Oberlandesgericht Bamberg:
Beschluss vom 9. März 2011
Aktenzeichen: 3 Ss 20/11
(OLG Bamberg: Beschluss v. 09.03.2011, Az.: 3 Ss 20/11)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
In dieser Gerichtsentscheidung geht es um die Verurteilung einer Angeklagten wegen vorsätzlichem Vollrausch und Missbrauch von Notrufen. Das Amtsgericht verurteilte die Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Landgericht verwarf die Berufung der Angeklagten und bestätigte das Urteil. Daraufhin legte die Angeklagte Revision ein, die nun vom Oberlandesgericht verworfen wurde.
Das Landgericht stellte fest, dass die Angeklagte am 22.10.2009 in einen Zustand des Vollrauschs geriet, bei dem ihre Schuldfähigkeit nicht ausgeschlossen werden konnte. In diesem Zustand wählte sie 54 Mal die Notrufnummer 110 an, obwohl sie keinen Anlass für einen Notruf hatte. Die Angeklagte wusste, dass die Notrufnummer nur in Notfällen gewählt werden darf und dass ihre Anrufe missbräuchlich waren. Durch das ständige Blockieren der Notrufnummer wurde die Funktionsfähigkeit des Notrufs gestört. Die eingesetzten Polizeibeamten konnten nicht ausschließen, dass "echte" Notrufe vorlagen, daher war es erforderlich, alle Anrufe entgegenzunehmen.
Das Gericht bestätigte die Auffassung des Landgerichts, dass das anlasslose Anwählen der Notrufnummer 110 als Missbrauch von Notrufen anzusehen ist. Auch die geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen für das Telekommunikationswesen ändern nichts an diesem Tatbestand. Die Verurteilung der Angeklagten wegen Rauschtaten im Sinne von § 323a Abs. 1 StGB ist somit gerechtfertigt.
Die Revision der Angeklagten wurde als unbegründet verworfen und sie muss die Kosten ihres Rechtsmittels tragen.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
OLG Bamberg: Beschluss v. 09.03.2011, Az: 3 Ss 20/11
Tenor
I. Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts vom 13. Oktober 2010 wird als unbegründet verworfen.
II. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht verurteilte die Angeklagte am 25.01.2010 wegen vorsätzlichen Vollrauschs zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Die hiergegen gerichtete Berufung der Angeklagten hat das Landgericht mit Urteil vom 13.10.2010 verworfen. Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit ihrer Revision.
Nach den Feststellungen des Landgerichts nahm die Angeklagte am 22.10.2009 Alkohol in solchen Mengen zu sich, dass sie in einen Zustand geriet, der ihre Schuldfähigkeit nicht ausschließbar aufhob. Bei Trinkbeginn war sich die Angeklagte darüber bewusst, nahm es jedoch aufgrund ihrer individuellen Kenntnisse und Erfahrungen wenigstens billigend in Kauf, dass sie in einen solchen Rauschzustand geraten würde, wobei sie trotz eines bestehenden Alkoholabhängigkeitssyndroms in der Lage war, ihren Trinkbeginn zu steuern. Während dieses Zustandes rief die Angeklagte zwischen 17:45 Uhr und 20:54 Uhr von ihrem Telefonanschluss in insgesamt 54 Fällen die Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums über die Notrufnummer 110 an. Einen Anlass für einen Notruf hatte die Angeklagte, wie sie mit natürlichem Vorsatz wusste, jeweils nicht. Vielmehr wollte sie lediglich mit dem jeweiligen Polizeibeamten reden bzw. die Beamten zu einem Besuch bei sich überreden. Die Angeklagte wusste mit natürlichem Vorsatz, dass die Notrufnummer 110 nur in Notsituationen gewählt werden darf und dass die von ihr getätigten Anrufe, mit denen sie keinerlei Notlage mitteilen wollte, missbräuchlich waren. Durch das ständige Blockieren der Notrufnummer war das verlässliche Funktionieren des Notrufs des Polizeipräsidiums gestört. Da die eingesetzten Polizeibeamten nicht ausschließen konnten, dass in einigen Fällen 'echte' Notrufe vorlagen, war es erforderlich, sämtliche Anrufe der Angeklagten entgegen zu nehmen. Auch in den Fällen, in denen die ermittelte Dauer des Anrufes nur sehr kurz war, kam eine Verbindung zustande. Während der Telefonate der Angeklagten war zumindest eine der Notrufleitungen für den Bezirk des Polizeipräsidiums für tatsächliche Notfälle belegt, vor allem jedoch war einer der zuständigen Beamten mit der Entgegennahme und Prüfung ihrer Anrufe beschäftigt. In der Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums, die Anfang Oktober 2009 ihren Betrieb aufgenommen hat, laufen Notrufe aus den Bereichen von 4 ehemaligen Polizeidirektionen auf. Der Bezirk, in dem etwa 1.000.000 Einwohner leben, umfasst 4 kreisfreie Städte und 9 Landkreise. Aus dem Bezirk einer ehemaligen Polizeidirektion laufen darüber hinaus, nachdem eine Integrierte Leitstelle noch nicht eingerichtet ist, auch die Notrufe der Feuerwehr und des notärztlichen Dienstes bei der Einsatzzentrale auf. Am 22.10.2009 waren für die Entgegennahme von Notrufen aus dem gesamten Zuständigkeitsbereich drei Beamte eingesetzt.
