtshof:
Urteil vom 25. November 2014
Aktenzeichen: X ZR 119/09

(BGH: Urteil v. 25.11.2014, Az.: X ZR 119/09)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung vom 25. November 2014 das europäische Patent 779 851 teilweise für nichtig erklärt. Das Patent betrifft ein Schleifprodukt und ein Verfahren zu dessen Herstellung. Das Problem bei herkömmlichen Schleifprodukten besteht darin, dass der Schleifstaub das Produkt verunreinigt. Das Streitpatent stellt ein Schleifprodukt zur Verfügung, das eine längere Betriebsdauer als bekannte Produkte ermöglicht. Das Schleifprodukt umfasst ein Tuch aus gewirkten Fäden, auf dem sich Fadenabschnitte wie Schlaufen befinden. Zudem ist ein Schleifmittel auf das Tuch aufgebracht. Das Patentgericht hatte das Streitpatent für nichtig erklärt, da der Gegenstand des Patents durch den Stand der Technik nahegelegt sei. Der Bundesgerichtshof hat nun entschieden, dass die Verteidigung des Streitpatents in einigen Fassungen unzulässig ist, da der beanspruchte Gegenstand über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinausgeht. Die Berufung der Beklagten wurde nur hinsichtlich eines Teils des Streitgegenstands begründet. Das Gericht hat festgestellt, dass der Gegenstand des mit Hilfsantrag 2 verteidigten Patentanspruchs patentfähig ist. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BGH: Urteil v. 25.11.2014, Az: X ZR 119/09


Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 14. Mai 2009 verkündete Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert.

Das europäische Patent 779 851 wird mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt, soweit sein Gegenstand über folgende Fassung seines - nunmehr einzigen - Patentanspruchs hinausgeht:

Schleifprodukt mit: einem Tuch aus gewirkten Fäden (1); Fadenteilen, wie Schlaufen (3), die sich auf einer Oberfläche des Tuchs befinden und aus dem Tuch hervortreten; und einem Schleifmittel (4), das als separate Agglomerate zumindest auf die andere, im Wesentlichen ebene Oberfläche des Tuchs aufgebracht wird, dadurch gekennzeichnet, dass das Tuch eine für den beim Schleifen gebildeten Staub durchlässige Struktur aufweist, die hervortretenden Fadenteile Schlaufen (3) aus Fäden (1), die in dem Tuch enthalten sind, oder Schlaufen aus Fasern (2) solcher Fäden aufweisen, und die hervortretenden Fadenteile einen derartigen Spalt zwischen dem Tuch und einer Trägerfläche bilden, auf welcher das Tuch mittels der hervortretenden Fadenteile befestigt werden kann, dass der beim Schleifen gebildete Staub entlang dieses Spalts abtransportiert werden kann.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 779 851 (Streitpatents), das am 5. September 1995 unter Inanspruchnahme der Priorität von zwei finnischen Anmeldungen vom 6. September 1994 und 28. Oktober 1994 angemeldet wurde und ein Schleifprodukt sowie ein Verfahren zu dessen Herstellung betrifft. Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache:

A grinding product comprising: a cloth of woven or knitted threads (1); thread parts, such as loops (3) or thread ends (5), situated on one surface of the cloth and projecting from the cloth; and a grinding agent applied as separate agglomerates (4) to that surface of the grinding product which comprises projecting thread parts (3, 5), at least to the projecting thread parts (3, 5), characterized in that the projecting thread parts comprise loops (3) or ends (5) of threads (1) of the cloth.

Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent in erster Instanz mit einem Hauptantrag und sechs Hilfsanträgen in geänderter Fassung verteidigt.

Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Mit ihrer Berufung verteidigt die Beklagte das Streitpatent mit einem Hauptantrag und fünf Hilfsanträgen in abermals geänderter Fassung. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Im Auftrag des Senats hat Dr.-Ing. H. ein schriftliches Gutachten erstattet, das er im ersten Verhandlungstermin erläutert und ergänzt hat. Im Anschluss an diesen Termin hat Frau E. im Auftrag des Senats eine deutsche Übersetzung der beiden Prioritätsdokumente angefertigt und schriftliche Erläuterungen zur Bedeutung einiger darin verwendeter Begriffe gegeben. Prof. Dr.-Ing. Ü. hat im Auftrag des Senats ein schriftliches Gutachten zu einigen Fragen aus dem Gebiet der Textiltechnik erstattet und dieses im zweiten Verhandlungstermin erläutert und ergänzt.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nur hinsichtlich eines Teils des Streitgegenstands begründet.

