Oberlandesgericht Stuttgart:
Urteil vom 24. April 2006
Aktenzeichen: 1 Ss 449/05
(OLG Stuttgart: Urteil v. 24.04.2006, Az.: 1 Ss 449/05)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Oberlandesgericht Stuttgart hat in einem Urteil vom 24. April 2006 entschieden, dass die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 15. Juni 2005 verworfen wird. Das Landgericht hatte den Angeklagten vom Vorwurf der zweifachen Beihilfe zum Verbreiten von Propagandamitteln, zum Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und zur Volksverhetzung freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft beanstandet in ihrer Revision, dass das Landgericht die Sozialadäquanzklausel überdehnt habe und einen Verstoß gegen Jugendschutzbestimmungen nicht geprüft habe. Das Oberlandesgericht kommt zu dem Ergebnis, dass das Landgericht den Angeklagten zu Recht freigesprochen hat. Es stellt fest, dass das Setzen von Links zu den inkriminierten Seiten kein täterschaftliches Zugänglichmachen darstellt und durch die Sozialadäquanzklausel ausgeschlossen wird. Auch ein Verstoß gegen Jugendschutzbestimmungen liegt nicht vor.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
OLG Stuttgart: Urteil v. 24.04.2006, Az: 1 Ss 449/05
Tenor
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 15. Juni 2005 wird verworfen.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der zweifachen Beihilfe zum Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, zum Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und zur Volksverhetzung, der Volksverhetzung und der Gewaltdarstellung freigesprochen. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Sie beanstandet im wesentlichen, das Landgericht habe die Sozialadäquanzklausel (§ 86 Abs. 3 StGB) überdehnt und einen Verstoß gegen Jugendschutzbestimmungen nicht geprüft. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.I.
Das Landgericht hat zu den beiden Vorwürfen festgestellt:
1. Der Angeklagte ist Verfechter einer uneingeschränkten Informationsfreiheit im Internet. Sperrungen ins Netz gestellter Informationen lehnt er ab, weil die Meinungsfreiheit eine ungehinderte Information aus allen Quellen voraussetze. Er verfügt über eine eigene ins Internet gestellte Homepage. Dort ist eine über 100 Seiten starke Dokumentation über geplante und erlassene Sperrungen von Internetseiten zugänglich, die unter anderem die Sperrverfügungen des Regierungspräsidiums Düsseldorf, ergangene Widerspruchsbescheide, eine Materialiensammlung aus juristischen Kommentaren sowie Reaktionen der Öffentlichkeit und der Medien enthält. Mit ihr will der Angeklagte die Bevölkerung über die Einschränkungen der Internetnutzbarkeit aufgrund der Sperrverfügungen aufklären.
Im Rahmen dieser Dokumentation setzte er zu zwei aus den USA stammenden - gesperrten - Webseiten sog. Hyperlinks, sodass sie durch bloßes Anklicken für jeden Internetnutzer erreichbar waren. Auf diesen Webseiten und ihren - über weitere Links erreichbare - Unterseiten werden Kennzeichen der NSDAP und ihrer Nebenorganisationen gezeigt, der Holocaust und die Existenz von Vernichtungslagern geleugnet und eine weitere Judenvernichtung propagiert. Dem Angeklagten waren die Inhalte bekannt, er billigte sie jedoch nicht. Die Dokumentation enthielt nicht nur seine ablehnenden Kommentare, etwa dass rassistisches Gedankengut das Gehirn zerfresse, sondern auch Literaturhinweise, die eine argumentative Auseinandersetzung mit Rechtsradikalen ermöglichten.
Eine dritte Webseite, zu der der Angeklagte ebenfalls einen Link setzte, eröffnet den Zugang zu zahlreichen geschmacklosen Lichtbildern, die etwa Menschen beim (angeblichen) Verspeisen von Menschenteilen, menschliche Kadaver oder Teile davon oder ein Kleinkind mit geöffnetem Brustkorb zeigen.
