Oberlandesgericht Oldenburg:
Urteil vom 25. August 2005
Aktenzeichen: 1 U 60/05
(OLG Oldenburg: Urteil v. 25.08.2005, Az.: 1 U 60/05)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Oberlandesgericht Oldenburg hat in einem Urteil vom 25. August 2005 (Aktenzeichen 1 U 60/05) eine Berufung zugunsten des Klägers entschieden. Der beklagten Partei wurde untersagt, im geschäftlichen Verkehr für eine sogenannte "Haaranalyse" mit bestimmten Werbeaussagen zu werben. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die beklagte Partei in erster und zweiter Instanz.
Der Kläger ist klagebefugt und hat glaubhaft gemacht, dass ihm eine erhebliche Anzahl an Mitgliedern angehört, die auf demselben Markt wie die beklagte Partei tätig sind und durch die Werbung beeinträchtigt werden. Alle weiteren Voraussetzungen für einen Antrag auf einstweilige Verfügung sind ebenfalls erfüllt.
Die Werbung der beklagten Partei verstößt gegen das Verbot irreführender Werbung. Im Bereich der Gesundheitswerbung gelten besonders hohe Anforderungen an die Richtigkeit und Klarheit der Aussagen. Die vom Gericht angeführten spezifischen Darlegungs- und Beweisregeln im Fall einer irreführenden Gesundheitswerbung gelten auch hier. Die beklagte Partei hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihre Werbeaussagen zur Brauchbarkeit der Haaranalyse für die medizinischen Zwecke wissenschaftlich anerkannt sind.
Die beklagte Partei hat auch nicht nachgewiesen, dass das Gewicht der Gegenstimmen unbedeutend ist und ihre Aussagen von einer wissenschaftlich anerkannten Auffassung getragen werden. Die von ihr beworbene Haaranalyse ist fachwissenschaftlich umstritten und nicht anerkannt. Auch der Einwand der beklagten Partei, dass Unsicherheitsfaktoren bei der konkreten Umsetzung der Analyse ausgeschlossen sind, ist in diesem Zusammenhang irrelevant.
Das Verhalten der beklagten Partei ist demnach irreführend und wettbewerbswidrig. Die Wettbewerbswidrigkeit betrifft den gesamten Werbetext, da die maßgebliche Wirkungsaussage den Text sinngebend gestaltet. Die Entscheidung des Gerichts beschränkt das Verbot auf die Beschreibung der Wirkungen und Vorteile der Haaranalyse und basiert auf dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Meinungsstand.
Die Kostenentscheidung folgt den üblichen Regelungen, und eine Vollstreckbarkeitsentscheidung war nicht notwendig, da das Urteil nicht mit der Revision angegriffen werden kann.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
OLG Oldenburg: Urteil v. 25.08.2005, Az: 1 U 60/05
Tenor
Auf die Berufung des Verfügungsklägers wird das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Aurich vom 14. Juni 2005 geändert.
Dem Verfügungsbeklagten wird bei Vermeidung eines vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten untersagt, im geschäftlichen Verkehr für eine sogenannte €Haaranalyse€ wie folgt zu werben:
1. €Das Haar: Spiegel unserer Gesundheit.€
2. €Wenn wir unser Haar untersuchen, können wir, wie in einem Tagebuch, das Stoffwechselgeschehen in unserem gesamten Organismus zurückverfolgen.
Wir erhalten nicht nur ein Standbild, wie es in vergleichbarer Weise bei einer Blutuntersuchung zu erwarten ist, sondern einen 'Film', der ein länger dauerndes Stoffwechselgeschehen anschaulich rekonstruiert: Unsere Ernährung, die Umweltbelastung, der wir ausgesetzt sind, unsere gesamte Lebensweise wird vor uns ausgebreitet.€
3. €Die Haar-Mineralstoffanalytik ist daher ein ausgezeichnetes Instrument zur Feststellung des aktuellen Status bzw. der Vorsorgemedizin.€
4. €Wir alle wissen, dass es gar nicht möglich ist, allen Gefahren aus dem Wege zu gehen, die unsere Gesundheit bedrohen. Deshalb ist es umso wichtiger, den Ursachen auf die Spur zu kommen, die für die oft verniedlichten 'Befindlichkeitsstörungen' verantwortlich sind. Diese sind häufig ein Alarmsignal, das unser Organismus im Vorfeld einer ernst zu nehmenden Erkrankung aussendet.€
Der Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz.
Gründe
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
Die Berufung des Verfügungsklägers hat Erfolg, weil sein Unterlassungsantrag zulässig und begründet ist.
1. Der Verfügungskläger ist nach § 8 Abs. 3 Nr. 2UWG klagebefugt. Er ist gemäß § 1 Nr. 4 UKlaV als branchenübergreifend und überregional tätiger Wettbewerbsverband i.S.d. § 13 Abs. 5 Nr. 2 UKlaG festgestellt. Darüber hinaus hat er glaubhaft gemacht, dass ihm eine erheblich Anzahl an Mitgliedern angehört, die €auf demselben Markt€, auf dem der Verfügungsbeklagte mit der beanstandeten Internet-Werbung Kunden wirbt, durch das Angebot von Waren oder gewerblichen Leistungen gleicher oder verwandter Art tätig sind und durch die Werbung des Verfügungsbeklagten in ihren Interessen berührt werden.
