Sozialgericht Würzburg:
Beschluss vom 20. August 2013
Aktenzeichen: S 4 R 1318/11
(SG Würzburg: Beschluss v. 20.08.2013, Az.: S 4 R 1318/11)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Sozialgericht Würzburg hat in der Gerichtsentscheidung vom 20. August 2013 entschieden, dass der Kläger ab dem 01.12.2010 Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung hat. Der Kläger war als Kanzleimanager bei einer Rechtsanwalts-GmbH beschäftigt und hatte bereits für seine vorherige Tätigkeit als Anwalt eine Befreiung erhalten. Die Beklagte hatte jedoch die Weitergewährung der Befreiung abgelehnt, da sie der Meinung war, dass der Kläger keine anwaltliche Tätigkeit ausübe. Der Kläger argumentierte dagegen, dass er durchaus anwaltliche Aufgaben wahrnehme, wie beispielsweise Vertragsverhandlungen und rechtliche Beratung. Das Gericht stimmte dem Kläger zu und entschied, dass seine Tätigkeit die Kriterien der Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung erfülle. Zudem sei die anwaltliche Tätigkeit des Klägers unverzichtbar und prägend für die Ausführung seiner Aufgaben als Kanzleimanager. Daher habe er Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
SG Würzburg: Beschluss v. 20.08.2013, Az: S 4 R 1318/11
Tenor
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 05.05.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2011 verurteilt, den Kläger ab 01.12.2010 gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI von der Versicherungspflicht zu befreien.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Weitergewährung der Befreiung von der Versicherungspflicht ab 1.12.2010 gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI streitig.
Der Kläger ist Rechtsanwalt und war als Syndikusanwalt beschäftigt und seit 01.12.1997 von der Versicherungspflicht befreit. Am 01.12.2010 begann der Kläger eine neue Tätigkeit als Kanzleimanager bei der Rechtsanwalts-GmbH B.. Er zeigte diese neue Tätigkeit bei der Beklagten an und beantragte dafür die Weitergewährung der Befreiung von der Versicherungspflicht.
Mit Bescheid vom 05.05.2011 lehnte die Beklagte die Weitergewährung der Befreiung von der Versicherungspflicht ab. Sie begründet, dass der Kläger aus ihrer Sicht keine überwiegend anwaltliche Tätigkeit ausübe und hat ausgeführt, der Kläger übe keine dem Kammerberuf des Anwaltes entsprechende Tätigkeit aus. Das Befreiungsrecht könne zwar auch Rechtsanwälten, die bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber beschäftigt seien, zustehen, wenn dort eine für einen Rechtsanwalt typische anwaltliche Tätigkeit ausgeübt werde. Aus dem Gesamtbild der Tätigkeit ergebe sich aber, dass der Kläger keine anwaltliche Tätigkeit ausübe. Er sei vorwiegend organisatorisch und betriebswirtschaftlich steuernd mit den Angelegenheiten der Kanzlei selbst betraut, so dass eine anwaltliche Tätigkeit nicht nachgewiesen werden könne.
Dagegen erhob der Kläger Widerspruch. Er trug vor, bei seiner Tätigkeit als Kanzleimanager sei der tatsächliche und rechtliche Handlungsspielraum, der eine anwaltliche Tätigkeit kennzeichne, sowie die notwendige Weisungsfreiheit gegeben. Seine Tätigkeit sei mit der eines Syndikusanwaltes oder anwaltlichen Compliance Officers vergleichbar. Es sei verständlich, dass nach einer gängigen Vorstellung die Aufgabe eines Kanzleimanagers eher mit organisierenden und administrativen Tätigkeiten assoziiert werde. Selbstverständlich gehöre auch zu seinem Tätigkeitsbereich Fragen der Aufbau- und Ablauforganisation und Steuerung nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen. Der Arbeitgeber habe sich jedoch bei der erstmaligen Besetzung der Stelle bewusst für eine anwaltliche Gestaltung entschieden, da die anwaltliche Prägung der Unabhängigkeit zur Ausübung der Tätigkeit und Wirkung nach außen wesentlich sei. Erst nach der Stellenausschreibung, die noch offen gehalten war, habe sich während des Bewerbungsverfahrens das Erfordernis der anwaltlichen Prägung herauskristallisiert. Die anwaltliche Prägung seiner Tätigkeit sei in verschiedenen Bereichen ersichtlich. Insbesondere im Vertrags- und Versicherungsmanagement, bei der selbständig Verhandlungen geführt (Vermieter, Kooperationspartner, Mitarbeiter, Lieferanten, Versicherungen) und eigenständige vertragliche Lösungen entwickelt werden. Diese würden dann den zuständigen Entscheidungsgremien vorgelegt. Er sei gestaltend, beratend und rechtsentscheidend tätig.
