Landesarbeitsgericht Hamm:
Beschluss vom 1. Februar 2006
Aktenzeichen: 10 TaBV 192/05
(LAG Hamm: Beschluss v. 01.02.2006, Az.: 10 TaBV 192/05)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
In der Entscheidung des Amtsgerichts Hamm vom 1. Februar 2006 (Aktenzeichen 10 TaBV 192/05) wurde der Beschluss des Arbeitsgerichts Paderborn vom 10.11.2005 (2 BV 24/05) abgeändert. Die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats wurde damit stattgegeben.
Die Beschwerde richtete sich gegen die Wertfestsetzung des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit in Höhe von 644,06 € durch das Arbeitsgericht. Das Amtsgericht hat nach Billigem Ermessen gemäß §23 Abs. 3 Satz 2 RVG den Gegenstandswert auf 5.152,50 € festgesetzt.
In dem Ausgangsverfahren hatte die Arbeitgeberin die gerichtliche Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Einstellung eines Leiharbeitnehmers beantragt. Dies hatte die Arbeitgeberin bereits mehrfach vergeblich in den Monaten Februar bis Juni 2005 versucht. Der Betriebsrat hatte den beantragten Einstellungen jeweils widersprochen.
Das Arbeitsgericht hatte den Gegenstandswert für das Verfahren im Allgemeinen auf 644,06 € festgesetzt und dies damit begründet, dass unter Berücksichtigung der anderen Verfahren nur ein verminderter Gegenstandswert festgesetzt werden könne.
Gegen diese Festsetzung legte der Betriebsrat Beschwerde ein, der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat. Das Amtsgericht gab der Beschwerde statt und setzte den Gegenstandswert auf 5.152,50 € fest.
Das Amtsgericht führte in seiner Begründung aus, dass bei Streitigkeiten über die Einstellung, Umgruppierung oder Versetzung von Arbeitnehmern der Gegenstandswert sich am Streitwertrahmen des § 42 Abs. 4 GKG orientieren solle. Dies entspricht auch der herrschenden Rechtsprechung. Dabei werde grundsätzlich das für ein Vierteljahr zu leistende Arbeitsentgelt bei der Wertfestsetzung berücksichtigt.
Des Weiteren kann der Gegenstandswert auch durch zusätzliche Anträge beeinflusst werden. Im vorliegenden Fall wurde zusätzlich zur Zustimmungsersetzung ein Antrag auf Feststellung gestellt, dass die vorläufige Durchführung der streitigen Einstellungen aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war. Dieser Antrag wurde mit 50 % des Wertes eines Zustimmungsersetzungsverfahrens bewertet.
Das Amtsgericht kam zu dem Schluss, dass der Gegenstandswert insgesamt 5.152,50 € beträgt. Die Kürzung des Gegenstandswertes wegen Parallelverfahren sei nicht gerechtfertigt, da nicht nachgewiesen wurde, dass alle Einstellungen auf eine einheitliche unternehmerische Entscheidung zurückzuführen waren.
Insgesamt stellt das Amtsgericht fest, dass der Gegenstandswert gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG richtig festgesetzt wurde.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
LAG Hamm: Beschluss v. 01.02.2006, Az: 10 TaBV 192/05
Tenor
Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Paderborn vom 10.11.2005 - 2 BV 24/05 - abgeändert.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfahren im Allgemeinen auf 5.152,50 € festgesetzt.
Gründe
I.
Im Ausgangsverfahren hat die Arbeitgeberin am 27.04.2005 die gerichtliche Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zur Einstellung eines Leiharbeitnehmers geltend gemacht. Sie hat ferner die Feststellung verlangt, dass die vorläufige Einstellung dieses Leiharbeitnehmers zum 25.04.2005 aus sachlichen Gründen dringend erforderlich gewesen ist.
Bereits zuvor und auch danach hatte die Arbeitgeberin in den Monaten Februar bis Juni 2005 beim Betriebsrat vergeblich die Zustimmung zur Einstellung von weiteren Leiharbeitnehmern zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlichen Einsatzbereichen geltend gemacht (2 BV 10/05, 2 BV 12/05, 2 (3) BV 17/05, 2 (3) BV 20/05, 2 BV 22/05, 2 BV 30/05, 2 (1) BV 33/05, 2 BV 36/05 Arbeitsgericht Paderborn). Der Betriebsrat hatte den beantragten Einstellungen jeweils mit gleichlautendem Schreiben widersprochen.
Nach übereinstimmender Erledigungserklärung hat das Arbeitsgericht unter Zugrundelegung eines Monatsverdienstes von 1.145,00 € für einen Leiharbeitnehmer durch Beschluss vom 10.11.2005 den Gegenstandswert für das Verfahren im Allgemeinen auf 644,06 € festgesetzt und zur Begründung unter anderem ausgeführt, dass unter Berücksichtigung der übrigen Verfahren nur ein verminderter Gegenstandswert festgesetzt werden könne.