Auch die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung liegen vor. Insbesondere wird die Einbedürftigkeit der begehrten Regelung vermutet (§ 12 Abs. 2 UWG).
2. Der Antrag ist auch sachlich begründet. Die Werbung des Verfügungsbeklagten verstößt gegen das Verbot irreführender Werbung (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG). Der Verfügungskläger hat diesen Verstoß glaubhaft gemacht.
Das Landgericht hat gemeint, der Verfügungskläger habe den geltend gemachten Anspruch nicht glaubhaft gemacht, weil seine Mitglieder ohne sachverständige Hilfe nicht in der Lage seien, die von beiden Parteien vorgelegten €wissenschaftlichen€ Aussagen sachgerecht zu werten. Dieser Ansicht vermag der Senat nicht zu folgen.
Zwar besteht auch nach der Rechtsprechung des Senats ein vertretbarer Grund für eine Zurückweisung des Verfügungsantrags, wenn die Schlüssigkeit der vorgetragenen anspruchsbegründenden Tatsachen mit den im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zulässigen Mitteln nicht überprüft werden kann. Im Streitfall kann diese Erwägung die Zurückweisung des Verfügungsantrags jedoch nicht rechtfertigen. Denn es oblag nicht dem Verfügungskläger glaubhaft zu machen, dass die Wirkungsaussagen in der Werbung nicht dem anerkannten Meinungsstand in der Wissenschaft entsprechen. Vielmehr musste der Verfügungsbeklagte glaubhaft machen, dass seine Aussagen zur Brauchbarkeit der Haaranalyse für die reklamehaft angepriesenen Zwecke wissenschaftlich anerkannt sind.
Sachlich hat der Verfügungsbeklagte mit der Haaranalyse eine Untersuchung beworben, deren Ergebnisse über €das Stoffwechselgeschehen in unserem gesamten Organismus€ angeblich sichere Anhaltspunkte ergeben sollen, aus denen verlässliche Schlussfolgerungen auf den Gesundheitszustand und eine mögliche Behandlungsbedürftigkeit zu ziehen sind. Der Verfügungsbeklagte wirbt danach für eine Dienstleistung, die als für die Gesundheit förderlich angepriesen wird; er betreibt also Gesundheitswerbung. In diesem Bereich bestehen besonders hohe Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Aussagen (sog. €Strengeprinzip€ - BGH GRUR 2002, 182, 185 - Das Beste jeden Morgen; Bornkamm in Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 23. Aufl., § 5 Rn. 4.176).
Diese Anforderungen sind nicht auf Werbeaussagen über die therapeutische Wirksamkeit von €medizintechnischen Mitteln€ beschränkt. Sie gelten ebenso für Aussagen über die Tauglichkeit und Verlässlichkeit bestimmter Maßnahmen diagnostischer Art im sachlichen Vorfeld einer Behandlung im engeren Sinne. Mit den wettbewerbsrechtlichen Verboten im Gesundheitswesen sollen allgemein Gesundheitsgefährdungen verhindert werden. Dabei kommt dem Irreführungsverbot eine erhebliche Bedeutung zu. Denn gerade im Bereich der Gesundheitswerbung sind die Gefahren einer Irreführung der Werbeadressaten und einer daraus resultierenden Beeinträchtigung ihrer Gesundheit besonders hoch. Diese Gefahren beruhen auf dem unverhältnismäßig hohen Anteil an sachlicher Unkenntnis der Werbeadressaten einerseits und deren aus Sorge um die eigene Gesundheit stark emotional geprägten und daher häufig leichtgläubig getroffenen Entscheidungen andererseits. Vor der Veranlassung fehlerhafter oder übertriebener Erwartungen an die Erkenntnismöglichkeiten aufgrund einer angebotenen Diagnose ist der Werbeadressat deshalb ebenso intensiv zu schützen wie vor der Veranlassung vergleichbarer Erwartungen an die therapeutische Wirksamkeit eines zur Vorbeugung oder Heilung angepriesenen Mittels.
Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass hier auch die für die Fälle der irreführenden Gesundheitswerbung aufgestellten spezifischen Darlegungs- und Beweislastregeln (BGH GRUR 1991, 848, 849 - Rheumalind II) gelten. Diese Regeln weichen von der üblichen Beweislastverteilung im Fall des Vorwurfs einer irreführenden Werbung ab. Grundsätzlich muss der Antragsteller/Kläger, der den Vorwurf einer Irreführung erhebt, die Unrichtigkeit der Werbung beweisen. Wer im Bereich des Gesundheitswesens mit einer Wirksamkeitsaussage wirbt, die in medizinischen Fachkreisen nicht ganz überwiegend anerkannt wird, muss auf diesen Umstand hinreichend deutlich hinweisen. Tut er das nicht, muss er im gerichtlichen Verfahren entweder die gegnerische Behauptung eines fachlichen Streits über die Tauglichkeit zu dem mit der Werbung verlautbarten Zweck widerlegen oder jedenfalls nachweisen, dass das Gewicht der Gegenstimmen unbedeutend ist und deshalb gleichwohl seine Aussage von einer wissenschaftlich gefestigten und daher anerkannten Auffassung getragen wird. Diesen Anforderungen genügen weder das Werbeverhalten noch der Vortrag des Verfügungsbeklagten.
