Hessisches Landessozialgericht:
Beschluss vom 5. April 2011
Aktenzeichen: L 2 SF 205/10 E

(Hessisches LSG: Beschluss v. 05.04.2011, Az.: L 2 SF 205/10 E)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Hessische Landessozialgericht hat über die Vergütung eines Rechtsanwaltes im Beschwerdeverfahren entschieden. Dabei ging es um die Frage, welcher Gebührenrahmen anzuwenden ist. Das Sozialgericht hatte die Vergütung auf einen niedrigeren Betrag festgesetzt, als vom Anwalt gefordert. Das Landessozialgericht hingegen entschied, dass die Vergütung nach dem Gebührentatbestand der Nr. 3501 VV-RVG zu berechnen ist. Die Urkundsbeamtin hatte zuvor die Rechnung des Anwaltes reduziert und eine Gebühr nach dem Gebührentatbestand Nr. 3204 VV-RVG angesetzt. Das Sozialgericht hob den Beschluss der Urkundsbeamtin auf und setzte die Vergütung auf einen niedrigeren Betrag fest. Dagegen legten sowohl der Anwalt als auch der Antragsgegner Erinnerung ein. Das Landessozialgericht entschied schließlich, dass die Vergütung nach dem Gebührentatbestand Nr. 3501 VV-RVG zu berechnen ist. Nur der Antrag des Antragsgegners auf Begrenzung der Vergütung wurde stattgegeben, die Beschwerde der Antragstellerin wurde abgelehnt. Die Entscheidung ist endgültig. (ca. 171 Wörter)




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

Hessisches LSG: Beschluss v. 05.04.2011, Az: L 2 SF 205/10 E


Die Vergütung eines durch die Gewährung von Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwaltes für seine Tätigkeit im Beschwerdeverfahren vor dem Landessozialgericht gegen den Beschluss des Sozialgerichts im einstweiligen Anordnungsverfahren richtet sich nicht nach dem Gebührentatbestand der Nr. 3204 VV-RVG, sondern nach dem Gebührentatbestand der Nr. 3501 VV-RVG.

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss desSozialgerichts Frankfurt am Main vom 10. Juni 2010 abgeändert. DieVergütung der Antragstellerin für ihre Rechtsanwaltstätigkeit imVerfahren L 2 R 106/05 ER wird auf 202,80 € festgesetzt. DieBeschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

In dem Verfahren vor dem Hessischen Landessozialgericht B. B.gegen die Landesversicherungsanstalt Hessen (L 2 R 106/05 ER), indem die Beteiligten um die Übernahme der Kosten für einen am 4.April 2005 beginnenden Reha-Vorbereitungslehrgang des Klägersstritten, beantragte der Kläger am 4. April 2005 die Gewährung vonProzesskostenhilfe. Dem entsprach das Landessozialgericht mitBeschluss vom 17. Mai 2005 und ordnete die Antragstellerin alsRechtsanwältin bei. Mit Beschluss ebenfalls vom 17. Mai 2005 hobder erkennende Senat den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt amMain vom 31. März 2005 auf und lehnte den Antrag des Klägers, dieBeklagte im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten,seine Teilnahme an einem bereits am 4. April 2005 begonnenenReha-Vorbereitungslehrgang zu bewilligen, ab.

Mit Kostenrechnung vom 3. Juni 2005 machte die Antragstellerineine Rechtsanwaltsvergütung in Höhe von 684,40 € geltend.Dabei berechnete sie eine Verfahrensgebühr nach der Nr. 3204 desVergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV-RVG,Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) in Höhe von 570,00 €. DieUrkundsbeamtin reduzierte die Rechnung auf 522,00 €. Bei derBerechnung der Gebühr legte sie die Nr. 3204 VV-RVG zugrunde undhielt in diesem Zusammenhang eine Gebühr von 430,00 € fürangemessen, ausgehend von der Mittelgebühr des Gebührenrahmens undeiner merklich über dem Durchschnitt liegenden Angelegenheit.