2. Auf einer weiteren eigenen Internetseite zeigte der Angeklagte eine Adressenliste, die auch im Fall 1 genannte Webseiten enthielt. Er bot an, sich - kostenpflichtig - verbotene Internetseiten am Telefon vorlesen zu lassen. Sein Angebot, für das sich in über zwei Jahren nur zwei Anrufer interessierten, wurde als Satire bzw. überspitzte Darstellung der Folgen von Sperrverfügungen mit dem Ziel, diese ins Lächerliche zu ziehen, erkannt.II.
Der Freispruch hält in beiden Fällen sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.
Der Revision ist zuzugeben, dass das Landgericht nicht näher geprüft hat, ob die erhobenen Vorwürfe tatbestandlich erfüllt werden und lediglich - mit einer subjektive Aspekte überbetonenden Begründung - auf die Sozialadäquanzklausel verwiesen hat. Letztlich rechtfertigen die den Senat bindenden und rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen den Freispruch.
Die Staatsanwaltschaft geht allerdings zutreffend davon aus, dass im Fall 1 das Setzen der Links zu den inkriminierten Seiteninhalten ein täterschaftliches Zugänglichmachen gemäß §§ 86 Abs. 1 Nr. 4, 130 Abs. 2 Nr. 1b StGB, ein Verwenden nach § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB und eine Beihilfe zu § 130 Abs. 3 StGB darstellt (unten A.). Die Tatbestände werden indes durch die Sozialadäquanzklausel (§ 86 Abs. 3 StGB i. V. m. §§ 86 a Abs. 3 und 130 Abs. 6 StGB) ausgeschlossen; dies gilt im Ergebnis auch im Fall 2 (dazu B.). § 131 StGB ist bereits tatbestandlich nicht erfüllt (C.). Ein Verstoß gegen Jugendschutzbestimmungen liegt nicht vor (D.).
A.
1. Der Angeklagte ist für die Inhalte der von seiner Dokumentation aus aufrufbaren Seiten und Unterseiten strafrechtlich verantwortlich. Es handelt sich - unabhängig davon, dass die inkriminierten Internetseiten aus den USA stammen - um Inlandstaten im Sinne der §§ 3, 9 StGB (vgl. BGHSt 46, 212, 220).
a) Eine Einschränkung der Verantwortlichkeit aufgrund der §§ 8 ff TDG kommt nicht in Betracht. Diese Vorschriften regeln die Vereinfachung des Zugriffs auf fremde Inhalte mittels interaktiver Verknüpfungen (Hyperlinks) nicht. Vielmehr soll es nach dem Willen des Gesetzgebers bei der Verantwortlichkeit des Link-Providers nach allgemeinen Regeln verbleiben (BT-Drs 14/6098 S. 23, 37; BGH NJW 2004, 2158, 2159 m. w. N.). Die §§ 8 ff TDG können auch nicht analog angewandt werden. Weder liegt eine unbemerkt gebliebene Regelungslücke vor, noch erscheint das Linksetzen mit den in den §§ 9-11 TDG geregelten Sachverhalten vergleichbar (Koch CR 2004, 213, 214; Spindler NJW 2002, 921, 924; Freytag CR 2000, 600, 604). Ebenso wenig beziehen sich die Vorschriften der §§ 6-9 MDStV auf die Haftung für das Setzen von Hyperlinks (BGH NJW 2004, 2158, 2159 m.w.N.). Schließlich kommt eine pauschale Herausnahme des Linksetzens aus einer Strafbarkeit im Wege der Heranziehung von Art. 5 GG nicht in Betracht. Dies unterliefe die differenzierte Abwägung, die der Gesetzgeber in § 86 Abs. 3 StGB vorgesehen hat (Altenhain CR 1997, 485, 491).
b) Im Grundsatz haftet der Angeklagte strafrechtlich für die Inhalte der mittels Link aufrufbaren Seiten sowie für die von dort über weitere Links erreichbaren Unterseiten.
