Bundespatentgericht:
Beschluss vom 18. September 2003
Aktenzeichen: 25 W (pat) 210/02

(BPatG: Beschluss v. 18.09.2003, Az.: 25 W (pat) 210/02)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Bundespatentgericht hat in einem Beschluss vom 18. September 2003 entschieden, dass der Widerspruch gegen die Markeneintragung von ACELAT zurückgewiesen wird. Die Widersprechende hatte die Marke Acesal eingetragen und argumentiert, dass aufgrund der ähnlichen Klang- und Schriftbilder eine Verwechslungsgefahr bestehe. Das Gericht hält jedoch fest, dass die Marken genügend Unterscheidungsmerkmale haben und somit keine Verwechslungsgefahr besteht. Es wird auch auf die geringe Kennzeichnungskraft des Anfangsbestandteils "Ace" hingewiesen, der in vielen anderen Arzneimittelmarken verwendet wird. Die Widersprechende konnte zudem keine gesteigerte Kennzeichnungskraft ihrer Marke nachweisen. Da keine Verwechslungsgefahr vorliegt, wird die Beschwerde zurückgewiesen.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BPatG: Beschluss v. 18.09.2003, Az: 25 W (pat) 210/02


Tenor

Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Bezeichnung ACELAT ist am 26. Juni 1997 ua für die Waren "Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie Präparate für die Gesundheitspflege; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke..." zur Eintragung in das Markenregister angemeldet worden. Die Veröffentlichung der Eintragung erfolgte am 30. September 1997.

Widerspruch erhoben hat der Inhaberin der am 1. August 1955 für "Arzneimittel" eingetragenen Marke DD 607 403 Acesal.

Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts hat in zwei Beschlüssen, von denen einer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, den Widerspruch mangels bestehender Verwechslungsgefahr zurückgewiesen. Ausgehend von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke, teilweise identischen Waren und den vorliegend angesprochenen allgemeinen Verkehrskreisen sei die Einhaltung eines deutlichen Markenabstands von der angegriffenen Marke zu fordern. Dieser Abstand sei gewahrt, da sich die Marken nach ihrem jeweiligen Gesamteindruck noch hinreichend unterschieden. In klanglicher Hinsicht reichten die Abweichungen der Endlaute und der Anlaute der jeweiligen Endsilben aus, den Markenwörtern ein unterschiedliches klangliches Gepräge zu geben, zumal es sich auch nicht um übermäßig lange Wörter handele. Trotz der übereinstimmenden Silbenzahl und Vokalfolge sowie der identischen - allerdings verbrauchten - Anfangsbestandteile bestehe deshalb in klanglicher Hinsicht keine Verwechslungsgefahr. Auch im Schriftbild sorgten die Abweichungen der Oberlängen und Umrisscharakteristik für ein hinreichend sicheres Auseinanderhalten der Marken.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Widersprechenden mit dem (sinngemäßen) Antrag, die angefochtenen Beschlüsse aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen.

Die Widersprechende hat zur Begründung ihrer Beschwerde schriftsätzlich ausgeführt, dass der Widerspruchsmarke entgegen der Annahme der Markenstelle eine hohe Kennzeichnungskraft zukomme, da diese seit vielen Jahren am Markt eingeführt und umfangreich benutzt sei. Die jüngere Marke habe einen entsprechend höheren Abstand einzuhalten. Dieser sei in klanglicher und in schriftbildlicher Hinsicht wegen der vielen für das Erinnerungsbild maßgeblichen Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten nicht eingehalten. Klanglich sei der jeweilige Wortanfang "Ace" identisch, die Vokalfolge und der Sprechrhythmus gleich und die konsonantischen Unterschiede nicht groß genug, um diesen Gemeinsamkeiten hinreichend entgegenzuwirken. Auch in schriftbildlicher Sicht seien die prägenden Oberlängen am Wortanfang und Wortende nahezu identisch.

Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Für die Annahme einer überdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei die Annahme einer gesteigerten Verkehrsbekanntheit erforderlich, welche die Widersprechende nicht dargelegt habe. Weder seien Umsatzzahlen, Werbeaufwendungen oder das Ergebnis einer Meinungsumfrage vorgelegt worden. Die Widersprechende verkenne bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr auch, dass der Übereinstimmung in dem gemeinsamen Wortanfang "Ace" der Markenwörter keine hervorzuhebende Bedeutung zukomme, da es sich wegen des Hinweises auf den Wirkstoff Acetylsalicylsäure um einen kennzeichnungsschwachen Bestandteil handele. Der Verkehr orientiere sich deshalb an den deutlich abweichenden Endsilben der Wörter.

