Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 13. März 2000
Aktenzeichen: AnwZ (B) 26/99
(BGH: Beschluss v. 13.03.2000, Az.: AnwZ (B) 26/99)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 13. März 2000 (Aktenzeichen AnwZ (B) 26/99) entschieden, dass die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des II. Senats des Anwaltsgerichtshofs Berlin vom 2. März 1999 zurückgewiesen wird. Der Antragsteller muss die Kosten des Rechtsmittels tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen erstatten. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 90.000 DM festgesetzt.
In den Gründen der Entscheidung wird dargelegt, dass der Antragsteller zwar den akademischen Grad eines Diplom-Juristen erlangt hat, jedoch für die Zeit nach dem 9. September 1996 keine mindestens zweijährige juristische Praxis in einem rechtsberatenden Beruf vorweisen kann. In diesem Zusammenhang wird klargestellt, dass die Tätigkeit des Antragstellers als Offizier für Sonderaufgaben und später als stellvertretender Referatsleiter in einer Verwaltungsabteilung nicht als rechtsberatende berufliche Tätigkeit im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 des Rechtsanwaltsgesetzes anzusehen ist. Es wird betont, dass der Antragsteller allgemeine Verwaltungsaufgaben mit juristischem Einschlag erfüllte, die zwar eine juristische Vorbildung erforderten, jedoch nicht darauf abzielten, eigenständige rechtliche Beratung zu erteilen. Auch die Tätigkeit des Antragstellers als Steuerfachgehilfe erfüllt nicht die Voraussetzungen einer rechtsberatenden Tätigkeit im Sinne des Gesetzes.
Aufgrund dieser Feststellungen kommt der Bundesgerichtshof zu dem Schluss, dass der Antragsteller die Voraussetzungen für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 4 des Rechtsanwaltsgesetzes nicht erfüllt und somit seine Beschwerde gegen den Beschluss des Anwaltsgerichtshofs abgewiesen werden muss. Diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist endgültig und der Antragsteller muss die Kosten des Rechtsmittelverfahrens tragen. Die Gerichtsentscheidung wird mit einem Geschäftswert von 90.000 DM festgesetzt.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BGH: Beschluss v. 13.03.2000, Az: AnwZ (B) 26/99
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des II. Senats des Anwaltsgerichtshofs Berlin vom 2. März 1999 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 90.000 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der 1952 geborene Antragsteller schloß 1978 das Studium der Rechtswissenschaften an der Martin-Luther-Universität in H. mit dem akademischen Grad eines Diplom-Juristen ab.
Er war ab 1. August 1978 -bis zu dessen Auflösung -hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR und in der Abteilung Personenschutz des MfS in der Verwaltung der Waldsiedlung in W. tätig, einer Wohnsiedlung für führende Repräsentanten der Partei- und Staatsführung der DDR. In der Zeit vom 1. August 1978 bis Mai 1979 war er Offizier für Sonderaufgaben (Jurist) im Range eines Leutnants, danach bis zum November 1981 stellvertretender Referatsleiter im Referat 9 der Unterabteilung "Allgemeine Verwaltung". Von Dezember 1981 bis Juni 1985 nahm er die Leitung dieses Referats wahr und wurde schließlich im Juli 1985 stellvertretender Leiter der Unterabteilung 3 ("Gartenbau und Bauwesen"), deren Leitung er im Mai 1989 übernahm.
Von März bis Dezember 1990 arbeitete der Antragsteller als Justitiar im Rehabilitationszentrum W.; seit 1993 ist er als Steuerfachgehilfe tätig.
Am 15. April 1996 hat der Antragsteller unter Berufung auf § 4 RAG seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwalt beim Landgericht Berlin beantragt. Die frühere Antragsgegnerin hat den Antrag mit Verfügung vom 24. März 1998 zurückgewiesen, weil der Antragsteller die gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 RAG erforderliche zweijährige juristische Praxis nicht aufweise. Den vom Antragsteller daraufhin gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof mit Beschluß vom 2. März 1999 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BRAO), bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg.
1.
Nach Art. 21 Abs. 8 des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte vom 2. September 1994 (BGBl. I S. 2278) besitzen die Befähigung zur anwaltlichen Tätigkeit auch Personen, die spätestens innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten dieses Gesetzes (9. September 1994) die fachlichen Voraussetzungen für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 4 des Rechtsanwaltsgesetzes (RAG) erfüllen. Gemäß § 4 Abs. 1 RAG kann zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden, wer ein umfassendes juristisches Hochschulstudium in der DDR absolviert und mit dem akademischen Grad eines Diplom-Juristen abgeschlossen hat und auf mindestens zwei Jahre juristische Praxis in der Rechtspflege oder in einem rechtsberatenden Beruf verweisen kann.
