Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 2. November 2010
Aktenzeichen: 20 W 362/10
(OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 02.11.2010, Az.: 20 W 362/10)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat in einem Beschluss entschieden, dass bei einer GmbH, bei der bisher ein Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz gebildet wurde, auch dann ein Statusverfahren durchgeführt werden muss, wenn die Gesellschaft aufgrund eines dauerhaften Absinkens der Arbeitnehmerzahl mitbestimmungsfrei geworden ist. Die Anwendung des Kontinuitätsprinzips gemäß § 96 Absatz 2 AktG setzt nicht voraus, dass die bisher angenommenen Umstände auch tatsächlich vorgelegen haben. Mangels Durchführung des Statusverfahrens ist davon auszugehen, dass der Aufsichtsrat weiterhin besteht und bei fehlender Beschlussfähigkeit auf Antrag durch gerichtliche Bestellung ergänzt werden kann. In dem konkreten Fall hat das Gericht auf Antrag des Klägers zehn Arbeitnehmervertreter als Mitglieder des Aufsichtsrates bestellt. Der Beschluss kann mit Rechtsbeschwerde angefochten werden. Die Höhe des Beschwerdewertes beträgt 25.000 Euro.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 02.11.2010, Az: 20 W 362/10
Bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, bei der bislang ein Aufsichtsrat nach den Bestimmungen des Mitbestimmungsgesetzes gebildet war, ist ein Statusverfahren nach § 97AktG auch dann durchzuführen, wenn die Gesellschaft infolge dauerhaften Absinkens der Arbeitnehmerzahl mitbestimmungsfrei geworden ist.
Die Anwendung des in § 96 Absatz 2 AktG niedergelegten Kontinuitätsprinzips setzt dabei nicht voraus, dass die von den Beteiligten bislang angenommen Umstände über die Verpfichtung zur Bildung eines Aufsichtsrates auch tatsächlich vorgelegen haben.
Mangels Durchführung des Verfahrens nach §§ 97, 98 AktG ist von einem Fortbestehen des Aufsichtrates auszugehen, so dass dieser bei fehlender Beschlussfähigkeit auf Antrag durch gerichtliche Bestellung zu ergänzen ist.
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert und auf Antrag desAntragstellers werden
1) A,
2) B,
3) C,
4) D,
5) E,
5) F,
7) G,
8) H,
9) K.
10) L,
als Arbeitnehmervertreter zu Mitgliedern des Aufsichtsrates derAntragsgegnerin bestellt.
Eine außergerichtliche Kostenerstattung findet nicht statt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Beschwerdewert: 25.000,00 Euro
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Notwendigkeit der gerichtlichen Bestellung von Aufsichtratsmitgliedern der Arbeitnehmer nach § 104 AktG.
Die am 07.06.2004 gegründete Antragsgegnerin ist eine 100% ige Tochter der XY-GmbH.
Nachdem das Landgericht Frankfurt am Main am 08.06.2004 (Az. 2-06 O 445/03) festgestellt hatte, dass für die Bildung des Aufsichtsrates bei der XY-GmbH die Vorschriften des MitbestG 1976 anzuwenden seien, weil bei dieser als Obergesellschaft über die Zurechnung nach § 5 MitbestG mehr als 10.000 Mitarbeiter beschäftigt seien, machte die Geschäftsführung der XY-GmbH im Rahmen eines Statusverfahrens nach § 97 AktG am 18.03.2005 bekannt (Bl. 210 f d.Akte), dass aus ihrer Sicht ein Aufsichtsrat nach den Regelungen des MitbestG nur bei der Antragsgegnerin zu bilden sei, als dem Unternehmen bei dem die Leitungsmacht innerhalb der Gruppe für alle Beteiligte ausgeübt werde. Sie teilte mit, dass die Gesellschaft im Rahmen eines Betriebsüberleitungsvertrages zum 01.03.2005 sämtliche Betriebsmittel auf die Antragsgegnerin übertragen habe, die nunmehr die Verwaltung durchführen solle und die arbeitstechnische Organisations- und Leitungsmacht im eigenen Namen (tatsächliche Fortführung des Betriebes) übernommen habe. Die Antragsgegnerin übe nunmehr die alleinverantwortliche Leitung der Beteiligungsgesellschaften aus und die Gesellschaft werde zur reinen Finanzholding. Eine Zurechnung der im Konzern beschäftigten Arbeitnehmer zur Gesellschaft gemäß § 5 MitbestG, wie vom Landgericht Frankfurt noch festgestellt, scheide mithin aus. Der Aufsichtsrat sei somit bei der Antragsgegnerin nach den Bestimmungen des MitbestG zu bilden. Bei der Gesellschaft werde daher kein Aufsichtsrat gebildet, wenn nicht antragsberechtigte nach § 98 Abs. 2 AktG innerhalb eines Monats nach Bekanntmachung das nach § 98 Abs. 1 AktG zuständige Gericht anriefen.
