Bundespatentgericht:
Beschluss vom 4. Juli 2001
Aktenzeichen: 19 W (pat) 5/00

(BPatG: Beschluss v. 04.07.2001, Az.: 19 W (pat) 5/00)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Bundespatentgericht hat den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H02J des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 26. Oktober 1999 aufgehoben. Das Gericht hat festgestellt, dass das medizinische Gerätesystem, wie es in der Anmeldung beschrieben wird, erfinderisch ist. Die Anmelderin hatte die neue Anordnung des Gerätesystems in der mündlichen Verhandlung vorgelegt und beantragt, das Patent entsprechend dieser Anordnung zu erteilen. Das Gericht hat festgestellt, dass diese Anordnung bisher nicht Gegenstand des Prüfungsverfahrens war. Deshalb wird die Angelegenheit zur erneuten Prüfung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen. Das Gericht hat auch festgestellt, dass die Anhörung, die von der Anmelderin beantragt wurde, nicht notwendig war, da die Zurückweisung bereits aufgrund des Erstbescheids der Prüfungsstelle gerechtfertigt war.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BPatG: Beschluss v. 04.07.2001, Az: 19 W (pat) 5/00


Tenor

Auf die Beschwerde wird der Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse H02J des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 26. Oktober 1999 aufgehoben. Die Sache wird an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Deutsche Patent- und Markenamt - Prüfungsstelle für Klasse H02J - hat die am 22. Januar 1998 eingereichte Anmeldung durch den auf 25. Oktober 1999 datierten, jedoch ausweislich des Aktenexemplars mit Datumsangabe vom 26. Oktober 1999 unterzeichneten Beschluß zurückgewiesen mit der Begründung, daß die Anordnung gemäß dem geltenden Patentanspruch 1 nicht erfinderisch sei.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.

Sie hat in der mündlichen Verhandlung neue Unterlagen eingereicht und beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

Patentansprüche 1 bis 4, sowie Beschreibungsseiten 2, 3, 4, 5, 5a und 12, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2001, übrige Beschreibung und Zeichnungen gemäß Offenlegungsschrift.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

"Medizinisches Gerätesystem, aufweisend eine Anschlußeinheit (1) und an die Anschlußeinheit (1) anschließbare, unabhängig voneinander und unabhängig von der Anschlußeinheit (1), bestimmungsgemäß betreibbare medizinische Geräte (5, 8, 9, 10) zur Diagnose oder Therapie, wobei jedes medizinische Gerät (5, 8, 9, 10) eine mehrere gemeinsam an einen Systemstecker (12, 32) angeschlossene Verbindungskabel (19 bis 23) umfassende Systemleitung (11, 36) und die Anschlußeinheit (1) Steckvorrichtungen (13 bis 18) für die Systemstecker (12, 32) zum Anschluß der medizinischen Geräte (5, 8, 9, 10) an die Anschlußeinheit (1) aufweist, wobei jeweils alle zum Betrieb eines medizinischen Gerätes (5, 8, 9, 10) erforderlichen elektrischen Verbindungskabel (19 bis 23) in der Systemleitung (11, 36) des medizinischen Gerätes (5, 8, 9, 10) zusammengefaßt sind, und wobei die Anschlußeinheit (1) Mittel (24, PC, 31) aufweist, welche einen Datenaustausch zwischen den medizinischen Geräten (5, 8, 9, 10) über die Systemleitungen (11, 36) ermöglichen und die Versorgung der medizinischen Geräte (5, 8, 9, 10) mit Energie über die Systemleitungen (11, 36) sicherstellen."

Der Anmeldung liegt die Aufgabe zugrunde, ein medizinisches Gerätesystem derart auszuführen, daß die Verbindung der medizinischen Geräte miteinander zum gemeinsamen Datenaustausch und die Energieversorgung der medizinischen Geräte vereinfacht ist (S 3/15 Z 21 bis 25 der geltenden Beschreibung).