Gegen diesen dem Betriebsrat am 16.11.2005 zugestellten Beschluss des Arbeitsgerichts vom 10.11.2005 richtet sich die am 22.11.2005 beim Arbeitsgericht eingelegte Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats, der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Verfahrensakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats ist begründet. Der angefochtene Beschluss war abzuändern, der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit war für das verfahren auf 5.152,50 € festzusetzen.
1. Die Wertfestsetzung richtet sich vorliegend nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG (früher: § 8 Abs. 2 BRAGO). Hiernach ist der Gegenstandswert in Fällen der vorliegenden Art nach billigem Ermessen zu bestimmen. Die Wertfestsetzung nach billigem Ermessen kommt auch im Anwendungsbereich des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG erst hinter allen sonstigen Bewertungsfaktoren zum Zuge. Wo ein objektiver Wert festgestellt werden kann, kommt es in erster Linie auf die Feststellung dieses Wertes an. Für das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren folgt hieraus, dass die wirtschaftliche Bedeutung des jeweiligen Streitgegenstands vielfach im Vordergrund stehen muss (LAG Hamm, Beschluss vom 24.11.1994 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 27; LAG Hamm, Beschluss vom 12.06.2001 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 50; Wenzel, GK-ArbGG, § 12 Rz. 194, 441 ff. m.w.N.).
a) Die wirtschaftliche Bedeutung der Angelegenheit rechtfertigt es, in Beschlussverfahren nach § 99 BetrVG, in denen es um die Einstellung, Umgruppierung oder Versetzung von Arbeitnehmern geht, sich an dem Streitwertrahmen des § 42 Abs. 4 GKG (früher: § 12 Abs. 7 ArbGG) zu orientieren. Folgerichtig wird bei der Wertfestsetzung in betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeiten nach den §§ 99 ff. BetrVG vielfach auf die Bewertung einer entsprechenden Klage im Urteilsverfahren, also auf § 42 Abs. 4 GKG (früher: § 12 Abs. 7 ArbGG) zurückgegriffen (LAG Hamm, Beschluss vom 18.04.1985 - LAGE ZPO § 3 Nr. 3; LAG Hamm, Beschluss vom 19.03.1987 - LAGE ArbGG 1979 § 12 Streitwert Nr. 70; LAG Hamm, Beschluss vom 23.02.1989 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 12; Wenzel, a.a.O., § 12 Rz. 482 m.w.N.). Von dieser Rechtsprechung, der auch die derzeit zuständigen Beschwerdekammern des erkennenden Gerichts gefolgt sind (LAG Hamm, Beschluss vom 04.06.2003 - 10 TaBV 53/03 -; LAG Hamm, Beschluss vom 17.11.2004 - 10 TaBV 106/04 -; LAG Hamm, Beschluss vom 22.02.2005 - 13 TaBV 119/04 -; LAG Hamm, Beschluss vom 25.04.2005 - 13 TaBV 39/05 -) und an der sich durch die Übernahme des § 12 Abs. 7 ArbGG (alt) in § 42 Abs. 4 GKG (neu) zum 01.07.2004 nichts geändert hat, ist auch das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss dem Grunde nach ausgegangen.
Dementsprechend ist bei Einstellungen grundsätzlich das für ein Vierteljahr zu leistende Arbeitsentgelt bei der Wertfestsetzung in Ansatz zu bringen. Dies macht bei einem durchschnittlichen Monatsverdienst eines Leiharbeitnehmers von 1.145,00 € einen Betrag in Höhe von 3.435,00 € aus.
b) Zu Recht hat das Arbeitsgericht auch den neben dem Zustimmungsersetzungsantrag nach § 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG gestellten Antrag auf Feststellung, dass die vorläufige Durchführung der streitigen Einstellungen aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war, zusätzlich bewertet. Dieser Antrag legitimiert nämlich die vorläufige Durchführung der personellen Maßnahmen bis zum Abschluss des Verfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG. Insoweit ist es wegen der lediglich vorübergehenden Bedeutung der begehrten Feststellung angemessen, 50 % des Wertes eines entsprechenden Zustimmungsersetzungsverfahrens in Ansatz zu bringen (LAG Hamm, Beschluss vom 19.03.1987 - LAGE ArbGG 1979 § 12 Streitwert Nr. 70; LAG Hamm, Beschluss vom 23.02.1989 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 12; Wenzel, a.a.O., § 12 Rz. 487). Auch dieser Rechtsprechung haben sich die derzeit zuständigen Beschwerdekammern des Landesarbeitsgerichts angeschlossen.
Insoweit errechnet sich für einen Leiharbeitnehmer insgesamt ein Gegenstandswert von 5.152,50 €.
