Bundespatentgericht:
Urteil vom 9. Januar 2007
Aktenzeichen: 3 Ni 35/05
(BPatG: Urteil v. 09.01.2007, Az.: 3 Ni 35/05)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Bundespatentgericht hat in seinem Urteil vom 9. Januar 2007 (Aktenzeichen 3 Ni 35/05) das deutsche Patent 195 30 048 für nichtig erklärt. Die Klägerin hatte argumentiert, dass das Patent nicht patentfähig sei und sich nicht auf eine erfinderische Tätigkeit gründe. Die Beklagte hatte dem widersprochen und die Patentfähigkeit des Patents verteidigt. Das Gericht folgte jedoch der Argumentation der Klägerin und erklärte das Patent für nichtig.
Das Streitpatent betrifft eine "Ballenpresse" und umfasst 10 Patentansprüche. Die Klägerin hatte verschiedene Dokumente vorgelegt, die belegen sollten, dass der Gegenstand des Patentanspruchs über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgeht und keine erfinderische Tätigkeit vorliegt.
Das Gericht stellte fest, dass die Unterschiede zwischen dem Streitpatent und einer bereits bekannten Ballenpresse nicht erfinderisch sind, da es technisch unerheblich ist, ob eine spezielle Schneidbalkenausgestaltung am feststehenden oder am beweglichen Schneidbalken ausgeführt ist. Das Streitpatent basiert somit auf einer einfachen Zusammenschau bereits bekannter Elemente.
Das Gericht erklärte daher das Streitpatent für nichtig und ordnete an, dass die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits tragen muss. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BPatG: Urteil v. 09.01.2007, Az: 3 Ni 35/05
Tenor
Das deutsche Patent 195 30 048 wird für nichtig erklärt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 16. August 1995 angemeldeten Patents DE 195 30 048 C2 (Streitpatent). Das Streitpatent betrifft eine "Ballenpresse" und umfasst nach der Streitpatentschrift 10 Patentansprüche, von denen der Patentanspruch 1 wie folgt lautet:
"Ballenpresse (1) für Papier und sonstiges schneidbare Material mit einem in einen horizontalen Presskanal (3) einmündenden Presskasten (2), durch den hindurch ein Pressstempel (4) bis in den Presskanal (3) vorbeweglich und aus diesem zurückbeweglich ist, und einem von oben in den Presskasten (2) einmündenden Einfüllschacht (15), wobei der Presskanal (3) auf das Zusammenstellen von Ballen aus jeweils mit Hüben des Pressstempels (4) geformten Teilballen ausgelegt und eingangsseitig oben zwischen zwei Seitenwänden (9, 10) des Presskanals (3) durch einen horizontalen Schneidbalken (5) für das Abtrennen über den Querschnitt des Presskanals hinausragenden Pressguts begrenzt ist, wobei der Schneidbalken (5) vorderseitig positiv gepfeilt ausgebildet ist mit von einer mittigen, gegen die Pressrichtung weisenden Spitze (8) beidseitig, über den größten Teil der jeweiligen (hälftigen) Breite durchgehend, unter einem Schneidwinkel zurückfliehenden Schneidkanten, dadurch gekennzeichnet, dass der Schneidbalken (5) an seinen seitlichen, an jeweils eine der Seitenwände (9, 10) des Presskanal (3) heranreichenden Enden mit negativ gepfeilten Wandabweisern (11, 12) versehen ist."
Wegen des Wortlauts der mittelbar oder unmittelbar auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 10 wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.
Die Klägerin macht geltend, das Streitpatent sei nicht patentfähig, weil der Gegenstand des Patentanspruchs 1 über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinausgehe, in der sie bei der für die Einreichung der Anmeldung zuständigen Behörde ursprünglich eingereicht worden sei und weil darüber hinaus der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Zur Begründung bezieht sie sich insbesondere auf folgende Dokumente:
Anlage NK 4 DE 33 28 588 C2 Anlage NK 6 DE 34 35 126 C2 Anlage NK 16 US 3,906,852 Anlage NK 17 Auszug aus der Betriebsanleitung für eine Kanalballenpresse Typ HPK 30, Baujahr 1992 Anlage NK 17.1 Kopie der Abb. 13 (Blatt 10 aus der Anlage NK 17)
Anlage NK 28 Fotos der Ballenpresse vom Typ HPK 70 der Firma Kampwerth Umwelttechnik GmbH & Co. KG, Bad Laer Anlage NK 28.1 Datenblatt der Firma Kampwerth Umwelttechnik GmbH & Co. KG, Bad Laer zu deren Kanalballenpressen der Typenreihe "HPK"
Anlage NK 29 Kopie des Prospekts "Wirtschaftliche Abfallentsorgung Ballenpresse-TEMPO 9" der Firma HSM.