Der Vertreter der Inhaberin der angegriffenen Marke hat - veranlasst durch die vorgenannten schriftsätzlichen Ausführungen der Inhaberin der angegriffenen Marke vom 15. September 2003 - in der mündlichen Verhandlung vom 18. September 2003 ergänzend ausgeführt, dass die Widerspruchsmarke bereits in der DDR zur Kennzeichnung eines Schmerzmittels verwendet worden sei. Das Präparat "Acesal" sei dort das Schmerzmittel schlechthin gewesen. Aber auch nach der Wiedervereinigung sei das Präparat seit vielen Jahren am Markt gut eingeführt, im Inland - wenn auch verstärkt in den neuen Bundesländern - bekannt, so dass von einer hohen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke auszugehen sei. Außerdem hat er Ergebnisse einer Internetrecherche vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die angefochtenen Beschlüsse sowie die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Widersprechenden ist zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt, § 66 Abs 1 Satz 1, Abs 2 MarkenG. In der Sache hat die Beschwerde jedoch keinen Erfolg. Es besteht auch nach Auffassung des Senats keine Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG. Der Widerspruch ist deshalb von der Markenstelle zu Recht zurückgewiesen worden, §§ 42 Abs 2 Nr 1, 43 Abs 2 Satz 2 MarkenG.

1) Nach der vorliegend maßgeblichen Registerlage können sich die gegenüberstehenden Marken wegen der weiten Oberbegriffe "Arzneimittel" auf Seiten der Widerspruchsmarke und "Pharmazeutische Erzeugnisse" im Warenverzeichnis der jüngeren Marke auf identischen Waren begegnen. Als angesprochene Verkehrskreise sind mangels Festschreibung einer Rezeptpflicht in den Warenverzeichnissen Laien uneingeschränkt zu berücksichtigen (vgl auch BGH MarkenR 2002, 49, 51 - ASTRA / ESTRA-PUREN; zur Bedeutung der Rezeptpflicht - auch zur einseitigen Rezeptpflicht - BPatGE 44, 33, 36-37 - ORBENIN; BPatG Pharma Recht 2000, 217, 218 -Taxanil; BGH MarkenR 2000, 138, 139 Ketof/ETOP). Auch insoweit ist allerdings davon auszugehen, dass grundsätzlich nicht auf einen sich nur flüchtig mit der Ware befassenden, sondern auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher abzustellen ist, dessen Aufmerksamkeit je nach Art der Ware oder Dienstleistung unterschiedlich hoch sein kann (vgl zum geänderten Verbraucherleitbild BGH MarkenR 2002, 124, 127 - Warsteiner III - mit weiteren Hinweisen; EuGH MarkenR 2002 , 231, 236 - Philips/Remington) und allem, was mit der Gesundheit zusammenhängt, sogar eine gesteigerte Aufmerksamkeit beizumessen pflegt (vgl BGH GRUR 1995, 50, 53 - Indorektal / Indohexal).

