Landgericht Düsseldorf:
Urteil vom 20. Februar 2014
Aktenzeichen: 14c O 83/13
(LG Düsseldorf: Urteil v. 20.02.2014, Az.: 14c O 83/13)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Landgericht Düsseldorf hat am 20. Februar 2014 in dem Fall mit dem Aktenzeichen 14c O 83/13 entschieden, dass die einstweilige Verfügung vom 27.05.2013 bestätigt wird. Der Antragsgegner trägt außerdem die weiteren Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung beruht darauf, dass die Antragstellerin einen Unterlassungsanspruch gegen den Antragsgegner hat. Der Antragsgegner hat die streitgegenständlichen Taschen angeboten und damit gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen. Bei der Beurteilung der Nachahmung kommt es auf die Gesamtwirkung des Produktes an. Die von dem Antragsgegner vertriebene Tasche weist nahezu identische Merkmale wie die Tasche der Antragstellerin auf. Daher besteht die Gefahr einer Herkunftstäuschung. Der Antragsgegner hat zudem keine geeigneten Maßnahmen ergriffen, um die Herkunftstäuschung zu vermeiden. Schließlich besteht ein Verfugungsgrund, da sich aus dem Gesetz eine tatsächliche Vermutung der Dringlichkeit ergibt. Die Kosten werden dem Antragsgegner auferlegt.
Der Streitwert beläuft sich auf 300.000,- €.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
LG Düsseldorf: Urteil v. 20.02.2014, Az: 14c O 83/13
Tenor
Die einstweilige Verfügung vom 27.05.2013 wird bestätigt.
Der Antragsgegner trägt auch die weiteren Kosten des Verfahrens.
Gründe
Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 27.05.2013 ist zu bestätigen, weil weiterhin glaubhaft ist, dass der Antragstellerin ein Verfügungsanspruch zusteht und ein Verfügungsgrund besteht.
I.
Die Antragstellerin hat gegen den Antragsgegner einen Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 3, 4 Nr. 9 lit. a UWG.
Der Vertrieb eines nachahmenden Erzeugnisses kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wettbewerbswidrig sein, wenn das nachgeahmte Produkt über wettbewerbliche Eigenart verfügt und besondere Umstände hinzutreten, die die Nachahmung unlauter erscheinen lassen. So verhält es sich, wenn die Nachahmung geeignet ist, eine Herkunftstäuschung hervorzurufen und der Nachahmer geeignete und zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung der Herkunftstäuschung unterlässt (§ 4 Nr. 9 lit a UWG). Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie den besonderen wettbewerblichen Umständen, so dass bei einer größeren wettbewerblichen Eigenart und einem höheren Grad der Übernahme geringere Anforderungen an die besonderen Umstände zu stellen sind, die die Wettbewerbswidrigkeit der Nachahmung begründen und umgekehrt (st. Rspr.: vgl. nur BGH, GRUR 2010, 80 - LIKEaBIKE; BGH, GRUR 2009, 79 Rn. 27 - Gebäckpresse).
1.
Die Aktivlegitimation der Antragstellerin ergibt sich aus § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG. Die Parteien sind Mitbewerber.
2.
Der Antragsgegner hat die streitgegenständlichen Taschen auch angeboten. Mit "anbieten" im Sinne von § 4 Nr. 9 lit. a UWG ist nicht nur das konkrete Verkaufsangebot gemeint, sondern jede Handlung, die auf den Vertrieb gerichtet ist (Köhler/Bornkamm-Köhler, UWG, 31. Aufl., § 4 Rn. 9.39). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH, GRUR 2003, 892, 893 - Alt Luxemburg) genügt bereits das Ausliefern der Nachahmung an einen Zwischenhändler. Der Umstand, dass der Antragsgegner die streitgegenständlichen Taschen nicht selbst an Endkunden, sondern an Fachhändler vertreibt, steht einem Anbieten somit nicht entgegen.
3.