Die Anmelderin vertritt die Ansicht, das nunmehr beanspruchte medizinische Gerätesystem mit einer Anschlußeinheit, an welche alle Geräte über jeweils eine Systemleitung angeschlossen sind, deren Verbindungskabel gemeinsam an einen Systemstecker angeschlossen sind, sei trotz eines seit langem bestehenden Bedarfs ohne Vorbild im Stand der Technik und durch diesen auch nicht nahegelegt. Nicht einmal bei den seit über zwei Jahrzehnten verbreiteten PC-Systemen sei bis heute die erfindungsgemäße Art der Systembildung mit einem Systemstekker für alle Verbindungskabel eines Geräts verwirklicht worden, so daß auch mit einem über einen langen Zeitraum währenden Bedarf die erfinderische Tätigkeit nicht verneint werden könne.

Durch die Systembildung mittels Anschlußeinheit und Systemleitungen würden nun erstmals einzeln betriebsfähige Diagnose- und Therapiegeräte zu einem Gerätesystems vereinigt, aus dem sie jederzeit leicht für eine Einzelverwendung entnommen werden könnten.

Eine solche Lösung sei deshalb patentfähig.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und hat mit dem geänderten Patentbegehren insoweit Erfolg, als der Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse H02J des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA) vom 26. Oktober 1999 aufzuheben und die Sache ohne Sachentscheidung des Senats an das DPMA zurückzuverweisen war, weil die Anordnung gemäß dem nunmehr vorliegenden Patentbegehren noch nicht Gegenstand des Prüfungsverfahrens war.

1. Offenbarung und Zulässigkeit des geltenden Patentanspruchs 1 Die gegenüber dem ursprünglichen Patentanspruch 1 vorgenommene Beschränkung aufein medizinisches Gerätesystem und die unabhängige Verwendbarkeit der medizinischen Geräte zur Diagnose oder Therapie entnimmt der Fachmann - hier ein Fachhochschulingenieur der Elektrotechnik mit langjährigen Erfahrungen auf dem Gebiet elektrischer Geräte und deren Anschlußmöglichkeiten - Seite 2/15, Absätze 1 und 2 der ursprünglichen Unterlagen, den gemeinsamen Anschluß aller Verbindungskabel eines Geräts an einen Systemstecker und die Zusammenfassung aller zum Betrieb eines Geräts erforderlichen elektrischen Verbindungskabel in der Systemleitung aus den Figuren 2 bis 4 in Verbindung mit Seite 7/15, Zeile 17 bis Seite 8, Zeile 32, den Datenaustausch und die Energieversorgung der Geräte über die Systemleitungen aus Seite 7/15, Zeilen 8 bis 35, die in der Anschlußeinheit vorgesehenen "Mittel" zum Datenaustausch und zur Energieversorgung der Geräte aus Figur 3 in Verbindung mit Seite 8/15, Zeile 34 bis Seite 9/15, Zeile 13.

Der geltende Patentanspruch 1 ist damit zulässig.

2. Neuheit Der offensichtlich gewerblich anwendbare Gegenstand ist neu, da der Fachmann weder aus der von der Anmelderin in der Beschreibungseinleitung (S 2/15 Z 20 der urspr. Unterlagen) genannten EP 0 606 548 B1 noch aus seinem allgemeinen Fachwissen über PC-Systeme, welches durch die von der Prüfungsstelle entgegengehaltenen Seiten eines Druckerprospekts belegt ist, eine Anordnung mit allen diesen Merkmalen entnimmt.

Aus der EP 0 606 548 B1 ist ein extrakorporales Therapiegerät, d.h. ein medizinisches Gerätesystem bekannt (Fig 1 iVm PA 1), aufweisend unabhängig voneinander bestimmungsgemäß betreibbare medizinische Geräte zur Diagnose (Röntgenortungseinrichtung 2) oder Therapie (elektroakustischer Wandler 4).

Es ist auch eine Steuereinrichtung 36 als Anschlußeinheit vorgesehen (Fig 12 iVm Sp 9 Z 8 bis 33), an die die Röntgenortungseinrichtung 2 als unabhängig von dieser bestimmungsgemäß betreibbares Gerät anschließbar ist; denn über den Zielmarkengenerator 35 wird das Videoausgangssignal 34 des Röntgenbildverstärkers an die Anschlußeinheit 36 zugeführt (Fig 12), so daß die Anschlußeinrichtung demnach auch Mittel aufweist, welche einen Datenaustausch zwischen den medizinischen Geräten 2, 4 über die Anschlußeinheit 36 ermöglichen.

Bei derartigen medizinischen Geräten ist sowohl für die Versorgung mit Energie als auch für den Datenaustausch zwischen den medizinischen Geräten die Verwendung von Verbindungskabeln üblich, und wird vom Fachmann deshalb auch ohne weiteres mitgelesen.