Nach dieser Bekanntmachung wurde die Aufsichtratswahl durch die Geschäftsführung der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 04.08.2005 mit dem Hinweis eingeleitet, dass gemäß § 7 Absatz 1 Nr. 2 MitbestG 8 Arbeitnehmervertreter zu wählen seien (Bl. 168 f d.Akte). Am 01.12.2005 wurden sodann die Arbeitnehmermitglieder des Aufsichtsrates gewählt und am 13.12.2005 diejenigen der Arbeitgeber benannt.
Nachdem im Gesamtkonzern zwischenzeitlich mehr als 20.000 Mitarbeiter tätig sind, bestand der Aufsichtsrat zuletzt aus 20 Mitgliedern (jeweils 10 Arbeitgeber- und 10 Arbeitnehmervertreter).
Die Amtszeit aller Aufsichtsratsmitglieder endete nach Mitteilung der Beteiligten am 31.03.2010 mit der Entlastung des Aufsichtsrates für das Geschäftsjahr 2009.
Nachfolgend wurde eine Neuwahl von Aufsichtsratsmitgliedern durch die Antragsgegnerin nicht mehr eingeleitet; vielmehr änderte diese ihre Satzung mit Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 19.04.2010 (Eintragung in das Handelsregister am 14.05.2010) dahingehend, dass die Gesellschaft keinen Aufsichtsrat mehr hat.
Mit Schreiben vom 28.04.2010 bat der Antragsteller die Antragsgegnerin um Stellungnahme bis 12.05.2010, warum bislang keine Einleitung der Aufsichtsratswahl erfolgt sei und bat, die bis dahin tätigen Arbeitnehmervertreter für eine Ersatzbestellung durch das Gericht zu bestätigen (Bl. 172 ff d. Akte).
Mit Schreiben vom 04.05.2010 (Bl. 175 ff d. Akte) wurde die Antragsgegnerin durch die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers ebenfalls aufgefordert, die Zustimmung zur Notbestellung bis zum 12.05.2010 zu erklären.
Mit zwei ähnlichen Schreiben vom 11.05.2010 wandte sich die Antragsgegnerin sodann an Antragstellerin und deren Bevollmächtigte (Bl. 177, 179 d. Akte). Die Antragsgegnerin vertritt dort die Auffassung, dass bei ihr weder nach Gesetz noch nach Gesellschaftsvertrag ein Aufsichtsrat zu bilden sei und verweist auf den Beschluss des Senats vom 21.04.2008 (Az. 20 W 8/07). Der Senat habe damals entschieden, dass die XY-GmbH die Konzernobergesellschaft der X-Gruppe sei und dieser gemäß § 5 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 MitBestG die Mitarbeiter der X-Gruppe zuzurechnen seien.
Der Senat habe auch festgestellt, dass die Antragsgegnerin von der XY-GmbH beherrscht werde. Da die Antragsgegnerin selbst weniger als 100 Mitarbeiter habe, sei sie gesetzlich nicht zur Bildung eines Aufsichtsrates verpflichtet.
Nachdem die Amtszeit des bisherigen Aufsichtsrates zum 31.03.2010 geendet habe, hätte die Gesellschafterin den Unternehmensvertrag dahingehend geändert, dass diese keinen Aufsichtsrat mehr hat. Es werde keine Veranlassung gesehen, Neuwahlen einzuleiten. Eine Notbestellung von Aufsichtsratsmitgliedern nach § 104 AktG sei nicht möglich.
Ein Verfahren nach §§ 97 ff AktG wurde bislang von keinem Beteiligten eingeleitet.
Der Antragsteller als Konzernbetriebsrat der Antragsgegnerin hat sodann mit Schriftsatz vom 18.05.2010 (Bl. 152 ff d. Akte) bei dem Amtsgericht (Registergericht) die gerichtliche Bestellung von zehn namentlich benannten Arbeitnehmervertretern, die auch bisher bereits im Aufsichtsrat vertreten waren, als Mitglieder des Aufsichtsrates der Antragsgegnerin beantragt.