I. Das Streitpatent betrifft ein Schleifprodukt.

1. Nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift wird die Schleifwirkung solcher Produkte hauptsächlich dadurch vermindert, dass der Schleifstaub das Produkt zusetzt. Um dem entgegenzuwirken seien im Stand der Technik verschiedene Maßnahmen vorgeschlagen worden, zum Beispiel eine Variierung der Körnungsdichte, unterschiedliche Arten von Bindemitteln, eine staubabweisende Oberfläche oder die Anbringung von Lochungen, um den Staub an bestimmten Punkten absaugen zu können. Diese Maßnahmen hätten sich aber als unzureichend erwiesen.

Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, ein Schleifprodukt zur Verfügung zu stellen, das eine deutlich längere Betriebsdauer als bekannte Produkte ermöglicht.

2. Zur Lösung dieses Problems schlägt das Streitpatent in der in zweiter Instanz mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung der Patentansprüche zwei Schleifprodukte vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:

a) Nach Patentanspruch 1 umfasst das Schleifprodukt:

1. ein Tuch 1.1 aus gewirkten Fäden (1), 1.2 das ein Kettengewirk mit einer kombinierten Bindung ist, 1.2.1 worin in allen Maschenstäbchen des Kettengewirks Maschen abwechselnd eine Fadenverbindung zu einer Masche des benachbarten Maschenstäbchens auf der einen Seite und zu einer Masche des benachbarten Maschenstäbchens auf der anderen Seite aufweisen, 1.3 das eine offene Struktur aufweist, die für den beim Schleifen gebildeten Staub durchlässig ist; 2. Fadenabschnitte (-teile) wie Schlaufen (3), die 2.1 sich auf einer Oberfläche des Tuchs befinden, 2.2 aus dem Tuch hervorstehen und 2.3 aus Schlaufen (3) der Fäden (1) des Tuchs bestehen; 3. ein Schleifmittel, das als separate Agglomerate (4) auf die Oberfläche des Schleifprodukts mit hervorstehenden Fadenteilen (3, 5)

3.1 zumindest auf die hervorstehenden Fadenteile aufgebracht wird; 4. eine flüssigkeitsabsorbierende Schaumstoffschicht (11), 4.1 die an der Oberfläche des Tuchs befestigt ist, die frei von Schleifmitteln ist.

b) Nach Patentanspruch 3 umfasst das Schleifprodukt:

1. ein Tuch 1.1 aus gewirkten Fäden (1), 1.2 das eine für den beim Schleifen gebildeten Staub durchlässige Struktur aufweist; 2. Fadenabschnitte (-teile) wie Schlaufen (3), die 2.1 sich auf einer Oberfläche des Tuchs befinden und 2.2 aus dem Tuch hervorstehen, 2.2.1 wobei die hervorstehenden Fadenabschnitte Schlaufen (3) aus Fäden (1), die in dem Tuch enthalten sind, oder Schlaufen aus Fasern (2) solcher Fäden aufweisen (comprise), und 2.2.2 einen derartigen Zwischenraum (gap) zwischen dem Tuch und einer Trägerfläche, auf welcher das Tuch mittels der hervorstehenden Fadenteile befestigt werden kann, bilden, dass der beim Schleifen gebildete Staub entlang dieses Zwischenraums (Spalts) abtransportiert werden kann; 3. ein Schleifmittel, das als separate Agglomerate (4) zumindest auf die andere, im Wesentlichen ebene Oberfläche des Tuchs aufgebracht wird.

c) Die nach den beiden Patentansprüchen geschützten Produkte unterscheiden sich insbesondere dadurch voneinander, dass das Schleifmittel bei dem ersten Produkt auf derjenigen Seite angebracht ist, die hervorstehende Fadenteile aufweist, beim zweiten Produkt hingegen auf derjenigen Seite, die im Wesentlichen eben ist. Der erste Patentanspruch enthält ferner nähere Festlegungen zur Struktur des Gewirks und sieht vor, dass auf der dem Schleifmittel gegenüber liegenden Seite des Tuchs eine flüssigkeitsabsorbierende Schaumstoffschicht angebracht ist.

