Bundesgerichtshof:
Urteil vom 15. Januar 2001
Aktenzeichen: II ZR 124/99
(BGH: Urteil v. 15.01.2001, Az.: II ZR 124/99)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
In dem vorliegenden Urteil geht es um eine Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage der Kläger, die Minderheitsaktionäre der beklagten A. AG sind. Der Konzern, dem die Beklagte angehört, hatte eine 100%ige Tochtergesellschaft namens M. AG, die einen wesentlichen Geschäftsbereich des Konzerns, die Diätetik-Sparte, betrieb. Die M. AG verkaufte im Jahr 1995 ihr gesamtes Vermögen an den niederländischen N. -Konzern. Die Hauptversammlung der Beklagten stimmte diesem Verkauf zu, wogegen die Kläger Widerspruch einlegten. Die Kläger behaupteten, dass die Informationsrechte der Aktionäre verletzt wurden, da der Vertrag nicht zur Einsicht ausgelegt und eine Abschrift des Vertrags verweigert wurde. Das Landgericht gab der Klage statt, und das Oberlandesgericht wies die Berufung der Beklagten zurück. Die Beklagte legte daraufhin Revision ein, die nun vom Bundesgerichtshof zurückgewiesen wurde.
Der Bundesgerichtshof bestätigte die Entscheidung des Oberlandesgerichts, dass die Beklagte gegen die Informationsrechte der Kläger verstoßen habe. Der Verkaufsvertrag hätte zur Einsichtnahme ausgelegt und den Aktionären eine Abschrift zur Verfügung gestellt werden müssen. Der Vertrag unterlag nämlich den Regelungen des § 179a AktG, die die Informationsrechte der Aktionäre bei bestimmten zustimmungsbedürftigen Verträgen regeln. Da der Verkaufsvertrag das gesamte Vermögen der Tochtergesellschaft betraf und die Zustimmung der Hauptversammlung benötigte, waren die gesteigerten Informationspflichten gemäß § 179a Abs. 2 AktG zu beachten. Die Beklagte habe jedoch diese Pflichten verletzt, indem sie den Vertrag nicht zur Einsicht ausgelegt und die Klägerin zu 1 die Übersendung einer Abschrift verweigert habe. Diese Verletzung der Informationsrechte habe das Beschlussergebnis maßgeblich beeinflusst, sodass die Anfechtungsklage begründet sei.
Die Revision der Beklagten wurde somit vom Bundesgerichtshof als unbegründet zurückgewiesen. Das Urteil des Oberlandesgerichts wurde bestätigt, und die Beklagte muss die Kosten tragen.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BGH: Urteil v. 15.01.2001, Az: II ZR 124/99
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 23. März 1999 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Kläger sind Minderheitsaktionäre der Beklagten, der A. AG. Zu dem von ihr beherrschten Konzern gehört als 100 %ige Tochtergesellschaft die mit ihr durch einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag verbundene M. AG. Die von der M. AG betriebene Diätetik-Sparte stellte mit einem Anteil von 30 % am Gesamtumsatz und von 23 % an der Bilanzsumme -bezogen auf das Geschäftsjahr 1994 -einen wesentlichen Geschäftsbereich des Konzerns dar. Die M. AG veräußerte durch notariellen Vertrag vom 1. September 1995 ihr gesamtes Vermögen einschließlich des Geschäftsbetriebs mit Wirkung zum 30. September/1. Oktober 1995 an den niederländischen N. -Konzern. In dem umfangreichen Vertragswerk, das sowohl das Verpflichtungsgeschäft als auch die zu dessen Vollzug erforderlichen zahlreichen Übertragungsakte regelte, war der M. AG ein Rücktrittsrecht für den Fall vorbehalten, daß die Hauptversammlung der Beklagten ihre Zustimmung verweigern sollte. Im September 1995 lud der Vorstand der Beklagten zu einer außerordentlichen Hauptversammlung am 24. Oktober 1995 ein; in der Einladung wurde als einziger Tagesordnungspunkt die "Zustimmung zur Veräußerung des gesamten Vermögens und Geschäftsbetriebs der M. AG an den N. -Konzern und der damit verbundenen Abgabe der Diätetik-Sparte der A. " bekannt gemacht, eine entsprechende Beschlußfassung vorgeschlagen und ein kurzgefaßter Bericht zu Inhalt und Hintergründen des Vertrages gegeben. Einer Aufforderung der