Verwaltungsgericht Stade:
Beschluss vom 16. August 2006
Aktenzeichen: 6 A 1039/00
(VG Stade: Beschluss v. 16.08.2006, Az.: 6 A 1039/00)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
In der vorliegenden Gerichtsentscheidung geht es um die Kostenfestsetzung in einem Verwaltungsverfahren. Die Klägerin hatte einen Kostenfestsetzungsantrag gestellt und darin eine Geschäftsgebühr im Vorverfahren geltend gemacht. Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass diese Gebühr nicht erstattungsfähig ist.
Das Gericht erklärt, dass die angemessene Gebühr im Einzelfall für anwaltliche Tätigkeiten gemäß der Gebührenordnung bestimmt wird. Der Rechtsanwalt muss dabei alle Umstände, wie den Umfang und die Schwierigkeit der Tätigkeit, die Bedeutung des Falls sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Mandanten, berücksichtigen.
In diesem Fall ist die Urkundsbeamtin der Ansicht, dass ein mittlerer Gebührensatz von 7,5/10 angemessen ist. Dieser Wert wird in Rechtsprechung und Literatur als angemessen betrachtet, solange keine besonderen Umstände vorliegen. Das Bundesverwaltungsgericht hat ebenfalls entschieden, dass der Mittelwert im Normalfall maßgeblich ist, um eine gleichmäßige Behandlung der Fälle sicherzustellen.
Das Gericht kommt zu dem Schluss, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin keinen Ermessensspielraum hat, die Gebühr bis zu 20% über den Mittelwert zu erhöhen. Eine solche Erhöhung würde den Zweck des Mittelwerts durchbrechen und den Gebührenrahmen nach oben verzerrt.
Das Gericht argumentiert weiter, dass es in diesem Fall keine besonderen Umstände gibt, die eine Erhöhung des Gebührensatzes auf 10/10 rechtfertigen würden. Die Anwendung von EG-Recht und die Bearbeitung von 292 Seiten Kopien sowie mehreren Besprechungen werden nicht als überdurchschnittliche Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit angesehen. Auch der wirtschaftliche Wert der Angelegenheit spiegelt sich ausreichend im Gegenstandswert wider und rechtfertigt keine Erhöhung der Gebühr.
Aufgrund dieser Argumente weist das Gericht die Erinnerung der Klägerin zurück.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
VG Stade: Beschluss v. 16.08.2006, Az: 6 A 1039/00
Gründe
Die Erinnerung - Antrag auf Entscheidung des Gerichts - der Klägerin ist gemäß §§ 151, 165 VwGO zulässig, sie ist jedoch unbegründet.
Im Kostenfestsetzungsverfahren (§ 164 VwGO) sind die Kosten festzusetzen, die der Kostenschuldner - hier die Beklagte - dem Kostengläubiger - hier der Klägerin - nach § 162 VwGO zu erstatten hat. Dazu gehört die vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Kostenfestsetzungsantrag vom 30. Juni 2005 geltend gemachte 10/10 Geschäftsgebühr im Vorverfahren nicht.
Die vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin bestimmte Höhe der Rahmengebühr aus § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO - Geschäftsgebühr - entspricht nicht der Billigkeit.
Die Bestimmung der angemessenen Gebühr im Einzelfall für anwaltliche Tätigkeiten des Rechtsanwalts bemisst sich gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO (jetzt: § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG). Danach bestimmt der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen.
Zu Recht ist die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle bei der Beurteilung der Gebührenbestimmung von einem mittleren Gebührensatz von 7,5/10 ausgegangen.
Mit diesem Gebührensatz ist die Tätigkeit des Rechtsanwalts nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur immer dann angemessen bewertet, wenn sie sich unter den in § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG) genannten Gesichtspunkten nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt abhebt (BVerwG, Urteil vom 17. August 2005 - 6 C 7.04 -).
7Das Bundesverwaltungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung, erstmals im Urteil vom 8. Mai 1981 - BVerwG 6 C 153.80 - (BVerwGE 62, S. 196, 200), die Maßgeblichkeit des Mittelwerts im Normalfall hervorgehoben. Mit dem Kriterium "Durchschnittsfall" und der daran anknüpfenden Orientierung an einem Mittelwert wird ein fester Anhalt für die Ermessensausübung gewonnen und dem verfassungsrechtlichen Gebot des Art. 3 Abs. 1 GG Rechnung getragen, gleich liegende Fälle gleich sowie unterschiedliche Fälle entsprechend ihren Unterschieden ungleich zu behandeln. Zugleich dient dieses Kriterium der zutreffenden Einordnung der Fälle innerhalb der durch den Gebührenrahmen vorgegebenen Bewertungsskala (BVerwG, Urteil vom 17. August 2005 - 6 C 7.04 -).
