Verwaltungsgericht Münster:
Urteil vom 27. Juni 2014
Aktenzeichen: 1 K 343/14
(VG Münster: Urteil v. 27.06.2014, Az.: 1 K 343/14)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Verwaltungsgericht Münster hat mit seinem Urteil vom 27. Juni 2014, Aktenzeichen 1 K 343/14, entschieden, dass dem Kläger als Insolvenzverwalter Einsicht in die Steuerakten des Insolvenzschuldners gewährt werden muss. Der Beklagte, das Finanzamt J., hatte zuvor den Antrag auf Akteneinsicht des Klägers abgelehnt. Das Gericht kam jedoch zu dem Schluss, dass der Anspruch auf Informationserhalt nach dem Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen (IFG NRW) besteht. Der Kläger hat als Insolvenzverwalter ein Recht auf Zugang zu den bei der Finanzbehörde vorhandenen amtlichen Informationen. Die Steuerakten sind ihm zugänglich zu machen, da er für die Insolvenzgläubiger handelt und die Akteneinsicht zur Erfüllung seiner Aufgaben notwendig ist. Der Beklagte konnte keine hinreichenden Gründe vorbringen, die dem Anspruch auf Akteneinsicht entgegenstanden. Daher wurde der Klage stattgegeben und der Beklagte dazu verpflichtet, dem Kläger Einsicht in die Steuerakten zu gewähren.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
VG Münster: Urteil v. 27.06.2014, Az: 1 K 343/14
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 27. Januar 2014 verpflichtet, dem Kläger Einsicht in die bei dem Finanzamt J. in Bezug auf die Firma "K. -D. " des Herrn B. C. aus J. geführten Akten zu gewähren.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags Sicherheit leistet.
Tatbestand
Der Kläger wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 20. November 2013 - - zum Insolvenzverwalter des Herrn B. C. aus J. ernannt. Dieser war Inhaber des dortigen Restaurants "K. -D. ".
Am 21. Januar 2014 beantragte der Kläger gegenüber dem Finanzamt J. unter Bezugnahme auf dieses Insolvenzverfahren, ihm gemäß § 4 Abs. 1 IFG NRW "Akteneinsicht in sämtliche im Zusammenhang mit dem Schuldner und dessen Einzelfirma "K. -D. " geführten Akten" zu gewähren.
Das Finanzamt J. lehnte den Antrag mit Bescheid vom 27. Januar 2014 ab. Zur Begründung führte es aus, der Antrag sei nicht hinreichend bestimmt im Sinne des § 4 Abs. 1 IFG NRW, sondern zu pauschal. Darüber hinaus habe ein Insolvenzverwalter ein Akteneinsichtsrecht nur im Interesse der Gläubigergesamtheit, nicht zur Erfüllung steuerlicher Pflichten in einem Besteuerungsverfahren nach § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO. Auch sei nicht dargelegt, dass die Informationen nicht bereits im Sinne des § 5 Abs. 4 IFG NRW zur Verfügung stehen. Die Zustimmungserklärung des Insolvenzschuldners nach § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO für die Akteneinsicht des eine Insolvenzanfechtung prüfenden Insolvenzverwalters sei zwingend erforderlich, da ein höchstpersönliches Recht betroffen sei, liege aber nicht vor.