2) Der Senat geht bei seiner Entscheidung von einer ursprünglich noch durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke aus, auch wenn insbesondere der Anfangsbestandteil "Ace" als beschreibender und zudem häufig in Arzneimittelmarken sonstiger Unternehmer verwendeter Wirkstoffhinweis kennzeichnungsschwach ist (vgl auch zur Bedeutung der Registerlage Ströbele/Hakker, MarkenG, 7. Aufl, § 9 Rdn; BGH GRUR 1999, 241; 243 - Lions; BGH GRUR 1967, 246, 250 und 251 - Vitapur; zur Bedeutung der tatsächlichen Benutzung von Drittmarken BPatG GRUR 2002, 438, 439-440 - WISCHMAX/Max). Dieser kann je nach Indikationsbereich und Wirkstoff auch unterschiedliche Bedeutung aufweisen. So weist "Ace" im Indikationsbereich der Schmerzmittel auf die häufig enthaltenen Wirkstoffe "Acetylsalicylsäure" und "Acemetacin" hin, während "Ace" bei Hustenmitteln (Antitussiva/Expektorantia) als Hinweis für den gängigen Wirkstoff "Acetylcystein" steht und als Kürzel "ACE" im Bereich der Herz-/Kreislaufmittel für die Betarezeptoren-, Calciumkanalblocker und Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems, die sogenannten "ACE-Hemmer", verwendet wird. Der bei pharmazeutischen Erzeugnissen üblichen Praxis entsprechend, Marken in der Weise zu bilden, dass diese als sogenannte "sprechende Zeichen" durch eine Zusammenstellung (jedenfalls für den Fachmann) erkennbarer Wirkstoff- und/oder Anwendungsangaben, die stoffliche Beschaffenheit und /oder das Indikationsgebiet kenntlich machen (vgl BGH GRUR 1998, 815, 817 - Nitrangin), finden sich in dem Arzneimittelverzeichnis Rote Liste 2003 eine Vielzahl derartiger sprechender Arzneimittelkennzeichnungen mit dem Anfangsbestandteil "Ace" (ACE, ace). So weist die Hauptgruppe 5 (Analgetika/Antirheumatika) Präparatebezeichnungen wie "Acetylin" (Bristel-Myers), "Acephlogont" (Azupharma), "Acemetadoc" (DOCPharm) auf, die auf die Wirkstoffe "Acetylsalicylsäure" oder auf "Acemetacin" hinweisen, während Präparatebezeichnungen der Hauptgruppe 24 (Antitussiva/Expektorantia) wie "Acemuc" (betapharm), "Acetabs" (Krewel Meuselbach), "Acetyst" (Ritsert) den Wirkstoff Acetylcystein andeuten.

Kann anhand der aufgezeigten Praxis "Ace" noch auf mehrere Wirkstoffe hinweisen, was jedenfalls im Bereich eines Indikationsbereichs wegen der fehlenden Eindeutigkeit in gewissem Umfang der beschreibenden Bedeutung und damit der Kennzeichnungsschwäche entgegenstehen könnte, so muss vorliegend aber zusätzlich berücksichtigt werden, dass die Widerspruchsmarke "Acesal" mit dem Anfangsbestandteil "Ace", an den sich die Silbe "sal" für Salicylsäure anschließt in ihrer Gesamtheit eher deutlich auf den Wirkstoff "Acetylsalicylsäure" hinweist. Wenn auch aus der Kennzeichnungsschwäche einzelner Bestandteile nicht ohne weiteres auf die allein maßgebende Kennzeichnungskraft der Gesamtbezeichnung geschlossen werden darf, so ist andererseits zu berücksichtigen, dass jedenfalls eine starke Anlehnung des Zeichens in seiner Gesamtheit an eine Sachangabe negative Auswirkungen auf die Kennzeichnungskraft haben und zu einer deutlichen Reduzierung des Schutzumfanges führen kann (vgl auch BGH WRP 2003, 1353 - AntiVir/AntiVirus mwH; BGH Urteil vom 28. August 2003 Az I ZR 257/00- Kinder; BPatG GRUR 2002, 68 - COMFORT HOTEL). Dennoch geht der Senat hinsichtlich der Widerspruchsmarke und unter Berücksichtigung der aufgezeigten Üblichkeit, sprechende Marken zu bilden, noch von einer hinreichenden kennzeichnenden Eigenart der Widerspruchsmarke und einer ursprünglich noch durchschnittlichen Kennzeichnungskraft sowie einem normalen Schutzumfang aus (vgl auch PAVIS PROMA, Kliems, BPatG 25 W (pat) 128/94 - azeat # Acesal; zur normalen Kennzeichnungskraft sprechender Zeichen im Telekommunikations-Bereich BPatG GRUR 2003, 61 - T-control/T-Connect).