Klägerin zu 1 zur Übersendung einer Abschrift des Vertrages kam die Beklagte nicht nach; sie berief sich auf "Vertraulichkeitsgründe" und darauf, daß die Zustimmung lediglich zu der Strukturmaßnahme und auch nur vorsorglich zur Erfüllung etwaiger Anforderungen nach der sogenannten Holzmüller-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes eingeholt werde. Der Vertrag wurde weder in den Geschäftsräumen der Beklagten noch in der Hauptversammlung zur Einsicht der Aktionäre ausgelegt. In der Hauptversammlung der Beklagten stellte die Klägerin zu 1 im Anschluß an den Vorstandsbericht acht Fragen zu konkreten Regelungsinhalten des Vertrages, die nach ihrer Ansicht teilweise überhaupt nicht und im übrigen unzureichend beantwortet wurden. Die Hauptversammlung der Beklagten faßte alsdann mit 2.939.098 Stimmen gegen 196 Stimmen bei 23.872 Enthaltungen den Zustimmungsbeschluß entsprechend der unveränderten Beschlußvorlage. Dagegen erklärten unter anderem die beiden Kläger Widerspruch zur Niederschrift des Notars. Mit der rechtzeitig erhobenen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage rügen sie die Verletzung der Informationsrechte der Aktionäre, insbesondere daß der Vertrag nicht vor und in der Hauptversammlung zur Einsicht ausgelegt und der Klägerin zu 1 die Übersendung einer Abschrift des Vertrages verweigert wurde. Das Landgericht hat der Anfechtungsklage stattgegeben, das Oberlandesgericht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Revision.
Gründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
I. Das Oberlandesgericht ist der Ansicht, der Beschluß der Hauptversammlung der Beklagten vom 24. Oktober 1995 sei gemäß § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar, da die Beklagte die Informationsrechte der Kläger zumindest dadurch verletzt habe, daß sie den Vertrag über die Veräußerung des Geschäftsbetriebes der M. AG weder vor noch in der Hauptversammlung zur Einsicht der Aktionäre ausgelegt habe. Eine derartige Auslegungspflicht sei im Wege der Gesamtanalogie aus den Vorschriften der §§ 179 a Abs. 2, 293 f Abs. 1 Nr. 1, 293 g Abs. 1 AktG, 63 Abs. 1 Nr. 1, 64 Abs. 1 Satz 1 UmwG auch für andere Verträge abzuleiten, die der Hauptversammlung zur Zustimmung unterbreitet werden. Auch hierfür gelte der den genannten Vorschriften zugrundeliegende Gedanke, daß die Aktionäre ihre Entscheidung in der Hauptversammlung nicht verantwortlich treffen könnten, wenn ihnen die Verträge, über die sie abstimmen sollten, nicht zugänglich gemacht würden. Entschließe sich der Vorstand, der Hauptversammlung eine Frage der Geschäftsführung gemäß § 119 Abs. 2 AktG vorzulegen und dabei die Zustimmung zu einem Vertrag einzuholen, dann müsse er dem Aktionär auch die Grundlagen für seine Entscheidung durch Eröffnung der Möglichkeit zur Einsicht in diesen Vertrag geben. Diese Beurteilung hält im Ergebnis revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
II. Die Anfechtungsklage beider Kläger gegen den Beschluß der Hauptversammlung der Beklagten am 24. Oktober 1995 ist wegen Verletzung gesetzlicher Verfahrensvorschriften gemäß § 243 Abs. 1 AktG begründet. Die Beklagte hat die ihr den Aktionären gegenüber im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung der Hauptversammlung obliegenden Informationspflichten dadurch verletzt, daß sie den Übertragungsvertrag vom 1. September 1995 nicht zumindest im Umfang des darin enthaltenden Verpflichtungsgeschäfts vor und in der Hauptversammlung vom 24. Oktober 1995 zur Einsichtnahme ausgelegt und zudem der Klägerin zu 1 die Übersendung einer Abschrift des Vertrages verweigert hat (§ 119 Abs. 2 AktG i.V.m. § 179 a Abs. 2 AktG in entsprechender Anwendung).
1. Gegenstand des von der außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 24. Oktober 1995 gefaßten Beschlusses war -wie das Oberlandesgericht zu Recht angenommen hat -die Zustimmung zu dem Vertrag vom 1.