Das Amtgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 07.07.201 auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen (Bl. 196 f d.Akte). Eine Notbestellung von Aufsichtsratsmitgliedern nach § 104 AktG sei nicht möglich. Die Antragsgegnerin sei weder nach Gesetz noch nach Gesellschaftsvertrag zur Bildung eines Aufsichtsrates verpflichtet. Nach der Rechtsprechung des Senats sei die XY-GmbH die Konzernobergesellschaft der X-Gruppe, so dass dieser gemäß § 5 Abs. 3 i.V.m Abs. 1 MitbestG alle Mitarbeiter der X-Gruppe zuzurechnen seien; zudem werde die Antragsgegnerin von der XY-GmbH beherrscht. Da die Antragsgegnerin selbst weniger als 100 Mitarbeiter habe, sei sie gesetzlich nicht zur Bildung eines Aufsichtsrates verpflichtet und außerdem habe sie die Satzung entsprechend geändert.
Gegen den ihr am 20.07.2010 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller sodann mit Schriftsatz vom 02.08.2010, eingegangen beim Amtsgericht am 06.08.2010, Beschwerde eingelegt (Bl. 201 ff der Akte), der das Amtsgericht im wesentlichen aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung mit Beschluss vom 06.09.2010 nicht abgeholfen hat (Bl. 217 d. Akte).
Der Antragsteller ist der Auffassung, eine Notbestellung der Aufsichtsratsmitglieder nach §§ 104 ff AktG sei möglich. Die Antragsgegnerin sei nach dem MitBestG verpflichtet, einen Aufsichtsrat zu bilden und habe einen solchen bislang auch gehabt. Ein Statusverfahren nach 98 ff AktG oder aber eine Bekanntmachung nach § 97 AktG, die die Anwendung des MitbestG zukünftig entfallen ließen, sei seitdem nicht durchgeführt worden. Zutreffend habe das hessische Landesarbeitsgericht mit Beschluss vom 29.07.2010 (Az. 9 TaBVGa 116/10) der Antragsgegnerin daher aufgegeben, dem Hauptwahlvorstand die Firmen und Anschriften der Unternehmen sowie die Zahlen der in diesen Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer, an denen die Antragsgegnerin mehrheitlich beteiligt ist, schriftlich mitzuteilen (Beschluss LAG, Bl. 269 ff der Akte). Da bei der Antragsgegnerin ein Aufsichtsrat nach den Regelungen des MitbestG zu wählen sei, komme es nicht darauf an, wie viele Arbeitnehmer bei der Gesellschaft beschäftigt würden und ob es zwischenzeitlich zu einer Satzungsänderung gekommen sei. § 96 Abs. 2 AktG gelange nicht nur während der Amtszeit eines Aufsichtsrates zur Anwendung, sondern auch darüber hinaus. Sei ein Aufsichtsrat nach den Regelungen des MitbestG zu bilden, sei weiter eine Notbestellung nach § 104 AktG vorzunehmen, wenn die Amtszeit der Arbeitnehmervertreter abgelaufen sei und eine Neuwahl noch nicht durchgeführt wurde. Trotz Fristsetzung zur Vorlage zum 13.08.2010 habe sich die Antragsgegnerin bislang geweigert, die im Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht geltend gemachten Informationen zu erteilen. Am 25.08.2010 habe ein Gespräch zwischen Hauptwahlvorstand und Vertretern der Antragsgegnerin stattgefunden. Diese sei nicht bereit, die Wahl einzuleiten, da aus ihrer Sicht die Begründung des Landesarbeitsgerichts abgewartet werden solle und im übrigen Ende des Jahres eine Fusion geplant sei. Gerade vor diesem Hintergrund sei es geboten, eine Notbestellung vorzunehmen. Plane das Unternehmen eine Fusion, seien die Überwachungsrechte des Aufsichtsrates direkt betroffen. Wenn- wie vorliegend- durch das Landesarbeitsgericht bestätigt sei, dass das Wahlverfahren durchzuführen sei und damit feststehe, dass ein Aufsichtsrat zumindest nach den Bestimmungen des MitbestG zu wählen sei, sei für eine Zeit ohne Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat eine Notbestellung vorzunehmen, nur so könne der Aufsichtsrat seiner Überwachungsfunktion nachkommen.
Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, für den Antrag bestehe kein Rechtsschutzinteresse, da der Anwendungsbereich von § 104 AktG hier nicht eröffnet sei. Der Gesellschaftsvertrag sehe die Bildung eines Aufsichtsrates nicht vor. Wenn der Antragsteller der Auffassung sei, die Antragsgegnerin sei gesetzlich zur Bildung eines Aufsichtsrates verpflichtet, müsse er sich auf ein Statusverfahren nach § 98 AktG verweisen lassen. Auch § 96 AktG finde keine Anwendung. Das Kontinuitätsprinzip greife nicht, da die Antragsgegnerin nicht zur Bildung eines Aufsichtsrates verpflichtet sei, die Amtszeit des bisherigen Aufsichtsrates geendet habe und danach der Gesellschaftsvertrag dahingehend geändert worden sei, dass die Antragsgegnerin keinen Aufsichtrat mehr habe. Die Gesellschaft habe weniger als 100 Mitarbeiter. Das Aktiengesetz finde nur über § 52 GmbHG Anwendung, der aber auf §§ 96 und 104 AktG nicht verweise. Dies sei auch folgerichtig da gerade bei Gesellschaften, die gesetzlich nicht zur Bildung eines Aufsichtsrates verpflichtet seien, dies allein in deren Satzungsautonomie liege. Unbeachtlich sei auch, dass die Antragsgegnerin zunächst irrtümlich davon ausgegangen sei, sie sei zur Bildung eines Aufsichtsrates verpflichtet, denn es stehe nicht in ihrer Disposition, ob die Voraussetzungen des § 1 MitbestG oder des § 1 Abs. 1 Ziffer DrittelbG vorlägen. Nach dem zutreffenden Beschluss des Senats vom 21.04.2008 seien die Mitarbeiter des Konzerns der XY-GmbH zuzurechnen. Die Antragsgegnerin sei daher zu keiner Zeit verpflichtet gewesen, einen Aufsichtsrat zu bestellen. Auf den gleichwohl ausschließlich in Satzungsautonomie gebildeten Aufsichtsrat sei daher lediglich § 52 GmbHG anzuwenden. Wäre § 104 AktG anzuwenden sei die Antragsgegnerin letztlich gezwungen, ein Statusverfahren durchzuführen, obwohl sie gesetzlich nicht zur Bildung eines Aufsichtsrates verpflichtet gewesen sei und nur von ihrer Satzungsautonomie Gebrauch gemacht habe. Eine Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern nach § 104 AktG wäre zudem für die Antragsgegnerin mit erheblichen Kosten verbunden.
Wegen der Zustimmungserklärungen der zu bestellenden Aufsichtsratsmitglieder wird auf Bl.158 ff und Bl. 259 ff der Akte Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers ist nach §§ 402 Absatz 3 FamFG, 104 Absatz 1 Satz 5 AktG statthaft und auch im übrigen zulässig, da sie insbesondere form- und fristgerecht eingelegt wurde (§§ 63, 64 FamFG).
Die Beschwerde ist auch begründet.
Die Voraussetzungen einer gerichtlichen Ergänzung des Aufsichtsrates bis zur Beschlussfähigkeit nach § 104 Absatz 1 AktG i.V.m § 27 EGAktG i.V.m. § 96 Absatz 2 AktG, § 6 Absatz 2 MitbestG, §§ 1 Absatz 1, 5 Absatz 1, 7 Absatz 1 Nr. 3, Absatz 2 Nr. 3 MitbestG, § 15 Absatz 1 Satz 2 MitbestG, § 28 MitbestG i.V.m. § 108 Absatz 2 Satz 4 AktG sind gegeben.
Der Antragsteller ist insoweit gemäß § 104 Absatz 1 Satz 3 Nr. 1 AktG antragsbefugt.
Dem Aufsichtsrat gehört seit spätestens Ende April 2010 nicht mehr die zur Beschlussfähigkeit nötige Zahl von Mitgliedern an, da er nach Ablauf der Amtszeit aller bisherigen Mitglieder seither nicht mehr besetzt wurde.
Unstreitig bestand der Aufsichtsrat zuletzt paritätisch aus jeweils zehn Mitgliedern der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, da die Beteiligten zunächst davon ausgegangen waren, dass bei der Antragsgegnerin ein Aufsichtsrat nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes zu bilden war und der Antragsgegnerin mehr als 20.000 Konzernmitarbeiter zuzurechnen waren ( §§ 5 Absatz 1, 7 Absatz 1 Nr. 3 MitbestG).
Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ist dieser Aufsichtsrat weiterhin nach diesen von den Beteiligten zuletzt angewandten gesetzlichen Vorschriften zusammenzusetzen.
Dies ergibt sich aus dem in § 96 Absatz 2 AktG niedergelegten Kontinuitätsprinzip.
Danach kann der Aufsichtsrat nach anderen als den zuletzt angewandten gesetzlichen Vorschriften nur zusammengesetzt werden, wenn aufgrund eines Statusverfahrens nach § 97 AktG oder § 98 AktG die in der Bekanntmachung des Vorstandes oder die in der gerichtlichen Entscheidung angegebenen gesetzlichen Vorschriften anzuwenden wären.
Die sinngemäße Anwendung dieser Bestimmungen der §§ 96 Absatz 2 und 97 bis 99 AktG auch auf die GmbH ist in § 27 EGAktG und § 6 Absatz 2 MitbestG angeordnet.
Eines solches Statusverfahren ist beispielweise dann durchzuführen, wenn bei einer bislang aufsichtsratslosen GmbH Streit darüber besteht, ob nach den Bestimmungen des Drittelbeteiligungsgesetzes überhaupt ein Aufsichtsrat zu bilden ist (BAG, Beschluss vom 16.04.2008, Az. 7 ABR 6/07, zitiert nach juris).
Weiterhin ist es durchzuführen, wenn der Aufsichtsrat nach Ansicht des Vorstandes aufgrund eines Wechsels des Aufsichtsratssystems (z.B. statt Mitbestimmungsgesetz nunmehr Montan-Mitbestimmungsgesetz) nicht mehr entsprechend der gesetzlichen Regelungen zusammengesetzt ist, aber auch dann, wenn sich Änderungen relevanter Mitarbeiterschwellenzahlen innerhalb desselben Aufsichtsratssystems ergeben haben.
Aber auch im Falle des Eintritts von Mitbestimmungsfreiheit infolge eines dauerhaften Absinkens der Arbeitnehmerzahl unter 500, also auch dann, wenn die Voraussetzungen einer Aufsichtsratspflichtigkeit entfallen, sind die genannten Bestimmungen anzuwenden (vgl. Hüffer, AktG, 9.Auflage, § 97, Rn 3, m.w.N.; Semler in MüKo zum Aktiengesetz, 2.Aufl. § 97, Rn. 19 ff), auch bei einer GmbH ( Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19.Aufl., § 52, Rn 14; Kowalski/Schmidt, Der Betrieb, 2009, 551, 553 m.w.N.; Weiler, NZG 2004, 988 ff ).
Zwar ist in einem derartigen Fall § 97 AktG seinem Wortlaut nach nicht einschlägig, da der Aufsichtsrat ja nicht lediglich nur €nicht nach den für ihn maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften zusammengesetzt ist€, sondern überhaupt nicht erforderlich ist, mithin auch keine gesetzlichen Vorschriften benannt und bekannt gemacht werden können, die nunmehr für die Zusammensetzung des Aufsichtsrates maßgeblich sein sollen. Aufgrund der Bedeutung des in § 96 Absatz 2 AktG niedergelegten Kontinuitätsprinzips ist aber auch in diesem Fall das Verfahren nach § 97 AktG zumindest sinngemäß oder aber aufgrund eines Erst-Recht-Schlusses anzuwenden (LG Berlin, Beschluss vom 19.12.2006, Az. 102 O 59/06, in ZIP 2007, 424ff). Auch für die GmbH, die aufgrund der gesetzlichen Vorschriften einen Aufsichtsrat installiert hat, gilt der vom Gesetzgeber für die Einführung des § 96 Absatz 2 (damals noch § 93 AktG) gesehene Zweck, dass dem Aufsichtsrat eine sichere Rechtsgrundlage zu geben ist: €Es kann zweifelhaft sein, ob der Aufsichtsrat nach dem MitbestG, dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz dem Betriebsverfassungsgesetz oder ohne Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer zusammenzusetzen ist. Die dafür maßgebenden Merkmale sind manchmal schwer festzustellen. Unter dieser Ungewissheit leidet die Arbeit des Aufsichtsrates. Noch nach Jahren kann sich herausstellen, dass der Aufsichtrat schon seit langem falsch zusammengesetzt ist. Das zieht Auseinandersetzungen über die Rechtsgültigkeit der von ihm gefassten Beschlüsse nach sich. Dieser unsichere Zustand ist auf Dauer nicht tragbar. Um ihn zu vermeiden sieht der Entwurf im Interesse der Rechtssicherheit eine Regelung vor, die sowohl die Arbeitsfähigkeit des Aufsichtsrates als auch die Interessen der beteiligten Gruppen sichert€ (Bundestagsdrucksache IV/171).