b) Nach Auffassung des Senats kann im Hinblick auf die behauptete langjährige Benutzung der Widerspruchsmarke für ein Schmerzmittel und die erhebliche Bekanntheit in der früheren DDR allenfalls ein im oberen Bereich normaler Kennzeichnungskraft liegender Schutzumfang angesetzt und zugunsten der Widersprechenden unterstellt werden. Ein darüber hinaus gesteigerter überdurchschnittlicher Schutzumfang der Widerspruchsmarke lässt sich aus diesem Vorbringen sowie aus den vorgelegten Unterlagen jedoch nicht herleiten. Hierzu bedürfte es eines substantiierten Tatsachenvortrags, der auf eine gesteigerte Bekanntheit der Widerspruchsmarke in den beteiligten Verkehrskreisen bezogen auf das gesamte Bundesgebiet und den maßgeblichen Zeitraum seit der Anmeldung der angegriffenen Marke im Jahre 1997 bis zum heutigen Entscheidungszeitpunkt schließen ließe (vgl hierzu Ströbele/Hacker MarkenG 7. Aufl, § 9 Rdn 40 und Rdn 297 mwN; BGH GRUR 2003, 428, 433 - BIG BERTHA). Derartige weitere tatsächliche Umstände sind jedoch nicht ersichtlich und von der Widersprechenden auch nicht dargetan.

aa) Auch der Senat geht davon aus, dass für die Bejahung einer gesteigerten oder hohen Kennzeichnungskraft einer Marke nicht allgemein und abstrakt der Nachweis eines bestimmten oder prozentualen Bekanntheitsgrads oder Marktanteils gefordert werden kann, sondern die gesamten Umstände im Einzelfall wie Umsatzzahlen, Verkehrsbefragungen, Marktanteil, Werbeaufwendungen, geografische Verbreitung und Dauer maßgebend sind (vgl Ströbele/Hacker MarkenG, 7. Aufl, § 9 Rdn 297; im Einzelnen auch BGH GRUR 2002, 1067, 1069 - DKV/OKV; BGH Urteil vom 28. August 2003 Az I ZR 257/00- Kinder; BPatGE 44, 1 - Korodin). Deshalb kann durchaus die Bekanntheit der Widerspruchsmarke in der ehemaligen DDR auch für das gesamte Bundesgebiet von Bedeutung sein, wobei es vorliegend nicht darauf ankommt, ob es sich hierbei um ein geografisch wesentliches Bekanntheitsgebiet des Inlands handelt und wie sich ein geringerer Bekanntheitsgrad in den westlichen Bundesländern auswirkt (vgl zum Bekanntheitsgebiet bekannter Marken im Sinne von §§ 9 Abs 1 Nr 3, 14 Abs 2 Nr 3 MarkenG: Ströbele/Hacker MarkenG, 7. Aufl, § 9 Rdn 159; BGH GRUR 2003, 428, 432-433 - BIG BERTHA mwN).

bb) Dies bedarf jedoch keiner Vertiefung und Entscheidung, da sich aus der von dem Verfahrensbevollmächtigten der Widersprechenden erstmals in der mündlichen Verhandlung aufgestellten Behauptung, das Präparat "Acelat" sei in der DDR das Schmerzmittel schlechthin gewesen und auch nach der Wiedervereinigung dort in erheblichem Umfang bekannt, mangels weiterer substantiierter Darlegung, welcher Zeitraum, welche Verkehrskreise und welcher Grad an Bekanntheit darunter zu verstehen ist, keine rechtliche Wertung für die Beurteilung eines überdurchschnittlichen Schutzumfanges, insbesondere für den bis zur Entscheidung abzudeckenden Zeitraum ableiten lässt. Sonstige Umstände, welche dies ermöglichen und eine für die Widersprechende günstigere Bewertung rechtfertigen könnten, sind weder von ihr behauptet noch "liquide" dargetan, dh unstreitig, amtsbekannt oder unschwer - gegebenenfalls aufgrund präsenter Glaubhaftmachungsmittel oder Beweismittel - festzustellen (BPatG GRUR 2001, 513, 515 - CEFABRAU-SE/CEFASEL; ebenso Ströbele/Hacker MarkenG 7. Aufl, § 9 Rdn 300-302). Auch die in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Internetrecherche belegt derartige Umstände nicht.