Der Kläger hat am 13. Februar 2014 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, er habe als Insolvenzverwalter nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gemäß § 4 Abs. 1 IFG NRW Anspruch auf Einsicht in die Steuerakten des Insolvenzschuldners. Die begehrte Akteneinsicht diene der Prüfung etwaiger Anfechtungsansprüche. Ihn interessierten nicht nur Kontoverdichtungen oder Kontoauszüge des Finanzamtes, sondern auch und insbesondere Unterlagen im Zusammenhang mit Vollstreckungsmaßnahmen des Beklagten gegen den Insolvenzschuldner und Ergebnisse einer möglichen Steuerfahndung oder Steuerprüfung. Diese vermuteten Unterlagen, wie interne Vermerke, Besprechungsprotokolle und Kontenandrucke, könne er von keinem anderen erhalten. Der Insolvenzschuldner habe einen Großteil der Ausgaben bar abgewickelt und ein unvollständiges Belegsystem geführt. Die Kontoauszüge seien unvollständig. Von der Geschäftsbank könne er Informationen über Vollstreckungsmaßnahmen und steuerliche Kontenstände nicht erlangen. Er begehre keine personenbezogenen Daten des Insolvenzschuldners, sondern wirtschaftliche Daten. Insoweit sei der Insolvenzschuldner ihm gegenüber auch auskunftspflichtig.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 27. Januar 2014 zu verpflichten, dem Kläger Einsicht in die bei dem Finanzamt J. in Bezug auf die Firma "K. -D. " des Herrn B. C. aus J. geführten Akten zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, der Antrag des Klägers vom 21. Januar 2014 sei unbestimmt gewesen. Entgegen § 5 Abs. 1 Satz 3 IFG sei nicht zu erkennen gewesen, auf welche Unterlagen der Antrag gerichtet gewesen sei. Der Kläger habe in seinem Insolvenzgutachten vom 18. November 2013 bereits zur Sicherstellung der Buchführung und zu eventuellen Anfechtungsansprüchen Ausführungen gemacht und am 27. November und 20. Dezember 2013 bestimmte Vorgänge gegenüber dem Finanzamt angefochten. Dieses sei den Anfechtungen nachgekommen. Dass insoweit nötige Informationen dem Kläger nicht zur Verfügung stünden, sei weder erkennbar noch vorgetragen. Auch schließe der gegenüber dem IFG NRW nach Art. 31 GG vorrangige § 30 AO die Akteneinsicht zur Erfüllung steuerlicher Pflichten regelmäßig aus. Für die Anwendung von § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO fehle es an einer ausdrücklich in einem Gesetz geregelten Zulassung der Offenbarung an den Insolvenzverwalter. Prüfe der Insolvenzverwalter Anfechtungsgründe, müsse er als Dritter für die Einsicht in Steuerakten die Zustimmung des Insolvenzschuldners nach § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO vorlegen, da es sich um ein höchstpersönliches Recht handele. Diese Zustimmung sei hier nicht vorgelegt worden und nicht nach §§ 97, 101 InsO zu ersetzen. Dementsprechend bestehe nach Ziff. 4.5 des Anwendungserlasses des Bundesministeriums der Finanzen vom 31. Januar 2014 zu § 251 AO ein Auskunftsanspruch des Insolvenzverwalters nach den Informationsfreiheitsgesetzen nur, wenn der Schuldner zustimme. Auch scheide nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ein Akteneinsichtsrecht des Insolvenzverwalters zur Vorbereitung von Anfechtungserklärungen regelmäßig aus. Zudem handele es sich bei den begehrten Daten um personenbezogene Daten im Sinne des § 3 Abs. 1 DSG NRW, der Insolvenzschuldner sei eine natürliche Person. Nach § 9 Abs. 1 IFG NRW sei der Informationsantrag daher abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des von dem Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgangs ergänzend Bezug genommen.
Gründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Sachurteilsvoraussetzungen sind gegeben. Insbesondere ist für den auf § 4 IFG NRW gestützten und außerhalb des Steuerrechtsverhältnisses geltend gemachten Auskunftsanspruch mangels abdrängender Sonderzuweisung zu den Finanzgerichten (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO) der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Die Zuordnung ist nach der Natur der Vorschriften zu bestimmen, aus denen sich die behördliche Auskunftspflicht ergeben kann, nicht nach dem Gegenstand der Auskunft.
Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15. Oktober 2012 - 7 B 2.12 -, juris, Rn. 14 f.; BFH, Beschluss vom 8. Januar 2013 - VII ER-S 1/12 -, juris, Rn. 1.
