Oberlandesgericht Hamburg:
Urteil vom 1. September 2015
Aktenzeichen: 7 U 7/13

(OLG Hamburg: Urteil v. 01.09.2015, Az.: 7 U 7/13)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Oberlandesgericht Hamburg hat in seinem Urteil vom 1. September 2015 (Aktenzeichen 7 U 7/13) die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 14. Dezember 2012, Az. 324 O 64/12, zurückgewiesen. Der Kläger muss die Kosten des Berufungsverfahrens tragen.

Der Kläger, ein Verbraucherschutzverein, fordert von der Beklagten, einem Lebensmittelhersteller, die Unterlassung einer Pressemitteilung. In der Pressemitteilung behauptet die Beklagte, dass Wissenschaftler die cholesterinsenkende Wirkung ihres Produkts bestätigen und dass keine Nebenwirkungen bekannt seien. Der Kläger sieht darin eine unwahre Tatsachenbehauptung und stützt sein Begehren auf verschiedene gesetzliche Bestimmungen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Kläger hat dagegen Berufung eingelegt. Das Oberlandesgericht ist jedoch zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustehen. Weder aus § 1004 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB und § 186 StGB noch aus § 1004 BGB analog in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB und dem allgemeinen Verbandspersönlichkeitsrecht können Ansprüche des Klägers begründet werden. Die angegriffene Äußerung der Beklagten stellt keine unwahre Tatsachenbehauptung dar, sondern eine Meinungsäußerung. Das Gericht kommt zu dem Schluss, dass die Äußerung aufgrund des Kontexts und des Anlasses, nämlich einer Kritik des Klägers, als Meinungsäußerung des Herstellers zu verstehen ist.

Auch aus § 8 Abs. 1 UWG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Nr. 1 oder § 4 Nr. 11 UWG ergeben sich keine Ansprüche des Klägers. Die angegriffene Äußerung enthält keine unwahren Angaben über die wesentlichen Merkmale des Produkts und verstößt nicht gegen gesetzliche Vorschriften. Eine Verletzung der Health-Claim-Verordnung oder des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs liegt nicht vor.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung daher als unbegründet zurückgewiesen und die Kosten des Berufungsverfahrens dem Kläger auferlegt. Gegen das Urteil ist keine Revision möglich, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

OLG Hamburg: Urteil v. 01.09.2015, Az: 7 U 7/13


Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 14. Dezember 2012, Az. 324 O 64/12, wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten neben der Erstattung von Abmahnkosten, es zu unterlassen, eine Pressemitteilung, die die Beklagte unter dem 15. November 2011 mit dem Titel €Wissenschaftler bestätigen die cholesterinsenkende Wirkung von B... - f... verunsichert vorsätzlich Verbraucher mit Halbwahrheiten€ zu verbreiten, solange sie den darin zitierten Satz eines Dritten enthält: €Und aus wissenschaftlicher Sicht gibt es keinen Hinweis darauf, dass der Verzehr Pflanzensterin-angereicherter Produkte mit Nebenwirkungen in Verbindung zu bringen ist€.

Der Kläger ist ein eingetragener Verein, dessen Vereinszweck der Verbraucherschutz ist. Er ist eine in die nach § 4 UKlaG geführte Liste der klagebefugten Verbraucherschutzverbände aufgenommene Vereinigung. Die Beklagte betreibt ein Unternehmen, das u.a. Lebensmittel herstellt und vertreibt. Die Beklagte produziert und vertreibt u.a. das Produkt €B...€, ein Streichfett. Der Kläger hatte sich mit kritischen Äußerungen gegen dieses Produkt an die Öffentlichkeit gewandt. Hierauf hat die Beklagte mit einer Pressemitteilung vom 25. November 2011 reagiert, die folgenden Inhalt hat (der mit dem Klagantrag hervorgehobene Satz ist vom Senat durch Fettdruck hervorgehoben):

