Bundespatentgericht:
Beschluss vom 7. April 2009
Aktenzeichen: 6 W (pat) 314/06

(BPatG: Beschluss v. 07.04.2009, Az.: 6 W (pat) 314/06)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Bundespatentgericht hat in einem Beschluss vom 7. April 2009 das Patent 199 61 880 widerrufen. Gegen dieses Patent hatten zwei Einsprechende Einspruch erhoben, da sie der Meinung waren, dass der Gegenstand des Patents nicht neu sei und auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Die Einsprechenden beantragten daher den Widerruf des Patents. Die Patentinhaberin legte daraufhin neue Ansprüche vor und argumentierte, dass diese sowohl neu seien als auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen. Das gerichtliche Verfahren ergab, dass sowohl die ursprünglichen Ansprüche als auch die neuen Ansprüche nicht gewährbar sind, da das Verfahren bereits in einem Tagungsband beschrieben ist und eine zusätzliche Maßnahme, die die Patentinhaberin als bekannt angibt, naheliegend ist. Die anderen Ansprüche fallen zwangsläufig mit dem jeweiligen Hauptanspruch zusammen.

Insgesamt wurde das Patent widerrufen, da es nicht neu ist und nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BPatG: Beschluss v. 07.04.2009, Az: 6 W (pat) 314/06


Tenor

Das Patent 199 61 880 wird widerrufen.

Gründe

I.

Gegen das am 6. Oktober 2005 veröffentlichte Patent 199 61 880 mit der Bezeichnung "Elektrisches Antriebssystem zur aktiven Schwingungsdämpfung" ist von zwei Einsprechenden jeweils am 28. Dezember 2005 Einspruch erhoben worden. Die Einsprüche sind mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 bzw. des nebengeordneten Anspruchs 8 sei nicht neu und beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

In der Einspruchsbegründung verweisen die Einsprechenden u. a. auf den Tagungsband / SPS 98, IPC 98, ISBN 3-7785-2743-6, S. 644 bis 653 sowie auf die DE 44 12 945 A1.

Die Einsprechenden beantragen übereinstimmend, das angegriffene Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin hat mit Eingabe vom 30. Oktober 2006 neue Ansprüche 1, 8 und 9 sowie in der mündlichen Verhandlung einen neuen Anspruchssatz als Hilfsantrag vorgelegt und beantragt, das angegriffene Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrecht zu erhalten:

-neue Patentansprüche 1, 8 und 9 vom 30. Oktober 2006, -Patentansprüche 2 bis 7 und 10 bis 15 gemäß Patentschrift, hilfsweise - Patentansprüche 1 bis 12 gemäß Hilfsantrag, eingereicht inder mündlichen Verhandlung sowie - übrige Unterlagen jeweils gemäß Patentschrift.

Sie ist der Auffassung, dass die Gegenstände der geltenden Ansprüche gemäß Hauptbzw. Hilfsantrag sowohl neu sind als auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen.

Der geltende Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:

"Verfahren zum Steuern eines elektrischen Antriebssystems, das der Verstellung einer Mehrzahl drehbarer und/oder verschwenkbarer Funktionsteile (3, 4, 5, 6) in Geräten und Maschinen (1), beispielsweise der Zylinder oder Walzen insbesondere in Bogenoder Rollendruckmaschinen, zueinander in ihrer Winkellage und/oder Winkelgeschwindigkeit dient und ein oder mehrere geregelte Antriebseinheiten (M, 14, 15) aufweist, die jeweils mit einem der Funktionsteile (3, 4, 5, 6) oder einer Gruppe (2) davon verbunden sind, wobei mit dem angetriebenen Funktionsteil (3, 4, 5, 6) oder der angetriebenen Funktionsteilgruppe (2) mindestens ein Teil der sonstigen Funktionsteile und/oder sonstigen Funktionsteilgruppen mechanisch gekoppelt ist, gekennzeichnet durch den Einsatz von mehreren Beschleunigungssensoren (F1-F5) zur Erfassung und Rückführung von Beschleunigungszuständen der mechanisch gekoppelten Funktionsteilen oder Funktionsteilgruppen in ein jeweiliges Reglermodul (15, 19) der einen oder mehreren Antriebseinheiten (M, 14, 15), über welches die eine oder mehreren Antriebseinheiten (M, 14, 15) auf der Basis eines oder mehrerer Regelgesetze oder -algorithmen zur aktiven Dämpfung von Schwingungen der Funktionsteile (3, 4, 5, 6) angesteuert werden."