Der Ablehnungsbescheid des Finanzamts J. vom 27. Januar 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Gewährung von Einsicht in die bei dem Finanzamt J. in Bezug auf die Firma "K. -D. " des Herrn B. C. aus J. geführten Akten zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus § 4 Abs. 1 IFG NRW. Danach hat jede natürliche Person gegenüber den in § 2 IFG NRW genannten Stellen einen Anspruch auf Zugang zu den bei der Stelle vorhandenen amtlichen Informationen nach Maßgabe des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 IFG NRW sind erfüllt.
Der Kläger ist anspruchsberechtigt. Er ist als Insolvenzverwalter hinsichtlich des Vermögens des Herrn B. C. aus J. als natürliche Person tätig, er nimmt diese Aufgabe als Partei kraft Amtes wahr.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. Juli 2008 - 8 A 1548/07 -, www.nrwe.de, Rn. 7.
Das Finanzamt J. ist passivlegitimiert. Es ist untere Landesbehörde im Sinne des § 9 Abs. 2 des Landesorganisationsgesetzes Nordrhein-Westfalen (LOG NRW) und daher öffentliche Stelle bzw. Behörde im Sinne des § 2 Abs. 1 IFG NRW.
Die seitens des Klägers begehrten, in der Steuerakte enthaltenen Informationen sind bei dem Finanzamt vorhanden und wurden im dienstlichen Zusammenhang gemäß § 3 Satz 1 IFG NRW erlangt.
Der schriftliche Antrag des Klägers ist auch hinreichend bestimmt im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 3 IFG NRW. Danach muss der Antrag insbesondere erkennen lassen, auf welche Informationen er gerichtet ist. Der Kläger hat in seinem Schreiben vom 20. Januar 2014 um Akteneinsicht in sämtliche in Zusammenhang mit dem Schuldner und dessen Einzelfirma "K. -D. " geführten Akten gebeten. Hierdurch hat er hinreichend klargestellt, dass er hinsichtlich aller Steuerdaten, welche die steuerliche Veranlagung des Betriebs "K. -D. " betreffen, Akteneinsicht begehrt. Erhebliche Zweifel bezüglich des Umfangs der Daten sind insoweit weder ersichtlich noch plausibel dargelegt. § 5 Abs. 1 IFG NRW schreibt eine diesbezügliche nähere Eingrenzung nicht vor. Eine solche wäre dem Kläger mangels näherer bzw. umfassender Kenntnis der Steuerakte auch nicht möglich bzw. zumutbar. Sie widerspräche auch dem Sinn und Zweck des Akteneinsichtsrechts.
Die Anwendung des § 4 Abs. 1 IFG NRW ist nicht durch die Subsidiaritätsklausel des § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW ausgeschlossen. Danach gehen besondere Rechtsvorschriften über den Zugang zu amtlichen Informationen, die Auskunftserteilung oder die Gewährung von Akteneinsicht, soweit sie bestehen, den Vorschriften des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen vor.
Darunter sind bereichsspezifische Gesetze des Bundes oder des Landes zu verstehen, die einen Informationsanspruch abschließend - identisch oder abweichend - regeln. Konkurrenzfragen sind im konkreten Einzelfall durch eine systematische, an Sinn und Zweck des Gesetzes orientierte Auslegung der jeweiligen Informationszugangsrechte zu klären. Eine Vorrangigkeit im Sinne einer Ausschließlichkeit ist nur dort anzunehmen, wo die jeweiligen Rechte die gleichen Anliegen verfolgen und/oder identische Zielgruppen erfassen, also einen sachlich bzw. persönlich identischen Regelungsgehalt aufweisen.
OVG NRW, Beschluss vom 31. Januar 2005 - 21 E 1487/04 -, www.nrwe.de, Rn. 17 = juris, Rn. 16, und Urteil vom 15. Juni 2011 - 8 A 1150/10 -, www.nrwe.de, Rn. 31 = juris, Rn. 29.