September 1995 über die Veräußerung des gesamten Vermögens und Geschäftsbetriebs der M. AG an den N. -Konzern. Schon nach dem Wortlaut des in Übereinstimmung mit dem entsprechenden Entwurf in der Einladung zur Hauptversammlung formulierten Beschlußantrags ging es um die konkrete Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens der M. AG an den N. -Konzern und nicht lediglich -wie die Revision meint -um die strategische Entscheidung über die Aufgabe der Diätetik-Sparte im Sinne einer allgemeinen Grundlagenentscheidung; die "damit (d.h. mit der Veräußerung) verbundene Abgabe der Diätetik-Sparte" der Beklagten war nur die zwangsläufige Folge des konkreten Übertragungsgeschäfts. Ein derartiges Verständnis des Beschlußantrags ergab sich vom maßgeblichen Empfängerhorizont eines objektiv urteilenden Aktionärs aus gesehen jedenfalls aus der Erläuterung der Beschlußvorlage in der Einladung zur Hauptversammlung, in der eingangs unmittelbar auf den notariellen Vertrag vom 1. September 1995 über die Veräußerung des gesamten Geschäftsbetriebes der M. AG an den N. -Konzern Bezug genommen und dessen Eckpunkte im weiteren Verlauf des Berichts dargestellt wurden. Angesichts dessen würde kein redlicher Aktionär auf den Gedanken kommen, ihm werde lediglich die Billigung zu einer -bereits vollzogenen -abstrakten Grundsatzentscheidung des Vorstandes zur Aufgabe der Diätetik-Sparte, nicht jedoch die Zustimmung zu dem konkreten Vertrag abverlangt. Dies gilt um so mehr, als der Vorstandsvorsitzende der Beklagten in seinem Hauptversammlungsbericht die Aktionäre auf das -in der Einladung noch verschwiegene -wesentliche Vertragsdetail des vereinbarten Vorbehalts des Rücktritts vom Veräußerungsvertrag für den Fall der Verweigerung der Zustimmung der Hauptversammlung hingewiesen hat; hierdurch wurde vollends klar, daß mit der Entscheidung der Hauptversammlung der Beklagten der Übertragungsvertrag faktisch "stehen oder fallen" sollte.
2.
Bei der vom Vorstand der Beklagten nachgesuchten Zustimmung ihrer Hauptversammlung zu dem Veräußerungsvertrag der M. AG vom 1. September 1995 handelt es sich um die Entscheidung über eine Frage der Geschäftsführung der Beklagten im Sinne von § 119 Abs. 2 AktG. Der Vertrag bedurfte gemäß § 179 a Abs. 1 AktG zur Wirksamkeit der in ihm enthaltenen Verpflichtung zur Übertragung des gesamten Vermögens der Zustimmung ihrer eigenen Hauptversammlung und damit des Vorstands der Beklagten als Alleinaktionärin. Zwar hat der Vorstand der Beklagten diese ihm in eigener Zuständigkeit als Leitungs- und Vertretungsorgan obliegende Maßnahme der Geschäftsführung schon vollzogen; dies steht hier indessen der Anwendbarkeit des § 119 Abs. 2 AktG auf den vorliegenden Zustimmungsbeschluß der Hauptversammlung der Beklagten zu dem Veräußerungsvertrag nicht entgegen. Der Beschluß erstrebte weder vom Wortlaut noch vom Inhalt her eine unzulässige gesonderte Entlastung für eine bereits abgeschlossene Einzelmaßnahme der Geschäftsführung im Sinne von § 120 AktG (vgl. dazu: Mülbert in Großkomm. AktG 4. Aufl. § 118 Rdn. 42) oder einen ebenfalls nicht zulässigen vorsorglichen Regreßverzicht. Er stellt vielmehr die Grundlage für die Ausübung des vertraglichen Rücktrittsrechts der M. AG dar, das nur aufgrund der Initiative und Leitungsmacht des Vorstands der Beklagten in den Veräußerungsvertrag der von ihr beherrschten Tochtergesellschaft (§§ 291, 308 AktG) aufgenommen wurde ("... haben wir [d.h. der Vorstand] einen Rücktrittsvorbehalt vom Veräußerungsvertrag und die anschließende Rückabwicklung des veräußerten Geschäftes vereinbart" -aus der Hauptversammlungsrede des Vorstandsvorsitzenden der Beklagten vom 24. Oktober 1995). Bei der Veranlassung der Aufnahme des Rücktrittsvorbehalts zugunsten der Entscheidung der Hauptversammlung der Beklagten in den Veräußerungsvertrag ihrer Tochtergesellschaft handelt es sich demnach um eine Maßnahme der Geschäftsführung nicht anders, als wenn der Vorstand der Beklagten das Geschäft unter die Bedingung der Zustimmung der Hauptversammlung gestellt oder dessen Wirksamkeit von der Genehmigung der Hauptversammlung abhängig gemacht hätte (vgl. dazu Hüffer, AktG 4. Aufl. § 119 Rdn. 15; Barz in Großkomm. AktG 3. Aufl. § 119 Anm. 3). Gleiches gilt für die Ausübung des Rücktrittsrechts im Falle eines ablehnenden Beschlusses der Hauptversammlung der Beklagten; diese wäre ebenfalls durch konzernrechtliche Weisung (§ 308 AktG) und damit eine Maßnahme der Geschäftsführung, zu der der Vorstand der Beklagten nach § 83 Abs. 2 AktG verpflichtet wäre, gegenüber der abhängigen M. AG durchzusetzen gewesen.