Da der Antragsteller den Grad eines Diplom-Juristen erlangt hat, ist entscheidend, ob er für die Zeit danach bis zum 9. September 1996 eine mindestens zweijährige juristische Praxis -und hier kommt allein eine solche in einem rechtsberatenden Beruf in Betracht -vorweisen kann. Das hat der Anwaltsgerichtshof mit Recht verneint.
2.
a) Die Vorschrift des § 4 Abs. 1 RAG trägt einerseits dem Umstand Rechnung, daß die in der früheren DDR ausgebildeten Juristen keine Möglichkeit hatten, ein zweites juristisches Staatsexamen abzulegen und die Befähigung zum Richteramt im Sinne von § 5 Abs. 1 DRiG zu erwerben, andererseits berücksichtigt sie, daß das juristische Diplom dem zweiten juristischen Staatsexamen nicht gleichwertig ist (vgl. BGHZ 109, 286, 290). § 4 RAG modifiziert §§ 4 BRAO, 5 Abs. 1 DRiG dahin, daß die Diplom-Prüfung gleichsam an die Stelle des ersten Staatsexamens tritt und außerdem in einer zweijährigen juristischen Praxis in der Rechtspflege oder in einem rechtsberatenden Beruf die im Hochschulstudium gewonnenen theoretischen Kenntnisse vertieft und so praktisch erfahren werden, daß der Diplom-Jurist einen Stand erreicht, der dem nach einem Vorbereitungsdienst abgelegten zweiten Staatsexamen angenähert ist. Diesem Sinn und Zweck der Vorschrift ist Rechnung zu tragen, wenn es um die Bestimmung dessen geht, was als juristische Praxis in der Rechtspflege oder in einem rechtsberatenden Beruf anzusehen ist (vgl. Senatsbeschluß vom 6. Juli 1998 -AnwZ (B) 7/98 -BRAK-Mitt. 1998, 284 m.w.N.).
Gleichermaßen ist weiter zu berücksichtigen, daß die Regelung des § 4 RAG auch darauf zielt, den Juristen der früheren DDR nach Möglichkeit den Zugang zur Rechtsanwaltschaft zu ermöglichen. Das verbietet ein enges Verständnis des Merkmals einer rechtsberatenden beruflichen Tätigkeit; es ist vielmehr auch dann als erfüllt anzusehen, wenn der Bewerber im Rahmen eines anderen Berufs eine rechtsberatende Tätigkeit erheblichen Umfangs ausgeübt hat (vgl. Senatsbeschluß vom 14. März 1994 -AnwZ (B) 67/93 -BRAK-Mitt. 1994, 238). Andererseits reicht eine bloße Verwaltungstätigkeit -sei es als Sachbearbeiter, Referent oder sonst im öffentlichen Dienst -nicht aus (vgl. Senatsbeschluß vom 24. Oktober 1994 -AnwZ (B) 27/94 -BRAK-Mitt. 1995, 30; vom 26. Mai 1997 -AnwZ (B) 66/96 - BRAK-Mitt. 1997, 198).
b) Unter Anlegung dieser Maßstäbe ist die Tätigkeit des Antragstellers, die dieser von August 1978 bis zum November 1981 als Offizier für Sonderaufgaben und später als stellvertretender Referatsleiter eines Referats in der Unterabteilung "Allgemeine Verwaltung" der Waldsiedlung W. ausgeübt hat, nicht als rechtsberatende berufliche Tätigkeit im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 RAG anzusehen.
Die Wahrnehmung der Aufgaben eines Offiziers für Sonderaufgaben (Jurist), eines Referatsleiters oder seines Stellvertreters in einer Untergliederung einer allgemeinen Verwaltungsabteilung stellt sich als Verwaltungstätigkeit und nicht als Ausübung rechtsberatender Tätigkeit dar. Daß der Antragsteller dennoch -und unbeschadet seiner Eingliederung in eine allgemeine Verwaltungsabteilung - rechtsberatende Tätigkeit in erheblichem Umfange ausgeübt hat, kann nicht festgestellt werden. Das gilt auch dann, wenn man die Tätigkeitsbeschreibung des Antragstellers nicht nur auf seine Tätigkeit als Offizier für Sonderaufgaben, sondern darüber hinaus auch auf die als stellvertretender Referatsleiter bezieht.