Die auf das Insolvenzverfahren bezogenen Vorschriften über Auskunftsansprüche nach §§ 97, 101 InsO bzw. § 242 BGB weisen keinen mit dem Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen identischen sachlichen Regelungsgehalt auf. Sie regeln nicht den Zugang zu amtlichen Informationen gegenüber den Behörden des Landes, sondern betreffen die privatrechtlichen Rechtsverhältnisse im Insolvenzverfahren und Informationsansprüche der an jenem Verfahren Beteiligten untereinander.
Diesen Vorschriften kommt auch dann kein mit dem Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen identischer Regelungsgehalt zu, wenn im Einzelfall eine juristische Person des öffentlichen Rechts Insolvenzgläubiger und damit auskunftspflichtiger Verfahrensbeteiligter eines Insolvenzverfahrens ist.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. November 2010 - 7 B 43.10 -, juris, Rn. 8; OVG NRW, Urteil vom 15. Juni 2011 - 8 A 1150/10 -, www.nrwe.de, Rn. 36 = juris, Rn. 34.
Die Abgabenordnung beinhaltet ebenfalls keine bereichsspezifische Ausschlussregelung. Weder der dortigen Nichtregelung eines Akteneinsichtsrechts noch der Normierung des Steuergeheimnisses kommt die Wirkung einer bereichsspezifischen Ausschlussregelung i. S. d. § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW zu. Eine (etwaige) "absichtsvolle Nichtregelung" des Akteneinsichtsrechts erfasst nur das Verhältnis zwischen dem Steuerschuldner und der Finanzbehörde, betrifft aber nicht den Informationsanspruch des nicht am steuerlichen Verwaltungsverfahren beteiligten Dritten.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Mai 2012 - 7 B 53.11 -, juris, Rn. 4 und 9; OVG NRW, Urteil vom 15. Juni 2011 - 8 A 1150/10 -, www.nrwe.de, Rn. 37 ff. = juris, Rn. 35 ff.; a. A. für das Besteuerungsverfahren FG Münster, Urteil vom 28. März 2012 - 6 K 4441/10 AO -, juris, Rn. 43 f.
Der Kläger ist als Insolvenzverwalter vorliegend nicht am steuerlichen Verwaltungsverfahren unmittelbar beteiligt, sondern insoweit Dritter.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. Juni 2011 - 8 A 1150/10 -, www.nrwe.de, Rn. 61 = juris, Rn. 63.
Auch das Steuergeheimnis aus § 30 AO geht einem Informationsanspruch des Klägers nicht gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW vor. Dies folgt bereits daraus, dass § 30 AO keine Regelungen über den Zugang zu amtlichen Informationen enthält. Diese Geheimhaltungsvorschrift geht zwar als bereichsspezifische Regelung den Informationsfreiheitsgesetzen des Bundes und der Länder vor, soweit sie regelt, welche Daten dem Steuergeheimnis unterliegen und unter welchen Voraussetzungen diese Daten offenbart, verwertet oder im automatisierten Verfahren abgerufen werden dürfen. § 30 AO erfasst aber ausschließlich Fragen des Steuergeheimnisses. Die Regelung betrifft nur die Geheimhaltungspflicht des Amtsträgers sowie die Offenbarung von Steuerdaten gegenüber Dritten. Über einen Anspruch des Steuerpflichtigen, seines Vertreters oder eines Dritten gegenüber einer Finanzbehörde auf Mitteilung der über ihn gespeicherten Daten sagt die Vorschrift dagegen nichts aus. § 30 AO regelt nicht den Zugang zu amtlichen Informationen, sondern dessen Begrenzung. Die Bestimmungen in § 30 AO mögen daher im Einzelfall dem Anspruch auf Informationszugang entgegenstehen und im Rahmen der Ausschlussgründe zu prüfen sein, sie sind aber keine "besonderen Rechtsvorschriften" über den Zugang selbst.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. Juni 2011 - 8 A 1550/10 -, www.nrwe.de, Rn. 68 ff. = juris, Rn. 70 ff.; VG Münster, Urteil vom 13. September 2013 - 1 K 3312/12 -, juris, Rn. 19; Schoch, IFG, Kommentar, 2009, § 1 IFG, Rn. 200.
