Verwaltungsgericht Lüneburg:
Beschluss vom 27. Oktober 2004
Aktenzeichen: 9 A 5/04

(VG Lüneburg: Beschluss v. 27.10.2004, Az.: 9 A 5/04)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Der Samtgemeindebürgermeister hat die Reise des Vorsitzenden des Antragstellers nach D. zur Inanspruchnahme externer rechtlicher Beratung untersagt. Der Antragsteller hält die Untersagung für unzulässig und hat das Gericht angerufen. Das Gericht entscheidet zugunsten des Antragstellers und stellt fest, dass der Samtgemeindebürgermeister die Reise nicht hätte untersagen dürfen. Gemäß § 39 Abs. 2 NPersVG sind Mitglieder des Personalrats von ihrer dienstlichen Tätigkeit befreit, soweit dies zur ordnungsgemäßen Durchführung der personalvertretungsrechtlichen Aufgaben erforderlich ist. Demzufolge ist eine vorherige Kontrolle der Notwendigkeit und Erforderlichkeit der Personalratstätigkeit grundsätzlich nicht erlaubt. Die Arbeitsunterbrechung darf nur dann untersagt werden, wenn der Wahrnehmung der Aufgabe zwingende dienstliche Gründe entgegenstehen oder die Aufgabe offensichtlich nicht der Erfüllung personalvertretungsrechtlicher Aufgaben dient. In diesem Fall war die Reise des Vorsitzenden nach D. zur Inanspruchnahme rechtlicher Beratung jedoch notwendig, da eine Zustimmung zu einer beabsichtigten Kündigung eines Angestellten erbeten wurde und es bei der Frage der Zustimmung rechtliche Probleme gab. Eine Kostenentscheidung ist nicht erforderlich.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

VG Lüneburg: Beschluss v. 27.10.2004, Az: 9 A 5/04


Der Umstand, dass sowohl § 39 Abs. 2 NPersVG als auch § 37 Abs. 2 NPersVG die Dienstbefreiung, die Lohnfortzahlung und die Reisekostenerstattung für nicht freigestellte Personalratsmitglieder davon abhängig machen, dass die wahrgenommene Aufgabe zur ordnungsgemäßen Durchführung personalvertretungsrechtlicher Aufgaben notwendig und erforderlich war, führt nicht dazu, dass diese Gesichtspunkte von der Dienststelle bereits vorher geprüft und deswegen die angezeigte Arbeitsunterbrechung oder Reise untersagt werden dürfen.

Gründe

I. Der Antragsteller begehrt die Feststellung, dass die Untersagung der für den 26. Mai 2004 angezeigten Reise seines Vorsitzenden zum Zweck externer rechtlicher Beratung durch den Samtgemeindebürgermeister der Beteiligten unzulässig gewesen sei.

Mit Schreiben vom 24. Mai 2004 zeigte der Vorsitzende des Antragstellers dem Samtgemeindebürgermeister der Beteiligten an, dass er in Erfüllung der Aufgaben des Antragstellers als dessen Vorsitzender am 26. Mai 2004 in der Zeit von 8.30 Uhr bis 11.00 Uhr eine Fahrt nach D. unternehmen werde, um rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen. Ein Entsendebeschluss des Antragstellers liege hierzu vor.

Der Samtgemeindebürgermeister der Beteiligten teilte dem Vorsitzenden des Antragstellers daraufhin durch Schreiben vom 25. Mai 2004 mit, dass er nach seinem jetzigen Kenntnisstand die Arbeitsunterbrechung untersagen müsse. Ihm sei als Dienststellenleiter nicht bekannt, dass objektiv Fragen des Personalrates offen seien, die nur durch eine externe rechtliche Beratung gelöst werden könnten. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der sparsamen Verwendung der Mittel - an den auch der Antragsteller gebunden sei - seien zunächst alle kostenlosen Informationsmöglichkeiten, insbesondere auch über die Dienststelle, auszuschöpfen.