Nach Maßgabe einer "Abschlußeinschätzung zum Einarbeitungsplan" vom 26. März 1979 und eines Beförderungsvorschlags vom 10. Mai 1979 oblag dem Antragsteller -nach intensivem Studium einschlägiger Dokumente, gesetzlicher Regelung und dienstlicher Weisungen -insbesondere die Prüfung aller ausgehenden Wirtschaftsverträge und die Bearbeitung wirtschaftsrechtlicher Probleme. Er hatte zudem die im Dienstbereich vorhandene Fachliteratur zusammenzufassen, dienstliche Bestimmungen, Durchführungsverordnungen und andere Unterlagen zu erarbeiten oder zu überarbeiten und schließlich Fachschulungen für Mitarbeiter zu Rechtsfragen durchzuführen und als Mitglied eines Lektorenkollektivs Referate zu halten. Aus einem weiteren Vorschlag zur Beförderung vom 25. Juni 1980 ergibt sich ein im wesentlichen unveränderter Tätigkeitsbereich.
Diese Aufgaben, die der Antragsteller danach wahrzunehmen hatte, zeigen keine durch Rechtsberatung charakterisierte und im wesentlichen geprägte Tätigkeit auf. Der Antragsteller hat vielmehr im Rahmen und als Glied der Verwaltungsabteilung allgemeine Verwaltungsaufgaben mit juristischem Einschlag erfüllt, die zwar eine juristische Vorbildung erforderten, gleichwohl aber nicht darauf angelegt waren, eigenständige rechtliche Beratung zu erteilen. Das gilt auch, soweit davon auszugehen ist, daß der Antragsteller Wirtschaftsverträge zu prüfen und wirtschaftsrechtliche Probleme zu bearbeiten hatte. Denn auch diese Kontrolltätigkeit oder auch die Vorbereitung nach außen wirkenden Verwaltungshandelns in rechtlicher Hinsicht stellt sich im Kern als gegenüber dem Leiter der Verwaltung zu erbringende Verwaltungstätigkeit, nicht aber als eigenständige rechtsberatende Tätigkeit dar.
Die vom Antragsteller -auch mit der Beschwerde -aufgezeigten weiteren Tätigkeiten, die er im Rahmen seines Dienstes in der Waldsiedlung W. wahrgenommen haben will, rechtfertigen keine andere Beurteilung. Selbst wenn man davon ausgeht, daß der Antragsteller auch Bewohnern und Mitarbeitern der Siedlung in familien-, arbeits- und zivilrechtlichen Problemstellungen rechtliche Beratungen erteilt hat, ergibt sich daraus keine rechtsberatende Tätigkeit in einem erheblichen Umfang. Dagegen spricht bereits, daß diese Tätigkeit nach Maßgabe der zuvor dargestellten Arbeitsbeschreibungen nur neben den dienstlichen Aufgaben wahrgenommen worden sein kann. Zudem hat der Antragsteller Art und Häufigkeit der behaupteten Beratungstätigkeit in keiner Weise substantiiert. Auch soweit der Antragsteller darauf abhebt, auf den Leipziger Früh- und Herbstmessen eigenständige Vertragsverhandlungen geführt und Verträge geschlossen zu haben, ist damit keine rechtsberatende Tätigkeit erheblichen Umfangs dargetan. Es ist schon zweifelhaft, ob der Abschluß von Verträgen für die Wohnsiedlung überhaupt als rechtsberatende Aufgabe angesehen werden kann, jedenfalls aber ergibt sich aus dieser Tätigkeit bei Gelegenheit von Messen und ähnlichen Veranstaltungen während des hier in Rede stehenden Zeitraums keine rechtsberatende Tätigkeit in einem erheblichen Umfang. Soweit der Antragsteller schließlich Beratungen in Wohnungsangelegenheiten anspricht, scheidet eine rechtsberatende Tätigkeit schon deshalb aus, weil der Antragsteller nach eigenem Vortrag selbst "Wohnungsverantwortlicher" der Verwaltung, also gewissermaßen Vertreter des Vermieters war.
c) Daß die Tätigkeit des Antragstellers als Steuerfachgehilfe nicht als rechtsberatende Tätigkeit im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 RAG angesehen werden kann, hat bereits der Anwaltsgerichtshof zutreffend ausgeführt. Dem ist -auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens - nichts hinzuzufügen. Danach kommt es auf die weitere Frage, ob die Tätigkeit des Antragstellers als Justitiar für das Rehabilitationszentrum W. eine solche Tätigkeit darstellt, nicht mehr an. Denn allein mit dieser von März bis Dezember 1990 ausgeübten Tätigkeit kann der Antragsteller die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 2 RAG schon in zeitlicher Hinsicht nicht erfüllen.
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BGH:
Beschluss v. 13.03.2000
Az: AnwZ (B) 26/99
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