Demnach hätte auch hier die Antragsgegnerin zunächst eine derartiges Statusverfahren durchführen müssen, wenn sie entgegen der Ansicht des Antragstellers der Auffassung gewesen wäre, dass nicht mehr die von ihr bislang für einschlägig erachteten gesetzlichen Bestimmungen einschlägig sind, sondern nunmehr, möglicherweise infolge nicht mehr gegebener Zurechnung der Konzernarbeitnehmer im Sinne von § 5 Absatz 1 MitbestG, ein Absinken ihrer Mitarbeiterzahl unter die zur Anwendung des MitbestG oder des DrittelbG erforderliche Anzahl eingetreten ist. Die Antragsgegnerin kann daher auch nicht den Antragsteller darauf verweisen, dass er selbst doch ein Verfahren nach § 98 AktG hätte einleiten können, um eine gerichtliche Entscheidung über die Zusammensetzung des Aufsichtrates herbeizuführen. Außerdem gehört es zu den Pflichten der Geschäftsführung, die Gesetzmäßigkeit der Organisation der Gesellschaft zu gewährleisten.
Dabei spielt es entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin auch keine Rolle, ob die Beteiligten bislang nur €fälschlicherweise€ von einer Verpflichtung zur Schaffung eines Aufsichtrates ausgegangen sind. Die Anwendung des in § 96 Absatz 2 AktG niedergelegten Kontinuitätsprinzips setzt nicht voraus, dass die von den Beteiligten bislang angenommen Umstände auch tatsächlich vorgelegen haben, was sich bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung €€nach anderen als den zuletzt angewandten gesetzlichen Vorschriften€€ ergibt. Eine andere Auslegung würde letztlich dazu führen, dass das Verfahren nach §§ 97 ff AktG und die Bestimmung des § 96 Absatz 2 AktG immer mit dem Hinweis darauf, dass man fälschlicherweise von einer bestimmten Tatsache ausgegangen sei, umgangen werden könnten. Gerade diese Fragen der Anwendung der nach der tatsächlichen Unternehmenssituation einschlägigen Vorschriften, sei es nun, weil man sich beispielsweise hinsichtlich der genauen Zahl der Arbeitnehmer €verzählt€ hatte, oder gerade weil, wie hier, Zurechnungsfragen nach § 5 Absatz 1 MitbestG streitig sind, dürfen aber nicht dazu führen, dass der Aufsichtsrat ohne weiteres durch eine faktisch nicht mehr erfolgende Besetzung ohne gerichtliches Statusverfahren abgeschafft werden kann.
Auch der Beschluss des Senats vom 21.04.2008 (Az. 20 W 8/07) ersetzt die Durchführung dieses Statusverfahrens nicht. Der Senat ist weder das im Verfahren nach §§ 97, 98 AktG zuständige Gericht noch hat er in jenem Verfahren die Frage, ob bei der Antragsgegnerin ein Aufsichtsrat zu bilden ist, geklärt. In jenem Verfahren war vielmehr die Frage Gegenstand, ob bei der XY-GmbH ein Aufsichtrat zu bilden ist und nicht die hier gegebenenfalls entscheidende Frage, ob neben der Zurechnung der Arbeitnehmer auf die XY-GmbH auch eine Zurechnung der Arbeitnehmer auf die Antragsgegnerin als Konzernzwischengesellschaft in Frage kommt (€Konzern im Konzern€).
Da mithin bislang gegenüber der bisherigen Sachlage keine Veränderung eingetreten ist, vielmehr mangels Durchführung des Verfahrens nach §§ 97, 98 AktG von einem Fortbestehen des Aufsichtrates bei der Antragsgegnerin auszugehen ist, ist dieser auch gemäß § 104 Absatz 1 Satz 1 AktG auf die zur Beschlussfähigkeit nötige Zahl von Mitgliedern zu ergänzen.