Beratend und gestaltend, aber insbesondere rechtsvermittelnd sei er im Rahmen des Zuständigkeitsbereiches Compliance und Risikomanagement tätig. Er sei bei der Vermittlung von Fachwissen an die Mitarbeiter und in der internen Fortbildung und auch gegenüber Mandanten tätig.
Eine Freistellungserklärung des Arbeitgebers im Sinne des § 14 BRAO liege vor.
Die Beklagte hat den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2011 zurückgewiesen. Sie hat erneut darauf verwiesen, dass als Kriterium für die Beschreibung einer anwaltlichen Tätigkeit sich in der Literatur und Rechtsprechung die Arbeitsfelder Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung herausgebildet hätten. Alle vier Tätigkeitsfelder müssten kumulativ abgedeckt sein um eine Befreiung von der Versicherungspflicht zu rechtfertigen, wobei die Gewichtung der einzelnen Felder im Einzelfall von der Art der ausgeübten Beschäftigung abhängig sei. Bei der Ausübung der Tätigkeitsfelder müsse es sich um wahrgenommene Aufgaben handeln, die ausschließlich von einem Rechtsanwalt wahrgenommen werden könnten. Eine juristische Ausbildung reiche nicht aus, wenn auch andere Personen mit anderer Ausbildung generell geeignet und in der Lage seien diese Beschäftigung auszuüben. Die Befähigung zum Richteramt müsse unabdingbare Voraussetzungen für die Aufgabenstellung sein. Beim Kläger sei nach dem Gesamtbild der Tätigkeit nicht von einer anwaltlichen Tätigkeit auszugehen. Die vier Tätigkeitsbereiche seien nicht kumulativ erfüllt. Grundlage für die Einschätzung sei die Stellen- und Funktionsbeschreibung vom 31. Januar 2011, die Stellenausschreibung und der Arbeitsvertrag. Die Arbeit mit Mandanten erfolge lediglich im Einzelfall und gebe der Tätigkeit nicht das Gepräge. Der Schwerpunkt liege in den organisatorischen und betriebswirtschaftlich steuernden Angelegenheiten der Kanzlei.
Am 21.12.2011 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg.
Er trägt vor, dass die nähere und individuelle Ausgestaltung seines Tätigkeitsfeldes nicht bereits bei der Formulierung der offen gehaltenen Stellenausschreibung erfolgte und kein branchenübliches Profil für das Kanzleimanagement bestehe. Bei der Erstellung des Tätigkeitsprofiles schon im Rahmen der Bewerbungsgespräche sei dann rasch im Vordergrund gestanden, das anwaltliche Potential seiner vorliegenden anwaltlichen Qualifikation bewusst und zielgerichtet nutzen zu wollen. Ein hoher zeitlicher Anteil seiner Tätigkeit bestehe in der Verhandlung und vertraglichen Ausarbeitung mit Versicherungen im Hinblick auf die Vermögensschadenshaftpflicht und Betriebshaftpflicht. Außerdem sei er umfassend für die Betreuung der Miet- und Untermietverträge an allen vier Standorten der Kanzlei zuständig. Er führe Verhandlungsgespräche, nehme Vertragsanpassungen vor und überwache die Vertragspflichten. Er bereite auch die notwendigen Verhandlungen mit Anwälten und Steuerberatern über die Modalitäten eines Beitritts zur GmbH vor und die erforderlichen Regelungen zur Einbringung von Vermögenswerten oder Einbindung von Kooperationspartnern und auch die Erstellung von Vertragsmustern.