Die Grenzen des Haftungsumfangs werden unterschiedlich umrissen. Danach zu unterscheiden, ob sich der Linksetzer mit den Inhalten identifiziert oder sich davon distanziert (vgl. Park GA 2001, 23, 32; Barton Multimedia-Strafrecht Rn 314, 316, 357), erweist sich hier als ungeeignet, da einer Billigung der Inhalte für die Tatbestände der §§ 86, 86a StGB keine Bedeutung zukommt. Andere Auffassungen bejahen eine Haftung des Linksetzers für strafbare Unterseiteninhalte, wenn sie sich in einer gewissen Nähe zur Ausgangsseite befinden, zwingend oder relativ schnell zu erreichen sind (Lackner/Kühl StGB 25. Aufl. § 184 Rn 7 b; Löhnig JR 1997, 496, 497) oder wenn er die Verzweigungen zu weiteren Seiten sowie deren Inhalte oder Zielsetzungen gekannt hat (Heghmanns JA 2001, 71, 73; Koch CR 2004, 213, 215). Der Senat hält sie jedenfalls dort für gegeben, wo diese Kriterien - wie hier - zusammentreffen. Der Angeklagte hat durch das Setzen der Links bewusst die Möglichkeit geschaffen, dass Dritte die ihm bekannten Inhalte der problemlos erreichbaren Seiten und Unterseiten zur Kenntnis nehmen können.
Wegen des Eingreifens der Sozialadäquanzklausel kann die Frage des Haftungsumfangs ebenso wie die Entscheidung, ob der Linksetzer als Täter oder Gehilfe einzuordnen ist, letztlich offen bleiben. Der Senat neigt allerdings dazu, die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme von den im jeweiligen Tatbestand vorausgesetzten Handlungsformen abhängig zu machen und nach den auch sonst üblichen Kriterien vorzunehmen. Das Setzen eines - wie hier - direkten Links auf strafbare Inhalte wird das Zugänglichmachen regelmäßig in der Form der Täterschaft erfüllen (vgl. Stadler, Haftung im Internet, 2. Aufl. Rn 183; Malek, Strafsachen im Internet Rn 135), da mit einem Seitenaufruf verbundene Schwierigkeiten beseitigt und die Verbreitung strafbarer Inhalte wesentlich beeinflusst werden können (Heghmanns JA 2001, 71, 73; Satzger CR 2001, 109).
2. Für die angeklagten Tatbestände der §§ 86, 86 a und 130 StGB gilt: Die in Rede stehenden Webseiten enthalten Propagandamittel im Sinne des § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB. Nach der Legaldefinition in § 86 Abs. 2 StGB i. V. m. § 11 Abs. 3 StGB gehören dazu auch Datenspeicher; die bestehenden Anforderungen an den Inhalt (dazu Steinmetz in MünchKomm-StGB, § 86 Rn 24; Laufhütte in LK-StGB, 11. Aufl. § 86 Rn 10; Schmidt MDR 1979, 705) sind erfüllt. Ein Zugänglichmachen liegt vor. Dafür reicht es aus, wenn eine Datei zum Lesezugriff, etwa durch einen Link, ins Internet gestellt wird. Die bloße Zugriffsmöglichkeit genügt; nicht erforderlich ist, dass ein Zugriff eines Internetnutzers erfolgt (BGHSt 47, 55, 60). Ferner liegt ein Verwenden von Kennzeichen nach § 86 a StGB vor.
Auch die subjektive Tatseite ist gegeben. Der Täter muss lediglich den in § 86 Abs. 2 StGB vorausgesetzten inhaltlichen Charakter der Schrift kennen, nicht aber den Inhalt selbst billigen (BGHSt 19, 221). Entsprechend liegt es bei § 86 a StGB; ob eine inhaltliche Identifikation des Täters vorliegt, ist unerheblich. Die subjektive Zwecksetzung wird allerdings im Rahmen des § 86 Abs. 3 StGB bedeutsam (Steinmetz aaO § 86 Rn 42).
Schließlich erfüllen die Inhalte der Seiten die Tatbestände der §§ 130 Abs. 2 Nr. 1b und Abs. 3 StGB. Ihre Eignung zur Friedensstörung besteht mit Blick auf die jedermann zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten im Internet; dort verbreitete und ohne weiteres abrufbare Äußerungen erfolgen öffentlich i. S. des § 130 Abs. 3 StGB (BGHSt 46, 212, 217 ff).B.