3. Anläßlich der Herbeiführung des Beschlusses über die Zustimmung ihrer Hauptversammlung zu dem Vertrag ihrer Tochtergesellschaft über die Übertragung des gesamten Gesellschaftsvermögens im Sinne von § 179 a AktG hatte die Beklagte gegenüber den eigenen Aktionären die gesteigerten Informationspflichten der Auslegung des Verpflichtungsvertrages vor und in der Hauptversammlung sowie der Übersendung einer Abschrift des Vertrages auf Verlangen der Aktionäre entsprechend § 179 a Abs. 2 AktG zu beachten.
a) Wenn der Vorstand gemäß § 119 Abs. 2 AktG in einer Geschäftsführungsangelegenheit die Entscheidung der Hauptversammlung verlangt, so muß er ihr auch die Informationen geben, die sie für eine sachgerechte Willensbildung benötigt (vgl. Hüffer aaO, § 119 Rdn. 13 m. N.). Handelt es sich bei dieser der Hauptversammlung vom Vorstand abverlangten Entscheidung um die Zustimmung zu einem Vertrag, so drängt sich wegen des Fehlens spezieller Vorschriften für die Vorbereitung und Durchführung der Hauptversammlung im Hinblick auf die Wahrung der Informationsrechte der Aktionäre eine entsprechende Heranziehung der für zustimmungsbedürftige Verträge geltenden gesetzlichen Regelungen auf, soweit von einer vergleichbaren Situation auszugehen ist.
b) Hinsichtlich der von Gesetzes wegen für zustimmungsbedürftige Verträge allgemein geltenden Pflicht der Gesellschaft zur Bekanntmachung des wesentlichen Inhalts der Verträge gemäß § 124 Abs. 2 Satz 2 AktG ist eine dem Normzweck vergleichbare Situation jedenfalls dann gegeben, wenn der Vorstand sich im vorhinein des Einverständnisses der Hauptversammlung zum Vertragsabschluß oder zur Mitwirkung bei diesem versichern will oder wenn er gar den Vertrag unter der Bedingung der Zustimmung (§ 158 BGB) oder unter dem Vorbehalt der Genehmigung (§ 184 BGB) der Hauptversammlung geschlossen hat (vgl. dazu Hüffer aaO, § 124 Rdn. 15; Zöllner in KK z. AktG § 119 Rdn. 42). Nicht anders als bei der gesetzlich vorgeschriebenen Zustimmung der Hauptversammlung kann auch in solchen Fällen des gewillkürten Zustimmungserfordernisses kraft Verlangens des Vorstandes gemäß § 119 Abs. 2 AktG die Hauptversammlung über die ihrer Entscheidung unterstellten Verträge nur in Kenntnis ihrer Tragweite entscheiden (vgl. Werner in Großkomm. AktG 4. Aufl. § 124 Rdn. 49 m.w.N.); das setzt mindestens die Information über den wesentlichen Vertragsinhalt voraus. Eine vergleichbare Interessenlage besteht auch im vorliegenden Fall des vereinbarten Rücktrittsvorbehalts. Zwar ist die Zustimmung der Hauptversammlung der Beklagten zu dem Vertrag zwischen der M. AG als ihrer Tochtergesellschaft und dem N. -Konzern nicht unmittelbar gesetzliches oder gewillkürtes Wirksamkeitserfordernis kraft Verlangens des Vorstands gemäß § 119 Abs. 2 AktG. Gleichwohl kommt der Entscheidung der Hauptversammlung der Beklagten eine vergleichbare Bedeutung für den Bestand des Vertrages zu, weil dieser damit -wie bereits dargelegt - faktisch "steht oder fällt".