II.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der allein mit der (ausgeführten) Sachrüge begründeten Revision hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Auch mit Blick auf die zur Antragsschrift der Staatsanwaltschaft bei dem Revisionsgericht abgegebene Gegenerklärung des Verteidigers der Angeklagten erscheinen dem Senat die nachfolgenden Ausführungen angezeigt:
5Die Auffassung des Landgerichts, wonach bereits das anlasslose Anwählen der Notrufnummer 110 der Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums durch die Angeklagte in 54 Fällen über einen Zeitraum von knapp 3 Stunden im Zustand nicht ausschließbarer rauschbedingter Schuldunfähigkeit jeweils als Verwirklichungen des Tatbestandes des Missbrauchs von Notrufen nach § 145 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. StGB und damit als sog. Rauschtaten im Sinne von § 323 a Abs. 1 StGB anzusehen seien, ist entgegen der Rechtsauffassung der Verteidigung nicht zu beanstanden.
61. Nach § 145 Abs. 1 Nr. 1 StGB wird u.a. bestraft, €wer absichtlich oder wissentlich Notrufe (€) mißbraucht€. Dem Wortlaut der Strafbewehrung kann eine Einschränkung dahin, dass für den objektiven Tatbestand neben dem grundlosen Anwählen der Notrufnummer und der hierdurch technisch bewirkten Herstellung einer Verbindung zur Notrufzentrale und der nachfolgenden Annahme des Rufs auch ein etwaiger Gesprächsinhalt bzw. die Äußerungen des Anrufers gegenüber dem Diensthabenden und vor allem dessen Bewertung in dem Sinne mit zu berücksichtigen seien, dass erst hierdurch die nach dem Schutzzweck der Norm sowie dem geschützten Rechtsgut von einem 'Notruf' vorausgesetzte sog. €Auslösefunktion€ eintreten könne (so insbesondere LK-Krehl StGB 12. Aufl. <2008> § 145 Rn. 4; ferner SK-Rudolphi/Stein StGB 8. Aufl. <Stand: 124. EL September 2010> § 145 Rn. 4 ff.; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen-Schild StGB-BT 3. Aufl. <2010> § 145 Rn. 9 ; Sieme NStZ 2007, 671, 673 ff. und wohl auch Schönke/Schröder-Sternberg/Lieben StGB 28. Aufl. <2010> § 145 Rn. 4 a.E.; vgl. auch OLG Braunschweig NJW 1977, 209 = MDR 1977, 245 f.), nicht entnommen werden.
72. Die Notwendigkeit einer einschränkenden Auslegung im vorgenannten Sinne folgt aber auch nicht aus Sinn und Zweck der Regelung oder dem von ihr geschützten Rechtsgut. Hierzu hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seinem auf Vorlage durch das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 02.04.1985 € 2 Ss 543/84; bei Juris) im Hinblick auf eine Entscheidung des OLG Braunschweig (a.a.O.) gemäß § 121 Abs. 2 GVG ergangenen Beschluss vom 27.01.1986 € 3 StR 164/85 (BGHSt 34, 4 ff. = MDR 1986, 508 f. = NJW 1986, 1698 f. = VRS 50, 138 ff. = JuS 1986, 1002 f. = VRS 71, 138 ff.) im Wesentlichen ausgeführt:
€Durch § 145 StGB soll sichergestellt werden, daß vor allem in den Fällen, in denen eine Pflicht zur Hilfeleistung oder Gefahrenabwehr besteht, Notrufe oder Notzeichen nicht mißbraucht werden und fremde Hilfe nur in Anspruch genommen wird, wenn sie erforderlich ist (vgl. Begr. zu § 300 E 1962 S. 471). Eine mißbräuchliche Betätigung der im Tatbestand genannten Notsignale könnte bewirken, daß ohne Grund zum Einsatz gerufene Helfer während dieser Zeit für einen notwendigen Hilfsdienst nicht zur Verfügung stehen und ein Hilfsbedürftiger deshalb ohne sofortige Hilfe bleibt (€). Vom Schutzzweck der Vorschrift wird jedoch auch erfaßt, daß die Funktionsfähigkeit der Anlage, die das Herbeirufen von Hilfe ermöglicht, gesichert bleibt und nicht durch mißbräuchliche Inanspruchnahme beeinträchtigt wird (€). Diese weitere Schutzrichtung wird in Abs. 2 der Vorschrift besonders deutlich, sie liegt aber auch dem Abs. 1 zugrunde und wird bedeutsam in den Fällen, in denen das Rettungsgerät, ohne daß es unbrauchbar gemacht worden ist, durch eine mißbräuchliche Betätigung nicht verwendungsfähig oder -bereit ist (€).