Auf die Bitte des Vorsitzenden des Antragstellers vom 25. Mai 2004 an den Samtgemeindebürgermeister mitzuteilen, auf welche Rechtsprechung er sich bei seinem Kontroll- und Untersagungsrecht stütze und den Hinweis, dass eine Kostenerstattung für die Fahrt und die Beratung nicht beantragt seien und Kosten voraussichtlich auch nicht entstehen würden, erfolgte keine Reaktion.

Am 28. Mai 2004 hat der Antragsteller das Gericht angerufen. Er vertritt die Auffassung, dass für die Durchführung der Reise des Vorsitzenden neben seinem Entsendebeschluss lediglich die vorherige Anzeige an die Dienststelle erforderlich sei. Ein Recht, die Notwendigkeit der Reise vorher zu prüfen, stehe der Dienststelle nicht zu. Eine Überprüfung der Notwendigkeit der Reise könne erst im Rahmen der Reisekostenabrechnung erfolgen. Aus diesem Grund habe auch nicht die Arbeitsunterbrechung untersagt werden dürfen. Im Übrigen habe durch die Reise eine rechtliche Beratung durch Rücksprache mit den Personalräten zum Beispiel bei der Bezirksregierung D. und dem Landkreis D., aber auch mit Gewerkschaften ermöglicht werden sollen. Diese Beratung sei erforderlich gewesen im Hinblick auf die kurze Amtszeit der jetzigen Personalratsmitglieder und wegen der erbetenen Zustimmung zur Änderungskündigung eines Angestellten.

Der Antragsteller beantragt,

festzustellen, dass die Untersagung der Reise vom 26. Mai 2004 unzulässig war.

Die Beteiligte beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie führt aus, es habe eine Berechtigung des Vorsitzenden des Antragstellers für die vorgesehene Reise nach D. nicht bestanden. Das Erfordernis der Reise zum Zwecke der rechtlichen Beratung sei aus der Anzeige der Reise im Schreiben vom 24. Mai 2004 nicht ohne weiteres erkennbar gewesen. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der sparsamen Verwendung der Mittel seien zunächst alle kostenlosen Informationsmöglichkeiten, insbesondere auch über die Dienststelle, auszuschöpfen. Dass dieser Grundsatz vom Antragsteller beachtet worden sei, habe aufgrund der Anzeige nicht festgestellt werden können, so dass die Arbeitsunterbrechung zunächst habe untersagt werden dürfen. Die vom Antragsteller während des gerichtlichen Verfahrens vorgetragene Begründung für die Reise stelle keine hinreichende Darlegung zu Art und Umfang der angemeldeten Personalratstätigkeit dar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

II. Der Antrag ist zulässig und begründet.

Die begehrte Feststellung ist vom Gericht zu treffen. Denn der Samtgemeindebürgermeister der Beteiligten durfte die für den 26. Mai 2004 angezeigte Fahrt des Vorsitzenden des Antragstellers nach D. zwecks Inanspruchnahme rechtlicher Beratung und die damit verbundene Arbeitsunterbrechung nicht untersagen. Der Vorsitzende des Antragstellers durfte die Reise und die Arbeitsunterbrechung auch für notwendig halten. Hierzu ist im Einzelnen auszuführen:

14Rechtsgrundlagen für die im Streit befindliche personalrechtliche Angelegenheit, nämlich die für den 26. Mai 2004 vorgesehene Reise des Vorsitzenden des Antragstellers nach D. zur Wahrnehmung einer externen rechtlichen Beratung sind §§ 39 Abs. 2 Satz 1 und 37 Abs. 2 NPersVG. Nach § 39 Abs. 2 Satz 1 NPersVG sind Mitglieder des Personalrats von ihrer dienstlichen Tätigkeit befreit, soweit es zur ordnungsgemäßen Durchführung der personalvertretungsrechtlichen Aufgaben erforderlich ist. Die Reisen, die Mitglieder des Personalrats in Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben machen, sind der Dienststelle vorher anzuzeigen (§ 37 Abs. 2 NPersVG).