Der Informationszugangsanspruch des Klägers ist auch nicht gemäß §§ 5 ff. IFG NRW ausgeschlossen.
§ 5 Abs. 4 IFG NRW steht dem Auskunftsanspruch des Klägers nicht entgegen. Danach kann der Antrag abgelehnt werden, wenn die Information dem Antragsteller bereits zur Verfügung gestellt worden ist oder wenn sich der Antragsteller die Information in zumutbarer Weise aus allgemein zugänglichen Quellen beschaffen kann.
Dass dem Kläger die begehrten Informationen tatsächlich bereits zur Verfügung stehen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Dies folgt insbesondere nicht aus den zwei bereits erfolgreich erklärten Anfechtungen in Bezug auf frühere Zahlungen an das Finanzamt. Aus diesen ergibt sich nicht, dass in der Steuerakte nicht noch weitere, dem Kläger unbekannte Daten vorhanden sind. Dass der Kläger im Rahmen dieser Anfechtungen zunächst Akteneinsicht nicht begehrte und eine solche insoweit nicht erforderlich war, schließt ihre Notwendigkeit für eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung des Klägers als Insolvenzverwalter zu Gunsten der Insolvenzgläubiger hinsichtlich etwaiger weiterer Anfechtungstatbestände nicht aus. Der Kläger hat dargelegt, dass ihm die begehrten Informationen jedenfalls nicht umfassend und vollständig zur Verfügung stehen.
Es dürfte grundsätzlich dem Beklagten obliegen, konkret darzulegen bzw. zu belegen, dass bzw. wodurch der Kläger bereits Kenntnis von der begehrten Information besitzt, wenn es den grundsätzlich freien und voraussetzungslosen Informationszugang beschränken will.
Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23. April 2010 - 10 A 10091/10 -, juris, Rn. 34.
Eine Beschaffung der begehrten Steuerdaten ist auch nicht aus allgemein zugänglichen Quellen möglich.
Die kontoführende Bank des Insolvenzschuldners ist keine allgemein zugängliche Quelle.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. Juni 2011 - 8 A 1550/10 -, www.nrwe.de, Rn. 82 ff. = juris, Rn. 84; s. auch VG Gelsenkirchen, Urteil vom 16. September 2010 - 17 K 1616/09 -, juris, Rn. 36 ff.
Mit dieser Begrifflichkeit knüpft § 5 Abs. 4 IFG NRW an die Formulierung in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 2. Fall GG an. Die dortige Begriffsbestimmung kann daher bei der Auslegung des § 5 Abs. 4 IFG NRW Berücksichtigung finden.
Vgl. Schoch, IFG, Kommentar, § 9 IFG, Rn. 43, zur gleichlautenden Vorschrift im IFG.
Danach ist eine Quelle allgemein zugänglich, wenn sie technisch geeignet und bestimmt ist, der Allgemeinheit, also einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis, Informationen zu verschaffen.
BVerfG, Beschluss vom 3. Oktober 1969 - 1 BvR 46/65 -, BVerfGE 27, 71.
Es muss sich also um eine für jeden zugängliche Quelle wie für jeden zugängliche Bibliotheken, Presse, amtliche Mitteilungs- oder Verordnungsblätter oder das Internet handeln.
Vgl. Franßen/Seidel, Das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen, 2007, Rn. 653.