Die von der Antragstellerin hergestellten Taschen besitzen wettbewerbliche Eigenart. Ein Erzeugnis besitzt wettbewerbliche Eigenart, wenn die konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale des Erzeugnisses geeignet sind, die angesprochenen Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen (BGH, GRUR 2007, 795, 797 - Handtasche). Die wettbewerbliche Eigenart eines Produktes kann sich sowohl aus ästhetischen, wie auch aus technischen Merkmalen ergeben. Auf die Neuheit oder schöpferische Eigentümlichkeit der Gestaltung kommt es dabei ebenso wenig an wie darauf, ob die zur Gestaltung eines Produktes verwendeten Einzelmerkmale originell sind. Entscheidend ist vielmehr, ob sie in ihrer Kombination dem Produkt ein Gepräge geben, das dem Verkehr einen Rückschluss auf die betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten ermöglicht (BGH, GRUR 2013, 1052, 1054 - Einkaufswagen III; Köhler/Bornkamm-Köhler, a.a.O., § 4 Rn. 9.27). Die Bekanntheit eines Produktes im Verkehr ist hierfür nicht Voraussetzung, sie kann aber zur Steigerung der wettbewerblichen Eigenart beitragen (BGH, GRUR 2010, 1125, Rn. 24 - Femur-Teil).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist davon auszugehen, dass die "Le Pliage"-Taschen der Antragstellerin über wettbewerbliche Eigenart verfügen. Die verschiedenen Modelle der Falttasche "Le Pliage" weisen alle die folgenden Merkmale auf:
a) querformatiger, trapezförmiger Korpus aus Nylon oder nylonartigem Material,
b) dessen Oberseite sich mit einem Reißverschluss öffnen und verschließen lässt,
c) beidseits unmittelbar neben dem Reißverschluss sind mit Sichtnähten voluminös ausgestaltete, schlauchförmige Tragegriffe und zwischen diesen ein Überschlag angebracht,
d) an beiden Enden des Reißverschlusses befinden sich leicht ansteigend überstehende Besatzstücke ("Ohren"),
e) Tragegriffe, Überschlag und Besatzstücke sind aus Leder gefertigt, welches in farblichem Kontrast zum Korpus steht,
f) die Tasche ist faltbar mit der Möglichkeit, die Faltung mittels des Überwurfs zu fixieren.
Diese Elemente vermitteln der Tasche in ihrer Kombination ein ganz eigenes Gepräge, das sie deutlich vom vorbekannten Formenschatz abhebt. Das zeigt insbesondere die in der Ausgabe Mai 2003 der Zeitschrift "Cosmopolitan" präsentierte und als Anlage ASt 5 vorgelegte Übersicht "101 Taschen", in der die Tasche der Antragstellerin als Nummer 23 aufgeführt ist, wobei sie sich deutlich von den anderen Modellen abhebt.
Dass bei der Markteinführung von "Le Pliage", dessen Zeitpunkt in den Jahren 1994/1995 die Antragstellerin durch Verweis auf aus dieser Zeit stammende Medienberichte (Anlagen ASt 8.1 bis 8.3) ausreichend glaubhaft gemacht hat, eine Tasche bekannt gewesen wäre, die eine identische Merkmalskombination mit der beschriebenen Kontrastwirkung vorweggenommen hätte, hat der Antragsgegner nicht darzulegen vermocht. Die von diesem angeführte Patentschrift aus dem Jahre 1925 (Anlage Ag 1), die eine bloße Schwarz-Weiß-Zeichnung zeigt, lässt schon keinen Kontrast zwischen Griffen und Überschlag einerseits und Korpus andererseits erkennen und zeigt weder einen trapezförmigen Korpus noch seitliche Besatzstücke an den Enden des Reißverschlusses. Hinsichtlich der weiteren als Anlagen Ag 6 bis Ag 10 angeführten Entgegenhaltungen hat der Antragsgegner schon nicht ausreichend dargetan, dass diese Taschen bereits im Zeitpunkt der Markteinführung der Taschen der Antragstellerin vertrieben worden sind und damit eine vorrangige Priorität genießen. Sie stehen der wettbewerblichen Eigenart zum Zeitpunkt der Markteinführung deshalb nicht entgegen. Dass möglicherweise einzelne Merkmale des Taschenmodells der Antragstellerin für sich genommen vorbekannt waren, ist unschädlich, da die wettbewerbliche Eigenart - wie bereits ausgeführt - nicht Neuheit voraussetzt.