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der Gegenstand des Streitpatents in der mit dem erstinstanzlichen Hauptantrag und den erstinstanzlichen Hilfsanträgen 1 und 3 verteidigten Fassungen sei dem Fachmann, einem Diplomingenieur mit Fachhochschulabschluss der Fachrichtung Maschinenbau mit langjähriger Erfahrung in der Entwicklung von Schleifprodukten, durch den Stand der Technik nahegelegt. Aus der US-Patentschrift 2 996 368 (NK9) sei ein Schleifprodukt mit allen Merkmalen des Oberbegriffs von Patentanspruch 1 bekannt gewesen. Dieses Produkt weise eine offene Struktur und hervortretende Fadenteile auf, weil diese Merkmale mehr oder weniger für alle gewebten, gestrickten oder gewirkten Textilien zuträfen. Der Kerngedanke des Streitpatents, das Schleifprodukt mit einer weitgehend offenen Struktur für eine verbesserte Abführung von Schleifstaub zu versehen, sei zudem durch den weiteren Stand der Technik angeregt. So gingen aus der US-Patentschrift 2 984 052 (NK6) Schleifprodukte hervor, die eine offenmaschige textile Grundschicht und eine Mehrzahl von Ausstülpungen oder Knoten aufwiesen. Der Fachmann entnehme daraus unschwer die Lehre, dass bei textilbasierten Schleifstoffen der Widerstand gegen die Zusetzwirkung des Schleifstaubes verbessert werden könne, wenn man die Basis eines Tuchstoffs selbst möglichst offenmaschig gestalte.

Die nach dem erstinstanzlichen Hilfsantrag 4 vorgesehene Ausgestaltung, bei der die Agglomerate auf die im Wesentlichen ebene Oberfläche aufgebracht würden, ermögliche es, die hervortretenden Fadenteile auf der anderen Seite als eine Art Klettverbindung zu nutzen. Dieses Prinzip sei bereits von technologisch verwandten Schleifprodukten her bekannt gewesen, was durch die deutsche Offenlegungsschrift 1 577 588 (NK4) belegt werde. Die nach dem erstinstanzlichen Hilfsantrag 6 vorgesehene Verwendung eines solchen Schleifprodukts zum Schleifen unter Absaugen des Staubs entlang eines Spalts zwischen Schleifprodukt und Trägerfläche weise keinen weitergehenden technischen Überschuss auf.

Der Gegenstand des Streitpatents in den mit den erstinstanzlichen Hilfsanträgen 2 und 5 verteidigten Fassungen gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus. Das in diesen Fassungen vorgesehene Merkmal, dass das Tuch aus einem Kettengewirk mit einer kombinierten Bindung aus Satinmaschen und Trikotmaschen besteht, lasse sich allenfalls aus Figur 2 der Anmeldungsunterlagen entnehmen. In der Beschreibung sei es weder ausdrücklich erwähnt noch implizit als zur Erfindung gehörend offenbart.

III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren nur hinsichtlich der in zweiter Instanz mit dem Hauptantrag und mit Hilfsantrag 1 verteidigten Fassung des Streitpatents stand, nicht aber hinsichtlich der mit Hilfsantrag 2 verteidigten Fassung.

1. Die Verteidigung des Streitpatents in der nach dem zweitinstanzlichen Hauptantrag vorgesehenen Fassung ist unzulässig. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 geht in dieser Fassung über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus. Die darin vorgesehenen Merkmale 1.2 und 1.2.1, wonach das Tuch aus einem Kettengewirk mit kombinierter Bindung mit Fadenverbindung zu jeweils benachbarten Maschen besteht, sind in der Anmeldung nicht als zur Erfindung gehörend offenbart.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört zum Offenbarungsgehalt einer Patentanmeldung nur das, was den ursprünglich eingereichten Unterlagen unmittelbar und eindeutig als zu der zum Patent angemeldeten Erfindung gehörend zu entnehmen ist, nicht hingegen eine weitergehende Erkenntnis, zu der der Fachmann auf Grund seines allgemeinen Fachwissens oder durch Abwandlung der offenbarten Lehre gelangen kann. Eine unzulässige Erweiterung liegt vor, wenn der Gegenstand des Patents sich für den Fachmann erst auf Grund eigener, von seinem Fachwissen getragener Überlegungen ergibt, nachdem er die ursprünglichen Unterlagen zur Kenntnis genommen hat (vgl. nur BGH, Urteil vom 9. April 2013 - X ZR 130/11, GRUR 2013, 809 Rn. 11 - Verschlüsselungsverfahren). Verallgemeinerungen sind in der Regel unbedenklich, wenn sich ein in der Anmeldung beschriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausgestaltung der im Anspruch umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellt und diese Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung - sei es in Gestalt eines in der Anmeldung formulierten Anspruchs, sei es nach dem Gesamtzusammenhang der Unterlagen - als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist (BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 - X ZR 107/12, BGHZ 200, 63 = GRUR 2014, 542 Rn. 24 - Kommunikationskanal).