Davon kann bei einer Bank keine Rede sein. Aufgrund des - gewohnheitsrechtlich anerkannten - Bankgeheimnisses sind Banken nicht befugt und insbesondere nicht dazu bestimmt, der Allgemeinheit Informationen über Kontobewegungen zu erteilen. Das Bankgeheimnis besteht in der Pflicht des Kreditinstituts zur Verschwiegenheit über kundenbezogene Tatsachen und Wertungen, die ihm aufgrund, aus Anlass oder im Rahmen der Geschäftsverbindung zum Kunden bekannt geworden sind und die der Kunde geheim zu halten wünscht. Die Verpflichtung zur Wahrung des Bankgeheimnisses ist eine besondere Ausprägung der allgemeinen Pflicht der Bank, die Vermögensinteressen des Vertragspartners zu schützen und nicht zu beeinträchtigen.
Vgl. BGH, Urteile vom 27. Februar 2007 - XI ZR 195/05 -, juris, Rn. 17, und vom 24. Januar 2006 - XI ZR 384/03 -, juris, Rn. 38 m. w. N.; vgl. auch VG Düsseldorf, Urteil vom 6. Juli 2012 - 26 K 4363/11 -, juris, Rn. 14 ff.
Zudem hat der Kläger unwidersprochen darauf hingewiesen, dass Steuerzahlungen des Insolvenzschuldners wohl in nicht unerheblichem Umfang bar erfolgt seien, so dass ein anderweitiger effektiver Informationszugang auch diesbezüglich nicht ersichtlich ist. Nach alledem bleibt es grundsätzlich dem Kläger überlassen, auf welche Weise er sich Zugang zu den benötigten Informationen verschaffen will.
Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 16. September 2010 -17 K 1616/09 -, juris, Rn. 40.
Die Frage, ob das Steuergeheimnis in § 30 AO ein eigenständiger Ausschlussgrund ist, der als bundesrechtliche Regelung nach Art. 31 GG den Regelungen der §§ 6 ff. IFG NRW vorgeht, wie der Beklagte meint, oder ob das Steuergeheimnis nur im Rahmen von § 9 IFG NRW Berücksichtigung findet, bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls schließt das Steuergeheimnis nicht den Informationsanspruch des Klägers aus § 4 Abs. 1 IFG NRW aus. Das erkennende Gericht schließt sich der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen an, dass das Steuergeheimnis gegenüber einem im Interesse der Gläubigergesamtheit tätigen Insolvenzverwalter keine Anwendung findet.
Mit der Weitergabe von Steuerdaten des Insolvenzschuldners ohne dessen Zustimmung (§ 30 Abs. 4 Nr. 3 AO) an den Insolvenzverwalter offenbart der für die Finanzverwaltung handelnde Amtsträger nicht im Sinne des § 30 Abs. 2 AO unbefugt Steuerdaten. Der Schutzzweck des § 30 AO ist gar nicht berührt, wenn dem Insolvenzverwalter des Steuerpflichtigen Zugang zu dessen Steuerdaten gewährt wird. Die in der Steuerakte des Schuldners enthaltenen Informationen unterliegen gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter von vornherein keiner Geheimhaltungspflicht, so dass das Steuergeheimnis insoweit nicht verletzt wird. Denn mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangt der Insolvenzverwalter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (§ 80 Abs. 1 InsO) und hat gegenüber dem Insolvenzschuldner einen Anspruch auf Auskunft über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse (§ 97 Abs. 1 Satz 1 InsO). Dies umfasst alle Umstände, die für die Beurteilung von Gläubigerforderungen bedeutsam sein können. Der Schuldner ist damit dem Kläger gegenüber materiellrechtlich uneingeschränkt über alle Verhältnisse auskunftspflichtig, die das Insolvenzverfahren betreffen. Diese bundesrechtlichen Regelungen sollen verhindern, dass der über alle das Insolvenzverfahren betreffenden Verhältnisse in der Regel am besten informierte Insolvenzschuldner bzw. seine Organe und Angestellten durch Schweigen die Arbeit des Insolvenzverwalters unnötig erschweren und Gläubigeransprüche noch weiter gefährdet werden. Der Insolvenzverwalter soll sich über die wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse des Schuldners umfassend informieren können, um das Insolvenzverfahren im Hinblick auf die Gläubigerbefriedigung sachgerecht und effektiv durchführen zu können. Diesem Schutzzweck liefe es zuwider, wenn sich der Insolvenzschuldner bzw. im Fall seiner fehlenden Zustimmung zur Offenbarung seiner Steuerdaten das Finanzamt zum Nachteil der (anderen) Insolvenzgläubiger auf das Steuergeheimnis berufen könnte.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. Juni 2011 - 8 A 1150/10 -, www.nrwe.de, Rn.97 = juris, Rn. 99; VG Köln, Urteil vom 27. März 2014 - 13 K 4636/13 -, S. 15 UA; ebenso zum Sozialgeheimnis OVG Rheinland-Pfalz, Urteile vom 12. Februar 2010 - 10 A 11156/09 -, juris, Rn. 31, und vom 23. April 2010 - 10 A 10091/10 -, juris, Rn. 30; VG Hamburg, Urteil vom 27. August 2010 - 7 K 619/09 -, juris, Rn. 53 f.