Für die nichtanwaltlichen Mitarbeiter trage er die komplette fachlich-rechtliche Verantwortung wie die Formulierung von Arbeitsverträgen, Abmahnung, Kündigung usw. Darüber hinaus bereite er noch die Gremienarbeit der GmbH vor.
Die Beklagte erwidert dazu sodann, die Befreiung von der Versicherungspflicht sei tätigkeits- und nicht personenbezogen. Alleine der Umstand, dass der Arbeitgeber für die Besetzung der Stelle einem Volljuristen den Vorrang eingeräumt habe, führe nicht zu Bejahung einer berufsspezifischen Tätigkeit als Anwalt. Der Kläger erfülle nicht kumulativ die vier Tätigkeitsfelder Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung. Es sei erforderlich, dass der Mitarbeiter seine Tätigkeit gleichermaßen weisungsfrei ausüben könne, wie ein bei einem Rechtsanwalt beschäftigter Rechtsanwalt. Aus der ausführlichen Beschreibung der Aufgaben des Klägers gehe eindeutig hervor, dass es sich vorwiegend um organisatorische und betriebswirtschaftlich steuernde Funktionen innerhalb der Kanzlei handele. Der Kläger räume selbst in der Klageschrift ein, dass mit dem Kanzleimanagement auch leitende und organisatorische Tätigkeiten verbunden seien. Dass diese Tätigkeiten nur eine nachgeordnete Rolle spielen sollen, sei aus der Tätigkeitsbeschreibung aber gerade nicht erkennbar. Für die Beschäftigung sei die zweite juristische Staatsprüfung keine objektive Zugangsvoraussetzung. Wer aber eine Tätigkeit ausübe, die auch anderen Berufsgruppen zugänglich sei, sei nicht geeignet eine Pflichtmitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Versorgungseinrichtung zu begründen.
Der Kläger erwidert daraufhin, seine Tätigkeit erfülle die vier Tätigkeitsfelder Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung. Er weist erneut darauf hin, dass die Stellenausschreibung nicht maßgeblich sei für die Beschreibung der tatsächlichen ausgeübten Tätigkeit. Im Laufe der Tätigkeit habe sich herausgestellt, dass die anwaltliche Tätigkeit unverzichtbar und prägend für die Ausführung seiner Aufgaben sei. Daher könne es nicht schädlich sein, dass mit der Aufgabe des Kanzleimanagers auch leitende und organisatorische Aufgaben verbunden seien. Dass diese Tätigkeiten nachgeordnet sein müssen, sei nicht überzeugend, da ansonsten für Syndikusanwälte und vergleichbare Tätigkeiten grundsätzlich kein Befreiungstatbestand angenommen werden könne.
Die Beklagte hat zuletzt dann noch erwidert, dass die Rechtsanwendung keinesfalls den deutlichen Schwerpunkt der Tätigkeit bilde.
Im Erörterungstermin am 31.07.2013 hat der Kläger erneut ausführlich seine Tätigkeit beschrieben und darauf hingewiesen, dass eine anwaltliche Qualifikation für die Ausübung der Tätigkeit erforderlich ist.
Das Gericht hat im Rahmen des Erörterungstermins am 31.07.2013 mitgeteilt, dass es beabsichtige durch Gerichtsbescheid nach § 105 Abs. 1 SGG zu entscheiden. Die Beteiligten haben im Erörterungstermin dazu ihr Einverständnis erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten und ergänzend zum Sachverhalt wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der vom Gericht beigezogenen Akte der Beklagten ausdrücklich Bezug genommen, § 136 Abs. 2 SGG.
Gründe
Das Sozialgericht Würzburg konnte den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs. 1 SGG ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist. Der Sachverhalt ist geklärt und die Beteiligten wurden gehört.
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Ablehnung der Befreiung von der Versicherungspflicht für die unbefristete Beschäftigung des Klägers als Kanzleimanager seit 1.12.2010 bei der Rechtsanwalts-GmbH B..