Hinsichtlich der übrigen zur Begründung ihres Vorbringens gemäß Anlagenverzeichnis Teil 1 und Teil 2 (Bl. 40, 41 und 142a, 142b der Akte) vorgelegten Dokumente wird auf den Inhalt der Verfahrensakten Bezug genommen.
Der Klägerin beantragt, das deutsche Patent 195 30 048 für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und hält das Streitpatent für patentfähig.
Gründe
Die zulässige Klage erweist sich als begründet.
Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit führt zur Nichtigkeit des Streitpatents (§ 22 Abs. 1, § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG).
I.
1. Gemäß den Ausführungen in der Streitpatentschrift ist, insbesondere bei Kanalballenpressen, wie sie beispielsweise aus der DE 34 35 126 C2 bekannt sind, der Übergangsbereich zwischen Einfüllschacht, Presskasten und Presskanal als eine hinsichtlich der Leistungsfähigkeit und der Störungsanfälligkeit einer Ballenpresse kritische Stelle bekannt. Besondere mit der oberen Vorderkante des Pressstempels scherend zusammenwirkende Schneidbalkensysteme seien entwickelt worden, die einerseits für einen schweren Dauerbetrieb hinreichend robust seien, andererseits aber dem Bedürfnis Rechnung tragen würden, die Scherkräfte allgemein und vor allem die Belastungsspitzen niedrig zu halten (Streitpatentschrift Sp. 1, Z. 3 - 14).
In dieser Hinsicht hätten sich Schneidbalken als vorteilhaft herausgestellt, die (in der Draufsicht) eine zentrale Spitze und von dieser mit einer positiven Pfeilung nach hinten fliehende Schneidkanten aufweisen würden. Die zentrale Spitze sei besonders gut geeignet, das mit der Annäherung des Pressstempels sich immer stärker verdichtende Material fest zu halten und an einem seitlichen Abdrängen zu hindern. Die seitliche Abfließbewegung des Materials habe auch Vorteile hinsichtlich einer außenseitig festen und dichten Ballenstruktur (Streitpatentschrift Sp. 1, Z. 15 - 25).
Andere Schneidbalkengestaltungen, etwa solche mit einer negativen Pfeilung, hätten sich als weniger vorteilhaft herausgestellt, weil die Seitenflächen der Ballen unzulänglich verdichtet würden und weil das zur Mitte hin zusammenfließende Material am Ende des Schneid- bzw. Abschervorgangs, bei dem auch der voran bewegte Pressstempel zu einer höheren Teilballenverdichtung beitragen würde, eine sehr hohe abschließende Belastungsspitze im Abschervorgang mit sich bringe (Streitpatentschrift Sp. 1, Z. 26 - 34).
2. Nach den Angaben der Streitpatentschrift besteht die der Erfindung zugrunde liegende Aufgabe darin, ohne hohen baulichen Aufwand oder Einbußen an Robustheit die Leistungsfähigkeit einer solchen Presse zu erhöhen, bzw. den Kraft- und Leistungsbedarf zu senken (Streitpatentschrift Sp. 1, Z. 45 - 48).
