Bundespatentgericht:
Beschluss vom 18. Februar 2011
Aktenzeichen: 7 W (pat) 34/09
(BPatG: Beschluss v. 18.02.2011, Az.: 7 W (pat) 34/09)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Bundespatentgericht hat in seinem Beschluss vom 18. Februar 2011 entschieden, den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse B 60 R des Deutschen Patent- und Markenamts aufzuheben. Die Prüfungsstelle hatte die Patentanmeldung 197 35 017.8-34 zurückgewiesen, da der geltende Anspruch 1 laut Druckschrift D1 nicht gewährbar sei. Diese Druckschrift ist eine nachveröffentlichte Druckschrift einer älteren PCT-Anmeldung. Die angemeldete Erfindung betrifft eine Vorrichtung zur Diagnose und Behebung von sicherheitsrelevanten Kraftfahrzeugzuständen, mit der der Kraftfahrzeugführer umfassend über sicherheitsgefährdende Situationen informiert und geleitet wird.
Die Anmelderin hat eine Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt und die Erteilung des Patents beantragt. Im Verlauf des Verfahrens wurde der Patentanspruch 1 geändert. Das Bundespatentgericht hat festgestellt, dass die geänderten Patentansprüche gegenüber den genannten Druckschriften neu und erfinderisch sind. Allerdings konnte aufgrund fehlender Prüfung nicht ausgeschlossen werden, dass ein weiterer, noch zu ermittelnder Stand der Technik existiert, der der Patenterteilung entgegenstehen könnte. Daher wurde die Sache zur weiteren Prüfung und Entscheidung an das Patentamt zurückverwiesen.
Es wurden keine Gründe für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen vorgebracht oder ersichtlich.
(Anzahl der Absätze: 7)
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BPatG: Beschluss v. 18.02.2011, Az: 7 W (pat) 34/09
Tenor
Der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse B 60 R des Deutschen Patentund Markenamts vom 13. März 2008 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über die Patenterteilung an das Deutsche Patentund Markenamt zurückverwiesen.
Gründe
I.
Die Prüfungsstelle für Klasse B 60 R des Deutschen Patentund Markenamts hat mit Beschluss vom 13. März 2008 die Patentanmeldung 197 35 017.8-34 mit der Bezeichnung Vorrichtung zur Diagnose und Behebung von sicherheitsrelevanten Kraftfahrzeugzuständenzurückgewiesen, weil der damals geltende Anspruch 1 im Hinblick auf die Druckschrift D1: WO 98/26406 A 2 mangels Neuheit nicht gewährbar sei. Die einen elektrischen Rollstuhl betreffende Druckschrift D1 stellt hierbei eine nachveröffentlichte Druckschrift einer älteren PCT-Anmeldung u. a. mit Benennungsland Deutschland dar.
Laut geltender Beschreibung liegt der angemeldeten Erfindung die Aufgabe zugrunde, eine Vorrichtung zur Diagnose und Behebung von sicherheitsrelevanten Kraftfahrzeugzuständen zu schaffen, mittels derer der Kraftfahrzeugführer umfassend über sicherheitsgefährdende Situationen informiert und geleitet wird.
In der dem Prüfungsverfahren vorgelagerten Recherche nach § 43 PatG wurden darüber hinaus noch die folgenden Druckschriften ermittelt, welche jedoch keinen Eingang ins Prüfungsverfahren gefunden haben:
DE 3201897A1 DE 3731836A1 DE 3842417A1 DE 4008914C1 DE 4435705A1 DE 195 29 741 A1 DE 195 31 415 A1 DE 196 08 869 A1 WO 1998/026406 BUSCHBECK, Wolfgang: Sprachausgabe im Kraftfahrzeug. In: der Elektroniker Nr. 5/ 1985, S. 41 -47 Mit ihrer fristgerecht eingelegten Beschwerde hat die Anmelderin zunächst die Erteilung des Patents mit verschiedenen Anspruchsätzen laut Hauptund drei Hilfsanträgen begehrt, von denen sie in der mündlichen Verhandlung lediglich den Hilfsantrag 2 als einzigem Hauptantrag noch weiterverfolgt. Sie macht hierzu geltend, dass der nunmehr beanspruchte Anmeldegegenstand neu sei und auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns beruhe.