Nach Würdigung der umfassenden Argumentation und Sachverhaltsdarstellung ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger ab 1.12.2010 für die Beschäftigung bei der Rechtsanwalts-GmbH B. Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI hat.
Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI werden unter bestimmten Voraussetzungen auf Antrag Angestellte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder Selbständigkeit wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, von der Versicherungspflicht befreit. Die Befreiung von der gesetzlichen Versicherungspflicht setzt eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit voraus, die in der gesetzlichen Rentenversicherung die Versicherungspflicht von Gesetzes wegen oder auf Antrag begründet hat und nimmt unter den Voraussetzungen der Zugehörigkeit zum Personenkreis des Abs. 1 und eines Antrages nach § 6 Abs. 2 SGB VI die von ihr erfassten Sachverhalte von der Versicherungspflicht aus.
Mit der einem Mitglied der berufsständischen Versorgungseinrichtung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI eingeräumten Möglichkeit der Befreiung von der Versicherungspflicht koordiniert das SGB VI die selbständig nebeneinander stehenden und sich überschneidenden Systeme der berufsständischen Altersversorgung und der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Koordinationsregelung soll den Berufsangehörigen die Verpflichtung nehmen, Beiträge zu zwei weitgehend funktionsgleichen Sicherungssystemen zahlen zu müssen.
Die Befreiung ist nicht personen-, sondern tätigkeitsbezogen.
Die gesetzlich normierten Voraussetzungen für eine Befreiung sind beim Kläger erfüllt. Der Kläger ist Mitglied des Versorgungswerkes der Rechtsanwälte im Lande Hessen. Dies ist nach Bestätigung durch das Versorgungswerk zwischen den Beteiligten unstreitig.
Für die bereits 1997 aufgenommene Tätigkeit als Anwalt wurde von der Beklagten die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt. Erst die Weitergewährung der Befreiung von der Versicherungspflicht für die Tätigkeit als Kanzleimanager am 1.12.2010 wurde von der Beklagten versagt.
Die von der Beklagten und der bisherigen Rechtsprechung aufgestellten Kriterien, nämlich der bei einem Unternehmen angestellte Volljurist oder bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber angestellte Jurist müsse rechtsberatend, rechtsentscheidend, rechtsanwendend und rechtsvermittelnd tätig sein, sind hier erfüllt. Dass der Arbeitgeber des Klägers hier selbst als Rechtsanwaltskanzlei ein anwaltlicher Arbeitgeber ist bleibt für die Betrachtung, ob eine anwaltliche Tätigkeit ausgeübt wird unwesentlich, da dieselben Kriterien zu betrachten und zu prüfen sind.
Eine anwaltliche Tätigkeit wird als berufstypische Tätigkeit dann angenommen, wenn die Tätigkeit die vier Kriterien bei der Berufsausübung umfasst (vgl. auch LSG Baden-Würrtemberg, Urteil vom 23.1.2013, Az.: L 2 R 2671/12 und LSG Baden-Würrtemberg, Urteil vom 19.2.2013, Az.: L 11 R 2182/11).
Nach dem Vortrag des Klägers und der Beschreibung der Tätigkeit umfasst seine Tätigkeit Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung.
Rechtsberatung führt der Kläger für seinen Arbeitgeber durch, indem er z.B. hinsichtlich der abzuschließenden Versicherungsverträge oder bezüglich der Konditionen des Beitritts zur GmbH im Rahmen von Partnerschaften die erforderlichen Rechtsfragen analysiert, mit den Beteiligten verhandelt und konkrete individuelle Lösungsvorschläge erarbeitet.
Rechtsvermittelnd ist der Kläger unter anderem dadurch tätig, dass er Regelungskomplexe innerhalb des Unternehmens vor einem größeren Zuhörerkreis schriftlich und mündlich erläutert und vermittelt und damit rechtliche Fragestellungen, die im Unternehmen von Belang sind, darstellt und erläutert.