Die durch dieses Gepräge geschaffene Möglichkeit des Rückschlusses auf die betriebliche Herkunft der Tasche ist auch nicht durch die zwischenzeitliche Entwicklung verlorengegangen. Der Antragsgegner, der für die tatsächlichen Voraussetzungen des nachträglichen Entfallens einer einmal begründeten wettbewerblichen Eigenart darlegungs- und beweisbelastet ist (BGH, GRUR 1998, 477 - Trachtenjanker), hat zwar eine Vielzahl von Taschen angeführt (Anlagen Ag 6 bis Ag 10), die seiner Ansicht nach die eigentümlichen Merkmale der Tasche "Le Pliage" nahezu identisch oder jedenfalls ähnlich aufweisen. Diese Annahme trifft indes in Teilen erkennbar schon nicht zu. Die Taschen "Gabor" und "Travelite" (Anlage Ag 10) verfügen weder über einen querformatigen, trapezförmigen Korpus, noch besitzen sie an beiden Enden des Reißverschlusses befindliche Besatzstücke. Bei der Tasche "Daniel Hechter" (Anlage Ag 10) und der Tasche "Mark Adam" (Anlage Ag 9) fehlt es an jeglichem farblichen Kontrast. Gleiches gilt für die Tasche "Mollerus" (Anlage Ag 6). Bei dem Taschenmodell "David Iones" (Anlage Ag 9) sind die Tragegriffe und der Überschlag gänzlich anders gestaltet. Die in der Anlage Ag 9 abgebildete Tasche der Marke "Picard" erzeugt durch den farblichen Kontrast zwischen Tragegriffen einerseits und Überschlag andererseits eine deutlich andere Gesamtwirkung als das Taschenmodell der Antragstellerin. Auch die Taschen der Serie "Easy" des Herstellers Picard (Anlage Ag 6) weisen alle eine auffallend andere, nämlich jaquardmusterartige Stoffstruktur auf, die diesem Modell eine sehr spezielle und damit selbständige Gesamtanmutung geben. Ob hinsichtlich der weiteren angeführten Taschen angenommen werden kann, dass diese - zumindest überwiegend - die eigentümlichen Merkmale der "Le Pliage"-Taschen übernehmen, kann dahinstehen. Allein der Umstand, dass ein Modell vielfach nachgeahmt wird, lässt die wettbewerbliche Eigenart jedenfalls dann nicht entfallen, sofern die prägenden Gestaltungsmerkmale infolge der Vielzahl oder des großen Umfangs von Nachahmungen noch nicht Allgemeingut geworden sind und der Verkehr noch zwischen dem Original und den Nachahmungen unterscheidet (vgl. BGH, GRUR 2005, 600 - Handtuchklemmen; BGH, GRUR 2007, 795 Rn. 28 - Handtaschen). Die Antragstellerin hat durch die Vorlage zahlreicher Gerichtsentscheidungen und Unterlassungserklärungen hinreichend glaubhaft gemacht, dass sie Nachahmungen ernsthaft und umfangreich verfolgt. Anhaltspunkte dafür, dass die das Taschenmodell der Antragstellerin prägende Merkmalskombination trotzdem bereits Allgemeingut wäre, bestehen nicht. Der Antragsgegner hat hinsichtlich eines Großteils der angeführten Taschen ("Franco Callegari", "Charles Vögele", "Bonprix", "TOPModel", "Mollerus", "Joop", "Marco Polo", "C&A", "DaKine", allesamt Anlage Ag 8; "Hexagona", Anlage Ag 6) mit Ausnahme der Angabe, ein Exemplar in 2013 erworben zu haben, keine konkreten Angaben zu Vertriebszeitraum und Absatzzahlen gemacht. Auch der behauptete Verkauf von 2.000 Stück (betr. "Mark Adam" und "S. Oliver", Anlage Ag 6), von 5.000 Stück (betr. "real", Anlage Ag 6) und von 200 Stück in 2012/2013 (betr. "B. von Schönfels", Anlage Ag 6) ist ebenso wie der behauptete Verkauf von weit mehr als 10.000 Stück (betr. "Takko", "Douglas", "Zalando", allesamt Anlage Ag 8) und mindestens 10.000 Stück (betr. "Tchibo") - selbst als zutreffend unterstellt - unerheblich. Denn die angegebenen Absatzzahlen und genannten Vertriebszeiträume sind viel zu niedrig bzw. kurz, um eine Schwächung der wettbewerblichen Eigenart der "Le Pliage" bewirken zu können. So hat die Antragstellerin durch eidesstattliche Versicherung der Frau Marilyne Sérafin vom 17.12.2012 (Anlage ASt 7a) ausreichend glaubhaft gemacht hat, dass die Falttasche "Le Pliage" seit Jahren in großer Stückzahl (allein im Zeitraum 2009 bis 2011 etwa 170.000 Stück betr. das Modell 2605 als kleinere Ausführung des Modells 1899) vertrieben wird und entsprechend besonders bekannt ist. Das Entfallen der wettbewerblichen Eigenart hätte somit erst bei einem besonders intensiven Vertrieb von Nachahmungen angenommen werden können, was bei den vom Antragsgegner behaupteten Stückzahlen und Zeiträumen nicht der Fall ist. Schließlich hat der Antragsgegner den Verlust der wettbewerblichen Eigenart auch nicht unter Verweis auf die Verbreitung eigener Nylonbeutel hinreichend dargetan. Selbst unterstellt, die aus den im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 14.01.2014 überreichten Flyern ersichtlichen Produkte stellten insoweit relevante Nachahmungen dar, hat die Antragstellerin zum einen den Vertrieb dieser Beutel bestritten und der Antragsgegner hat diesen daraufhin nicht glaubhaft gemacht, zum anderen wären die behaupteten Stückzahlen zu gering. Überdies ist unstreitig, dass die Antragstellerin gegen ein Modell gerichtlich vorgeht. Auf einen etwaigen Verlust der wettbewerblichen Eigenart durch dieses Modell kann sich der Antragsgegner daher nicht berufen.
