Bundespatentgericht:
Beschluss vom 11. Juli 2001
Aktenzeichen: 5 W (pat) 440/00
(BPatG: Beschluss v. 11.07.2001, Az.: 5 W (pat) 440/00)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Bundespatentgericht hat in einem Beschluss vom 11. Juli 2001 (Aktenzeichen 5 W (pat) 440/00) entschieden, dass der Beschwerde der Antragstellerin stattgegeben wird. Der ursprüngliche Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom 17. Juli 2000 wird aufgehoben. Das Gebrauchsmuster 295 21 938 wird im Umfang des Schutzanspruchs 1 gelöscht, soweit er über die Fassung des Hilfsantrags II vom 11. Juli 2001 hinausgeht. Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsgegnerin zu 3/5 und die Antragstellerin zu 2/5. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Die Antragsgegnerin ist Inhaberin des Gebrauchsmusters 295 21 938 und hat dieses durch Abzweigung aus einer deutschen Patentanmeldung angemeldet. Die Anmeldung geht ihrerseits auf eine PCT-Patentanmeldung zurück. Die Antragstellerin hat die Löschung des Gebrauchsmusters beantragt und sich dabei auf fehlende Schutzfähigkeit berufen. Das Deutsche Patentamt hat den Antrag abgelehnt, jedoch wurde diese Entscheidung nun vom Bundespatentgericht aufgehoben.
Das Gericht hat festgestellt, dass der eingetragene Schutzanspruch 1 des Gebrauchsmusters über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgeht und daher gelöscht werden muss. Es wurde jedoch auch entschieden, dass der Schutzanspruch 1 nach Hilfsantrag II zulässig ist, da er sich auf die ursprünglich offenbarte Ausführungsform bezieht. Das Gericht hat die Kosten des Verfahrens den Parteien entsprechend ihrem Obsiegen und Unterliegen auferlegt.
Da die Zulässigkeit der gleichzeitigen Einreichung von Anmeldeunterlagen und Eintragungsunterlagen als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung angesehen wird, wurde die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BPatG: Beschluss v. 11.07.2001, Az: 5 W (pat) 440/00
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des Deutschen Patent- und Markenamts - Gebrauchsmusterabteilung I - vom 17. Juli 2000 aufgehoben.
Das Gebrauchsmuster 295 21 938 wird im Umfang des Schutzanspruchs 1 gelöscht, soweit er über die Fassung des Hilfsantrags II, vorgelegt am 11. Juli 2001, hinausgeht.
Im übrigen werden der Löschungsantrag und die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge tragen die Antragsgegnerin zu 3/5 und die Antragstellerin zu 2/5.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Antragsgegnerin ist Inhaberin des durch Abzweigung aus der deutschen Patentanmeldung 195 81 727.3-27, mit Anmeldetag vom 8. August 1995, entstandenen Gebrauchsmusters 295 21 938 (Streitgebrauchsmuster). Die deutsche Patentanmeldung geht ihrerseits zurück auf die PCT-Patentanmeldung vom 8. August 1995 mit dem Aktenzeichen PCT/US 95/10150. Die Prioritäten der Voranmeldungen in den Vereinigten Staaten von Amerika vom 8. August 1994 (US 287,153) und vom 24. März 1995 (US 410,239) werden in Anspruch genommen. Die Verlängerungsgebühr bis zum 3. August 2001 ist entrichtet. Das Streitgebrauchsmuster betrifft eine "Vorrichtung für das Plazieren von selbsthaftenden Labeln auf Compact/Disks".
Mit dem Antrag vom 3. August 1998 auf Eintragung des Gebrauchsmusters hat die Antragsgegnerin ua "Anmeldeunterlagen für die vorliegende Gebrauchsmusteranmeldung", die der deutschen Übersetzung der PCT-Voranmeldung entsprechen und 21 Schutzansprüche enthalten, und gleichzeitig "Unterlagen für die Eintragung des Gebrauchsmusters" mit sieben Schutzansprüchen eingereicht. Das Deutsche Patentamt hat schließlich die Eintragung des Gebrauchsmusters am 5. November 1998 mit den zuletzt genannten Unterlagen, jedoch mit später neu eingereichten Schutzansprüchen, nämlich mit den vier Schutzansprüchen vom 9. Oktober 1998, vorgenommen. Der eingetragene Schutzanspruch 1 lautet:
Vorrichtung für das Plazieren von haftenden Labeln (400) auf einer Compact Disk (200), wobei die Compact Disk (200) eine erste Mittenöffnung (210) aufweist und das haftende Label (400) eine zweite Mittenöffnung (430) aufweist, und wobei die erste Mittenöffnung (210) kleiner als die zweite Mittenöffnung (430) ist, gekennzeichnet durchein Positionierteil (300) mit einem Körper (330), dessen Außenabmessung im wesentlichen der Innenabmessung der zweiten Mittenöffnung (430) entspricht, an das sich koaxial ein länglicher Stil (310) anschließt, dessen Außenabmessung im wesentlichen der Innenabmessung der ersten Mittenöffnung (210) entspricht, undein Lagebestimmungsgerät (500, 600) mit einem Oberseitenbereich (510), auf welchem das Label (400) angeordnet werden kann, und einer Mittenöffnung (520) in dem Oberseitenbereich (510), die im wesentlichen gleich groß wie die zweite Mittenöffnung (430) ist, so daß der Körper (330) durch die Mittenöffnung (520) in dem Oberseitenbereich (510) und die zweite Mittenöffnung (430) führbar ist.