Der Angeklagte bleibt straflos, da nach §§ 86 Abs. 3, 86 a Abs. 3, 130 Abs. 6 StGB jeweils die sog. - als Tatbestandsausschluss gestaltete (BGHSt 46, 36, 43) - Sozialadäquanzklausel eingreift. Das Zugänglichmachen der Internetseiten im Rahmen der Dokumentation diente im Fall 1 der staatsbürgerlichen Aufklärung, im Fall 2 einem ähnlichen Zweck im Sinne des § 86 Abs. 3 StGB.
1. a) Unter die staatsbürgerliche Aufklärung nach § 86 Abs. 3 StGB fallen Handlungen, die der Vermittlung von Wissen zur Anregung der politischen Willensbildung und Verantwortungsbereitschaft der Staatsbürger und damit der Förderung ihrer politischen Mündigkeit durch Information dienen (BGHSt 23, 226, 227). In diesem Sinn können nicht nur öffentlichrechtliche Bildungseinrichtungen, sondern auch Privatpersonen tätig werden (Tröndle/Fischer aaO § 86 Rn 19; Maurach/Schroeder/Maiwald Strafrecht BT 2, 7. Aufl., § 84 Rn 36). Das Merkmal des Dienens verlangt, dass der jeweilige Zweck zumindest überwiegend gefördert wird (Steinmetz aaO § 86 Rn 36; Laufhütte aaO § 86 Rn 21). Es soll verhindern, dass allein das subjektive Wollen darüber entscheidet, ob einer der in § 86 Abs. 3 StGB genannten Zwecke vorliegt und die missbräuchliche Berufung auf § 86 Abs. 3 StGB, etwa in Fällen, in denen nur unter dem Deckmantel oder dem Vorwand der Aufklärung Werbung für eine verbotene Organisation gemacht wird, ausschließen (vgl. Rahe, Die Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 3 StGB und ihre Bedeutung für das politische Kommunikationsstrafrecht, S. 64 f, 67).
Ob ein Vorgehen missbilligten oder den vom Gesetzgeber anerkannten Zwecken dient, hängt maßgeblich von der objektiven, aus dem Inhalt zu ermittelnden Zwecksetzung ab (vgl. BGHSt 23, 226, 229). Erfasst werden Handlungen, die sich zeitkritisch oder aufklärend für die Verfassung einsetzen oder sich in wissenschaftlicher Weise mit verfassungswidrigem Propagandamaterial auseinandersetzen oder zu Informationszwecken wahrheitsgemäß bzw. mit erläuternder Begleitkommentierung, etwa über rassistische Umtriebe oder Leugnungen des nationalsozialistischen Völkermords, berichten (Rudolphi/Stein in SK-StGB (Stand Okt. 2005) § 130 Rn 18; Laufhütte aaO § 86 Rn 8; Altenhain CR 1997, 491 f).
Weiter gewinnen namentlich auch der Kontext und die Begleitumstände bzw. der Gesamtzusammenhang, in dem sich die gesetzten Links finden, Bedeutung (vgl. BVerfG NJW 2003, 660, 661). So können über Links erreichbare Seiteninhalte aufgrund des in die Betrachtung einzubeziehenden Darstellungszusammenhangs als distanzierte kritische Berichterstattung oder als Teil einer bewertungsfreien Dokumentation erscheinen. Hingegen fehlt es an einem von der Rechtsordnung anerkannten legitimen Zielsetzung etwa in Fällen, in denen sich aus einer unkommentierten Übernahme fremder Internetseiten ergibt, dass sich der Linksetzer dort enthaltene strafbare Inhalte zu eigen macht (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 282) oder im wesentlichen Werbezwecke verfolgt (vgl. BGHSt 23, 78; 25, 30, 31; OLG Hamm NJW 1985, 2146).