c) Über die Bekanntmachung des wesentlichen Inhalts des Vertrages hinaus ordnet das Gesetz bei bestimmten Verträgen, die von der Gesellschaft nur mit Zustimmung der Hauptversammlung rechtswirksam abgeschlossen werden können, weitergehend für die Aktionäre das Recht zur Einsichtnahme in den vollen Vertragswortlaut an, indem es der Gesellschaft die Auslegung des Vertrages von der Einberufung der Hauptversammlung an in ihren Geschäftsräumen und in der Hauptversammlung selbst sowie die Übersendung einer Abschrift auf Verlangen jedes Aktionärs auferlegt. Dazu gehören vor allem Unternehmensverträge (§§ 293 f Abs. 1 Nr. 1, 293 g Abs. 1 AktG), Verschmelzungsverträge (§§ 63 Abs. 1 Nr. 1, 64 Abs. 1 Satz 1 UmwG), ferner Nachgründungsverträge (§ 52 AktG) sowie auf Vermögensübertragung gerichtete Verträge (§§ 179 a AktG, 174 ff. UmwG). Daraus läßt sich freilich nicht ohne weiteres -wie das Berufungsgericht meint (ähnlich bereits OLG München, AG 1996, 327, 328) -im Wege einer Gesamtanalogie ableiten, daß derartig gesteigerte Informationspflichten gegenüber den Aktionären auch für alle anderen Verträge, die der Hauptversammlung zur Zustimmung unterbreitet werden, gelten. Dabei wird nämlich übersehen, daß es kraft Gesetzes auch zustimmungsbedürftige Verträge im Sinne des § 124 Abs. 2 Satz 2 AktG gibt, hinsichtlich derer weitergehende Informationspflichten der Gesellschaft nicht bestehen, nämlich Verzicht oder Vergleich in Bezug auf Ersatzansprüche der Gesellschaft (§§ 50, 53, 93 Abs. 4, 116, 117 Abs. 4, 309 Abs. 3, 310 Abs. 4, 317 Abs. 4, 318 Abs. 4 AktG). Mangels einer einheitlichen gesetzlichen Regelung über die weitergehenden Informationsrechte der Aktionäre für sämtliche Vertragstypen zustimmungsbedürftiger Verträge bedarf es daher stets einer Prüfung im Einzelfall, ob eine der jeweiligen speziellen Norm vergleichbare Fallkonstellation vorliegt, die ihre entsprechende Anwendung in bezug auf das Einsichtsrecht der Aktionäre in den Vertrag rechtfertigt.
Eine solche Konstellation ist vorliegend im Hinblick auf § 179 a Abs. 2 AktG gegeben. Der Vertrag über die Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens der M. AG an den N. -Konzern unterfiel in seinem obligatorischen Teil unmittelbar der Bestimmung des § 179 a AktG und bedurfte damit zu seiner Wirksamkeit der Zustimmung des Vorstands der Beklagten als ihrer Alleinaktionärin; insoweit bestand zweifellos eine Pflicht zur Auslegung des Verpflichtungsvertrages nach § 179 a Abs. 2 AktG zugunsten des Vorstands, der als Vertretungsorgan die Aktionärsrechte der Beklagten wahrnahm. Der Gesetzgeber hat im Falle des Verpflichtungsvertrages zur Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens -wie den Gesetzesmaterialien zu der gleichlautenden Vorgängervorschrift des § 361 AktG zu entnehmen ist (vgl. RegE z. AktG bei Kropff, S. 471 i.V.m. S. 70) - auf die ursprünglich vorgesehene Pflicht der Gesellschaft zur Verlesung des Vertrages in der Hauptversammlung als unpraktikabel verzichtet und statt dessen "ein anderes und wirksameres Verfahren" eingeführt, nämlich die Gesetz gewordenen Auslegungspflichten vor und in der Hauptversammlung sowie die Pflicht zur Übersendung einer Abschrift des Vertrages auf Anforderung der Aktionäre. Das im vorliegenden Fall kraft Gesetzes dem Vorstand als Vertreter der Beklagten selbst zustehende gesteigerte Informationsrecht muß er seinerseits den Aktionären der "eigenen" Hauptversammlung in gleicher Weise gewähren, wenn er vorab deren Zustimmung zu demselben Vertrag nach § 119 Abs. 