Wissenschaftler bestätigen die cholesterinsenkende Wirkung von B...15/11/2011foodwatch verunsichert vorsätzlich Verbraucher mit HalbwahrheitenHamburg, 15.11.2011 - B... ist ein Lebensmittel und dient der gesunden Ernährung. Die cholesterinsenkende Wirkung ist in über 40 Studien bewiesen, Risiken oder Nebenwirkungen sind nicht bekannt, das Produkt ist seit über 11 Jahren auf dem Markt. B... gehört zu den wenigen Lebensmitteln, dessen Wirkversprechen (Health Claim) nach intensiver Prüfung der Europäischen Kommission freigegeben wurde.U... selbst steht aus seiner Verantwortung dem Verbraucher gegenüber im ständigen Austausch mit führenden Herz-Kreislaufspezialisten, um immer auf dem aktuellsten Forschungsstand zu sein. Die Diskussion mit Wissenschaftlern hinsichtlich der Medien-Kampagne von f... ergab folgende Einschätzung:Prof. Dr. H..., Universität Gießen:€Der Zusammenhang zwischen einem gesenkten LDL-Cholesterinspiegel und der Verringerung des Risikos von Herzkrankheiten kann als absolut gesichert betrachtet werden. Der Einsatz von Pflanzensterin-angereicherten Produkten ist daher ein gutes Konzept, um eine Senkung des Cholesterinspiegels und damit eine Risikoreduzierung für eine koronare Herzkrankheit zu erreichen. Alle durchgeführten experimentellen Studien haben ja gezeigt, dass es zu einem Rückgang der Arteriosklerose kommt. Und aus wissenschaftlicher Sicht gibt es keinen Hinweis darauf, dass der Verzehr Pflanzensterin-angereicherter Produkte mit Nebenwirkungen in Verbindung zu bringen ist. Bedenklich ist allerdings, dass f...durch seine Kampagne zu einer Verunsicherung der Verbraucher beiträgt. Nicht der Verkauf von Pflanzensterin-angereicherten Produkten im Supermarkt ist aus meiner Sicht das Problem, sondern das wirkliche Problem ist, dass f... durch seine Kampagne dazu beiträgt, dass einige Verbraucher mit erhöhten Cholesterinspiegeln die für sie sinnvollen Produkte eventuell nicht mehr verzehren.€Prof. Dr. E..., Hamburg: €Der Wirkmechanismus Pflanzensterin-angereicherter Lebensmittel zur Senkung des Cholesterinspiegels durch Hemmung der Cholesterinaufnahme ist genauso einfach wie intelligent. Und der Nutzen eines niedrigen Cholesterinspiegels ist durch verschiedenste Methoden zur Cholesterinsenkung wie Lipidsenker oder Ernährung gut belegt - das Risiko für eine koronare Herzkrankheit bzw. Herzinfarkt sinkt. Dies ist auch nicht anders für die Cholesterinspiegelsenkung durch Pflanzensterin-angereicherte Produkte zu erwarten.€Die von f... geäußerten Sicherheitsbedenken wegen der gering erhöhten Pflanzensterinspiegel, wie sie bei langfristigem Verzehr der Produkte zuweilen beobachtet werden, weist Prof. W... zurück: €Wenn sich dadurch ein erhöhtes Risiko für eine koronare Herzkrankheit ergeben würde, müssten Pflanzensterine eine vielfach höhere Atherogenität als Cholesterin aufweisen. Dafür aber gibt es keinen Anhalt. Denn der Cholesterinspiegel sinkt etwa zwanzigfach stärker als der Pflanzensterinspiegel ansteigen kann. Die Pflanzensterinspiegel bleiben mit etwa 1 mg/dl sehr gering im Vergleich zu den Cholesterinspiegeln, die etwa bei 200 mg/dl liegen. Deshalb lässt sich auch nicht aus den von f...zitierten Ablagerungen von Pflanzensterinen in Gefäßwänden und Herzklappen ein Hinweis für ein Risiko ableiten. Seit Jahrzehnten weiß man, dass Pflanzensterine sich in Geweben und Blutgefäßen, also auch in arteriosklerotischen Plaques oder auch sklerotischen Herzklappen, genauso wie Cholesterin verteilen."U... wird auch weiterhin sein Produkt B... im Supermarkt verkaufen und fordert f... auf, mit sofortiger Wirkung seine den Verbraucher verunsichernde Kampagne einzustellen.