3. Zur Lösung dieser Aufgabe beschreibt Patentanspruch 1 eine Ballenpresse (1) für Papier und sonstiges schneidbare Materialmit einem in einen horizontalen Presskanal (3) einmündenden Presskasten (2), durch den hindurch ein Pressstempel (4) bis in den Presskanal (3) vorbeweglich und aus diesem zurückbeweglich ist, undeinem von oben in den Presskasten (2) einmündenden Einfüllschacht (15), wobei der Presskanal (3) auf das Zusammenstellen von Ballen aus jeweils mit Hüben des Pressstempels (4) geformten Teilballen ausgelegt undeingangsseitig oben zwischen zwei Seitenwänden (9, 10) des Presskanals (3) durch einen horizontalen Schneidbalken (5) für das Abtrennen über den Querschnitt des Presskanals hinausragenden Pressguts begrenzt ist, wobei der Schneidbalken (5) vorderseitig positiv gepfeilt ausgebildet istmit von einer mittigen, gegen die Pressrichtung weisenden Spitze (8) beidseitig, über den größten Teil der jeweiligen (hälftigen) Breite durchgehend, unter einem Schneidwinkel zurückfliehenden Schneidkanten, dadurch gekennzeichnet, dassder Schneidbalken (5) an seinen seitlichen, an jeweils eine der Seitenwände (9, 10) des Presskanals (3) heranreichenden Enden mit negativ gepfeilten Wandabweisern (11, 12) versehen ist.
II.
1) Die erteilten Patentansprüche 1 bis 10 sind zulässig. Eine unzulässige Erweiterung gegenüber der Ursprungsoffenbarung (§ 22 Abs. 1 i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG) liegt nach Ansicht des Senats nicht vor.
Der erteilte Patentanspruch 1 ergibt sich aus dem ursprünglichen Anspruch 1 und hinsichtlich des eingefügten Merkmals
"über den größten Teil der jeweiligen (hälftigen) Breite durchgehend"
aus Fig. 2 i. V. m. S. 1, Abs. 2, Satz 1 und S. 3, Abs. 2 der Anmeldungsunterlagen. Schon allein aus der Tatsache, dass der Schneidbalken erfindungsgemäß in seinem äußeren Bereich mit Wandabweisern versehen sein soll, welche die außen liegenden Teile des Messers abdecken, ergibt sich bei einer die gesamte Lehre der Offenbarung würdigenden Betrachtung, dass die - wirksamen - Schneidkanten nur "über den größten Teil der jeweiligen (hälftigen) Breite" verlaufen können. Weiterhin ergibt sich aus Fig. 2, dass die Schneidkanten "durchgehend positiv gepfeilt" ausgebildet sind, und nicht - wie im Stand der Technik nach der DE 33 28 588 C2 (vgl. Fig. 2) - mehrere Spitzen aufweisen.
Die erteilten Ansprüche 2 bis 10 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 2 bis 10.
2) Unabhängig von der Frage der unzulässigen Erweiterung, die letztlich dahinstehen kann, beruht die mit dem Patentanspruch 1 beanspruchte Ballenpresse des Streitpatents gegenüber der DE 34 35 126 C2 i. V. m. dem Prospekt "Wirtschaftliche Abfallentsorgung Ballenpresse-TEMPO 9" der Firma HSM (Anlage NK29) jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
a.) Die DE 34 35 126 C2 zeigt eine Ballenpresse mit den im Oberbegriff des erteilten Patentanspruchs 1 angegebenen Merkmalen.
Aus dem Prospekt "Wirtschaftliche Abfallentsorgung Ballenpresse-TEMPO 9" der Firma HSM ist eine weitere Ballenpresse bekannt, die folgende Merkmale aufweist:
Ballenpresse für Papier und sonstiges schneidbare Materialmit einem in einen horizontalen Presskanal einmündenden Presskasten, durch den hindurch ein Pressstempel bis in den Presskanal vorbeweglich und aus diesem zurückbeweglich ist, undeinem von oben in den Presskasten einmündenden Einfüllschacht, wobei der Presskanal auf das Zusammenstellen von Ballen aus jeweils mit Hüben des Pressstempels geformten Teilballen ausgelegt undeingangsseitig oben zwischen zwei Seitenwänden des Presskanals durch einen horizontalen Schneidbalken für das Abtrennen über den Querschnitt des Presskanals hinausragenden Pressguts begrenzt ist.