b) Darüber hinaus bestimmt sich der Anwendungsbereich des § 86 Abs. 3 StGB zum einen in Abhängigkeit vom Schutzzweck der betroffenen Bestimmungen; er greift nur dann ein, wenn die Handlung den Schutzzweck der Straftatbestände nicht verletzt (BGHSt 31, 383, 384; OLG München NStZ-RR 2005, 371; Rautenberg GA 2003, 627 f). Sozialadäquate, von der Allgemeinheit gebilligte Handlungen, die objektiv, wenn auch nicht ohne weiteres erkennbar, das mit der Strafvorschrift geschützte Rechtsgut nicht gefährden können, sollen straflos bleiben (BGHSt 23, 226, 228; 28, 394, 398; OLG Hamm NJW 1982, 1656, 1658; Rudolphi aaO § 86 Rn 16). Danach muss bei der Beurteilung, ob ein sozialadäquater Zweck vorliegt, bedacht werden, dass § 86 StGB den Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung sowie des Gedankens der Völkerverständigung bezweckt und § 86 a StGB die Wiederbelebung verfassungswidriger Organisationen abwehren will; jeglicher Anschein einer solchen Wiederbelebung sowie der Eindruck, in der Bundesrepublik gebe es eine rechtstaatswidrige innenpolitische Entwicklung, die dadurch gekennzeichnet sei, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten Richtung geduldet würden, soll vermieden werden. § 86 a StGB will auch verhindern, dass die Verwendung verbotener Kennzeichen - ungeachtet damit verbundener Absichten - sich wieder derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in der Bundesrepublik grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird (BGHSt 25, 30, 33; 25, 128, 130 f). § 130 StGB schützt namentlich den öffentlichen Frieden, die Menschenwürde sowie den persönlichen Achtungsanspruch der Betroffenen (näher Miebach/Schäfer in MünchKomm-StGB, § 130 Rn 2 - 5).
Zum anderen muss berücksichtigt werden, dass § 86 Abs. 3 StGB der Sicherung der Grundrechte vor Beeinträchtigungen dient, die zum Schutz des freiheitlich demokratischen Rechtsstaats nicht erforderlich sind und das Grundrecht der Meinungsfreiheit schützen will (Lackner/Kühl aaO § 86 Rn 8; Laufhütte aaO § 86 Rn 19). Die Meinungsfreiheit wird zwar nicht schrankenlos gewährleistet. Wegen ihrer grundlegenden Bedeutung müssen jedoch die sie beschränkenden allgemeinen Gesetze (Art. 5 Abs. 2 GG) ihrerseits im Lichte der Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG einschränkend ausgelegt werden (st. Rspr., z. B. BVerfG NJW 1986, 1239; 1992, 1439; BGH NStZ 1997, 393, 394 m. w. N.). Ein Konflikt des Schutzbereichs der Strafvorschrift mit dem eines Grundrechts ist im Wege einer Abwägung im Einzelfall zu lösen (vgl. BVerfG NJW 1988, 325, 326; Sachs, GG, 3. Aufl., Art. 5 Rn 45, 147, 147 b).
c) Schließlich war bei der sachlich-rechtlichen Überprüfung des angefochtenen Urteils zu beachten, dass die gebotene Würdigung, ob im Einzelfall ein legitimer Zweck verfolgt wurde, in erster Linie Sache des Tatrichters ist und, wenn sie sich als tragfähig erweist, vom Revisionsgericht hinzunehmen ist (vgl. BGHSt 46, 36, 46).
2. Bei Anlegung dieser Maßstäbe hält die Annahme der Strafkammer, § 86 Abs. 3 StGB schließe eine Strafbarkeit des Angeklagten aus, hier der Nachprüfung stand. Die Feststellungen ergeben, dass das Vorgehen des Angeklagten nicht nur von seinem Willen, sondern auch durch seinen objektiven Inhalt erkennbar davon geprägt war, dem Aufklärungszweck (Fall 1) sowie zumindest einem ähnlichen Zweck (Fall 2) im Sinne des § 86 Abs. 3 StGB zu dienen.
a) Fall 1:
aa) Die Dokumentation des Angeklagten befindet sich auf mit "Zensur" und "Informationsfreiheit" betitelten Unterseiten seiner an die Allgemeinheit gerichteten Homepage. Elemente der Berichterstattung, das Ziel der Informationsvermittlung über ein wahres Geschehen - vom Regierungspräsidium Düsseldorf geplante und erlassene Sperrverfügungen - sowie die Aufklärung, insbesondere der Internet-Nutzer, stehen im Vordergrund. Kommerzielle Zwecke verfolgte der Angeklagte nicht. Zudem stehen die gesetzten Links nicht im Zentrum der Dokumentation.