Es besteht in Rechtsprechung und Lehre - soweit ersichtlich - weitgehend Einigkeit, daß in § 145 Abs. 1 StGB nur Notrufe im engeren Sinne gemeint sind, nicht etwa Hilferufe bei harmlosen häuslichen Streitigkeiten zwischen Familienmitgliedern oder Wohnungsnachbarn. Zum Notruf oder Notzeichen im Sinne des Tatbestandes gehört, daß sie auf eine Notlage und damit zusammenhängend auf das Bedürfnis nach fremder Hilfe oder auf eine erhebliche Gefahr aufmerksam machen. Einem Notruf oder -zeichen kommt diese Eigenschaft dann zu, wenn sie in ihren Voraussetzungen und in der Art der Ausführung durch Gesetz, behördliche Anordnung, Vereinbarung oder Übung im wesentlichen festgelegt sind (€) oder ihren Sinn aus den konkreten Umständen gewinnen (€). Hierzu gehören nach übereinstimmender Auffassung die Betätigung von Feuermeldern, von Alarmanlagen, das Läuten der Feuerglocke, das Abgeben von SOS-Funk-, Blink- und Winksignalen auf Gewässern und im Gebirge, das Abschießen notanzeigender Leuchtkugeln und ähnliches.
Der Auffassung (€), daß einer Benutzung des Fernsprechanschlusses 110 deshalb nicht der Charakter eines Notrufs zukomme, weil damit nicht allein unmißverständlich eine Not- und Gefahrenlage angezeigt und das dringende Bedürfnis nach fremder Hilfe zum Ausdruck gebracht werde, die telefonische Mitteilung vielmehr insoweit weiterer Erklärungen bedürfe (€), vermag der Senat nicht zu folgen. Diese Auffassung läßt die technische Ausgestaltung des Polizeinotrufs 110 und seine fernmelderechtliche Zweckbestimmung zu Unrecht außer Betracht (€).
Nach § 5 Abs. 8 FO sind nur dem Anruf in Notfällen dienende Anschlüsse (sog. Notrufanschlüsse) solche Einzelanschlüsse, die in einem Ortsnetz mit der Rufnummer 110 nur einer bestimmten Dienststelle der Polizei (und mit der Rufnummer 112 nur einer bestimmten Dienststelle der Feuerwehr) überlassen werden. Andere Hauptanschlüsse der Polizei als 110 sind keine Notrufanschlüsse im Sinne von § 5 Abs. 8 FO, auch wenn sie - ebenfalls - dem Anruf in Notfällen dienen. Zur technischen Ausgestaltung der Notrufanschlüsse hat die Deutsche Bundespost das "Notrufsystem 73" entwickelt. Durch dieses System sollten die Notrufnummern so ausgestaltet werden, daß die Notrufträger (Polizei und Feuerwehr) ihre Sicherheitsaufgaben bestmöglich erfüllen und in Notfällen rasche Hilfe leisten können. Zu dieser Einrichtung gehört, daß Notrufanschlüsse ausschließlich für Anrufe zur Verfügung stehen; sie ermöglichen keine von den Notrufträgern abgehenden Gespräche. Um Fehlanrufe oder Belästigungen der Notrufträger tunlichst zu vermeiden, ergeht in Fällen, in denen der Anrufer innerhalb von 3 Sekunden auflegt oder wenn er weiter wählt, kein Ruf zur Notrufabfragestelle. Das Notrufsystem 73 bietet ferner eine Fangschaltung zum Feststellen des Anschlusses desjenigen, der die Notrufnummer gewählt hat. Um zu verhindern, daß bei Nichtauflegen des Handapparates durch den Anrufenden die Notrufnummer bei Ortsverbindung blockiert bleibt, wird diese Blockierung bei den Notrufabfragestellen angezeigt und kann freigeschaltet werden (€).
