Bundesgerichtshof:
Urteil vom 12. Juli 2011
Aktenzeichen: II ZR 71/11
(BGH: Urteil v. 12.07.2011, Az.: II ZR 71/11)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
In dem vorliegenden Rechtsstreit geht es um eine Klage auf Zahlung von 1.295,91€ für Reifenlieferungen und -montagen. Die Klägerin fordert diesen Betrag vom Beklagten, der Geschäftsführer einer GmbH ist. Die Gesellschaft wurde am 25. Oktober 2006 in das Handelsregister eingetragen. Allerdings waren Änderungen des Unternehmensgegenstandes, des Namens und des Sitzes sowie der Wechsel der Gesellschafter und Geschäftsführer bereits vor der Eintragung beschlossen und vollzogen worden. Die Klägerin erbrachte Leistungen für die Gesellschaft zwischen März und April 2007. Das Amtsgericht wies die Klage ab, das Landgericht gab ihr jedoch statt. Der Beklagte legte Revision ein und das Urteil des Landgerichts wurde aufgehoben. Der Beklagte ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofs (BGH) nicht aus rechtlichen Gründen zur Zahlung der Klageforderungen verpflichtet. Der BGH stellt fest, dass es sich nicht um eine wirtschaftliche Neugründung handelt und somit die Voraussetzungen für eine Haftung des Beklagten nach § 11 Abs. 2 GmbHG nicht erfüllt sind. Zudem kommt eine Haftung nach § 9a Abs. 1 GmbHG nicht in Betracht. Das Berufungsgericht hatte nicht festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Offenlegung am 25. Oktober 2006 der erforderliche Teil des Stammkapitals nicht zur freien Verfügung des Geschäftsführers stand.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BGH: Urteil v. 12.07.2011, Az: II ZR 71/11
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stendal vom 10. Dezember 2009 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Burg vom 31. März 2009 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren werden der Klägerin auferlegt.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt den Beklagten aus § 11 Abs. 2 GmbHG auf Zahlung von 1.295,91 € für die Bezahlung von Reifenlieferungen und -montagen in Anspruch.
Der Beklagte ist Geschäftsführer der S. GmbH, die am 25. Oktober 2006 in das Handelsregister eingetragen wurde. Der einzige Geschäftsanteil an 1 der Gesellschaft war bereits zuvor am 10. Oktober 2006 an H. A. übertragen worden. In die darüber errichtete notarielle Urkunde wurde der Beschluss der unter Verzicht auf Formen und Fristen zusammengetretenen Gesellschafterversammlung aufgenommen, den Unternehmensgegenstand in "gewerblichen Güternah- und -fernverkehr, Umzüge, Frachtvermittlungen" und die Firma der Gesellschaft in "A. Transporte & Co. GmbH" zu ändern, den Gesellschaftssitz nach M. zu verlegen, die Geschäftsführerin abzuberufen und den Beklagten zum neuen Geschäftsführer zu bestellen. Der Beklagte meldete diese Änderungen mit Schreiben vom selben Tag, bei Gericht eingegangen am 25. Oktober 2006, zur Eintragung in das Handelsregister an und erklärte dabei, das Stammkapital sei vorhanden und befinde sich in der endgültigen freien Verfügung der Geschäftsführung. Eine Eintragung der Vertragsänderungen und des neuen Geschäftsführers in das Handelsregister unterblieb, weil der Kostenvorschuss nicht eingezahlt und eine Genehmigung nach dem Güterkraftverkehrsgesetz nicht vorgelegt wurde.
Gemäß Rechnungen vom 28. März bis 30. April 2007 erbrachte die Klägerin in der Folgezeit Leistungen für die Gesellschaft, deren Bezahlung Gegenstand der Klage ist. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat ihr stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Gründe
Die Revision ist erfolgreich und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils. Der Beklagte ist aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zur Zahlung der Klageforderungen verpflichtet. 3 I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Der Beklagte hafte analog § 11 Abs. 2 GmbHG für die unter seiner Verantwortung begründeten Verbindlichkeiten der GmbH. Diese Vorschrift sei auf den Fall der wirtschaftlichen Neugründung einer GmbH - durch Verwendung einer sogenannten Vorratsgesellschaft oder durch Aktivierung eines leeren "GmbH-Mantels" - entsprechend anwendbar. Dabei komme es weder darauf an, ob die Geschäftsführer die Neugründung dem Registergericht angezeigt hätten, noch ob die Gesellschafter mit der Aufnahme der Geschäftstätigkeit durch die Geschäftsführer vor Eintragung der die Neugründung begleitenden Änderungen des Gesellschaftsvertrages im Handelsregister einverstanden gewesen seien. Erst wenn die Eintragung im Handelsregister erfolgt sei, ende die persönliche Haftung des Geschäftsführers. Die entgegenstehende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 7. Juli 2003 - II ZR 4/02, BGHZ 155, 318) entbehre einer tragfähigen dogmatischen Grundlage.