Über die Ausführung dieser Verbindungskabel und deren Anschluß untereinander und an die Steuereinrichtung 36 sind keine Angaben gemacht, so daß sich der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 vom Bekannten durch die die Ausführung der Verbindungskabel und deren Anschluß an die Anschlußeinheit betreffenden Merkmale unterscheidet.

Aus seinem allgemeinen Fachwissen kennt der Fachmann PC-Systeme mit einem PC als Anschlußeinheit und an die Anschlußeinheit anschließbaren Geräten (zB Monitor, Drucker, Modem). Diese Geräte sind auch unabhängig voneinander bestimmungsgemäß betreibbar; denn bspw. jeder Monitor weist Eingangstecker bzw. -buchsen für Netzanschluß und Datenzuführung auf, so daß ein ans Netz angeschlossener Monitor als Bildschirm nutzbar (= bestimmungsgemäß betreibbar) ist, wenn ihm nur Daten im geeigneten Format aus irgendeiner Datenquelle zugeführt werden, die nicht ein PC sein muß.

Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 unterscheidet sich von einem solchen PC-System schon dadurch, daß das Gerätesystem aus medizinischen Geräten zur Diagnose und Therapie besteht.

In weiterer Abweichung von üblichen PC-Systemen, bei denen die Energieversorgung der Geräte - außer für den Monitor - nicht aus dem PC als Anschlußeinheit erfolgt, und auch keine Systemleitungen mit einem einzigen Stecker für Energie- und Datenübertragung gebräuchlich sind, sondern getrennte Leitungen, stellt beim Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 die Anschlußeinheit sowohl den Datenaustausch als auch die Energieversorgung jedes Geräts über eine Systemleitung mit einem einzigen Systemstecker sicher, mit dem jedes Gerät an eine Steckvorrichtung der Anschlußeinheit angeschlossen ist.

3. Erfinderische Tätigkeit Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht gegenüber dem aus der EP 0 606 548 B1 Bekannten auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Ausgehend von dem aus der EP 0 606 548 B1 bekannten medizinischen Gerätesystem stellt sich die anmeldungsgemäße Aufgabe, ein medizinisches Gerätesystem derart auszuführen, daß die Verbindung der Geräte miteinander zum gemeinsamen Datenaustausch und die Energieversorgung der medizinischen Geräte vereinfacht ist, in der Praxis von selbst; denn gerade im alltäglichen medizinischen Einsatz müssen diese Geräte rasch und fehlerfrei verbindbar sein. Dieses Problem ist in dieser Druckschrift bereits angesprochen (Sp 2 Z 25 bis 33).

Zur Lösung der Aufgabe wird der Fachmann auch ohne weiteres daran denken, die an jedem Gerät vorhandenen Verbindungskabel mit geeigneten Steckern zu versehen, um nach dem mechanischen An- und Abkuppeln der Röntgeneinrichtung auch eine einfach zu betätigende elektrische Verbindung der Geräte bereitzustellen. Denn derartige Verbindungen sind nicht nur dem Fachmann, sondern auch zahllosen Laien im Zusammenhang mit PC-Systemen geläufig, die schon lange vor dem Anmeldetag weit verbreitet waren.

Jedoch fehlt dem Fachmann schon in der EP 0 606 548 B1 jeder Hinweis, die beschriebenen Geräte an die Anschlußeinheit über lediglich eine Systemleitung mit einem einzigen Stecker anzuschließen, wie es im geltenden Patentanspruch 1 im einzelnen angegeben ist.

Auch konnte der Fachmann eine solche Lösung aus seinem Fachwissen heraus nicht ohne weiteres angeben. Denn schon bei den seit mehr als zwei Jahrzehnten für gewerbliche und private Anwendungen verbreiteten PC-Systemen erfolgt bis heute der Datenaustausch und die Energieversorgung der Geräte über voneinander getrennte Verbindungskabel mit jeweils daran angebrachten getrennten Stekkern.