Der geltende Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag lautet:

"Verfahren zum Steuern eines elektrischen Antriebssystems, das der Verstellung einer Mehrzahl drehbarer und/oder verschwenkbarer Funktionsteile (3, 4, 5, 6) in Geräten und Maschinen (1), beispielsweise der Zylinder oder Walzen insbesondere in Bogenoder Rollendruckmaschinen, zueinander in ihrer Winkellage und/oder Winkelgeschwindigkeit dient und ein oder mehrere geregelte Antriebseinheiten (M, 14, 15) aufweist, die jeweils mit einem der Funktionsteile (3, 4, 5, 6) oder einer Gruppe (2) davon verbunden sind, wobei mit dem angetriebenen Funktionsteil (3, 4, 5, 6) oder der angetriebenen Funktionsteilgruppe (2) mindestens ein Teil der sonstigen Funktionsteile und/oder sonstigen Funktionsteilgruppen mechanisch gekoppelt ist, gekennzeichnet durch den Einsatz von mehreren Beschleunigungssensoren (F1-F5) zur Erfassung und Rückführung von Beschleunigungszuständen der mechanisch gekoppelten Funktionsteilen oder Funktionsteilgruppen in ein jeweiliges Reglermodul (15, 19) der einen oder mehreren Antriebseinheiten (M, 14, 15), über welches die eine oder mehreren Antriebseinheiten (M, 14, 15) auf der Basis eines oder mehrerer Regelgesetze oder -algorithmen zur aktiven Dämpfung von Schwingungen der Funktionsteile (3, 4, 5, 6) angesteuert werden, wobei sowohl leistungsstärkere (14, M) als auch leistungsschwächere Antriebseinheiten (14, m2 -m5) verwendet werden, wobei die leistungsschwächeren Antriebseinheiten an den wirksamsten Stellorten und ausschließlich zur aktiven Schwingungsdämpfung eingesetzt werden."

Wegen der übrigen Ansprüche sowie wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

1.

Das Bundespatentgericht ist für die Entscheidung über den vorliegenden Einspruch nach § 147 Abs. 3 PatG in der bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassung zuständig geworden und auch nach der ab 1. Juli 2006 in Kraft getretenen Fassung des § 147 Abs. 3 PatG gemäß dem Grundsatz der perpetuatio fori zuständig geblieben (vgl. hierzu BGH GRUR 2007, 859, 861 f. -Informationsübermittlungsverfahren I; BGH GRUR 2007, 862 f. -Informationsübermittlungsverfahren II; BGH GRUR 2009, 184 f. -Ventilsteuerung).

2.

Die fristund formgerecht erhobenen Einsprüche sind ausreichend substantiiert und auch im Übrigen zulässig.

Dies ist seitens der Patentinhaberin nicht bestritten worden.

3.

Der Gegenstand des angefochtenen Patents stellt keine patentfähige Erfindung im Sinne der §§ 1 bis 5 PatG dar.

Zum Hauptantrag:

Das Verfahren nach dem geltenden Anspruch 1 ist nicht neu, da aus dem Tagungsband / SPS 98, IPC 98, ISBN 3-7785-2743-6, S. 644 bis 653 ein Verfahren mit sämtlichen im geltenden Anspruch 1 enthaltenen Merkmalen herauslesbar ist.

In dem Kapitel "Einleitung" ist beschrieben, dass es dort um Druckmaschinen mit Direktantrieben geht, mit denen sich ein sehr steifer, nahezu spielfreier Antriebsstrang mit hohen mechanischen Eigenfrequenzen aufbauen lässt. Aus diesen Angaben entnimmt der Fachmann -ein Maschinenbauingenieur (FH) mit Kenntnissen auf dem Gebiet von Druckmaschinen und deren Steuerung/Regelung -, dass dort ein Verfahren zum Steuern eines elektrischen Antriebssystems angesprochen ist, das der Verstellung einer Mehrzahl drehbarer und/oder verschwenkbarer Funktionsteile in Geräten und Maschinen, beispielsweise der Zylinder oder Walzen insbesondere in Bogenoder Rollendruckmaschinen, zueinander in ihrer Winkellage und/oder Winkelgeschwindigkeit dient und ein oder mehrere geregelte Antriebseinheiten aufweist. Denn bereits der Begriff "Direktantrieb" impliziert einen eigenen Antrieb für jeden Zylinder. Um ein sauberes Druckbild zu gewährleisten, müssen diese Antriebe aber nicht nur regelbar sein, sondern es ist auch erforderlich, die Zylinder zueinander in ihrer Winkellage und/oder Winkelgeschwindigkeit verstellen zu können.