Mit Ladungszusatz zur mündlichen Verhandlung ist die Anmelderin noch auf die in der Patentrecherche zur Druckschrift D1 ermittelte vorveröffentlichte Druckschrift D2: US 4,797,924 hingewiesen worden.
Der geltende Patentanspruch 1 lautet (Änderungen gegenüber dem der Zurückweisung zugrundeliegenden Patentanspruch 1 unterstrichen):
Vorrichtung (1) zur Diagnose und Behebung von sicherheitsrelevanten Kraftfahrzeugzuständen eines Kraftfahrzeugs mit einer Zündung, umfassend eine Vielzahl elektrischer Komponenten mit Steuergeräten (2), die direkt oder über eine Busstruktur (3) miteinander verbunden sind, eine akustische Eingabeeinheit (6) und eine akustische Ausgabeeinheit (5), wobei über die akustische Ausgabeeinheit (5) funktionale Zustände und systemimmanente Gegenmaßnahmen für den Kraftfahrzeugführer mitteilbar und über die akustische Eingabeeinheit (6) vom Kraftfahrzeugführer bedingt beeinflussbar sind, wobei die Mitteilung der funktionalen Zustände in drei unterschiedlichen Gruppen mitteilbar ist, nämlich das Kraftfahrzeug ist uneingeschränkt funktionstüchtig oder eingeschränkt funktionstüchtig oder weist einen solch schwerwiegenden Defekt auf, dass das Kraftfahrzeug nicht mehr in Betrieb genommen werden darf.
Die geltenden Patentansprüche 2 bis 7 betreffen jeweils vorteilhafte Ausführungsformen und sind auf den Patentanspruch 1 zurückbezogen.
Die Anmelderin beantragt, den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse B 60 R des Deutschen Patentund Markenamts vom 13. März 2008 aufzuheben und auf die Anmeldung 197 35 017.8-34 ein Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
-Patentanspruch 1 laut dem als "Neuer Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2" überschriebenen Anlage zum Schriftsatz vom 10. September 2008 (eingegangen am 12. September 2008),
-Patentansprüche 2 bis 7, (ggf. noch anzupassender) Beschreibung und Zeichnung laut Offenlegungsschrift.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. A. Die zulässige Beschwerde hat insoweit einen vorläufigen Erfolg, als sie zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Patentamt auf der Grundlage der neu gefassten, noch nicht geprüften Patentansprüche führt (§ 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 3 PatG).
a) Da das Patentbegehren im Beschwerdeverfahren wesentlich geändert wurde, kann die Anmeldung nicht mit der dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegenden Begründung wegen mangelnder Patentfähigkeit zurückgewiesen werden. Insbesondere ist der jetzt beanspruchte Gegenstand neu gegenüber der nachveröffentlichten Druckschrift D1.
b) Der Anmeldegegenstand ist auch gegenüber der vom Senat genannten Druckschrift D2 und den weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften neu und erfinderisch, weil keiner dieser Druckschriften das im Beschwerdeverfahren aus der ursprünglichen Beschreibung einschränkend aufgenommene Merkmal betreffend die Funktionsbereitschaft des Fahrzeugs zu entnehmen ist.
c) Allerdings kann mangels hinreichender Prüfung nicht ausgeschlossen werden, dass der Patenterteilung ein weiterer, erst noch zu ermittelnder Stand der Technik entgegensteht, aufgrund dessen der angemeldete Erfindungsgegenstand zumindest nicht als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend anzusehen ist.
aa) Nach Ansicht des Senats stellt die von ihm im Beschwerdeverfahren genannte Druckschrift D 2 den nächstliegenden Stand der Technik dar.