Von ihr sollte und konnte weder der Anschein erweckt werden, der Wiederbelebung des Nationalsozialismus oder seines Gedankenguts zu dienen noch eine offene oder verdeckte Werbewirkung für die in nationalsozialistischen Kennzeichen symbolhaft verkörperten Ideen ausgehen. Vielmehr wurden die - für sich genommen strafbaren - Inhalte der verlinkten Seiten zum Zweck der Aufklärung und Meinungsbildung verwandt. Aufgrund dieser - objektiv erkennbaren - Zielrichtung lässt die Bewertung des Landgerichts, dem Angeklagten komme die Sozialadäquanzklausel zugute, keine durchgreifenden Rechtsfehler erkennen und ist vom Revisionsgericht hinzunehmen.
bb) Selbst wenn man davon ausginge, die Dokumentation berühre den Schutzbereich der entsprechenden Strafvorschriften, gefährdete dies den Freispruch nicht. Denn der Angeklagte kann sich auf die nach Art. 5 Abs. 1 GG gewährleistete Meinungsfreiheit berufen; nur eine den Tatbestand nach § 130 Abs. 3 StGB erfüllende Äußerung wird vom Schutzbereich des Art. 5 GG ausgenommen (BGHSt 46, 212, 218; Kannengießer in Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 10. Aufl. Art. 5 Rn 3; Miebach/Schäfer aaO § 130 Rn 65 m. w. N.). Die Meinungsfreiheit schützt Tatsachenbehauptungen, soweit sie zur Meinungsbildung beitragen können ebenso wie Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen und die durch Elemente der Stellungnahme geprägt sind. Sie bezieht sich auf das Äußern und Verbreiten, mithin auf jede Art friedlicher Artikulation und Transportierung, mit Hilfe deren eine Auffassung ausgedrückt und übermittelt wird (Jarras/Pieroth GG 7. Aufl. Art. 5 Rn 6; Starck in v. Mangoldt/Klein GG 4. Aufl. Art. 5 Rn 32). Der sich äußernde hat nicht nur das Recht, seine Meinung kund zu tun. Er darf dafür auch diejenigen Umstände wählen, von denen er sich die größte Verbreitung oder die stärkste Wirkung seiner Meinungskundgabe verspricht (Sachs aaO Rn 26 a).
Nach diesen Kriterien und den Feststellungen des Landgerichts beruft sich der Angeklagte - dem es gerade nicht um eine bloße Zugangsvermittlung geht (vgl. dazu VG Arnsberg CR 2005, 301 ff) - zu Recht auf die Meinungsfreiheit. Die Strafkammer ist mit nachvollziehbaren Erwägungen zum Ergebnis gekommen, dass es sich um eine Meinungsäußerung zu den erlassenen Sperrverfügungen und den Einschränkungen der Internetnutzbarkeit, nicht um Beteiligung an verbotener nationalsozialistischer Propaganda handelt. Da die Dokumentation hier - wie dargelegt - weder objektiv geeignet ist, von den Besuchern seiner Homepage als Beteiligung oder Unterstützung der inkriminierten Inhalte aufgefasst zu werden noch in ihrer Zielrichtung auf solches angelegt war, führt die gebotene Einzelfallabwägung hier zur Straflosigkeit.
b) Fall 2:
Die vorstehenden Erwägungen (oben 1.a) bis c) und 2.a)) gelten im Ergebnis für im Fall 2 entsprechend. Auch diese Homepageseite betraf die Information und Aufklärung über die Sperrverfügungen und Einschränkungen bei der Nutzung des Internets. Danach kann offen bleiben, ob die Tatbestände des Zugänglichmachens und Verbreitens überhaupt erfüllt sind; insoweit bestehen erhebliche Zweifel, weil die Feststellungen keinen Hinweis darauf enthalten, dass Adressen der inkriminierten Seiten verlinkt waren. Ferner kann dahinstehen, ob die - als satirische Kritik einzuordnenden - Äußerungen unter den Kunstbegriff des Art. 5 Abs. 3 GG fallen; nicht jede Satire ist zugleich Kunst (BVerfG NJW 2002, 3767). Die hier auch gegen die politischen Entscheidungen des Regierungspräsidiums Düsseldorf gerichtete Satire wird jedenfalls vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG erfasst.