§ 39 Abs. 2 Satz 1 NPersVG stellt klar, dass Personalratsmitglieder kraft Gesetzes von ihrer dienstlichen Tätigkeit befreit sind, soweit es zur ordnungsgemäßen Durchführung der personalvertretungsrechtlichen Aufgaben erforderlich ist. Diese Nichtwahrnehmung dienstlicher Aufgaben wegen Verhinderung durch Personalratstätigkeit erfasst von Fall zu Fall unregelmäßig auftretende, ihrem Umfang und Zeitaufwand nach nicht im Voraus einschätzbare oder weniger umfangreiche Aufgaben des Personalrats und wird als €Befreiung€ im Gesetz abgegrenzt von der in § 39 Abs. 3 und Abs. 4 NPersVG geregelten €Freistellung€ zur ordnungsgemäßen Durchführung regelmäßig anfallender, hinsichtlich ihrer Dauer berechenbarer Aufgaben, die einen erheblichen Teil der Arbeitszeit beanspruchen. Die gesetzliche Befreiung von der dienstlichen Tätigkeit hat zur Folge, dass das Mitglied des Personalrats auch zur Durchführung unregelmäßig anfallender, unvorhersehbarer Personalratsaufgaben nicht noch einer gesonderten Dienst- oder Arbeitsbefreiung seitens der Dienststelle bedarf. § 39 Abs. 2 Satz 1 NPersVG lässt vielmehr beim Vorliegen seiner Voraussetzungen automatisch die Arbeitspflicht entfallen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.5.1980 - 6 P 82.78 -, PersV 1981, 366 und Beschluss vom 12.6.1984 - 6 P 34.82 -, Buchholz 238.3A, § 44 Nr. 11; Dembowski/Ladwig/Sellmann, Das Personalvertretungsrecht in Niedersachsen, Stand: Juni 2004, § 39 Rn 11). Dies wird dadurch bestätigt, dass auch zum Beispiel Reisen zur Erfüllung von Personalratsaufgaben der Dienststelle lediglich vorher anzuzeigen sind (§ 37 Abs. 2 Satz 2 NPersVG).

Ein nicht gemäß § 39 Abs. 3 NPersVG freigestelltes Personalratsmitglied hat sich trotz der gesetzlichen Befreiung von seiner dienstlichen Tätigkeit gleichwohl zur Erledigung von Personalratsaufgaben bei der Dienststelle abzumelden. Diese Pflicht ergibt sich schon aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Denn die Dienststelle kann bei unregelmäßig anfallenden Aufgaben des Personalrats nicht wissen, welches Mitglied zu welchem Zeitpunkt und für welchen Zeitraum seinen Dienst nicht verrichten kann. Eine Abmeldung, die rechtzeitig gegenüber der Leitung der Dienststelle oder dem zuständigen Vorgesetzten erfolgen muss, ist deshalb grundsätzlich erforderlich, damit für die notwendige Vertretung gesorgt werden kann. Bei der Abmeldung hat das Personalratsmitglied zwar der Dienststelle Ort und voraussichtliche Dauer der beabsichtigten Personalratstätigkeit mitzuteilen. Jedoch: Auch nur stichwortartige Angaben zu deren Art können grundsätzlich nicht verlangt werden (vgl. Dembowski/Ladwig/Sellmann, aaO, § 39 Rn 12). Dies würde auf eine unzulässige vorherige Kontrolle der Personalratstätigkeit hinauslaufen. Lediglich im Rahmen der nachfolgenden Prüfung der gemäß § 39 Abs. 2 Satz 2 NPersVG bestehenden Lohnfortzahlungspflicht oder der nach § 37 Abs. 2 Satz 1 NPersVG bestehenden Pflicht zur Reisekostenerstattung besteht eine abgestufte Darlegungslast hinsichtlich der durchgeführten Personalratstätigkeit. Stichwortartige Angaben zum Zwecke der Prüfung der Erforderlichkeit der Personalratstätigkeit kann der Arbeitgeber aber nur verlangen, wenn anhand der konkreten Situation und des Zeitaufwands erhebliche Zweifel an der Erforderlichkeit der Tätigkeit bestehen. Nur wenn dadurch die erheblichen Zweifel nicht ausgeräumt werden, hat das Personalratsmitglied substantiiert darzulegen, welche Aufgaben es wahrgenommen hat und woraus sich die Erforderlichkeit ergibt (vgl. Dembowski/Ladwig/Sellmann, aaO., § 39 Rn 28).

Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze war es dem Samtgemeindebürgermeister der Beteiligten nicht gestattet, die mit Schreiben vom 24. Mai 2004 angezeigte Reise des Vorsitzenden des Antragstellers und die damit verbundene Arbeitsunterbrechung zu untersagen. Denn eine vorherige Kontrolle der Notwendigkeit und Erforderlichkeit der Personalratstätigkeit ist grundsätzlich gerade nicht erlaubt. Eine Untersagung ist zum einen nur dann möglich, wenn der Wahrnehmung der Aufgabe zu dem vorgesehenen Zeitpunkt oder durch das betreffende Mitglied zwingende dienstliche Gründe entgegenstehen, wobei allerdings ein strenger Maßstab anzulegen ist (vgl. Dembowski/Ladwig/Sellmann, aaO, § 39 Rn 13). Zum anderen kommt eine Untersagung allenfalls dann noch in Betracht, wenn die Aufgabe, die wahrgenommen werden soll, offensichtlich nicht der Erfüllung personalvertretungsrechtlicher Aufgaben dient. Das war hier indes ersichtlich nicht der Fall.

Der Umstand, dass sowohl § 39 Abs. 2 als auch § 37 Abs. 2 NPersVG die Dienstbefreiung, die Lohnfortzahlung und die Reisekostenerstattung davon abhängig machen, dass die wahrgenommene Aufgabe zur ordnungsgemäßen Durchführung personalvertretungsrechtlicher Aufgaben notwendig und unter Beachtung des Gebotes der sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel erforderlich war, führt nicht dazu, dass diese Gesichtspunkte bereits vorher geprüft und davon etwa die Arbeitsbefreiung bzw. Reise abhängig gemacht werden darf. Vielmehr liegt es insoweit im Risikobereich des Personalrates, ob er nachträglich tatsächlich die Kosten erstattet bekommt oder möglicherweise das Personalratsmitglied den Lohn nicht fortgezahlt bekommt oder gar wegen Nichterfüllung seiner Dienstpflichten belangt wird.

19Im Hinblick auf die hier im Streit befindliche Reise nach D. ist darüber hinaus festzustellen, dass der Vorsitzende des Antragstellers die Reise für notwendig halten durfte. Bei ihm war mit Schreiben des Samtgemeindebürgermeisters der Beteiligten vom 19. Mai 2004 die Zustimmung zu einer beabsichtigten Kündigung eines Angestellten angefragt worden. In diesem Zusammenhang durfte der Antragsteller eine externe Beratung durchaus für notwendig halten, zumal alle Personalratsmitglieder sich erst seit gut 2 Monaten im Amt befanden. Bei der Frage der Zustimmung stand das nicht einfache rechtliche Problem im Raum, inwieweit der Personalrat bei der Änderungskündigung Einwände daraus herleiten durfte, dass diese sich aus einer Organisationsveränderung bei der Beteiligten ergab, zu der der Antragsteller möglicherweise noch nicht ausreichend informiert und beteiligt worden war.

Einer Kostenentscheidung im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren bedarf es nicht, da das Verfahren frei von Gebühren und Auslagen des Gerichts ist (§ 12 Abs. 5 ArbGG) und eine Erstattung der Aufwendungen der Beteiligten nicht vorgesehen ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2.5.1957 - II C 02.56 -, BVerwGE 4, 357/359; Bieler/Müller-Fritzsche, NPersVG, 11. Aufl. 2003, § 83 Rn 36).

Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf §§ 8 Abs. 2, 10 Abs. 1 BRAGO i. V. m. § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG i. d. F. des Art. 3 KostRMoG v. 5. Mai 2004 (BGBl. 718).






VG Lüneburg:
Beschluss v. 27.10.2004
Az: 9 A 5/04


Link zum Urteil:
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