Dass die Antriebe mit den Zylindern verbunden und mechanisch gekoppelt sind, ergibt sich zwangsläufig aus der Natur der Sache.

Somit entnimmt der Fachmann dem Tagungsband ein Verfahren nach dem Oberbegriff des geltenden Anspruchs 1.

Bei dem aus dem Tagungsband bekannten Verfahren werden weiterhin mehrere Beschleunigungssensoren eingesetzt (vgl. Abschnitt "Einleitung", Abs. 1, vorletzter Satz), um "eine genaue und dynamische Ermittlung der benötigten Zustandsgrößen Lage, Geschwindigkeit und gegebenenfalls auch der Beschleunigung" zu erfassen. Zur Erfassung der Beschleunigung wird dabei ein Relativbeschleunigungssensor nach dem Ferraris-Prinzip eingesetzt (vgl. Abschnitt 3.). Dass mehrere Beschleunigungssensoren verwendet werden, ergibt sich dabei zwangsläufig aus der Tatsache, dass für jeden der separat angetriebenen Zylinder auch ein eigener Beschleunigungssensor vorhanden sein muss. Die von den Beschleunigungssensoren gemessenen Werte werden dann einem Regelmodul zugeführt, welcher auf der Basis bestimmter Regelgesetze zur Dämpfung der Schwingungen der Zylinder die Antriebe ansteuert (vgl. insbes. Bild 6).

Somit offenbart der Tagungsband ein Verfahren mit sämtlichen im geltenden Anspruch 1 enthaltenen Merkmalen. Folglich ist der geltende Anspruch 1 nicht gewährbar.

Zum Hilfsantrag:

Das Verfahren nach dem geltenden Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag ist nicht das Ergebnis einer erfinderischen Tätigkeit.

Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag unterscheidet sich vom geltenden Anspruch 1 gemäß Hauptantrag durch die zusätzlichen Merkmale:

wobei sowohl leistungsstärkere als auch leistungsschwächere Antriebseinheiten verwendet werden, wobei die leistungsschwächeren Antriebseinheiten an den wirksamsten Stellorten und ausschließlich zur aktiven Schwingungsdämpfung eingesetzt werden.

Die Verwendung von eigenen Antriebseinheiten ausschließlich zur aktiven Schwingungsdämpfung weist die Patentinhaberin bereits selbst in der Streitpatentschrift als bekannt aus, wo sie unter Verweis auf die DE 44 12 945 A1 ausführt: "Im Rahmen eines Regelkreises werden die Messwerte zu Steuerungszwecken für Antriebsund/oder Zusatzmotore zwecks Schwingungsdämpfung weitergeleitet" (vgl. Abs. [0004]).

Dass zur Schwingungsdämpfung leistungsschwächere Antriebseinheiten eingesetzt werden, ist selbstverständlich, da zur Schwingungsdämpfung erheblich geringere Kräfte erforderlich sind als zum Antrieb der Zylinder, und dass sich diese an den wirksamsten Stellorten befinden sollen, liegt auf der Hand, da der Fachmann immer bestrebt ist, ein optimales Ergebnis zu erzielen.

Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag ergibt sich somit aus einer einfachen und auch naheliegenden Zusammenschau von dem in dem Tagungsbericht beschriebenen Verfahren und einer von der Patentinhaberin selbst als bekannt ausgewiesenen Maßnahme.

Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag ist somit ebenfalls nicht gewährbar.

4. Die übrigen Ansprüche fallen notwendigerweise mit dem jeweiligen Anspruch 1 (vgl. BGH GRUR 1989, 103 -Verschlussvorrichtung für Gießpfanneni. V. m. BGH GRUR 1980, 716 -Schlackenbad, vgl. dazu auch BGH GRUR 2007, 862, 863 f. -Informationsübermittlungsverfahren II; BGH GRUR-RR 2008, 456, 457 -Installiereinrichtung).

Lischke Guth Schneider Hildebrandt Cl






BPatG:
Beschluss v. 07.04.2009
Az: 6 W (pat) 314/06


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/334b77a801e7/BPatG_Beschluss_vom_7-April-2009_Az_6-W-pat-314-06




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