C.
Das Landgericht hat den Tatbestand des § 131 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu Recht verneint. Es fehlt bereits an der Schilderung einer Gewalttätigkeit im Sinne dieser Vorschrift. Zwar ist unerheblich ist, ob ein reales, realitätsnahes oder fiktives Geschehen dargestellt wird (BGH NStZ 2000, 307, 308). Im Rahmen der Schilderung muss ein Täter jedoch in unmittelbarer Weise physisch auf sein Opfer einwirken. Nicht ausreichend ist die Darstellung allein der Wirkungen von Gewalttätigkeiten (Miebach/Schäfer aaO § 131 Rn 19; Tröndle/Fischer aaO § 131 Rn 5). Tatbestandsmäßig im Sinne einer die Menschenwürde verletzenden Darstellung sind nur exzessive Gewaltschilderungen, die in allen Einzelheiten und unter Ausklammerung sonstiger menschlicher Bezüge die geschundene menschliche Kreatur in widerwärtiger Weise in den Vordergrund rücken, um dem Betrachter Nervenkitzel besonderer Art, genüsslichen Horror oder sadistisches Vergnügen zu bieten (OLG Koblenz NStZ 1998, 40, 41). Insoweit bedarf es einer - dem Tatrichter vorbehaltenen - Wertung der Würdigung des Inhalts der Schilderung sowie des gesamten Darstellungszusammenhangs (BGH NStZ 2000, 307, 309; OLG Koblenz NJW 1986, 1700).
Davon ausgehend ist der Freispruch des Landgerichts nicht zu beanstanden.
D.
Schließlich scheidet ein Verstoß gegen Jugendschutzvorschriften aus. Zwar fallen die Tatzeiten in die Geltungsdauern des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte (JgefSchrG), das bis 31. März 2003 gültig war, sowie des Jugendschutzgesetzes (JuSchG) und des Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV), die am 1. April 2003 in Kraft traten.
Eine Strafbarkeit nach § 21 Abs. 1 JgefSchrG scheitert jedoch - obwohl nach § 1 Abs. 3 JgefSchrG Datenspeicher den Schriften gleichstehen und ein Zugänglichmachen vorliegt (§ 21 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3a i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 4 JgefSchrG; vgl. auch BGHSt 47, 55) - daran, dass angesichts der gegebenen Sozialadäquanz und der oben dargelegten Erwägungen weder Dokumentation (Fall 1) noch Satire (Fall 2) offensichtlich geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit schwer zu gefährden.
Dies schließt auch eine Anwendung des § 23 JMStV aus, unabhängig von der Frage, ob sich die Homepage hier als an die Allgemeinheit gerichtetes, nicht zur individuellen Nutzung bestimmtes Informationsangebot und damit als Mediendienst (§ 2 Abs. 1 und 2 JMStV) einordnen lässt (vgl. dazu VG Arnsberg aaO; Malek aaO Rn 67, 68; Tettenborn in Beckscher IuKDG Kommentar, § 2 TDG Rn 95-98).
Gleiches gilt für § 27 Abs. 1 Nr. 1 JuSchG, der ohnehin Trägermedien voraussetzt; Datenspeicher, die unter den Schriftenbegriff der §§ 1 Abs. 3, 21 JgefSchrG fielen, werden von diesem Begriff nicht mehr erfasst (vgl. Liesching in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze § 1 JuSchG Rn 5 ff).
Etwaige Ordnungswidrigkeiten sind verjährt, § 24 Abs. 7 JMStV.
OLG Stuttgart:
Urteil v. 24.04.2006
Az: 1 Ss 449/05
Link zum Urteil:
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