Der Kläger sieht in der angegriffenen Äußerung eine unwahre Tatsachenbehauptung. Er stützt sein Begehren sowohl auf § 1004 Abs. 1 BGB analog in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB und dem allgemeinen Verbandspersönlichkeitsrecht sowie in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB und § 186 StGB als auch auf § 8 Abs. 1 UWG in Verbindung mit §§ 4, 5 UWG.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich der Kläger mit seiner Berufung.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils

1. die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollstrecken an den jeweils verantwortlichen Geschäftsführern,zu unterlassen,die Pressemitteilung vom 15. November 2011 mit dem Titel €Wissenschaftler bestätigen die cholesterinsenkende Wirkung von B... - f... verunsichert vorsätzlich Verbraucher mit Halbwahrheiten€ inklusive des Satzes €Und aus wissenschaftlicher Sicht gibt es keinen Hinweis darauf, dass der Verzehr Pflanzensterin-angereicherter Produkte mit Nebenwirkungen in Verbindung zu bringen ist€ zu verbreiten;

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.647,44 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

In der Berufung wiederholen und vertiefen die Parteien ihren bisherigen Vortrag.

Wegen der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Protokolle der mündlichen Verhandlungen, die angefochtene Entscheidung und die Ausführungen unten unter II. Bezug genommen.

II. Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist aber in der Sache nicht begründet. Das Landgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustehen.

1. Der Unterlassungsanspruch folgt - eine Betroffenheit des Klägers von der angegriffenen Äußerung unterstellt - nicht aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB und § 186 StGB. Diese Anspruchsgrundlage erfasst nur unzutreffende Tatsachenbehauptungen. Die angegriffene Äußerung ist aber keine Tatsachenbehauptung, sondern eine Meinungsäußerung. Während Tatsachen dem Beweis zugänglich sind, handelt es sich bei Meinungsäußerungen um Äußerungen, die maßgeblich von dem Moment der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt sind und deren Inhalt sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lässt; ob der Leser eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung auffasst, ist dabei anhand des konkreten Kontexts zu ermitteln, in dem die Äußerung fällt (BGH, Urt. v. 16. 6. 1998, NJW 1998, S. 3047 f., 3048). Die angegriffene Äußerung wird hier von dem Durchschnittsleser nicht dahingehend verstanden, dass es überhaupt keine Stelle gebe, die die Auffassung vertreten würde, dass Pflanzensterin-angereicherte Produkte Nebenwirkungen hätten. Aus dem Kontext - insbesondere dem Umstand, dass mit der Pressemitteilung auf Angriffe seitens des Klägers erwidert wird und die von dem Kläger €geäußerten Sicherheitsbedenken wegen der gering erhöhten Pflanzensterinspiegel, wie sie bei langfristigem Verzehr der Produkte zuweilen beobachtet werden€, im weiteren Verlauf der Pressemitteilung ausdrücklich in Bezug genommen werden - wird dem Leser vielmehr deutlich, dass es durchaus Stimmen gibt, die das Auftreten von Nebenwirkungen bejahen. Diesen wird in der angegriffenen Äußerung von dem darin zitierten Prof. K... lediglich entgegengehalten, dass sie nicht €aus wissenschaftlicher Sicht€ erfolgten. Ob eine Aussage einer wissenschaftlichen Sichtweise entspricht oder nicht, ist aber ganz maßgeblich von einer Bewertung der jeweiligen Äußerung und ihres Urhebers abhängig, die einer Überprüfung durch Mittel des Tatsachenbeweises nicht zugänglich ist. Dass es der Beklagten selbst in ihrer Pressemitteilung um eine Bewertung der geäußerten Kritik geht und nicht darum, die Existenz kritischer Stimmen zu bestreiten, wird dem Leser zudem dadurch deutlich gemacht, dass die angegriffene Äußerung damit eingeleitet wird, es folge eine €Einschätzung€ der Kritik durch die nachfolgend zitierten Wissenschaftler.

Auch aus § 1004 BGB analog in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB und dem allgemeinen (Verbands-)Persönlichkeitsrecht (Artt. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG) lässt sich ein Anspruch des Klägers nicht begründen. Aus dem Gesichtspunkt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts können im Einzelfall zwar auch Meinungsäußerungen untersagt werden, dies in Anbetracht der in Art. 5 Abs. 1 GG grundrechtlich garantierten Meinungsfreiheit aber nur in eng umrissenen Ausnahmefällen. Von diesen ist hier jedenfalls keiner gegeben; denn die angegriffene Äußerung ist weder eine Formalbeleidigung noch eine den Kläger herabsetzende Schmähung. So wie der Kläger berechtigt ist, die von der Beklagten ins Feld geführten Studien und ihre Urheber als nicht stichhaltig oder wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügend zu rügen, darf auch die Beklagte in Erwiderung auf eine solche Kritik derartige Auffassungen vertreten. Damit nimmt sie nur die Rechte wahr, die einen lebendigen Meinungsaustausch garantieren und damit das Kommunikationsmodell verwirklichen, von dem die grundrechtliche Garantie der Meinungsfreiheit ausgeht, wonach eine Stelle, die sich selbst an die Öffentlichkeit wendet, grundsätzlich keinen Anspruch auf einen Freiraum hat, in dem sie davon befreit wäre, öffentlich mit entgegenstehenden Auffassungen anderer konfrontiert zu werden (s. etwa BVerfG, Urt. v. 22. 2. 2011, NJW 2011, S. 1201 ff., 1298).