Rechtsanwendend ist der Kläger aus Sicht des Gerichts insofern tätig als er eigenständig Vertragsverhandlungen führt, z.B. mit externen Versicherungsgesellschaften und auch mit Vermietern oder Vermietungsgesellschaften der Mietobjekte an den 4 Standorten der Kanzlei.
Der Bereich der Rechtsentscheidung beinhaltet ein nach außen wirksames Auftreten als Entscheidungsträger mit eigenständiger Entscheidungskompetenz.
Der Kläger hat dargelegt, dass er Vertragsverhandlungen für alle 4 Standorte hinsichtlich aller Miet- und Untermietverträge führt und auch mit Versicherungen weitreichende Vertragsverhandlungen führt, die dann in konkrete Vertragsvereinbarungen fließen. Dass der Kläger die von ihm ausgearbeiteten und verhandelten Vertragsentwürfe und Vertragslösungen dann intern den zuständigen Entscheidungsgremien seines Arbeitsgebers vorlegt, ändert nichts an der Erfüllung des Kriteriums der Rechtsentscheidung. Denn hier genügt im Bereich größerer Unternehmen eine wesentliche Teilhabe an innerbetrieblichen Entscheidungsprozessen.
Dem Gericht erscheint es nach dem Sachvortrag und der Beschreibung und ausführlich dargelegten Detaillierung des Tätigkeitsbildes durch den Kläger nicht nachvollziehbar, warum es an diesem Merkmal der Rechtsentscheidung fehlen solle. Der Kläger führt Verhandlungen mit großen Versicherungsgesellschaften, auch in größeren Verhandlungsrunden. Er vertritt in diesen Verhandlungen den Arbeitgeber. Der Kläger hat damit eine Entscheidungskompetenz, die selbst das übliche Ausmaß an Entscheidungsfreiheit eines niedergelassenen Anwalts der nach einem berufsspezifischen Idealbild tätig ist, übersteigen dürfte. Denn auch ein niedergelassener Rechtsanwalt wird vor verbindlicher Zusage oder Vertragsgestaltung üblicherweise zuvor Rücksprache mit der Mandantschaft nehmen und nicht alleine darüber entscheiden. Für das Gericht bestehen keine Zweifel, dass der Kläger rechtsentscheidend tätig ist (vgl. auch SG A-Stadt, Gerichtsbescheid vom 09.03.2012, Az.: S 31 R 488/11).
Es wird im übrigen darauf hingewiesen, dass der Kläger fundierte Kenntnisse in diesem Fachbereich haben muss, um in dem rechtlich komplexen Feld von Haftpflichtvereinbarungen Lösungsvorschläge erarbeiten zu können, die die Interessen des Arbeitgebers in den Vertragsverhandlungen widerspiegeln und berücksichtigen können. Mit diesem komplexen Aufgabenfeld wird ein vernünftig handelnder Arbeitgeber weder Betriebswirte noch einfache Wirtschaftsjuristen betrauen, was sich ja letztlich in der bewussten Entscheidung des Arbeitgebers für die Einstellung des Klägers wiederfindet, der seine anwaltliche Kompetenz im Gegensatz zu anderen Bewerbern für die Tätigkeit als Kanzleimanager im Interesse des Arbeitgebers mit Nachdruck in den Verhandlungen mit den externen Vertragspartnern einbringen kann (vgl. auch SG A-Stadt, Urteil vom 30.9.2011, Az.: S 12 R 370/11).
Darüber hinaus beinhaltet die Tätigkeit des Klägers auch rechtsgestaltende Elemente. Es ist nicht nachvollziehbar warum die Beklagte davon ausgeht, der Kläger habe keine eigenständige Befugnis zu Vertragsverhandlungen. Gerade das Führen von Vertragsverhandlungen liegt im Kernbereich der Tätigkeit des Klägers. Er führt umfassende und umfangreiche Verhandlungen mit Versicherungen und betreut darüber hinaus die gesamten Mietobjekte einschließlich aller vertraglichen Regelungen an allen vier Standorten der Kanzlei. Vertragsformulierungen und Vertragsvorschläge, die dann den zuständigen Gremien auch vorgelegt werden, werden nicht anhand von vorgegebenen Formalien massenweise abgeschlossen, sondern werden individuell ausgehandelt und formuliert. In Anbetracht der Komplexität der zu prüfenden und zu berücksichtigen rechtlichen Fragen ist es aus Sicht des Gerichts abwegig, wenn die Beklagte meint, dass für die Tätigkeit des Klägers zwar eine juristische Ausbildung nützlich sei aber nicht erforderlich.