cc) Derartige Umstände waren auch nicht weitergehend eigenständig von Amts wegen zu ermitteln. Insoweit kann es auch dahingestellt bleiben, ob man diese Frage der durch intensive Markenbenutzung erworbenen erhöhten Kennzeichnungskraft dem Amtsermittlungsgrundsatz oder dem Beibringungsgrundsatz unterstellt, wozu der Senat neigt, weil es sich um die gleichen rechtserheblichen Tatsachen handeln kann, die auch für die Frage der rechtserhaltenden Benutzung nach § 43 MarkenG von Bedeutung sind (vgl hierzu auch Ströbele/Hacker MarkenG, 7. Aufl § 9 Rdn 306 und Ingerl/Rohnke MarkenG 2. Aufl, § 42 Rdn 54 Rdn 5, sich jeweils für die Anwendung des Beibringungsgrundsatzes aussprechend; ausführlich BPatG GRUR 2001, 513, 515 - CEFABRAUSE/CEFASEL). Letztlich kommt es hierauf jedoch nicht entscheidend an. Denn auch wenn man die Frage einer nachträglichen Steigerung der Kennzeichnungskraft dem grundsätzlich im patentamtlichen Verfahren nach §§ 59 Abs 1, 73 Abs 1 MarkenG geltenden Amtsermittlungsgrundsatz unterstellen will, ist zu berücksichtigen, dass die Grenze der Amtsermittlung durch die Zumutbarkeit weiterer Aufklärung bestimmt, welche insbesondere auch von der Mitwirkungspflicht der Beteiligten abhängt. Diese besteht aber in Fällen der vorliegenden Art in besonderem Maße, da die maßgeblichen Tatsachen und Kenntnisse aus eigenen Sphäre eines Beteiligten stammen und zudem der Amtsermittlung gar nicht oder jedenfalls nicht ohne weiteres zugänglich sind. Es erscheint deshalb auch unter Anwendung des Amtsermittlungsgrundsatzes sachgerecht, im Falle der Geltendmachung einer nachträglich infolge intensiver Benutzung gesteigerten Kennzeichnungskraft die Grundsätze der rechtserhaltenden Benutzung anzuwenden, wonach es Aufgabe des Widersprechenden ist, die stützenden Tatsachen vorzutragen und gegebenenfalls nach § 82 Abs 1 MarkenG in Verbindung mit § 294 ZPO glaubhaft zu machen (vgl auch BPatG GRUR 2001, 513, 515 - CEFABRAUSE/CEFASEL; zur Mitwirkungspflicht im Patentrecht vgl auch Schulte PatG, 6. Aufl Vor § 34 Rdn 33).

Dieser Verpflichtung ist die Widersprechende nicht nachgekommen. Nachdem die Markenstelle in zwei Beschlüssen eine Verwechslungsgefahr verneint und der Senat ausdrücklich auf Antrag der Widersprechenden zur mündlichen Verhandlung geladen hatte, konnte für diese von vornhinein nicht zweifelhaft sein, dass die erstmals in der Beschwerdebegründung pauschal aufgestellte Annahme einer erheblich gesteigerten Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke durch hinreichendes tatsächliches Vorbringen zu substantiieren und zu belegen war, um einen erweiterten Schutzumfang beanspruchen zu können.

dd) Es bestand auch keine Veranlassung, dem hilfsweise geäußerten Wunsch des Vertreters der Widersprechenden zu weiterem Tatsachenvortrag durch Vertagung (§ 82 Abs 1 MarkenG iVm § 227 ZPO), Gewährung eines - konkludent beantragten - Schriftsatznachlasses (§ 82 Abs 1 MarkenG iVm § 283 ZPO) oder durch Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 82 Abs 1 MarkenG iVm § 156 ZPO) nachzukommen.