II. Diese Ausführungen halten einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Es fehlt bereits an einer wirtschaftlichen Neugründung im Sinne der Rechtsprechung des Senats. Die Gesellschaft, deren Gegenstand zunächst in der Verwaltung ihres eigenen Vermögens bestand, war zwar nach der Feststellung des Berufungsgerichts als sogenannte Vorratsgesellschaft gegründet worden. Die Änderung des Unternehmensgegenstandes, des Namens und des Sitzes ebenso wie der Wechsel der Gesellschafter und der Geschäftsführer - mithin die Ausstattung der Gesellschaft mit einem werbenden Unternehmen - waren aber schon vor der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister beschlossen und - soweit dafür nicht die Eintragung im Handelsregister erforderlich war - auch vollzogen worden. 5 2. Im Übrigen kommt im Falle einer wirtschaftlichen Neugründung durch Verwendung einer Vorratsgesellschaft - ebenso wie durch Aktivierung eines leeren "GmbH-Mantels" - eine Handelndenhaftung in entsprechender Anwendung des § 11 Abs. 2 GmbHG nur dann in Betracht, wenn die Geschäfte vor Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung aufgenommen werden, ohne dass dem alle Gesellschafter zugestimmt haben (BGH, Beschluss vom 7. Juli 2003 - II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 327). Auch diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats stellt die Verwendung einer "auf Vorrat" gegründeten und im Handelsregister eingetragenen GmbH wirtschaftlich eine Neugründung dar. Darauf sind die der Gewährleistung der Kapitalausstattung dienenden Gründungsvorschriften des GmbH-Gesetzes einschließlich der registergerichtlichen Kontrolle entsprechend anzuwenden. Die Geschäftsführer haben analog § 8 Abs. 2 GmbHG zu versichern, dass die in § 7 Abs. 2 und 3 GmbHG bezeichneten Leistungen auf die Geschäftsanteile bewirkt sind und dass sich der Gegenstand der Leistungen - weiterhin oder jedenfalls wieder - endgültig in ihrer freien Verfügung befindet (BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2002 - II ZB 12/02, BGHZ 153, 158, 160 ff.; Beschluss vom 7. Juli 2003 - II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 321 ff., ebenso zur Aktiengesellschaft schon BGH, Beschluss vom 16. März 1992 - II ZB 17/91, BGHZ 117, 323, 330 ff.).
Zur Gewährleistung der realen Kapitalaufbringung als zentrales, die Haftungsbegrenzung auf das Gesellschaftsvermögen rechtfertigendes Element kommt neben der registergerichtlichen Präventivkontrolle auf der materiellrechtlichen Haftungsebene das - auf eine Innenhaftung beschränkte - Modell der Unterbilanzhaftung (BGH, Urteil vom 27. Januar 1997 - II ZR 123/94, BGHZ 134, 333 ff.; Urteil vom 16. Januar 2006 - II ZR 65/04, BGHZ 165, 391 ff.) 8 zur Anwendung. Maßgeblicher Stichtag für diese Haftung der Gesellschafter ist bei der wirtschaftlichen Neugründung die - mit der Versicherung nach § 8 Abs. 2 GmbHG und der Anmeldung etwaiger mit ihr einhergehender Satzungsänderungen zu verbindende - Offenlegung gegenüber dem Handelsregister. Da die Gesellschaft im Falle der wirtschaftlichen Neugründung nicht erst mit der Eintragung im Handelsregister entsteht, ist damit dem Gebot der Gläubigersicherung hinreichend genügt. Auf die nachfolgende Eintragung der Vertragsänderungen - die in Ausnahmefällen, etwa bei der Aktivierung einer leeren GmbH-Hülle durch dieselben Gesellschafter, auch ganz fehlen können - kommt es nicht an (BGH, Beschluss vom 7. Juli 2003 - II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 326 f.).
b) Eine (Außen)Haftung der handelnden Personen analog § 11 Abs. 2 GmbHG hat der Senat nur für solche Fälle in Betracht gezogen, in denen vor Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung die Geschäfte aufgenommen worden sind, ohne dass dem alle Gesellschafter zugestimmt haben (BGH, Beschluss vom 7. Juli 2003 - II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 327).