Soweit der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 08.02.2014 weiter behauptet hat, die bei Takko, Douglas und Zalando vertriebene Tasche des Herstellers Capelli (Anlage Ag 8) sei in den vergangenen zwei Jahren mit einer Stückzahl von mehreren Zehntausend verkauft worden, war dieses nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgte Vorbringen nicht zu berücksichtigen, abgesehen davon, dass es auch nicht ausreichend substantiiert ist.
Die wettbewerbliche Eigenart der Tasche der Antragstellerin hat in den letzten Jahren noch eine Steigerung erfahren. Die "Le Pliage" war wiederholt Gegenstand der Berichterstattung in deutschsprachigen Zeitschriften (InStyle, Dezember 2006; Elle, September 2007; Elle, September 2008) und wurde dort mit Prominenten wie Kate Moss (MZ, 6. Dezember 2008) und insbesondere Kate Middleton als Trägerinnen in Verbindung gebracht (Bunte 41/2005). Der Einwand des Antragsgegners, die Berichterstattung beruhe allein auf intensiver Pressearbeit der Antragstellerin und belege nicht die Bekanntheit bei deutschen Taschenkäufern, überzeugt nicht. Ein völlig unbedeutendes und unbekanntes Produkt dürfte kaum regelmäßig Eingang in bekannte Zeitschriften finden. Zudem ist durch die Veröffentlichungen selbst, welche als solche unstreitig sind, von einer Steigerung der Bekanntheit auszugehen.
4.
Die vom Antragegner angebotene Tasche stellt sich als Nachahmung der "Le Pliage"-Taschen dar.
Bei der Beurteilung der Übereinstimmung oder Ähnlichkeit ist grundsätzlich auf die Gesamtwirkung der sich gegenüberstehenden Produkte abzustellen. Denn der Verkehr nimmt ein Produkt in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen wahr, ohne es einer analysierenden Betrachtung zu unterziehen (str. Rspr.; vgl. nur BGH, GRUR 2010, 80, Rn. 41 - LIKEaBIKE; BGH, GRUR 2007, 795, Rn. 34 - Handtaschen; Köhler/Bornkamm-Köhler, a.a.O., § 4 Rn. 9.34b).
Vorliegend ist von einer fast identischen Leistungsübernahme auszugehen. Eine solche ist anzunehmen, wenn die Nachahmung im Gesamteindruck nur unerhebliche Abweichungen zum Original aufweist (vgl. BGH, GRUR 2000, 521, 524 - Modulgerüst I). Die von dem Antragsgegner vertriebene Tasche entspricht in den wesentlichen Merkmalen der Tasche der Antragstellerin.
Das Gesamterscheinungsbild der Tasche des Antragsgegners wird ebenfalls durch die Zweifarbigkeit der Elemente Tragegriffe/Überschlag/Besatzstücke einerseits und Korpus andererseits geprägt. Die unifarben gehaltenen Teile weisen ebenfalls folgende Anordnung und spezifische Formgebung auf: Den mittigen Überschlag, die voluminös ausgestalteten, schlauchförmigen Tragegriffe und Besatzstücke an den Reißverschlussenden. Übernommen sind auch die äußere Form des Korpus sowie die ungefähren Abmessungen und Proportionen. Auch die Tasche des Antragsgegners wird schließlich oben mit einem Reißverschluss verschlossen und ist faltbar.