Dies gilt zum einen unter dem Gesichtspunkt eines verspäteten Vorbringens für die Beschwerdeerwiderung der Inhaberin der angegriffenen Marke vom 15. September 2003, in welcher diese auf den fehlenden Sachvortrag zur Begründung einer gesteigerten Verkehrsbekanntheit und eines erweiterten Schutzumfangs der Widerspruchsmarke hingewiesen hatte. Denn die Darlegungspflicht der maßgeblichen Tatsachen oblag von Anfang an ausschließlich der Widersprechenden und wurde nicht erst durch dieses rechtliche Vorbringen der Inhaberin der angegriffenen Marke ausgelöst. § 283 ZPO ermöglicht aber nur einen Schriftsatznachlass, wenn sich ein Beteiligter auf nachgereichtes (verspätetes) Vorbringen der Gegenseite - dh auf Angriffs- und Verteidigungsmittel im Sinne von § 282 Abs 2 ZPO in Verbindung mit § 146 ZPO - nicht unmittelbar in der mündlichen Verhandlung erklären kann, weil er von diesem überrascht ist. Wie die beispielhafte Aufzählung in § 282 Abs 1 ZPO zeigt, handelt es sich hierbei insbesondere um Behauptungen, Bestreiten, Einwendungen, Einreden Beweismittel und Beweiseinreden, nicht jedoch um Rechtsausführungen. § 283 ZPO ermöglicht deshalb auch nicht eine von Angriffs- und Verteidigungsmitteln der Gegenseite oder dem Verhalten des Gerichts losgelöste Nachbesserung des früheren, unzureichenden Vorbringens, zu dem sich nunmehr der Darlegungspflichtige entschließt. Auch insoweit kann letztlich offen bleiben, ob hinsichtlich der Rechtzeitigkeit des Vorbringens und der Prozessförderungspflicht der Beibringungsgrundsatz oder der Amtsermittlungsgrundsatz Anwendung findet. Denn wie auch im Beibringungsverfahren die Verletzung dieser Pflichten (§ 282 ZPO) der Zurückweisung als verspätetes Vorbringen unterliegen kann (§ 296 ZPO), kann auch im Rahmen der Amtsermittlung je nach Umfang der Mitwirkungspflicht die Ermittlungspflicht des Gerichts entsprechend begrenzt und eine Verpflichtung zur Vertagung, zur anderweitigen Fortführung des Verfahrens oder zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ausgeschlossen sein (zur unmittelbaren Anwendung von § 283 ZPO im patentamtlichen Anmeldeverfahren siehe auch BGH MarkenR 2003, 392, 393 - MAZ). Dem Vorbringen der Inhaberin der angegriffenen Marke kommt deshalb entgegen der Auffassung der Widersprechenden keine Bedeutung zu, welche Veranlassung zu einer Fortführung des Verfahrens oder Zurückweisung als verspäteten Vorbringen (§ 82 Abs 1 MarkenG iVm § 296 ZPO) geboten haben könnte.

Auch aus dem Gesichtspunkt der nach § 82 Abs 1 MarkenG in Verbindung mit § 139 ZPO gebotenen richterlichen Hinweispflicht, deren Versäumnis eine Verpflichtung des Gerichts zur Vertagung, Gewährung eines Schriftsatznachlasses oder zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung begründen kann, bestand vorliegend kein Anlass (vgl hierzu BGH NJW 1999, 1264; BGH NJW 1999, 2123, 2124; BGH GRUR 2003, 901, 902 - MAZ; OLG München OLG München OLG Report München, 2003, 223). Zwar kann das Gericht verpflichtet sein, auf mangelnde Substantiierung oder Schlüssigkeit eines Vorbringens hinzuweisen (§ 139 Abs 1 Satz 2 ZPO), wenn eine Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter die Rechtslage ersichtlich falsch beurteilt, insbesondere wenn die Vorinstanz das Vorbringen gebilligt hat (BGH NJW 2001, 2548, 2549; BGH NJW-RR 2002, 1436, 1437), oder weil sie erkennbar darauf vertraut, dass das schriftsätzliche Vorbringen ausreichend sei (BGH NJW 2001, 2548, 2549). Diese Hinweisverpflichtung des Gerichts, welche grundsätzlich auch in Verfahren gilt, in denen die Beteiligten anwaltlich vertreten sind (vgl zB BGH NJW 1999, 3716; BGH NJW 2001, 2548, 2549), und die vor allem dem in § 139 Abs 2 Satz 1 ZPO enthaltenen Verbot von Überraschungsentscheidungen dient (ebenso §§ 139 aF, 278 III aF ZPO), findet jedoch dort ihre Grenze, wo das Gericht andernfalls seine Neutralitätspflicht verletzten würde - wie zB durch Einführung neuer Einreden, Hinlenken der Beteiligten auf eine andere tatsächliche Begründung, Ausfüllen von Lücken im Sachvortrag. Dies gilt ebenso für ein Verhalten oder Vorbringen der Beteiligten, welches den Schluss zulässt, dass sie nicht näher vortragen wollen oder können (vgl Zöller ZPO 23. Aufl, § 139 Rdn 3 und Rdn 17 mwH), ihnen die Mängel des Vortrages also bewusst sind (vgl Piepenbrock, Umfang und Bedeutung der richterlichen Hinweispflicht, NJW 1999, 1360, 1362 mwN) oder ein Beteiligter sich darauf verlässt, dass ihm das Gericht die insoweit bestehende Verpflichtung zum vollständigen und rechtzeitigen Vortrag mittels entsprechender Hinweise abnimmt (vgl BPatG GRUR 2000, 900, 902 - Neuro-Vibolex mwN). In derartigen Fällen sieht der Senat auch nach § 139 ZPO nF keine Hinweisverpflichtung des Gerichts auf eine erforderliche Substantiierung des Vorbringens (vgl auch Ströbele/Hacker MarkenG, 7. Aufl, § 76 Rdn 22 Piepenbrock, Was ist neu an der neuen Hinweispflicht€ in NJW 2002, 849, 852, darauf hinweisend, dass sich die normativen Vorgaben für die Hinweispflicht der Gerichte inhaltlich nicht gewandelt haben, sondern nur die formalen Vorgaben). Denn ein Hinweis bzw eine Aufforderung zu weiterem Vorbringen gegenüber der Widersprechenden käme in diesem Fall einer nicht veranlassten und im Hinblick auf die Neutralitätspflicht bedenklichen, einseitigen Anregung zu weiterem Vorbringen gleich, welches bisher nicht ernsthaft verfolgt worden ist und welches auch nicht von Amts wegen aufzuklären ist, sondern - abweichend von dem sonst möglichen weitgehend passiven Verhalten (vgl hierzu BPatG MarkenR 2000, 280, 282 - CC 1000/Cec) - auch im patentamtlichen Verfahren in besonderem Maße der Disposition und Mitwirkungspflicht derjenigen Beteiligten unterliegt, zu deren Gunsten sich die fraglichen Umstände auswirken können.