b) Der Anmeldung des Streitpatents lässt sich nicht hinreichend deutlich entnehmen, dass ein Kettengewirk mit einer kombinierten Bindung der in Merkmal 1.2.1 festgelegten Art zum Gegenstand der Erfindung gehört.

Eine kombinierte Bindung ist in der Anmeldung nicht ausdrücklich offenbart. In der Beschreibung wird lediglich dargelegt, das Schleifprodukt umfasse ein Tuch aus gewebten, gestrickten oder gewirkten Fäden (woven or knitted threads, z.B. S. 1 Z. 4, S. 3 Z. 19; S. 4 Z. 10). Ergänzend wird ausgeführt, der Begriff "knitted cloth" umfasse auch ein gehäkeltes Tuch (crocheted cloth) oder dergleichen (S. 14 Z. 7 f.). Nähere Angaben zur Struktur des Gewirks finden sich demgegenüber nicht. Ein Kettengewirk mit einer Kombination aus Satin- und Trikotbindung ist allenfalls in den Figuren 2 und 9 zu erkennen. Selbst wenn diesen Figuren zu entnehmen wäre, dass die dort dargestellte konkrete Ausgestaltung als zur Erfindung gehörend beansprucht wird, ergäbe sich daraus indes nicht hinreichend deutlich, dass dies auch für andere Arten einer kombinierten Bindung, insbesondere unter Einbeziehung anderer Maschenarten (z. B. Samt-, Atlas- oder Ripsmaschen) gelten soll, sofern diese nur die in Merkmal 1.2.1 vorgesehenen Fadenverbindungen aufweist. Für den Fachmann, der anhand der Figuren eine Kombination aus Satin- und Trikotbindung erkennt, mag zwar offensichtlich sein, dass dies eine kombinierte Bindung im Sinne der Merkmale 1.2 und 1.2.1 ist. Mangels entsprechender Hinweise ergibt sich für ihn aus der Anmeldung jedoch nicht, dass es für die erfindungsgemäße Ausgestaltung eines Tuchs gerade darauf ankommt, mehrere Maschenarten in dieser Weise zu kombinieren, während die konkrete Maschenart unerheblich ist.

2. Ebenfalls unzulässig ist die Verteidigung des Streitpatents in der Fassung nach dem zweitinstanzlichen Hilfsantrag 1.

a) Nach diesem Hilfsantrag soll Merkmal 1.2.1 in Patentanspruch 1 dahin ergänzt werden, dass die kombinierte Bindung aus Satinmaschen und Trikotmaschen aufgebaut ist.

b) Auch mit dieser Konkretisierung ist der beanspruchte Gegenstand in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht unmittelbar und eindeutig als zur Erfindung gehörend offenbart.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob in den Figuren 2 und 9 der Anmeldung ein Kettengewirk mit einer gleichlegigen Satin-/Trikot-Bindung unmittelbar und eindeutig als zur Erfindung gehörend offenbart ist. Selbst wenn diese Frage zu bejahen wäre, gälte dies allenfalls für die genannte Bindungsart, bei der die Satinmaschen auf der vorderen und die Trikotmaschen auf der hinteren Seite angeordnet sind. Merkmal 1.2.1 in der Fassung von Hilfsantrag 1 ist aber, wie auch die Beklagte nicht in Zweifel zieht, nicht auf diese Bindungsart beschränkt. Es umfasst vielmehr jede Kombination aus Trikot- und Satinmaschen und damit auch die Trikot-/Satin-Bindung, bei der die Trikotmaschen auf der vorderen und die Satinmaschen auf der hinteren Seite angeordnet sind. Zumindest mit dieser Verallgemeinerung ist Merkmal 1.2.1 in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart.

aa) Nach der Rechtsprechung des Senats ist es allerdings nicht generell unzulässig, von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels nur einzelne in den Patentanspruch aufzunehmen (vgl. nur BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 - X ZR 107/12, BGHZ 200, 63 = GRUR 2014, 542 Rn. 24 - Kommunikationskanal).