Die von dem Antragsgegner zergliedernd herausgearbeiteten Unterschiede in den Details der Ausführung fallen angesichts der Übereinstimmung in diesen grundlegenden Gestaltungsmerkmalen nicht ins Gewicht. Für die Frage des Grades der Nachahmung ist, wie oben ausgeführt, auf die Gesamtwirkung abzustellen. Eine zergliedernde Gesamtanalyse stellt der Verbraucher bei Betrachtung des Produktes regelmäßig nicht an. Soweit der Antragsgegner meint, etwas anderes gelte vorliegend, da der Verbraucher angesichts der Vielzahl von Leder-Nylontaschen und angesichts der Preise dieser Taschen eine erhöhte Aufmerksamkeit an den Tag lege und deshalb eine besonders intensive Prüfung des Angebots vornehme, kann dem nicht gefolgt werden. Der Preis der "Le Pliage"-Taschen liegt im mittleren Preissegment. Die Taschen stellen entsprechend keinen Luxusartikel, sondern im Alltag gebräuchliche Taschen dar, die der Verbraucher mit durchschnittlicher Aufmerksamkeit betrachtet und erwirbt.
Der Umstand, dass Tragegriffe, Überschlag und Besatzstücke nicht aus Leder, sondern ebenfalls aus Nylon bzw. Sicherheitsgurt gefertigt sind, erzeugt keinen anderen Gesamteindruck, da auch weiterhin aufgrund der Zweifarbigkeit die markante Kontrastwirkung erzeugt wird. Auch die Punktemusterung ist eher dezent gehalten und fällt nicht besonders ins Auge. Überdies gibt es - wie die Antragstellerin durch Vorlage der Anlage Ast 3 glaubhaft gemacht hat - auch gemusterte Varianten der "Le Pliage"-Taschen, so dass hierin keine maßgebliche Abweichung zu den vorhandenen Modellen liegt. Das Fehlen des messingfarbenen Knopfes auf dem Überschlag fällt schon deshalb kaum auf, weil er recht klein ist. Weitere Details wie die farblich unterschiedlich gestalteten Sichtnähte, das Vorhandensein einer Reißverschlusstasche auf der Rückseite, die lediglich leicht abweichend gestaltete Form und Breite des Überschlags, der Unterschied in der Form der Aufsatzstücke der Henkel, das angebrachte kleine Schild mit Größenangabe am Überschlag und die fehlende Prägung auf dem Überschlag sind für den optischen Gesamteindruck nicht von Bedeutung. Vielmehr handelt es sich um Abwandlungen in für das Erscheinungsbild nachgeordneten und letztlich bedeutungslosen Details. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners wirkt seine Tasche - wie die Kammer durch Inaugenscheinnahme festgestellt hat - auch nicht etwa grob und billig.
Auch das subjektive Tatbestandsmerkmal der Nachahmung liegt vor. Abgesehen davon, dass bei der bestehenden hochgradigen Übereinstimmung ohnehin eine Kenntnis des Antragsgegners von den Taschen der Antragsstellerin vermutet wird (vgl. BGH, GRUR 1998, 477, 480 - Trachtenjanker), ergibt sich die Kenntnis aus der vorangegangenen gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen den Parteien.
5.
Aufgrund der nahezu identischen Nachahmung ist auch die Gefahr einer Herkunftstäuschung gegeben, § 4 Nr. 9 lit. a UWG. Der Antragsgegner hat zumutbare und geeignete Maßnahmen zur Vermeidung der Herkunftstäuschung unterlassen.
Bei der Beurteilung der Herkunftstäuschung ist der Erfahrungssatz zu berücksichtigen, dass der Verkehr die fraglichen Produkte regelmäßig nicht gleichzeitig wahrnimmt und miteinander vergleicht, sondern seine Auffassung auf Grund eines Erinnerungseindrucks gewinnt. Dabei treten regelmäßig die übereinstimmenden Merkmale stärker hervor, so dass es mehr auf die Übereinstimmungen als auf die Unterschiede ankommt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, GRUR 2007, 795 - Handtaschen; BGH, GRUR 2010, 80 - LIKEaBIKE). Die Herkunftstäuschung setzt nicht voraus, dass alle Gestaltungsmerkmale übernommen werden; vielmehr kommt es darauf an, dass gerade die übernommenen Gestaltungsmerkmale geeignet sind, im Verkehr auf die betriebliche Herkunft hinzuweisen (Köhler/Bornkamm-Köhler, a.a.O., § 4 Rn. 9.43). Schließlich genügt für die Gefahr einer Täuschung über die betriebliche Herkunft, wenn der Verkehr bei einem nachgeahmten Produkt annimmt, es handele sich um eine neue Serie oder um eine Zweitmarke des Originalherstellers oder es bestünden lizenz- oder gesellschaftsvertragliche Beziehungen zwischen den beteiligten Unternehmen (BGH, GRUR 2009, 1073 - Ausbeinmesser).