Da der Kläger nur einen auf § 1004 BGB analog gestützten Unterlassungsanspruch abgemahnt hat, ihm ein solcher Anspruch aber nicht zusteht, hat er auch keinen Anspruch auf Erstattung der für die Abmahnung aufgewandten Rechtsanwaltskosten.

2. Auch aus § 8 Abs. 1 UWG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Nr. 1 oder § 4 Nr. 11 UWG steht dem Kläger ein Anspruch nicht zu. Der Kläger ist als in die nach § 4 UKlaG geführte Liste der klagebefugten Verbraucherschutzverbände aufgenommene Vereinigung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UKlaG zwar berechtigt, Stellen, die Vorschriften zuwiderhandeln, welche dem Schutz der Verbraucher dienen, im Interesse des Verbraucherschutzes auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen, und zu den ihm zustehenden Ansprüchen gehören nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG auch die sich aus §§ 1 bis 7 UWG ergebenden Ansprüche. Soweit der Kläger Ansprüche dieser Art erstmals in der Berufung geltend macht, sieht der Senat dies unabhängig von der Frage, ob darin eine Klageänderung liegt, jedenfalls als sachdienlich im Sinne von § 533 ZPO an, da auf der Grundlage des bisherigen tatsächlichen Prozessstoffs über diese Ansprüche entschieden werden kann.

a) Ein Verstoß des Klägers gegen § 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG, wonach u.a. unlauter handelt, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über die wesentlichen Merkmale einer Ware wie Vorteile, Risiken, Zusammensetzung oder von der Verwendung zu erwartende Ergebnisse oder die Ergebnisse oder wesentlichen Bestandteile von Tests der Waren enthält, ist nicht gegeben. Angaben im Sinne dieser Norm sind Informationen, und hierunter fallen nur Äußerungen über Tatsachen (Bornkamm in Köhler / Bornkamm, UWG, 33. Aufl., Rdnrn. 2.36 und 2.37 m.w.N.). Zu diesen gehört die angegriffene Äußerung indessen, wie ausgeführt, nicht.

b) Auch ein Verstoß gegen § 4 Nr. 11 UWG, wonach unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, liegt nicht vor.

aa) Die angegriffene Äußerung ist keine Äußerung, deren Verbreitung der Beklagten nach Art. 3 der Health-Claim-Verordnung (HCVO) versagt wäre. Da die angegriffene Äußerung auch nach Inkrafttreten der Verordnung von der Beklagten verbreitet worden ist, kommt es auf den von den Parteien diskutierten Umstand, dass die Verordnung bei erstmaligem Einstellen der Pressemitteilung in das Internet noch nicht galt, nicht an.