Diese Ausgestaltung der Notrufnummer 110, die mit einem gewöhnlichen Fernsprechanschluß nicht vergleichbar ist, versetzt die Polizeileitstelle bei eingehenden Anrufen, auch dann, wenn sich der Anrufer nicht meldet oder sich nicht mehr verständlich machen kann, ohne weiteres in die Lage, notwendig erscheinende Hilfsmaßnahmen einzuleiten. Die Hilfeleistung ist nicht von weiteren Erklärungen des Anrufers abhängig. Daß in der Mehrzahl der Fälle weitere Erklärungen abgegeben werden, ist in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung. Ein Anruf bei der Polizeileitstelle unter der Nummer 110 hat daher keine geringere Wirkung als die Betätigung einer Feuerglocke, einer Alarmsirene oder sonstiger Notsignale. Es besteht daher kein Anlaß, das Wählen der Rufnummer 110 anders zu beurteilen (€). Dem entspricht im übrigen die in Rechtsprechung und Lehre vertretene Auffassung, daß das Anwählen der Nummer 110 durch Betätigen eines münzfreien Notrufmelders in einer öffentlichen Fernsprechzelle bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen als tatbestandsmäßig i.S. des § 145 Abs. 1 Nr. 1 StGB anzusehen ist (€). Es wäre ein ungereimtes, sachlich nicht zu rechtfertigendes Ergebnis, die Benützung derselben Rufnummer verschieden zu beurteilen, je nachdem ob sie von einem gewöhnlichen Fernsprechanschluß aus erfolgt oder von einem münzfreien Melder in einer Fernsprechzelle.
Die vom Wortlaut des Tatbestandes her gesehen mögliche Auslegung entspricht auch dem Sinn und Schutzzweck der Vorschrift, die - wie oben dargelegt - dahin gehen, zu verhindern, daß nicht erforderliche fremde Hilfe zur Gefahrenabwehr angefordert wird, sowie das ungestörte und verläßliche Funktionieren der Notrufeinrichtung sicherzustellen. Dem würde es zuwiderlaufen, wenn ein mißbräuchlicher Anruf deshalb ohne strafrechtliche Ahndung bliebe, weil der Anrufer noch eine weitere Erklärung abgeben kann. Ergibt sich aus dieser Erklärung möglicherweise, daß Hilfe nicht zu erbringen ist, so ändert dies an dem bereits eingetretenen Mißbrauch des Notrufs nichts mehr, da jedenfalls bis zur Klärung der Frage, ob ein Notfall vorliegt oder nicht, der Notruf für berechtigte Hilferufe nicht zur Verfügung steht. In diesem Zusammenhang kann auch nicht außer Betracht bleiben, daß es sich beim polizeilichen Notruf 110 im täglichen Leben um die wichtigste Einrichtung handelt, über die Hilfsmaßnahmen nicht nur der Polizei, sondern auch anderer Institutionen zu erlangen sind. Über die Notrufzentrale 110 werden Hilfeersuchen auch an Notarztstellen, Unfallrettungsdienste, Feuerwehr u.s.w. weitergeleitet. Es erschiene daher auch kriminalpolitisch bedenklich, dieser im Gebrauch häufigsten und in der Wirkung umfassendsten Einrichtung zur Herbeiholung von Hilfe einen geringeren Schutz zukommen zu lassen als den anderen anerkannten Notzeichen und -rufen.€
143. Diesen Ausführungen schließt sich der Senat auch in besonderer Ansehung der zwischenzeitlich geänderten tatsächlichen wie gesetzlichen Rahmenbedingungen für das Telekommunikationswesen, insbesondere durch die auf Grund § 108 Abs. 2 des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (TKG; BGBl. I 2004, S. 1190) in Umsetzung europäischer (Rahmen-) Richtlinien durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie erlassene und am 18.03.2009 in Kraft getretene, mithin zur vorliegenden Tatzeit schon gültige 'Verordnung über Notrufverbindungen' vom 06.03.2009 (NotrufV; BGBl. I 2009, 481), an.
Hierzu zählt u.a. die nationale Einführung der auch in allen EU- und EFTA-Mitgliedstaaten sowie in Russland, der Ukraine und in Kroatien einheitlichen 'Euronotrufnummer 112', neben der die Rufnummer €110€ jedoch ausdrücklich €als zusätzliche nationale Notrufnummer festgelegt€ ist (§ 1 NotrufV).