Da der Aufsichtrat bislang aus 20 Mitgliedern bestand, deren Anzahl nach den vorangehenden Darlegungen auch weiterhin als maßgeblich zu Grunde zu legen ist, ist dieser gemäß § 28 MitbestG beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte dieser Mitglieder an der Beschlussfassung teilnimmt. Diese Möglichkeit ist durch die Bestellung der 10 von dem Antragsteller genannten Aufsichtsratmitglieder der Arbeitnehmer gewahrt. Dabei ist es für die Beschlussfähigkeit auch unerheblich, dass dem Aufsichtsrat weniger als die bislang durch Gesetz festgesetzte Zahl und dabei mangels derzeit vorhandener Aufsichtratsmitglieder der Arbeitgeber auch das für seine Zusammensetzung nach § 7 Absatz 1 Nr. 3 MitbestG maßgebliche Verhältnis nicht gewahrt ist (§ 28 Satz 2 MitbestG i.V.m. § 108 Absatz 2 Satz 4 AktG). Die gerichtliche Bestellung von Mitgliedern der Arbeitgeber zur Wahrung des zahlenmäßigen Verhältnisses der Aufsichtsratsmitglieder (§ 104 Absatz 4 Satz 1 AktG) war nicht möglich, da die Antragsgegnerin, trotz gegenteiligen Hinweises durch den Senat vom 07.10.2010, bis zuletzt die Auffassung vertrat, dass eine gerichtliche Bestellung nach § 104 AktG nicht in Frage komme und nicht einmal hilfsweise 5 Mitglieder der Anteilseigner vorgeschlagen hat, die vom Senat neben 5 Mitgliedern der Arbeitnehmer bis zur Erreichung der Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrates hätten bestellt werden können.
Im übrigen hat sich die Antragsgegnerin trotz des Beschlusses des hessischen Landesarbeitsgerichts vom 29.07.2010 (Az. 9 TaBVGa 116/10) bislang geweigert, die im Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht geltend gemachten Informationen zu erteilen. Auch nach einem Gespräch vom 25.08.2010 zwischen Hauptwahlvorstand und Vertretern der Antragsgegnerin hat diese sich nicht bereit erklärt, die Aufsichtsratswahl einzuleiten, da aus ihrer Sicht die Begründung des Landesarbeitsgerichts abgewartet werden solle und im übrigen Ende des Jahres eine Fusion geplant sei. Im Hinblick auf diese Haltung der Antragsgegnerin kann auch keine kurzfristige anderweitige Sicherung der Beschlussfähigkeit des Aufsichtrates, die eine gerichtliche Bestellung nach § 104 Absatz 1 AktG möglicherweise hätte entbehrlich machen können, erwartet werden.
Der Senat hatte somit nach entsprechenden, im Beschwerdeverfahren nachgeholten Nachweisen der persönlichen Voraussetzungen der vorgeschlagenen Aufsichtsratsmitglieder gemäß § 100 Absatz 1 und 2 AktG, § 7 Absatz 3 MitbestG, § 7 Absatz 3 Satz 4 i.V.m. § 8 Absatz 1 Satz 3 Betriebsverfassungsgesetz und § 7 Absatz 4 MitbestG, nunmehr in der Sache selbst zu entscheiden ( § 69 Absatz 1, Satz 1 FamFG).
Eine Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten war nach Ansicht des Senats nicht angezeigt, da im Hinblick auf die unterschiedliche Möglichkeit der rechtlichen Beurteilung der Sache ein Verschulden der Antragsgegnerin an der Veranlassung dieses Verfahrens, das eine Erstattungspflicht der Antragsgegnerin rechtfertigen könnte, nicht vorliegt.
Die Festsetzung des Beschwerdewertes ergibt sich aus §§ 131 Abs. 4, 30 Abs. 2 Satz 2 KostO.
Die Rechtsbeschwerde wird gemäß § 70 Absatz 2 Nr. 2 FamFG zugelassen, da die Fortbildung des Rechts im Hinblick auf die, soweit ersichtlich, bislang höchstrichterlich nicht entschiedene Frage der Anwendbarkeit der §§ 96 Absatz 2, 97 ff AktG auf eine möglicherweise von der Aufsichtsratspflicht frei gewordene GmbH dies erfordert.
OLG Frankfurt am Main:
Beschluss v. 02.11.2010
Az: 20 W 362/10
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