2) Soweit danach unter Berücksichtigung einer normalen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und der jedenfalls teilweise bestehenden Warenidentität zur Vermeidung einer Verwechslungsgefahr im Sinne des § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG strenge Anforderungen an den von der jüngeren Marke einzuhaltenden Markenabstand zu stellen sind, hält diese auch nach Auffassung des Senats noch einen hinreichenden Abstand zur Widerspruchsmarke ein. Eine Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG ist deshalb zu verneinen, auch wenn es sich schon fast um einen Grenzfall handeln mag.

a) In klanglicher Hinsicht erweist sich der jeweilige Gesamteindruck der wie "azelat" und "azesal" gesprochenen, im Klangbild gut erfassbaren Markenwörter wegen der konsonantischen Abweichungen der jeweiligen Endsilben als noch hinreichend verschieden. Bei dieser Beurteilung ist von Bedeutung, dass den identischen Anfangssilben "ace" wegen ihres beschreibenden Gehalts als Wirkstoffhinweis in tatsächlicher Hinsicht und auch aus Rechtsgründen ein nur geringes kennzeichnendes Gewicht für den Gesamteindruck der Markenwörter zukommen kann. Die angesprochenen Verkehrskreise, die diesen Hinweis erkennen, werden - abweichend von dem Erfahrungssatz, dass Anfangsbestandteile ehrfahrungsgemäß stärker beachtet werden als die übrigen Markenteile (vgl Ströbele/Hacker MarkenG, 7. Aufl, § 9 Rdn 184) - sich vorliegend eher an den weiteren, abweichenden Bestandteilen der Markenwörter orientieren (vgl auch zur Verwendung beschreibender Wirkstoffhinweise neben Stammbestandteilen einer Zeichenserie BGH MarkenR 2002, 49, 52 - ASTRA/ESTRA-PUREN). Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf das maßgebliche eher undeutliche Erinnerungsbild (st Rspr, vgl EuGH MarkenR 1999, 236, 239 - Lloyd / Loints) und der Orientierung beim Warenerwerb, zumal der Anfangsbestandteil "Ace" auch in einer Vielzahl weiterer Arzneimittelmarken anderer Unternehmen verwendet wird. Hieraus folgt, dass auch für diejenigen Verkehrskreise, die den sprechenden Gehalt nicht erkennen, die aber beim Warenerwerb mit einer Vielzahl von "Ace"-Arzneimittelpräparaten konfrontiert sind, sich verstärkt an den weiteren Wortbestandteilen zur Unterscheidung der Markenwörter und der gekennzeichneten Waren orientieren werden. Dies gilt im übrigen ebenso für Indikationsbereiche, in denen "Ace" auf unterschiedliche Wirkstoffe hinweisen kann, da auch in diesem Fall erst die weiteren Bestandteile - wie hier insbesondere auch des nicht beschreibenden Bestandteils "lat" auf Seiten der angegriffenen Marke - insoweit erst eine Orientierung ermöglichen und zur Unterscheidung unterschiedlicher Präparatebezeichnungen von wesentlicher Bedeutung sind. Von diesen tatsächlichen Erwägungen abgesehen, kann - wie auch der Bundesgerichtshof wiederholt in seiner Rechtsprechung ausdrücklich betont hat (vgl BGH WRP 2003, 1353, 1355 - AntiVir/AmtiVirus) - bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr auch aus Rechtsgründen nicht entscheidend auf diese Übereinstimmungen abgestellt werden, wenn auch kennzeichnungsschwache oder schutzunfähige Elemente zur Prägung des Gesamteindrucks beitragen und nicht vorneherein unberücksichtigt bleiben dürfen (vgl hierzu Ströbele/Hacker MarkenG, 7. Aufl § 9 Rdn 331 mwN; PAVIS PROMA, Kliems, BPatG 25 W (pat) 98/02 - ANTILAX # ANTISTASX). Im Ergebnis ist deshalb auch aus Sicht des Senats eine klangliche Verwechslungsgefahr zu verneinen (vgl auch PAVIS PROMA, Kliems, BPatG 25 W (pat) 158/96 - acedual # ACEDIAB; PAVIS PROMA, Kliems, BPatG 25 W (pat) 128/94 - azeat # Acesal; PAVIS PROMA, Kliems, BPatG 25 W (pat) 67/95 - acetac # ARTELAC).