Aus Sicht des Gerichts ist hier nicht entscheidend, wie die Beklagte vorträgt, in welcher Form bei der Stellenausschreibung für die Tätigkeit als Kanzleimanager die Anzeige gestaltet war. Wie der Kläger überzeugend ausgeführt hat, sowohl schriftsätzlich als auch im Rahmen des Erörterungstermins am 31.07.2013, hat sich schon im Rahmen des Bewerbungsverfahrens herausgestellt, dass die Tätigkeit gerade die anwaltliche Qualifikation erforderlich macht, so dass der Arbeitgeber, die Rechtsanwalts-GmbH B., ausdrücklich der Einstellung des Klägers als Volljurist und erfahrenem Syndikusanwalt den Vorzug gegeben hat. Nicht die Beschreibung der Tätigkeit in der Stellenanzeige als bloße Hülle einer Tätigkeit ist hier das Wesentliche und bestimmt das Gepräge des Aufgabenbereiches des Klägers, sondern der konkrete Inhalt der ausgeübten Tätigkeit gibt der Tätigkeit des Klägers das Gepräge. Es muss die tatsächliche Tätigkeit maßgeblich sein und betrachtet werden, und nicht eventuell anfänglich im Rahmen von Stellenausschreibungen formulierte Tätigkeitsbeschreibungen. Der Kläger hat sowohl schriftlich wie auch mündlich überzeugend dargelegt, dass seine Tätigkeit eine anwaltliche Tätigkeit darstellt, welche die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Versicherungspflicht erfüllt.
Aus Sicht des Gerichts wird hier keine individuelle Betrachtungsweise der Tätigkeit des Klägers, die dieser bereits schriftsätzlich sehr detailliert dargelegt hat, vorgenommen.
Die Befreiung ist bei angestellten Anwälten bei einem anwaltlichen Arbeitgeber grundsätzlich unstreitig. Aus Sicht des Gerichts ordnet die Beklagte aber das Wesen eines Juristen oder anwaltlich Tätigen in einem Unternehmen (als nichtanwaltlicher Arbeitgeber) oder wie hier vergleichbar als Kanzleimanager in einer Rechtsanwalts- GmbH falsch ein.
Rechtsberatung gewinnt immer mehr an Bedeutung. Unternehmen oder wie hier auch die Rechtsanwalts- GmbH entscheiden sich vermehrt zur Beschäftigung von Inhouse-Anwälten, die mit dem Unternehmen selbst vertraut sind und somit ohne Effizienzverluste spezialisierte Beratung leisten können.
Aus Sicht des Gerichtes stützt sich die Beklagte auf eine tradierte Betrachtungsweise des Anwaltsberufes und kommt dann zum Ergebnis, dass der Kläger keine anwaltliche Tätigkeit ausübt. Wenn man sich beispielsweise die Tätigkeit von jungen Anwälten in größeren, oft sehr spezialisierten Kanzleien betrachtet, dann ist diese Tätigkeit dort auch wie eine interne Sachbearbeitung zu betrachten. Auch junge Anwälte in großen Kanzleien nehmen nicht alleine und weisungsunabhängig, entscheidungskompetent und allumfassend die rechtliche Betreuung von Mandanten selbständig wahr, insbesondere nicht die komplette Mandantenbetreuung vom Erstgespräch mit dem Mandanten bis hin zum schriftsätzlichen Vortrag und gegebenenfalls zur konkreten Sitzungsvertretung im gerichtlichen Verfahren. Niemand würde allerdings hier in Frage stellen, dass es sich um eine anwaltliche Tätigkeit handelt.