Dienen Merkmale eines Ausführungsbeispiels, die zusammen, aber auch je für sich den durch die Erfindung erreichten Erfolg fördern, der näheren Ausgestaltung der unter Schutz gestellten Erfindung, so ist es grundsätzlich zulässig, das Patent durch die Aufnahme einzelner oder sämtlicher dieser Merkmale in den Patentanspruch zu beschränken (BGH, Beschluss vom 23. Januar 1990 - X ZB 9/89, BGHZ 110, 123, 126 - Spleißkammer; BGH, Urteil vom. 30. August 2011 - X ZR 12/10, Rn. 30). Auch in diesem Zusammenhang muss die beanspruchte Kombination jedoch in ihrer Gesamtheit eine technische Lehre darstellen, die der Fachmann den ursprünglichen Unterlagen als mögliche Ausgestaltung der Erfindung entnehmen kann (BGH, Beschluss vom 11. September 2001 - X ZB 18/00, GRUR 2002, 49 - Drehmomentübertragungseinrichtung).

bb) Diese Voraussetzung liegt im Streitfall nicht vor.

Wie der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr.-Ing. Ü. erläutert hat, ergibt sich für einen mit Fragen der Textilkunde vertrauten Fachmann aus Figur 2 der Anmeldung, dass das dort wiedergegebene Schleifprodukt aus einem Gewirk in Satin-/Trikot-Bindung besteht. Diese Ausgestaltung bietet zwar keine sichere Gewähr dafür, dass das Tuch die nach der Beschreibung wünschenswerten Eigenschaften, insbesondere eine offene und flexible Struktur aufweist. Immerhin führt die Anbringung von Satinmaschen auf der Vorderseite einer aus Trikotmaschen bestehenden Grundstruktur aber zur Ausbildung relativ großer Schlaufen, die das Eintreten dieser Wirkungen tendenziell begünstigen. Damit mag einem mit Fragen der Textilkunde vertrauten Fachmann offenbart sein, dass die dargestellte Satin-/Trikot-Bindung der Herbeiführung des mit der Erfindung angestrebten Erfolgs dient. Hieraus ergibt sich aber nicht, dass dasselbe für jede andere Kombination aus Trikot- und Satinmaschen, insbesondere für eine Trikot-/Satin-Bindung gilt.

Wie der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr.-Ing. Ü. erläutert hat, kommen für die Verwirklichung des vom Streitpatent angestrebten Erfolgs auch zahlreiche andere Maschenkombinationen in Betracht. Ob sie zur Herbeiführung dieses Erfolgs tatsächlich geeignet sind, lässt sich mit abstrakten Überlegungen nicht hinreichend sicher beurteilen. Für den Fachmann, der anhand der in den Figuren 2 und 9 dargestellten Beispiele nach Wegen zur Ausführung der Erfindung suchte, ergab sich deshalb aus dem Umstand, dass eine Satin-/Trikot-Bindung als geeignet dargestellt wurde, nicht unmittelbar und eindeutig, dass dasselbe auch für alle anderen Kombinationen aus Trikot- und Satinmaschen gilt. Im Hinblick auf eine Trikot-/Satin-Bindung hätten hierbei ausgehend von den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. Ü. schon deshalb Bedenken bestanden, weil die Anordnung der Schlaufen auf der Hinterseite des Gewirks zur Erreichung der mit der Erfindung angestrebten Wirkungen tendenziell eher weniger geeignet ist. Daraus ergibt sich zwar nicht, dass eine solche Maschenkombination generell ungeeignet wäre. Der Anmeldung lässt sich vor diesem Hintergrund aber nicht unmittelbar und eindeutig entnehmen, dass es für die erfindungsgemäße Ausgestaltung eines Tuchs bereits ausreicht, Trikot- und Satinmaschen miteinander zu kombinieren, während die konkrete Anordnung der beiden Maschenarten unerheblich ist.

3. Ob eine auf ein Gewirk mit Satin-/Trikot-Bindung beschränkte Fassung von Patentanspruch 1 zulässig wäre, bedarf keiner Entscheidung. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich klargestellt, dass sie eine solche Fassung nicht verteidigt.