b) Ebenso halten die Wörter im schriftbildlichen Markenvergleich in jeder verkehrsüblichen Wiedergabeform wegen der abweichenden Kontur des jeweiligen Endbuchstaben und in der sich deutlich unterscheidenden Buchstaben "L" zu "S" bzw "l" zu "s" in den Wortmitten einen noch ausreichenden Abstand ein, wobei die angegriffene Marke insbesondere in Normalschrift oder bei handschriftlicher Wiedergabe durch die zusätzlich enthaltene Oberlänge eine weitere Unterscheidungshilfe bietet. Ein hinreichend sicheres Auseinanderhalten der Wörter ist deshalb auch in ihrem bildlichen Gesamteindruck noch gewährleistet, zumal das Schriftbild erfahrungsgemäß sehr viel besser eine ruhige oder auch wiederholte Wahrnehmung der Bezeichnung gestattet als das schnell verklingende gesprochene Wort.

c) Der Senat sieht unter Berücksichtigung dieser Umstände auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Marken begrifflich oder durch gedankliche Verbindung miteinander verwechselt werden könnten. Der "sprechende" und eher kennzeichnungsschwache Markenbestandteil "Ace" ist insbesondere nicht geeignet, als Stammbestandteil einer von der Widersprechenden gebildeten Serienmarke aufgefasst zu werden (vgl Ströbele/Hacker MarkenG, 7. Aufl, § 9 Rdn 484), zumal dieser Anfangsbestandteil in weiteren Arzneimittelmarken anderer Unternehmen verwendet wird. Auch sind keine Gründe für die Annahme ersichtlich, dass die angesprochenen Verkehrskreise die Marken in sonstiger Weise gedanklich miteinander in Verbindung bringen und deshalb verwechseln (vgl zu den Voraussetzungen BGH GRUR 2000, 608, 609 - ARD 1; BGH MarkenR 2001, 459, 464 Marlboro-Dach; BPatG GRUR 2002, 345, 346 - ASTRO BOY/Astro; BPatG GRUR 2002, 438, 440 - WISCHMAX/Max), da die Marken mit Ausnahme des kennzeichnungsschwachen Bestandteils "Ace" keine strukturellen oder sonstigen Gemeinsamkeiten aufweisen, welche den Verkehr zu einer gemeinsamen betrieblichen Zuordnung der Marken veranlassen oder eine markenrechtliche Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne begründen könnten (vgl hierzu auch Ströbele/Hacker MarkenG, 7. Aufl, § 9 Rdn 504).

Nach alledem war die Beschwerde der Widersprechenden zurückzuweisen.

Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall keinen Anlass, § 71 Abs 1 MarkenG.

Kliems Bayer Engels Pü






BPatG:
Beschluss v. 18.09.2003
Az: 25 W (pat) 210/02


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/3904c9b7b4ab/BPatG_Beschluss_vom_18-September-2003_Az_25-W-pat-210-02




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