Es kann deshalb als Beweisanzeichen für eine erfinderische Tätigkeit des Fachmannes angesehen werden, wenn er das seit langem bestehende und - wie die Anmelderin zutreffend ausgeführt hat - bei PC-Systemen bis heute ungelöste Problem des Kabelgewirrs bei einem medizinischen Gerätesystem dadurch gelöst hat, daß sämtliche für den Betrieb eines jeden Geräts erforderlichen Verbindungskabel in einer Systemleitung zusammengefaßt und gemeinsam an einen Systemstecker angeschlossen sind, wobei die Anschlußeinheit Steckvorrichtungen für die Systemstecker aufweist und über die Systemleitungen auch die Versorgung der medizinischen Geräte mit Energie sicherstellt.

4. Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses ohne Sachentscheidung Der dem Zurückweisungsbeschluß vom 26. Oktober 1999 zugrundeliegende Patentanspruch 1 vom 29. Oktober 1998 betraf - ebenso wie der ursprüngliche Patentanspruch 1 - ein "Gerätesystem" allgemein.

Da die Geräteart im Patentanspruch 1 nicht angegeben war, konnte die Prüfungsstelle schon mit Hinweis auf allgemein bekannte PC-Systeme die erfinderische Tätigkeit verneinen.

Das geltende Patentbegehren hat nunmehr eine wesentliche Änderung dahingehend erfahren, daß der Patentanspruch 1 beschränkt ist - auf ein medizinisches Gerätesystem aus Geräten zur Diagnose und Therapie, bei dem ferner - die Systemleitung mehrere gemeinsam an einen Systemstecker angeschlossene Verbindungskabel umfaßt, und schließlich - die Anschlußeinheit Mittel aufweist, welche einen Datenaustausch zwischen den medizinischen Geräten und deren Versorgung mit Energie über die Systemleitungen sicherstellen.

Eine solche Anordnung, bei der nun die Energieversorgung und der Datenaustausch der medizinischen Geräte zur Diagnose und Therapie jeweils über einen gemeinsamen Systemstecker, d.h. räumlich eng benachbart und über die Anschlußeinheit erfolgen, war noch nicht Gegenstand des Prüfungsverfahrens.

Der Senat geht mangels anderweitiger Hinweise in der Amtsakte davon aus, daß aufgrund der Allgemeinheit des dem Zurückweisungsbeschluß zugrundeliegenden Patentbegehrens weder ein medizinisches Gerätesystem mit einer zur Bildung des "Systems" erforderlichen Anschlußeinheit noch der gemeinsame Anschluß von Energieversorgungskabeln und Datenkabeln an einem Stecker Gegenstand der bisherigen Recherchen und des Prüfungsverfahrens war.

Der Senat hält es deshalb für geboten, die Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen (PatG 1981 § 79 Abs 3 S 1), weil dieses nach seinem Verfahren und seiner Ausstattung mit dem erforderlichen Prüfstoff besser als das Bundespatentgericht in der Lage ist, die erste Sachentscheidung über das nunmehr Beanspruchte zu treffen.

5. Zur Ablehnung der vor der Prüfungsstelle beantragten Anhörung Die Zurückweisung der Anmeldung konnte auch ohne Durchführung der von der Anmelderin mit ihrer Eingabe vom 29. Oktober 1998 hilfsweise beantragten Anhörung erfolgen.

Der Zurückweisung ging ein ausführlicher Erstbescheid der Prüfungsstelle voraus, in dem diese zu allen ursprünglichen Patentansprüchen hinsichtlich der Patentfähigkeit Stellung genommen hat.

Der mit der Eingabe vom 29. Oktober 1998 eingereichte, der Zurückweisung zugrundeliegende "präzisierte" Patentanspruch 1 hat nach Auffassung des Senats zu keiner geänderten Beurteilungslage geführt, die eine Anhörung hätte geboten erscheinen lassen.

Da die Anmelderin vor Erlaß des Zurückweisungsbeschlusses weder einen Hilfsantrag gestellt noch zu erkennen gegeben hat, auf welche ursprünglich offenbarte Merkmale sie in einer Anhörung ggf. ein beschränktes Patentbegehren richten würde, standen sich lediglich unterschiedliche Beurteilungen hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit gegenüber, aufgrund deren eine Zurückweisung der Anmeldung im Rahmen des der Prüfungsstelle zustehenden Beurteilungsspielraums unmittelbar erfolgen konnte.

Dr. Kellerer Schmöger Schmidt Dr. Kaminski Fa






BPatG:
Beschluss v. 04.07.2001
Az: 19 W (pat) 5/00


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