Damit kommt es darauf, ob eine Zustimmung des Insolvenzschuldners eingeholt werden könnte oder durch die Zustimmung des Klägers ersetzt werden kann, nicht an.
Folglich steht dem Auskunftsanspruch auch nicht entgegen, dass die Offenbarung der Steuerdaten nicht durch § 80 Abs. 1, § 97 Abs. 1 Satz 1 InsO ausdrücklich zugelassen ist im Sinne des § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO.
Der von dem Beklagten in der mündlichen Verhandlung erwähnte Anwendungserlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 31. Januar 2014 zu § 251 AO (Gz. IV A 3 - S0062/14/10002, BStBl. I 2014, 290), nach dessen Ziff. 4.5 ein Auskunftsanspruch des Insolvenzverwalters nach den Informationsfreiheitsgesetzen bestehe, wenn der Schuldners zustimme (§ 30 Abs. 4 Nr. 3 AO), führt zu keinem anderen Ergebnis. Diese Verwaltungsvorschrift bindet nur die Finanzbehörden im Innenverhältnis, nicht aber die Gerichte und die Bürger. Dies gilt insbesondere, wenn sie über ihren unmittelbar steuerverwaltungsrechtlichen Regelungsgehalt auch auf Verfahren nach dem Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen angewendet werden sollte und ihr ein der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts widersprechender Aussagegehalt zugemessen würde, dass die Zustimmung des Schuldners insoweit unumgänglich sei. Darüber hinaus betrifft dieser Erlass das Verfahren nach § 251 AO. Gemäß § 251 Abs. 2 Satz 1 AO bleiben die Vorschriften der Insolvenzordnung aber unberührt.
Dass durch die begehrte Akteneinsicht dem Steuergeheimnis unterliegende Steuerdaten Dritter notwendigerweise offenbart würden, hat der Beklagte nicht nachvollziehbar vorgetragen. Ein nicht näher substantiierter Hinweis, es seien auch Daten Dritter betroffen, nähere Ausführungen könnten aber aufgrund des Steuergeheimnisses nicht erfolgen, reicht für einen Ausschluss des Informationsanspruchs aufgrund der Geheimhaltungsvorschrift des § 30 AO nicht aus. Der Beklagte hätte wenigstens ausführen müssen, welche potentiellen Dritten betroffen sein könnten, damit der Kläger die Möglichkeit hat, deren ggf. erforderliche Zustimmungen nach § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO einzuholen. Würde schon der pauschale Hinweis auf eine (mögliche) Drittbetroffenheit für einen Anspruchsausschluss ausreichen, könnten Auskunftsansprüche ohne nähere diesbezügliche Substantiierung abgelehnt werden. Dies widerspräche der mit den Informationsfreiheitsgesetzen bezweckten transparenteren Verwaltung. Es ist auch nicht Aufgabe des Gerichts, nach potentiell betroffenen Dritten zu suchen, zumal ihm die Steuerakten des Schuldners nicht bekannt sind.
Vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 15. Juni 2011 - 8 A 1150/10 -, www.nrwe.de, Rn. 103 = juris, Rn. 105.
Darüber hinaus hat der Beklagte insoweit in keiner Weise näher aufgezeigt, weshalb eine Unkenntlichmachung etwaiger schutzbedürftiger Daten Dritter durch Schwärzung oder (vorübergehende) Löschung nicht möglich sein soll. Diesbezüglich ist der Beklagte aber materiell beweisbelastet, da nur ihm die zu Grunde liegenden Verhältnisse bekannt sind.
Der Anspruch ist auch nicht gemäß § 6 Satz 1 lit. b) IFG NRW ausgeschlossen. Danach ist der Antrag auf Informationszugang abzulehnen, soweit und solange durch die Bekanntgabe der Information der Verfahrensablauf eines anhängigen Verwaltungsverfahrens, eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens, eines Disziplinarverfahrens oder der Erfolg einer bevorstehenden behördlichen Maßnahme erheblich beeinträchtigt würde. Eine drohende Beeinträchtigung eines anhängigen Verwaltungsverfahrens, insbesondere eines Steuerverfahrens, ist ebenso wenig geltend gemacht wie die eines anhängigen Gerichtsverfahrens. Eine Beeinträchtigung des Insolvenzverfahrens ist nicht erkennbar. Ein Anfechtungsprozess ist noch nicht anhängig. Darüber hinaus ist eine diesbezügliche erhebliche Beeinträchtigung nicht dargetan.
Vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 15. Juni 2011 - 8 A 1150/10 -, www.nrwe.de, Rn. 85 = juris, Rn. 87.
Der Antrag des Klägers auf Informationszugang ist schließlich auch nicht nach § 9 Abs. 1 IFG NRW abzulehnen.
Zwar werden durch die Einsicht in die hinsichtlich des Gewerbebetriebs "K. D. " des Insolvenzschuldners geführte Steuerakte personenbezogene Daten im Sinne des § 9 Abs. 1 IFG NRW offenbart. Personenbezogene Daten sind - in Anlehnung an die Definition in § 3 Abs. 1 DSG NRW, § 3 BDSG - Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person.
Vgl. Franßen/Seidel, Das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen, 2007, Rn. 954 f.
Dies dürfte die zu einem Unternehmen einer natürlichen Person bzw. eines Einzelhandelskaufmanns in der Steuerakte enthaltenen Steuerdaten umfassen. Diese sind nämlich für die persönlichen bzw. sachlichen Verhältnisse des Inhabers in Form seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von nicht unerheblicher Aussagekraft.
Vgl. auch OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 6. Dezember 2012 - 4 LB 11/12 -, juris, Rn. 61.
Da der Insolvenzschuldner dem Kläger aber, wie gezeigt, nach § 80 Abs. 1, § 97 Abs. 1 Satz 1 InsO materiellrechtlich uneingeschränkt über alle Verhältnisse, die das Insolvenzverfahren betreffen, auskunftspflichtig ist, stehen überwiegende schutzwürdige Belange des Schuldners der Offenbarung dieser personenbezogenen Daten, an deren Kenntnis der Kläger ein (insolvenz-) rechtliches Interesse geltend macht, gemäß § 9 Abs. 1 lit. e) IFG NRW nicht entgegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über deren vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO liegen nicht vor. Insbesondere hat die Rechtsache keine grundsätzliche Bedeutung. Durch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Juni 2011 - 8 A 1150/10 - und den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Mai 2012 - 7 B 53.11 - ist geklärt, dass § 30 AO einem außerhalb eines Besteuerungsverfahrens nach § 4 Abs. 1 IFG NRW geltend gemachten Informationsrecht des Insolvenzverwalters nicht entgegensteht.
VG Münster:
Urteil v. 27.06.2014
Az: 1 K 343/14
Link zum Urteil:
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