Wie ausgeführt ist glaubhaft, dass die "Le Pliage"-Taschen besonders bekannt sind. Zudem ist von einer nahezu identischen Leistungsübernahme auszugehen. Die wesentlichen prägenden Merkmale wurden übernommen. Deshalb sind geringere Anforderungen an die besonderen Umstände zu stellen. Im Streitfall wird der durchschnittlich informierte, situationsadäquat aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher die Tasche des Antragsgegners ohne Weiteres der Antragstellerin zuordnen, ohne sich der Unterschiede der Taschen bewusst zu werden. Selbst wenn aber einem besonders aufmerksamen Verbraucher die vorhandenen Unterschiede in der Materialgestaltung auffielen, würde er sie zwanglos als Produktvariante oder Weiterentwicklung der "Le Pliage"-Taschen einordnen. So vertreibt die Antragstellerin ihre Tasche durchaus auch in frischen und modischen Farben, auch hat sie durch Vorlage entsprechender Katalogseiten (Anlage ASt 3) glaubhaft gemacht hat, dass sie das Original saisonal auch mit Mustern anbietet.
Der Antragsgegner wendet schließlich ohne Erfolg ein, das zur Vermeidung einer Herkunftstäuschung Nötige getan zu haben. Die Tatsache, dass auf der Vorderseite der Taschen des Antragsgegners in der unteren Ecke eine andere Herstellerbezeichnung angebracht ist, steht der Annahme der Gefahr einer Herkunftsverwechslung nicht entgegen. Denn die Kennzeichnung tritt aufgrund ihrer farblichen Gestaltung wenn überhaupt nur sehr zurückhaltend in Erscheinung und ist in gefaltetem Zustand der Tasche überhaupt nicht zu sehen. Jedenfalls würde durch sie aber auch nicht die durchaus mögliche Annahme der angesprochenen Verkehrskreise ausgeräumt, bei dem mit "scorlan By Andersen" gekennzeichneten Produkt handele es sich um eine Zweitmarke der Antragstellerin oder ein von ihr lizenziertes Erzeugnis. Auch der Verkaufspreis der angegriffenen Tasche steht der Gefahr einer Herkunftsverwechslung nicht entgegen. Dieser ist mit knapp 35,- € zwar deutlich niedriger als der Preis des seiner Größe nach vergleichbaren Modells der Antragstellerin mit der Artikelnummer 1899. Er ist aber nicht so gering, dass der Eindruck einer Billigware entstünde und damit ein gänzlich anderes Publikum angesprochen würde. Vielmehr liegt auch insoweit für den Verbraucher nahe, dass es sich um eine günstigere Modellvariante (komplett aus Nylon) oder ein günstigeres Lizenzprodukt handelt. Überdies wird die Tasche des Antragsgegners auch nicht über einen gänzlich anderen Vertriebsweg an den Verbraucher gebracht. Der Antragsgegner hat im Termin zur mündlichen Verhandlung erläutert, dass seine Tasche im Fachhandel und zwar auch - wie die der Antragstellerin - im Lederwareneinzelhandel erhältlich ist.
II.
Der gemäß §§ 935, 940 ZPO erforderliche Verfügungsgrund ist gegeben. § 12 Abs. 2 UWG begründet eine tatsächliche Vermutung der Dringlichkeit, zu deren Widerlegung der Antragsgegner nichts vorgebracht hat.
III.
Die Ordnungsmittelandrohung hat ihre Grundlage in § 890 Abs. 2 ZPO.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Eines Ausspruchs über die vorläufige Vollstreckbarkeit bedurfte es nicht.
Streitwert: 300.000,- €
LG Düsseldorf:
Urteil v. 20.02.2014
Az: 14c O 83/13
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