Die Rechtsauffassung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, ihm stehe bei der Bewertung seiner Gebühr ein €nicht nachprüfbarer€ Ermessensspielraum dahingehend zu, die Gebühr ohne weitere Begründung bis zu 20 Prozent über diesen Mittelwert, d.h. auf 9/10, zu erhöhen, trifft nicht zu. Denn durch die Maßgeblichkeit des Mittelwerts im Normalfall wird, wie soeben dargelegt, der Ermessensspielraum des Rechtsanwalts nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG) im Interesse einer sachgerechten und gleichmäßigen Ermessensausübung begrenzt. Wäre es dem Rechtsanwalt gestattet, bei der Gebührenbestimmung auch in durchschnittlichen Fällen immer um bis zu 20 % über den mittleren Gebührensatz hinauszugehen, so würde dieser Gebührensatz in der Rechtspraxis weitgehend durch eine Gebühr in der Nähe der vollen Gebühr abgelöst werden. Dadurch würde der zur Verfügung stehende Gebührenrahmen nach oben verzerrt und der Zweck des Mittelwerts, in einem Großteil der Fälle deren zutreffende Einordnung innerhalb dieses Rahmens zu ermöglichen, vereitelt werden. Daher muss der mittlere Gebührensatz in den ihm zugeordneten durchschnittlichen Fällen als ein fester, vom Rechtsanwalt nicht zu überschreitender Wert verstanden werden (BVerwG, Urteil vom 17. August 2005 - 6 C 7.04 -).
Auch liegen keine besonderen Umstände vor, die geeignet sind, eine Erhöhung des Gebührensatzes von 7,5/10 auf 10/10 zu rechtfertigen. Das gilt auch für die vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Erinnerungsverfahren erstmals offengelegten Umstände, die er seiner nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG) bei der Bestimmung des Gebührensatzes zu treffenden Ermessensausübung zugrunde gelegt hat.
Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin lag hier kein überdurchschnittlicher Umfang bzw. keine besondere Schwierigkeit seiner anwaltlichen Tätigkeit vor.
11Das Vorbringen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, er habe sich zur Bearbeitung der vorliegenden Sache u.a. wegen der Anwendung von EG- Recht zeitaufwändig in die Rechtsmaterie einarbeiten müssen, rechtfertigt keine Erhöhung des Gebührensatzes auf 10/10. Denn dem in § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG) verwendeten Begriff €im Einzelfall€ ist zu entnehmen, dass i. S. dieser Vorschrift ausschließlich Umstände berücksichtigungsfähig sind, die hinsichtlich des konkreten Falles Bedeutung gewinnen. Daher ist das Tätigwerden des Rechtsanwalts in einer bestimmten Sachmaterie für sich gesehen nicht geeignet, eine überdurchschnittliche Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG) zu begründen, es sei denn, es handele sich um eine Tätigkeit auf entlegenen Spezialgebieten (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. August 2005 - 6 C 7.04 -), was hier - Streitgegenstand: u.a. Mutterkuhprämie - nicht der Fall ist.
Das Gesetz geht also von dem kompetenten Rechtsanwalt aus. Ihm ist nicht fremd, dass der Anwaltsberuf durch zunehmende Spezialisierung geprägt ist. Die Rechtsordnung trägt dieser Tendenz dadurch Rechnung, dass sie die Verleihung von Fachanwaltsbezeichnungen vorsieht und die Angabe von Interessen- und Tätigkeitsschwerpunkten zulässt. Vor diesem Hintergrund ist es nicht angebracht, eine überdurchschnittlich schwierige Sache im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG) schon dann anzunehmen, wenn die kompetente Interessenwahrnehmung durch den Rechtsanwalt das Vorhandensein spezieller Kenntnisse und Fertigkeiten voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 17. August 2005 - 6 C 7.04 -).
Auch entspricht die Durchsicht €zweier Leitzordner (allein 292 Seiten Kopien)€ dem normalen Arbeitsaufwand bei der Bearbeitung dieser Art von Verfahren. Das gleiche gilt für die €mindestens drei umfangreichen Besprechungen€, die der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nach dem Erinnerungsvorbringen im Vorverfahren mit der Klägerin geführt hat, und für die anlässlich der Besprechungen vom 24. Oktober 1997 und vom 17. Februar 1998 angefertigten €Besprechungs- und Aktennotizen im Umfang von vier und acht DIN- A4 - Seiten€.
Auch schlägt sich der wirtschaftliche Wert der Angelegenheit hinreichend in der Bemessung des Gegenstandswertes, 56.804,93 €, nieder und rechtfertigt daher keine Erhöhung des Gebührensatzes von 7,5/10 auf 10/10.
Nach alledem war die Erinnerung zurückzuweisen.
VG Stade:
Beschluss v. 16.08.2006
Az: 6 A 1039/00
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/3c03947dcc65/VG-Stade_Beschluss_vom_16-August-2006_Az_6-A-1039-00