Aus dieser Druckschrift ist in Worten der Patentanmeldung eine Vorrichtung eines Kraftfahrzeugs mit einer Zündung (ignition 30) bekannt, die eine Vielzahl elektrischer Komponenten mit Steuergeräten (vehicle components or subsystems 20 -30), die direkt miteinander verbunden sind (vgl. Fig. 1 mit zugehöriger Beschreibung), eine akustische Eingabeeinheit (vgl. Fig. 2a, microphone 50) und eine akustische Ausgabeeinheit (vgl. Fig. 2b, control circuit 40 mit speach unit 280 und speaker 26a) umfasst. Hierbei sind dem Kraftfahrzeugführer über die akustische Ausgabeeinheit, bestehend aus Spracheinheit 280 mit Lautsprecher 26a und Läutwerk (chime circuit), funktionale Zustände (Spalte 9, Zeile 34 ff., beispielsweise die Anzeige der beheizbaren Rückscheibe) mitteilbar. Dabei ist die vorstehende Vorrichtung dazu geeignet, dem Kraftfahrzeugführer systemimmanente Gegenmaßnahmen mitzuteilen (vgl. Spalte 9, Zeilen 40 bis 56, audible instructions), welche durch diesen über die akustische Eingabeeinheit bedingt beeinflussbar sind (vgl. Spalte 9, Zeilen 64 bis 67).
bb) Ob die Patentanmeldung, wie mit dem genannten Verwendungszweck bzw. der gewählten Bezeichnung impliziert wird, ein Beheben der sicherheitsrelevanten Kraftfahrzeugzustände lehrt, erscheint allerdings fraglich. Denn gemäß der in ihr genannten technischen Lehre wird der sicherheitsrelevante Zustand lediglich angezeigt; eine Behebung des sicherheitsrelevanten Zustands durch die Vorrichtung, beispielsweise im Falle eines zu geringen Öldrucks durch das Nachfüllen von Öl, dürfte damit nicht offenbart sein.
cc) Druckschrift D2 enthält für den Fachmann, welcher bei vorliegender Anmeldung als ein auf dem Gebiet der Kraftfahrzeugentwicklung tätiger, berufserfahrener Diplomingenieur der Elektrotechnik mit Fachhochschulabschluss zu definieren ist, Hinweise auf eine Verwendung der Vorrichtung zur Diagnose von sicherheitsrelevanten Kraftfahrzeugzuständen. So geht die Druckschrift D2 in Würdigung des dort genannten Stands der Technik beispielsweise auf eine die Überprüfung des Öldrucks u. a. sicherheitsrelevanter funktionaler Zustände ein. Der Fachmann hätte daher gegebenenfalls Veranlassung, die Lehre der Druckschrift D2 mit einem entsprechenden Stand der Technik zu kombinieren.
dd) Ob dieser Gesichtpunkt der Patentfähigkeit der Anmeldung entgegenstehen kann, vermag der Senat aufgrund des derzeitig ermittelten Standes der Technik allerdings nicht abschließend zu klären. Denn wie aus der Akte ersichtlich ist, hat das Patentamt -aus seiner Sicht folgerichtig -zum einschränkend aufgenommenen Merkmal im Verfahren nach § 44 PatG für die Prüfung, ob der Anmeldungsgegenstand die Patentierungsvoraussetzungen nach §§ 3 und PatG erfüllt, noch nicht recherchiert.
e) Der Senat hat daher davon abgesehen, in der Sache selbst zu entscheiden. Nachdem vorliegend nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein der Patenterteilung möglicherweise entgegenstehender Stand der Technik existiert und eine sachgerechte Entscheidung nur aufgrund einer vollständigen Recherche des druckschriftlichen Standes der Technik ergehen kann, wofür in erster Linie die Prüfungsstellen des Patentamts mit ihrem Prüfstoff und den ihnen zur Verfügung stehenden Recherchemöglichkeiten in Datenbanken berufen sind, ist daher nach § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 3 PatG die Sache zur weiteren Prüfung und Entscheidung an das Patentamt zurückzuverweisen.
B. Gründe für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen nach § 80 Abs. 1 Satz 1 PatG sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
Höppler Dr. Hartung Schwarz Maile Hu
BPatG:
Beschluss v. 18.02.2011
Az: 7 W (pat) 34/09
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/1c54a2f5c122/BPatG_Beschluss_vom_18-Februar-2011_Az_7-W-pat-34-09