Die Wirksamkeitsaussagen, die der Verfügungsbeklagte werbend herausgestellt hat, sind nicht anerkannt. Im Gegenteil lässt sich auch ohne spezifischen medizinischen Sachverstand aus den von dem Verfügungskläger vorgelegten Unterlagen zweifelfrei entnehmen, dass die Tauglichkeit der Haaranalyse für die in der Werbung beschriebenen Zwecke fachwissenschaftlich umstritten ist. Der Verfügungsbeklagte hat aber die Haaranalyse einschränkungslos als brauchbares Mittel für die im Kontext erwähnten medizinischen Zwecke beworben. Das erweckt auch bei einem durchschnittlich informierten und interessierten Werbeadressaten den Eindruck, es handele sich um ein fachwissenschaftlich nicht relevant umstrittenes und daher anerkanntes Mittel zur Aufdeckung von behandlungsbedürftigen Gesundheitsstörungen.
Der Verfügungsbeklagte hat sich nicht entlastet. Er hat weder glaubhaft gemacht, dass der Streit (in Wirklichkeit) nicht besteht noch dass das Gewicht der Gegenstimmen unbedeutend ist und deshalb gleichwohl seine Aussage von einer wissenschaftlich gefestigten und daher anerkannten Auffassung getragen wird.
Im Grunde hat der Verfügungsbeklagte schon in seiner Schutzschrift selbst eingeräumt, dass es eine (noch nicht abgeschlossene) wissenschaftliche Diskussion über die Aussagekraft der von ihm beworbenen Haaranalyse gibt. Dass es sich bei diesem Streit nur um einen für die Sache unerheblichen prinzipiellen Konflikt zwischen einer im konservativen Denken verhafteten €Schulmedizin€ einerseits und einer modernen Erkenntnissen nicht verschlossenen €fortschrittlichen€ Medizin andererseits handelt, erschließt sich aus dem Sachverhalt nicht. Im Gegenteil belegen die vom Verfügungskläger vorgelegten Unterlagen zweifelsfrei, dass die Gegenstimmen auf durchaus handfeste und sachbezogene Untersuchungsergebnisse gestützt werden.
Unerheblich ist auch der Einwand des Verfügungsbeklagten, dass die von ihm beworbene Analyse in ihrer konkreten Umsetzung infolge der sachkundigen Vorbereitung und Begleitung Unsicherheitsfaktoren ausschließt. Der Verfügungsbeklagte übersieht dabei, dass der Senat im Rahmen des Wettbewerbsstreits nicht über die objektive Tauglichkeit der Haaranalyse zu befinden hat, sondern darüber, ob die Mittel und die Ergebnisse der angewandten Untersuchung fachlich anerkannt sind. Besondere Vorkehrungen zur Vermeidung relevanter Unsicherheitsfaktoren bedürfen ebenfalls der vom Verfügungsbeklagen glaubhaft zu machenden fachlichen Anerkennung. Ganz abgesehen davon wäre der Vortrag des Verfügungsbeklagten ohnehin allenfalls dann ein für seine Entlastung taugliches Mittel der Glaubhaftmachung, wenn der Vortrag durch eine fachkundige Begutachtung bestätigt und in dieser Form in einer prozessual verwertbaren Weise in das Verfahren eingeführt worden wäre.
Das Verhalten des Verfügungsbeklagten ist danach irreführend und gem. § 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG wettbewerbswidrig. Die Wettbewerbswidrigkeit betrifft den Werbetext in seiner Gesamtheit, weil die maßgebliche Wirkungsaussage den Gesamttext sinngebend gestaltet. Es wäre deshalb unangebracht, einzelne Textsequenzen von dem Werbeverbot auszunehmen. Das wäre auch unnötig. Denn aus der Begrenzung der Entscheidung auf den Streitgegenstand ergibt sich ohnehin, dass das Verbot der Verwendung des Werbetextes lediglich in Bezug auf die Beschreibung der Wirkungen und Vorteile der hier in Rede stehenden Haaranalyse und auf der Grundlage des gegenwärtigen fachwissenschaftlichen Meinungsstands besteht.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Eine Vollstreckbarkeitsentscheidung war nicht geboten, weil die Entscheidung des Senats nicht mit der Revision angegriffen werden kann (§ 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
OLG Oldenburg:
Urteil v. 25.08.2005
Az: 1 U 60/05
Link zum Urteil:
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