Nach der in § 2 Nr. 3 NotrufV enthaltenen Legaldefinition handelt es sich bei einer 'Notrufabfragestelle' um €die nach Landesrecht zuständige Stelle zur Entgegennahme von Notrufen€, wobei die nach Landesrecht zuständigen Behörden u.a. auch die Einzugsgebiete im Benehmen mit den betroffenen Netzbetreibern festlegen und beschreiben (§ 3 Abs. 1 NotrufV; vgl. für Bayern das €Gesetz über die Errichtung und den Betrieb Integrierter Leitstellen€ vom 25. Juli 2002 [ILSG; BayRS Nr. 215-6-1]).
Unter einem 'Notrufanschluss' ist nach § 2 Nr. 4 NotrufV €der Anschluss einer Notrufabfragestelle an das Telekommunikationsnetz für den ausschließlichen Zweck, Notrufverbindungen einschließlich der zugehörigen Daten entgegenzunehmen€ zu verstehen, während unter einer 'Notrufverbindung' gemäß § 2 Nr. 5 NotrufV €die über einen öffentlich zugänglichen Telefondienst zu einem Notrufanschluss aufgebaute Telefon- oder Telefaxverbindung€ zu verstehen ist, €die durch Wahl einer Notrufnummer oder durch Aussenden einer in den technischen Standards für die Gestaltung von Telekommunikationsnetzen ausschließlich für Notruf vorgesehenen Signalisierungsinformation eingeleitet wird, wobei das Endgerät zum Aussenden der Notrufnummer oder der entsprechenden Signalisierungsinformation€ - entweder durch Eingabe einer Notrufnummer über die Zifferntasten (§ 2 Nr. 5a NotrufV), Betätigen einer ausschließlich für Notruf vorgesehenen Taste oder Tastenkombination (§ 2 Nr. 5b NotrufV) oder einen entsprechenden Auslösemechanismus (§ 2 Nr. 5c NotrufV) - €veranlasst wird€.
§ 4 NotrufV verpflichtet die an der Herstellung einer Notrufverbindung beteiligten Telefondiensteanbieter und Netzbetreiber u.a. dazu, €dass Notrufverbindungen unverzüglich zur örtlich zuständigen Notrufabfragestelle hergestellt werden€ (§ 4 Abs. 1 Satz 1 NotrufV), als €Notrufverbindung€ gekennzeichnet (§ 4 Abs. 1 Satz 2 NotrufV) und in jedem Falle €vorrangig vor anderen Verbindungswünschen€ - insbesondere auch unabhängig von einem etwaigen Guthaben des Teilnehmers - zu behandeln sind (vgl. zu den Einzelheiten § 4 Abs. 2 NotrufV), wobei die technischen Schnittstellen, über die diese gesetzlichen Anforderungen erfolgen, €durch angemessene Maßnahmen gegen Missbrauch zu sichern€ sind (§ 4 Abs. 1 Satz 4, 2. Halbsatz NotrufV). Zu den technischen Anforderungen zählt u.a. auch, dass €die Information über den Standort€ an die Notrufabfragestelle zu übermitteln ist (§ 4 Abs. 1 Satz 5 Nr. 3 NotrufV). Daneben sind durch den Telefondiensteanbieter die - auch unterdrückte - Rufnummer des Anschlusses, von dem die Notrufverbindung ausgeht, sowie Angaben zum Standort des Endgerätes (§ 98 Abs. 3 TKG) an die Notrufabfragestelle zu übermitteln (§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 1 und 2 NotrufV).
Auch aufgrund dieser neuen rechtlichen Vorgaben steht für den Senat damit außer Frage, dass sich der für die Tatbestandsauslegung heranzuziehende Schutzzweck der Norm des § 145 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. StGB nicht entscheidend geändert hat.
Das Landgericht hat deshalb die jeweils tatbestandliche Erfüllung des § 145 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. StGB zu Recht als Rauschtaten im Sinne von § 323 a Abs. 1 StGB gewertet (vgl. im Ergebnis wie hier neben Fischer StGB 58. Aufl. <2011> § 145 Rn. 4 f. auch Lackner/Kühl StGB 27. Aufl. <2011> § 145 Rn. 3; MüKo/Zopfs StGB <2005> § 145 Rn. 4 f.; BeckOK-Heuchemer StGB <Stand: 01.12.2010> § 145 Rn. 3; im gleichen Sinne auch schon OLG Oldenburg NJW 1983, 1573 = MDR 1983, 511 und Greiner MDR 1978, 373 ff.).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
OLG Bamberg:
Beschluss v. 09.03.2011
Az: 3 Ss 20/11
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/1d97aca9f149/OLG-Bamberg_Beschluss_vom_9-Maerz-2011_Az_3-Ss-20-11