22Art. 3 HCVO verbietet Angaben der von ihm erfassten Art nur bei der Kennzeichnung und Aufmachung der Lebensmittel selbst oder bei der €Werbung€ für diese. Werbung ist nach der Legaldefinition in Art. 2 Buchstabe a) der RICHTLINIE 2006/114/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 12. 12. 2006 (Werberichtlinie) jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, zu fördern. Ob die hier angegriffene Äußerung darunter fällt, erscheint fraglich; denn bei der Frage, ob eine Äußerung als €Werbung€ zu klassifizieren ist, sind die Grundsätze der Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG zu beachten (BVerfG, Beschl. v. 7. 11. 2002, NJW 2003, S. 277 ff., 278; Ohly in Ohly / Sosnitza, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 6. Aufl. 2014, § 6 Rdnr. 23). Danach erscheint es kaum als angängig, als Werbung eine Äußerung zu klassifizieren, deren Anlass nicht von dem Werbenden selbst ausgeht, sondern die eine bloße Reaktion des Herstellers auf einen konkreten Angriff auf das Produkt durch einen Dritten darstellt; denn Anlass dieser Äußerung ist nicht ein eigener Entschluss des Anbieters, gerade jetzt den Vertrieb seines Produkts besonders zu fördern, sondern der einer dritten Stelle, die sich aktuell über dieses Produkt mit dem Ziel geäußert hat, über den Gehalt dieses Produkts eine öffentliche Diskussion in Gang zu bringen. In einem solchen Fall wäre es mit der Garantie der Meinungsfreiheit kaum vereinbar, dem Kritiker ein Recht zur öffentlichen Äußerung einer Produktkritik zu geben, dem betroffenen Unternehmen aber aus wettbewerbsrechtlichen Erwägungen heraus zu untersagen, auf diese Kritik öffentlich zu erwidern. Selbst dann, wenn eine solche Reaktion als Werbung zu klassifizieren sein sollte, wäre sie indessen aus dem Gesichtspunkt der Meinungsäußerungsfreiheit heraus jedenfalls gerechtfertigt. Auch Äußerungen, deren Verbreitung zunächst einem Verbotstatbestand des Lauterkeitsrechts unterfallen, sind aus Art. 5 Abs. 1 GG - bzw., wenn es um Normen des europäischen Rechts geht - aus Art. 11 Abs. 1 der EU-Grundrechte-Charta - gerechtfertigt, wenn sie eine Stellungnahme im Rahmen einer öffentlich geführten Diskussion enthalten (BVerfG, Beschl. v. 12. 7. 2007, GRUR 2008, S. 81 ff.; siehe auch BGH, Urt. v. 26. 10. 2006, GRUR 2007, S. 139 ff.); denn es ist essentiell für den Prozess der Bildung einer öffentlichen Meinung, dass jede Stelle, die öffentlich angegriffen wird, zu diesem Angriff auch öffentlich Stellung nehmen darf.

Einer Verletzung von Art. 3 HCVO steht im Übrigen entgegen, dass aus dem Katalog des Art. 3 Bstb. a) bis e) kein Verbot einschlägig ist. Bstb. a), betreffen Angaben, die nicht falsch, mehrdeutig oder irreführend sind, greift nicht, weil sich dies wiederum nur auf Tatsachenbehauptungen bezieht; die Buchstaben b) bis d) betreffen spezifische Fallkonstellationen, von denen hier keine gegeben ist. Bstb. e) schließlich, wonach Angaben unzulässig sind, die durch eine Textaussage auf Veränderungen bei Körperfunktionen Bezug nehmen, die beim Verbraucher Ängste auslösen oder daraus Nutzen ziehen könnten, erfasst Äußerungen der hier angegriffenen Art ebenfalls nicht.

bb) Die Verbreitung der angegriffenen Äußerung steht schließlich auch nicht in Widerspruch zu § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB) a.F., jetzt § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Bstb. b) der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (Lebensmittel-InformationsVO). Danach ist es verboten, einem Produkt Wirkungen zuzuschreiben, die es nicht besitzt. Darum aber geht es hier nicht, indem die angegriffene Äußerung in ihrer Bewertung der Äußerungen Dritter über das Produkt allenfalls eine Aussage dazu enthält, dass bestimmte Wirkungen dem Produkt der Beklagten gerade nicht zukommen sollen. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift, die in so klarer Weise beschränkt ist, kommt nicht in Betracht. Aus den gleichen Erwägungen heraus ist auch eine Unzulässigkeit der Verbreitung der angegriffenen Äußerung aus § 12 Abs. 1 Nr. 2 LFGB a.F., jetzt Art. 7 Abs. 3 der Lebensmittel-InformationsVO nicht gegeben. Diese Norm untersagt wiederum nur die Verbreitung von Informationen über ein Lebensmittel, die diesem Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck solcher Eigenschaften entstehen lassen. Hier streiten die Parteien aber um Fragen des Fehlens von Eigenschaften, auf die sich die Norm erkennbar nicht bezieht.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen. Es geht um das Verständnis der hier angegriffenen Äußerung.






OLG Hamburg:
Urteil v. 01.09.2015
Az: 7 U 7/13


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/36d746398044/OLG-Hamburg_Urteil_vom_1-September-2015_Az_7-U-7-13




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