Gegen die Gebührenfestsetzung der Urkundsbeamtin legten sowohldie Antragstellerin wie auch der Antragsgegner Erinnerung ein. MitBeschluss vom 10. Juni 2010 setzte das Sozialgericht die Vergütungfür das Verfahren L 2 R 106/05 ER auf insgesamt 382,80 € fest.Zur Begründung seiner Entscheidung führte es im Wesentlichen aus,dass für die Beschwerdesache des Eilverfahrens die Gebühr nach Nr.3204 VV-RVG anzusetzen sei. Denn wenn in der ersten Instanz für einEilverfahren die allgemeine Prozessgebühr der Nr. 3102 VV-RVGangesetzt werde, also eine allgemeine Verfahrensgebühr herangezogenwerde, sei nicht zu erkennen, weshalb die Fortsetzung desVerfahrens in der II. Instanz plötzlich keine allgemeineVerfahrensgebühr mehr auslösen solle. Die Heranziehung der Nr. 3501VV-RVG erscheine verfehlt. Beschwerden und Erinnerungen imRegelungszusammenhang des Abschnitts 5 und Teil 3 desVergütungsverzeichnisses zum RVG beträfen Neben- undZwischenverfahren, nicht aber Hauptverfahren. Die formaljuristischeAnwendung dieser Tarifstelle durch die Rechtsprechung verkenne diebesondere Bedeutung des gerichtlichen Eilrechtsschutzes imSozialrecht, zu der auch eine angemessene anwaltliche Vergütunggehöre. Vorliegend sei die Mittelgebühr von 310,00 €anzusetzen. Das Sozialgericht ließ die Beschwerde gegen denBeschluss zu.

Gegen den am 23. bzw. 24. Juni 2010 zugestellten Beschluss erhobder Antragsgegner am 5. Juli 2010, die Antragstellerin am 7. Juli2010 Beschwerde, denen das Sozialgericht nicht abhalf (Beschlussvom 6. September 2010).

Die Antragstellerin hält an ihrer Kostenrechnung vom 3. Juni2005 fest. Der Ansatz der Höchstgebühr nach der Nr. 3204 VV-RVG seiangemessen.

Die Antragstellerin beantragt (sinngemäß),

den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 10. Juni2010 aufzuheben und die Vergütung für ihre Tätigkeit in demVerfahren L 2 R 106/05 ER auf insgesamt 684,40 € festzusetzenund die Beschwerde des Antragsgegners zurückzuweisen.

Der Antragsgegner beantragt (sinngemäß),

den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 10. Juni2010 zu ändern und die Vergütung für die Rechtsanwaltstätigkeit imVerfahren L 2 R 106/05 ER auf 208,80 € zu begrenzen und dieBeschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.

Der Antragsgegner vertritt die Auffassung, für die Vergütung derTätigkeit im Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzessei nicht der Betragsrahmen nach Nr. 3204 VV-RVG zugrunde zu legen.Vielmehr komme der Vertragsrahmen nach der Nr. 3501 VV-RVG zurAnwendung. Dies werde auch in kostenrechtlichen Entscheidungenanderer Landessozialgerichte so gesehen. Die Ausführungen desSozialgerichts unter Bezugnahme auf die Gebührenpraxis nach derBRAGO seien nicht überzeugend. Auch der vom Sozialgericht aus dergeltenden Regelung im RVG gezogene Rückschluss, wenn für die I.Instanz die allgemeine Verfahrensgebühr herangezogen werden solle,müsse dies zwangsläufig auch für Rechtsmittelinstanz gelten, seinicht zwingend. Es fehle ein klarer Regelungsansatz im Gesetz, inwelcher Weise die typischen Gegebenheiten eines sozialrechtlichenEilverfahrens vor dem Sozialgericht im Verhältnis zu einemKlageverfahren (Hauptsacheverfahren) zu gewichten und in dasBewertungsgefüge des § 14 Abs. 1 RVG anzupassen sei. Das HessischeLandessozialgericht habe hier ein grundsätzliches Abstandsgebot fürdie Gebührenbemessung im Eilverfahren gegenüber derGebührenbemessung im Klageverfahren erkannt und entschieden, dassinsoweit nicht die Mittelgebühr des Gebührenrahmens, sondern einBetrag von zwei Dritteln des Mittelwertes angemessen seien. Für dasRechtsmittelverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in derBeschwerdesache vor dem Hessischen Landessozialgericht sei derBetragsrahmen nach der Nr. 3501 VV-RVG anzuwenden. Zwar werdehieraus kein Präjudiz für die vorliegende Entscheidung getroffen,da Gegenstand des seinerzeitigen Beschlusses dieRechtsanwaltsgebühren eines Eilverfahrens I. Instanz gewesen seien.Der Hinweis auf die Nr. 3105 VV-RVG gebe zumindest einenFingerzeig, dass die Anwendung ernsthaft in Betracht zu ziehen undnicht abwegig sei. Bei Berücksichtigung der Nr. 3105 VV-RVG sei dieGebühr nach der Obergrenze des Gebührenrahmens festzusetzen imHinblick auf die Wertigkeit sonstiger Beschwerde- oderErinnerungsverfahren im Verhältnis zur vorliegenden Eilsache.Höchstvorsorglich werde vorgetragen, dass im Falle der Anwendungder Nr. 3204 VV-RVG eine andere Bewertung Platz greife undkeineswegs von der Rahmenhöchstgebühr ausgegangen werden könne. Ineinem solchen Fall müsse sich das Beschwerdeverfahren deseinstweiligen Rechtsschutzes mit den Verhältnissen einesdurchschnittlichen Berufungsverfahrens in der Hauptsachevergleichen lassen, es sei der gebotene Abstand zur Wertigkeiteines gleichartigen Hauptsacheverfahrens auf andere Weiseherzustellen.

Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Beschwerdeaktenund die Gerichtsakten L 2 R 106/05 ER, die vorgelegen haben, Bezuggenommen.

II.

Der Senat hat die Beschwerden durch seine Berufsrichterentschieden, nachdem die Berichterstatterin das Verfahren wegengrundsätzlicher Bedeutung dem Senat übertragen hatte (§§ 56 Abs. 2S. 1, 33 Abs. 8 S. 2 RVG).

Die Beschwerden sind zulässig und fristgelegt eingelegt worden,jedoch ist nur die Beschwerde des Antragsgegners begründet, die derAntragstellerin ist nicht begründet.

Vorliegend ist die Vergütung für die Tätigkeit der beigeordnetenRechtsanwältin im Beschwerdeverfahren L 2 R 106/05 ER auf insgesamt208,80 € festzusetzen.

Die Höhe der Vergütung richtet sich nach dem Gebührentatbestandder Nr. 3501 VV-RVG. Danach beträgt die Verfahrensgebühr fürVerfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit über dieBeschwerde und die Erinnerung, wenn in den VerfahrenVertragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG), 15,00 bis 160,00€, soweit in diesem Abschnitt keine besonderen Gebührenbestimmt sind. In dem Abschnitt 5, der sich mit Beschwerden,Nichtzulassungsbeschwerden und Erinnerungen befasst, sind für dieeinstweiligen Anordnungsverfahren der Sozialgerichtsbarkeit keinebesonderen Gebühren bestimmt. Lediglich fürNichtzulassungsbeschwerden gelten die besonderen Gebühren der Nrn.3511 und 3512 VV-RVG. Dieser Fall ist hier nicht gegeben.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist nicht derGebührentatbestand der Nr. 3204 VV-RVG zugrunde zu legen. DieserGebührentatbestand befindet sich in Abschnitt 2, der sich mit€Berufung, Revision, bestimmten Beschwerden und Verfahren vordem Finanzgericht€ befasst. Nach der Nr. 3204 VV-RVG beträgtdie Verfahrensgebühr für Verfahren vor den Landessozialgerichten,in denen Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG), 50,00 €bis 570,00 €. Die Gebührenziffer betrifft Berufungsverfahrenvor den Landessozialgerichten. Welche Beschwerdeverfahren erfasstwerden, wird in der Vorbemerkung 3.2 Abs. 2 zum Gebührentatbestandausgeführt. In Verfahren vor den Gerichten derSozialgerichtsbarkeit auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§86b Sozialgerichtsgesetz) können danach Gebühren entstehen, wenndie Maßnahme erstmals beim Berufungsgericht als Gericht derHauptsache beantragt wird bzw. das Berufungsgericht erstinstanzlichtätig wird. Die Gebühren bestimmen sich dann allerdings gemäß derVorbemerkung 3.2 Abs. 2 nicht nach der Nr. 3204 VV-RVG, sondernnach dem Abschnitt 1 (erster Rechtszug). Vorliegend geht es um eineBeschwerdeentscheidung, so dass auch Gebühren nach dem Abschnitt 1nicht entstanden sind.

Die Gebührentatbestände des Abschnitts 2, wie z.B. die Nr. 3204VV-RVG, gelten zwar darüber hinaus in den Verfahren, wie sie imUnterabschnitt 1, Vorbemerkung 3.2.1., Abs. 1 benannt sind.Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit werden hiervon aber nichterfasst.

Aus alledem ergibt sich, dass die Nr. 3204 VV-RVG vorliegendnicht zur Anwendung kommt (siehe auch Beschluss des LSGSachsen-Anhalt vom 1. August 2006 € L 2 B 89/06 SF;Sächsisches LSG, Beschluss vom 3. Juli 2008 € L 6 B 162/08AS-KO, Riedel-Sußbauer, RVG-Kommentar, 9. Auflage. VV Teil 3Abschnitt 2, Rdnr. 11, 43). Die Berechnung der Gebühren für dieTätigkeit der Antragstellerin als beigeordnete Rechtsanwältin imBeschwerdeverfahren L 2 R 106/05 ER ist nach der Nr. 3501 VV-RVGvorzunehmen. Hier ist der Berechnung des Antragsgegners zufolgen.

Die Entscheidung ist endgültig (§§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 4Satz 3 RVG).






Hessisches LSG:
Beschluss v. 05.04.2011
Az: L 2 SF 205/10 E


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/45f5d7b0a8fe/Hessisches-LSG_Beschluss_vom_5-April-2011_Az_L-2-SF-205-10-E




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share