Weiterhin ist diesem Prospekt ein Schneidbalken zu entnehmen (vgl. auf der Rückseite die Abb. rechts oben), dervorderseitig positiv gepfeilt ausgebildet istmit von einer mittigen, gegen die Pressrichtung weisenden Spitze beidseitig, über den größten Teil der jeweiligen (hälftigen) Breite durchgehend, unter einem Schneidwinkel zurückfliehenden Schneidkanten; und deran seinen seitlichen, an jeweils eine der Seitenwände des Presskanals heranreichenden Enden mit negativ gepfeilten Wandabweisern versehen ist.
Bei diesem Schneidbalken handelt es sich allerdings nicht - wie beim Streitpatent - um den feststehenden Schneidbalken, sondern um den am beweglichen Pressstempel angeordneten Schneidbalken, so dass der einzige Unterschied zwischen der Ballenpresse nach dem Streitpatent und der Ballenpresse nach dem Prospekt "Wirtschaftliche Abfallentsorgung Ballenpresse-TEMPO 9" der Firma HSM darin besteht, dass dort die streitgegenständliche Ausgestaltung am beweglichen Schneidbalken realisiert ist, während sie patentgemäß am feststehenden Schneidbalken verwirklicht ist.
Es kann aber keine Erfindung darin gesehen werden, wenn die für einen beweglichen Schneidbalken bekannte Ausgestaltung an einem feststehenden Schneidbalken vorgesehen wird, da eine solche Maßnahme im Belieben des Fachmannes - hier ein mit der Konstruktion von Ballenpressen befasster Maschinenbau-Ingenieur mit langjähriger Erfahrung - liegt.
Ein Schneidergebnis resultiert aus der Relativbewegung zwischen beweglicher und feststehender Schneidekante. Von daher ist es gleichgültig, wo die patentgemäß beanspruchte Ausgestaltung vorgesehen ist. In beiden Fällen wird der an den seitlichen, an jeweils eine der Seitenwände des Presskanals heranreichenden Enden vorgesehene negativ gepfeilte Schneidbalkenbereich ein Abweisen des Schneidgutes von den Seitenwänden des Presskanals bewirken und verhindert damit ein Einklemmen des Schneidguts im Spalt zwischen Schneidkante und Presskanalwand.
Die Beklagte hat zwar in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, es bestehe ein Unterschied darin, ob die erfindungsgemäße Ausgestaltung am feststehenden oder am beweglichen Schneidbalken vorgesehen sei. Dieser Vortrag konnte den Senat jedoch nicht überzeugen, denn wie sich leicht z. B. an einer herkömmlichen Schere nachvollziehen lässt, kommt man stets zu dem gleichen Schneidergebnis, unabhängig davon, ob man beim Schneidvorgang die untere Scherenhälfte festhält und die obere auf die untere, feststehende Scherenhälfte zu bewegt oder die obere Scherenhälfte festhält und die untere Scherenhälfte auf die obere, feststehende Scherenhälfte zu bewegt. Selbst wenn man beide Scherenhälften aufeinander zu bewegt, ändert sich nichts am Schneidergebnis.
Dies zeigt aber, dass es in technischer Hinsicht unerheblich ist, ob eine spezielle Schneidbalkenausgestaltung am feststehenden oder am beweglichen Schneidbalken ausgeführt ist. Von daher lag es für den Fachmann nahe, eine am beweglichen Schneidbalken bekannte und als vorteilhaft angesehene Ausgestaltung zum gleichen Sinn und Zweck auf den feststehenden Schneidbalken zu übertragen.
Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 ergibt sich somit aus einer einfachen und nicht erfinderischen Zusammenschau der DE 34 35 126 C2 mit dem Prospekt "Wirtschaftliche Abfallentsorgung Ballenpresse-TEMPO 9" der Firma HSM (Anlage NK29).
b.) Hinsichtlich der angegriffenen Unteransprüche 2 bis 10 hat die Beklagte eine erfinderische Qualität nicht einmal andeutungsweise behauptet und hierfür auch keinen selbständigen Schutz beantragt. Sie teilen daher das Schicksal des Patentanspruchs 1.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
BPatG:
Urteil v. 09.01.2007
Az: 3 Ni 35/05
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/4846f838e558/BPatG_Urteil_vom_9-Januar-2007_Az_3-Ni-35-05