Nach § 11 Abs. 2 GmbHG haftet persönlich, wer vor Eintragung der Gesellschaft in deren Namen handelt und dadurch Verbindlichkeiten begründet. Die Bedeutung dieser Norm hat mit der Aufgabe des Vorbelastungsverbots und der Anerkennung einer Unterbilanz- und Verlustdeckungshaftung der Gesellschafter (BGH, Urteil vom 9. März 1981 - II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 ff.; Urteil vom 27. Januar 1997 - II ZR 123/94, BGHZ 134, 333 ff.; Urteil vom 16. Januar 2006 - II ZR 65/04, BGHZ 165, 391 ff.) abgenommen. Sie dient im Wesentlichen nur noch dazu, in Fällen, in denen für eine Geschäftstätigkeit vor Eintragung der Gesellschaft auch nach den neueren Rechtsgrundsätzen weder die Gesellschafter noch die Gesellschaft haften - etwa weil die Geschäftsführer ihre Vertretungsmacht überschritten haben -, den Gläubigern einen Schuldner zu verschaffen (BGH, Urteil vom 7. Mai 1984 - II ZR 276/83, BGHZ 91, 148, 152; 11 Urteil vom 14. Juni 2004 - II ZR 47/02, ZIP 2004, 1409, 1410 zum vergleichbaren § 41 Abs. 1 Satz 2 AktG; Ulmer in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 11 Rn. 123 ff.; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 11 Rn. 53).
Eine entsprechende Anwendung des § 11 Abs. 2 GmbHG im Falle der wirtschaftlichen Neugründung einer Gesellschaft ist daher auf den Zeitpunkt zu beziehen, auf den es auch für die Haftung der Gesellschafter ankommt (BGH, Beschluss vom 7. Juli 2003 - II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 327). Das ist nach dem zuvor Gesagten der Zeitpunkt der Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung - oder allenfalls der Zeitpunkt der nach außen in Erscheinung getretenen wirtschaftlichen Neugründung, wie der Senat für "Altfälle" angenommen hat (BGH, Beschluss vom 26. November 2007 - II ZA 14/06, ZIP 2008, 217, 218) - jedenfalls aber nicht, wie das Berufungsgericht gemeint hat, der Zeitpunkt der Eintragung der mit der Neugründung gegebenenfalls verbundenen anmeldepflichtigen Änderungen des Gesellschaftsvertrages (ebenso Ulmer in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 3 Rn. 170; Hueck/Fastrich in Baumbach/ Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 3 Rn. 13; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl., § 3 Rn. 12; Bayer in Festschrift für Goette, 2011, S. 15, 21 m.w.N.). Denn in Fällen, in denen das Stammkapital der Gesellschaft bei der Offenlegung der Neugründung ganz oder teilweise aufgebraucht ist, greift grundsätzlich die Unterbilanzhaftung der Gesellschafter ein, so dass es der zusätzlichen Haftung der Handelnden analog § 11 Abs. 2 GmbHG nicht mehr bedarf (vgl. BAG, ZInsO 2008, 572, 576). Ob sich die Eintragung der mit der Neugründung verbundenen Satzungsänderungen verzögert oder ob sie - wie hier - ganz unterbleibt, ist für die Haftung ohne Bedeutung. Stellt das Registergericht bei einer - späteren - Prüfung fest, dass zum Zeitpunkt der Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung die Angaben der Geschäftsführer nach § 8 Abs. 2 GmbH falsch waren, haften diese in entsprechender Anwendung des § 9a Abs. 1 13 GmbHG (Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl., § 3 Rn. 19). Davon zu unterscheiden ist die Haftung bei unterbliebener Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung (siehe dazu KG, ZIP 2010, 582; OLG München, ZIP 2010, 579; Altmeppen, DB 2003, 2050, 2052; Bärwaldt/Balda, GmbHR 2004, 350, 353; K. Schmidt, ZIP 2010, 857, 860 f.; Wahl/Schult, NZG 2010, 611 ff.), um die es im vorliegenden Fall nicht geht.
c) Danach scheidet eine Haftung des Beklagten für die im Zuge der nach Offenlegung der - vermeintlichen - wirtschaftlichen Neugründung begründeten Gesellschaftsschulden analog § 11 Abs. 2 GmbHG aus. Der Beklagte hat die Geschäftstätigkeit - durch den Sohn der Alleingesellschafterin - erst nach der Offenlegung zugelassen.
3. Auch eine Haftung aus § 9a Abs. 1 GmbHG kommt nicht in Betracht. Das Berufungsgericht hat jedenfalls nicht festgestellt - und es spricht auch nichts dafür -, dass zum Zeitpunkt der Offenlegung am 25. Oktober 2006 der erforderliche Teil des Stammkapitals nicht endgültig zur freien Verfügung des Geschäftsführers stand. Die GmbH wurde an demselben Tag - noch unter ihrem alten Namen S. GmbH - in das Handelsregister eingetragen. Die registergerichtliche Prüfung hatte also offenbar keine Zweifel ergeben.
Bergmann Strohn Caliebe Reichart Sunder Vorinstanzen:
AG Burg, Entscheidung vom 31.03.2009 - 3 C 409/08 -
LG Stendal, Entscheidung vom 10.12.2009 - 22 S 44/09 -
BGH:
Urteil v. 12.07.2011
Az: II ZR 71/11
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