2. Zutreffend ist auch der Ausgangspunkt des Arbeitsgerichts, wonach bei einem Streit über mehrere personellen Maßnahmen im Sinne des § 99 BetrVG Einzelwerte zu bilden und analog § 5 ZPO zusammenzurechnen sind (LAG Hamm, Beschluss vom 19.03.1987 - LAGE ArbGG 1979 § 12 Streitwert Nr. 70; Wenzel, a.a.O., § 12 Rz. 450, 485 f. m.w.N.).
a) Allerdings kann eine Herabsetzung des sich so ergebenden Wertes regelmäßig dann geboten sein, wenn mehrere personelle Einzelmaßnahmen auf eine einheitliche unternehmerische Entscheidung zurückzuführen sind und die Einzelfälle keine Besonderheiten aufweisen. Die Bedeutung einer jeden einzelnen Maßnahme nimmt umso mehr ab, je mehr Arbeitnehmer von der Gesamtmaßnahme betroffen sind (LAG Berlin, Beschluss vom 18.03.2003 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 13 = NZA-RR 2003, 437). Vor diesem Hintergrund ist es in Fällen der vorliegenden Art gerechtfertigt, in Anlehnung an die Staffelung der Arbeitnehmerzahlen in § 9 BetrVG den Wert jeder einzelnen personellen Maßnahme typisierend festzulegen, um auf diese Weise zu einer gleichförmigen und damit den Gleichbehandlungsgrundsatz wahrenden Rechtsanwendung zu gelangen. Nach der Rechtsprechung der zuständigen Beschwerdekammern des erkennenden Gerichts ist dabei die erste personelle Maßnahme mit dem vollen Wert und die weiteren Maßnahmen mit prozentualen Anteilen des Ausgangswerts nach folgender Staffel zu berücksichtigen: Maßnahmen 2 bis 20 = jeweils 25 % des Ausgangswerts; Maßnahmen 21 bis 50 = jeweils 12,5 % des Ausgangswerts; Maßnahmen 51 bis 100 = jeweils 10 % des Ausgangswerts etc. (LAG Hamm, Beschluss vom 14.02.2005 - 13 TaBV 100/04 -; LAG Hamm, Beschluss vom 22.02.2005 - 13 TaBV 119/04; LAG Hamm, Beschluss vom 28.04.2005 - 10 TaBV 45/0; -, LAG Hamm, Beschluss vom 22.08.2005 - 10 TaBV 94/05).
b) In Anwendung dieser Grundsätze kam eine Kürzung des Gegenstandswertes unter Berücksichtigung sämtlicher beim Arbeitsgericht in den Monaten Februar bis Juni 2005 eingeleiteten Zustimmungsersetzungsverfahren vorliegend allerdings nicht wegen mehrerer Parallelverfahren in Betracht. Im vorliegenden Fall war nämlich lediglich die Zustimmungsersetzung eines einzigen Leiharbeitnehmers und seine vorläufige Einstellung zwischen den Beteiligten streitig. Der bloße Hinweis auf Parallelverfahren beim Arbeitsgericht rechtfertigt keine Herabsetzung des Gegenstandswertes. Diese ist - wie bereits ausgeführt - nur dann geboten, wenn mehrere personelle Einzelmaßnahmen auf eine einheitliche unternehmerische Entscheidung zurückzuführen sind und die Einzelfälle keine Besonderheiten aufweisen. Im vorliegenden Verfahren waren zwar mehrere Parallelverfahren beim Arbeitsgericht anhängig, die gleichgelagert gewesen sein mögen. Aus dem Vorbringen der Beteiligten ergibt sich aber nicht, dass sämtliche Einstellungen der Leiharbeitnehmer, die die Arbeitgeberin in den Monaten Februar bis Juni 2005 geplant bzw. durchgeführt hat, auf eine einheitliche unternehmerische Entscheidung zurückzuführen waren. Gegen eine einheitliche unternehmerische Entscheidung spricht schon, dass die einzusetzenden Leiharbeitnehmer zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlichen Einsatzbereichen eingestellt werden sollten. Dementsprechend hat die Arbeitgeberin die Zustimmungsersetzung auch jeweils in verschiedenen Beschlussverfahren zu unterschiedlichen Zeitpunkten beim Arbeitsgericht geltend gemacht. Allein der Umstand, dass weitgehend die gleichen Rechts- und Tatsachenfragen zu klären oder zu entscheiden sind, vermag ohne weitere Anhaltspunkte eine Herabsetzung des Gegenstandswerts nicht zu rechtfertigen.
Nach alledem verbleibt es im vorliegenden Fall bei einem Gegenstandswert von 5.125,50 €.
Schierbaum /N.
LAG Hamm:
Beschluss v. 01.02.2006
Az: 10 TaBV 192/05
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