2 AktG deswegen einfordert, weil er es für möglich hält, daß die Übertragung des Vermögens der Tochtergesellschaft an einen konzernfremden Dritten so tief in die Mitgliedsrechte der Aktionäre der Konzernherrin und deren im Anteilseigentum verkörpertes Vermögensinteresse eingreift, daß er vernünftigerweise nicht annehmen kann, er dürfe die Entscheidung in ausschließlich eigener Verantwortung treffen, ohne die Hauptversammlung zu beteiligen (BGHZ 83, 122, 131). Denn eine verantwortliche Entscheidung ohne Möglichkeit der Kenntnisnahme von dem Text des Verpflichtungsvertrages ist der Hauptversammlung ebensowenig zuzumuten wie dem Vorstand selbst bei seiner eigenen mit Außenwirkung zu treffenden Zustimmungsentscheidung. Das gilt erst recht dann, wenn die Billigung der eigenen Hauptversammlung zu einem solchen Vertrag über die bloße Innenwirkung im Verhältnis zum Vorstand hinaus eine Außenwirkung dergestalt erhält, daß kraft (gewillkürter) Vertragsgestaltung die Wirksamkeit des Vertrages - sei es im Wege der Bedingung gemäß § 158 BGB oder des Genehmigungsvorbehalts nach § 184 BGB -von der Zustimmung der Hauptversammlung der Obergesellschaft unmittelbar abhängig ist. Nicht anders verhält es sich bei der Vereinbarung eines Rücktrittsvorbehalts in dem Übertragungsvertrag dergestalt, daß mit der Entscheidung der Hauptversammlung der Obergesellschaft der Vertrag "steht und fällt", weil bei Zustimmung der Hauptversammlung der Vertrag endgültig seine Wirksamkeit behält, während im Falle der Verweigerung der Zustimmung das Rücktrittsrechts auszuüben und der Vertrag rückabzuwickeln ist. Auch für diesen gesetzlich nicht geregelten Sonderfall des § 119 Abs. 2 AktG ist dem in gleicher Weise gesteigerten Informationsbedürfnis der Aktionäre durch Eröffnung der Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Vertragswortlaut in entsprechender Anwendung des § 179 a Abs. 2 AktG Rechnung zu tragen.
Ein -der Offenlegung des Vertrags entgegenstehendes -Geheimhaltungsinteresse der Vertragsparteien hinsichtlich des Vertragstextes ist gegenüber dem Anspruch der Aktionäre der Beklagten auf Einsichtnahme grundsätzlich ebenso wenig anzuerkennen, wie dies im Falle der unmittelbaren Anwendung des § 179 a AktG im Verhältnis zwischen der M. AG und dem Vorstand der Beklagten als Vertreter der Alleinaktionärin Geltung beanspruchen kann. Angesichts dieser Rechtslage kommt es nicht einmal entscheidend darauf an, daß die Kläger sogar damit einverstanden gewesen wären, wenn ihnen nur die -nach Ansicht der Beklagten -nicht geheimhaltungsbedürftigen Vertragsbestimmungen zur Einsicht überlassen worden wären.
4.
Danach hat das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht einen Verstoß gegen die Informationsrechte beider Kläger darin gesehen, daß der Übertragungsvertrag zwischen der M. AG und dem N. -Konzern -jedenfalls hinsichtlich des Verpflichtungsgeschäfts -nicht zur Einsicht der Aktionäre in den Geschäftsräumen der Beklagten und in der Hauptversammlung ausgelegt worden ist. Darüber hinaus ist die Klägerin zu 1 in ihrem Recht auf Übersendung einer Abschrift des Vertrages -die die Beklagte verweigert hat -verletzt worden.
5.
Die Kausalität der aufgezeigten wesentlichen Verletzungen der Informationsrechte der Kläger aus § 179 Abs. 2 AktG im Hinblick auf das Beschlußergebnis hat das Berufungsgericht auf der Grundlage der Sicht eines objektiv urteilenden Aktionärs rechtsbedenkenfrei bejaht.
BGH:
Urteil v. 15.01.2001
Az: II ZR 124/99
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