4. Der Gegenstand des mit Hilfsantrag 2 verteidigten (einzigen) Patentanspruchs - dessen Wortlaut identisch ist mit dem Wortlaut von Patentanspruch 3 in der mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung - ist patentfähig.

a) Das am 27. Juli 1995 veröffentlichte deutsche Gebrauchsmuster 295 05 847.1 (NK42) gehört nicht zum Stand der Technik. Das Streitpatent nimmt nämlich zu Recht die Priorität der am 6. September 1994 (in schwedischer Sprache) eingereichten finnischen Anmeldung 944 090 in Anspruch.

aa) Wie die vom Senat beauftragte Übersetzerin E. aufge- zeigt hat, umfasst der Begriff "sticka" sowohl den Begriff "stricken" als auch den Begriff "wirken". Die schwedische Terminologie entspricht damit der englischen, die, wie der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr.-Ing. Ü. erläutert hat, für beide Herstellungsarten den Ausdruck "knitting" verwendet und - mit im Detail abweichender Abgrenzung - zwischen "weft knitting" und "warp knitting" unterscheidet.

bb) Vor diesem Hintergrund kann zwar der Beschreibung der beiden Prioritätsdokumente, in der nicht näher zwischen einzelnen Unterarten differenziert wird, die Ausgestaltung des Tuchs als Kettengewirk aus näher bestimmten Kombinationen von Trikot- und Satinmaschen nicht unmittelbar und eindeutig entnommen werden. Das Prioritätsdokument 944 090 enthält jedoch bereits die im Streitpatent und dessen Anmeldung wiedergegebenen Figuren 2 und 9, in denen ein gewirktes Tuch dargestellt ist.

In der Beschreibung des Prioritätsdokuments wird zwar - ebenso wie in der Beschreibung des Streitpatents und der Anmeldung - nicht näher zwischen Stricken, Wirken oder Weben unterschieden. Vielmehr werden alle diese Herstellungsarten als grundsätzlich geeignet darstellt. Daraus ergab sich für den Fachmann aber hinreichend deutlich, dass jedenfalls alle aus den Ausführungsbeispielen erkennbaren Herstellungsarten - unabhängig von der konkreten Ausbildung der Maschen oder sonstiger Details - als zur Erfindung gehörend beansprucht werden. Deshalb stand es der Beklagten frei, den Gegenstand der Erfindung auf eine dieser drei Herstellungsarten zu beschränken.

cc) Wie der Senat bereits in seinem Beweisbeschluss vom 18. Juni 2013 dargelegt hat, hatte der Fachmann, ein Diplom-Ingenieur des Maschinenbaus mit langjähriger Erfahrung in der Entwicklung von Schleifprodukten, Veranlassung, zur Ausgestaltung des in der Erfindung beanspruchten Tuchs einen mit Fragen der Textilkunde vertrauten Fachmann hinzuzuziehen. Dies gilt entsprechend für den Gegenstand des Prioritätsdokuments.

Dem steht abweichend von der Auffassung der Klägerin nicht entgegen, dass in der Beschreibung der genannten Dokumente nicht auf Einzelheiten der Herstellungsart eingegangen wird. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass den Eigenschaften des Tuchs nach der beanspruchten Erfindung zentrale Bedeutung zukommt. Ein Fachmann, der die beanspruchte Erfindung ausführen will, ist deshalb gehalten, nach hierfür geeigneten Textilien zu suchen. Wenn er aufgrund seiner Ausbildung auf dem Gebiet des Maschinenbaus nicht über genügend Kenntnisse verfügt, um dem Prioritätsdokument nähere Angaben zu entnehmen, hat er Anlass, zur Beurteilung dieser Fragen einen Textilfachmann einzuschalten.

b) Wie der Senat bereits in seinem Beweisbeschluss vom 18. Juni 2013 näher dargelegt hat, ist der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der mit Hilfsantrag 2 verteidigten Fassung durch die übrigen Entgegenhaltungen, insbesondere durch die US-Patentschrift 2 984 052 (NK6) und die deutsche Offenlegungsschrift 1 577 588 (NK4) weder offenbart noch nahegelegt. Hierzu haben sich in der zweiten mündlichen Verhandlung keine neuen Erkenntnisse ergeben.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 92 Abs. 1 ZPO.

Meier-Beck Grabinski Bacher Hoffmann Schuster Vorinstanz:

Bundespatentgericht, Entscheidung vom 14.05.2009 - 2 Ni 21/07 (EU) -






BGH:
Urteil v. 25.11.2014
Az: X ZR 119/09


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/15714561445b/BGH_Urteil_vom_25-November-2014_Az_X-ZR-119-09




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