Das Gericht sieht deshalb hier das Erfordernis, die Prägung des Anwaltsberufes im gesellschaftlichen Wandel zu betrachten. Auch bei der Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen, hier der "anwaltlichen Tätigkeit", muss eine gesellschaftliche Entwicklung in die Betrachtung und Beurteilung einfließen.
Der "typische Anwalt" ist nicht mehr derjenige, der den Mandanten vor Gericht vertritt, vielmehr hat die Beratungsfunktion und die vertragsgestaltende und außergerichtliche Prägung des Anwaltsberufes wegen der Komplexität der rechtlichen Fragestellungen immer mehr an Bedeutung gewonnen für die qualifizierte Ausübung einer anwaltlichen Tätigkeit. Diese Bedeutung muss aber dann auch in die zeitgemäße Auslegung des Begriffes anwaltliche Tätigkeit einfließen. Eine solche Funktion übt der Kläger zur Überzeugung des Gerichts für seinen Arbeitgeber aus. Es kann daher dahinstehen und ist im Übrigen aus Sicht des Gerichts auch als nachrangiger Tätigkeitsbereich zu betrachten, dass der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit auch organisatorisch oder teilweise betriebswirtschaftlich steuernd tätig wird. Das Gericht sieht diesen Teilbereich der Tätigkeit des Klägers lediglich als Ausfluss der Aufgabenstellung und als Umsetzung dessen, was der Kläger im Interesse des Arbeitgebers an internen Optimierungsmöglichkeiten erkennt und vorschlägt.
Die anwaltliche Tätigkeit, die der Kläger hier als Kanzleimanager ausführt, ist nicht gleichzusetzen mit einer Tätigkeit, die ein Nichtanwalt mit einer anderen Berufsausbildung hier ausüben könnte. Für entscheidungserheblich hält das Gericht auch, dass der Kläger bei der Ausübung seiner Tätigkeit als Kanzleimanager, insbesondere bei der Verhandlungsführung mit externen Vertragspartnern und der sich anschließenden Erarbeitung von Lösungsvorschlägen, diesen maßgeblichen Bereich einer der anwaltlichen Tätigkeit immanenten Beratungsfunktion selbst wahrnehmen kann. Denn könnte der Kläger nicht eigenständig eine anwaltliche Tätigkeit und damit auch eine interne Beratung und rechtliche Einordnung und Erarbeitung von Lösungsvorschlägen vornehmen, müsste er sich Unterstützung eines Anwaltes, evtl. aus der Kanzlei, bei der er angestellt ist, hinzuziehen. Dies kann der Kläger aber dadurch, dass er selbst Volljurist ist und auch anwaltlich tätig sein kann, selbst. Er ersetzt dadurch quasi die anwaltliche Unterstützung bei der eigenen Ausfüllung seiner Tätigkeit. Das Gericht sieht das als eindeutiges Indiz, dass er selbst eine anwaltliche Tätigkeit durchführt.
Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass Sinn und Zweck der berufsständischen Versorgung ist, dass Angehörige von Berufsgruppen, die traditionell in einem Versorgungswerk versichert sind, nicht mit einer doppelten Beitragszahlung belastet werden. Der Kläger hat ausgeführt, dass er seit 1.12.2010 bereits parallel in der gesetzlichen Rentenversicherung und der Versorgungskammer der Anwälte versichert ist. Bei beruflich nicht mehr konstanten Lebensläufen kann es nicht gewollt sein, dass Anwälte, die zeitweise als Anwälte in einer Kanzlei und dann als Anwälte bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber tätig sind zwischen dem Versorgungswerk der Anwälte und der gesetzlichen Rentenversicherung hinsichtlich der Beitragszahlung und Versorgung hin und her springen müssen.
Nach alledem war der Klage stattzugeben und dem Kläger ist auch weiterhin ab 1.12.2010 für die Tätigkeit als Kanzleimanager bei der Rechtsanwalts- GmbH B. die Befreiung von der Versicherungspflicht zu erteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
SG Würzburg:
Beschluss v. 20.08.2013
Az: S 4 R 1318/11
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