Die Antragstellerin hat am 22. April 1999 die Löschung des Gebrauchsmusters im Umfang des Schutzanspruchs 1 beantragt und sich dabei auf fehlende Schutzfähigkeit berufen. Sie hat unzulässige Änderungen in der eingetragenen Anspruchsfassung sowie fehlende Neuheit und Nichtvorliegen eines erfinderischen Schrittes für den Gegenstand dieses Schutzanspruches geltend gemacht.
Nach rechtzeitig eingelegtem Widerspruch der Antragsgegnerin hat die Gebrauchsmusterabteilung I des Deutschen Patent- und Markenamts mit Beschluß vom 17. Juli 2000 den Löschungsantrag zurückgewiesen. Sie hat ihre Entscheidung damit begründet, daß der eingetragene Schutzanspruch 1 formal zulässig und sein Gegenstand gegenüber dem entgegengehaltenen Stand der Technik neu und erfinderisch sei.
Die Antragstellerin hat hiergegen Beschwerde eingelegt. Sie vertritt die Ansicht, daß der Gegenstand des aus der Patentanmeldung abgezweigten eingetragenen Schutzanspruches 1 unzulässig erweitert sei. Damit betreffe der abgezweigte Gegenstand nicht die selbe Erfindung wie die zugrunde liegende Patentanmeldung. Der Abzweigungs-Anmeldung komme daher nur der Zeitrang der Abzweigung vom 3. August 1998 zu. Ihr stehe dann aber als Stand der Technik die zugrunde liegende Patentanmeldung gemäß der am 22. November 1996 veröffentlichten WO 96 05057 A1 und der am 27. November 1997 veröffentlichten DE 195 81 727 T1 entgegen. Im übrigen sei der Gegenstand des eingetragenen Schutzanspruchs 1 auch durch den übrigen Stand der Technik neuheitsschädlich getroffen, zumindest beruhe er aber nicht auf einem erfinderischen Schritt. Als Stand der Technik sind folgende Druckschriften genannt:
E1 JP-OS Hei 5-325495 E2 DE-PS 2 009 816 und E3 JP-A 2-127230(1990).
Die Antragsgegnerin verteidigt das Gebrauchsmuster hilfsweise mit Schutzansprüchen 1 gemäß den Hilfsanträgen I, II und III vom 11. Juli 2001. Die Ansprüche nach den ersten beiden Hilfsanträgen lauten:
Hilfsantrag I:
Vorrichtung für das Plazieren von haftenden Labeln (400) auf einer Compact Disk (200), wobei die Compact Disk (200) eine erste Mittenöffnung (210) aufweist und das haftende Label (400) eine zweite Mittenöffnung (430) aufweist, und wobei die erste Mittenöffnung (210) kleiner als die zweite Mittenöffnung (430) ist, gekennzeichnet durchein Positionierteil (300) mit einem Körper (330), dessen Außenabmessung im wesentlichen der Innenabmessung der zweiten Mittenöffnung (430) entspricht, an das sich koaxial ein länglicher Stil (310) anschließt, dessen Außenabmessung im wesentlichen der Innenabmessung der ersten Mittenöffnung (210) entspricht, undein Lagebestimmungsgerät (500, 600) mit einem Oberseitenbereich (510), auf welchem das Label (400) angeordnet werden kann, und einer Mittenöffnung (520) in dem Oberseitenbereich (510), die im wesentlichen gleich groß wie die zweite Mittenöffnung (430) ist, so daß der Körper (330) durch die Mittenöffnung (520) in dem Oberseitenbereich (510) und die zweite Mittenöffnung (430) führbar ist, und dabei innerhalb der Mittenöffnung (520) in dem Oberseitenbereich (510) zentrierbar ist, wobei das Positionierteil (300) und das Lagebestimmungsgerät (500, 600) unterschiedliche Bauteile sind.
Hilfsantrag II:
Vorrichtung für das Plazieren von haftenden Labeln (400) auf einer Compact Disk (200), wobei die Compact Disk (200) eine erste Mittenöffnung (210) aufweist und das haftende Label (400) eine zweite Mittenöffnung (430) aufweist, und wobei die erste Mittenöffnung (210) kleiner als die zweite Mittenöffnung (430) ist, gekennzeichnet durchein Positionierteil (300) mit einem Körper (330), dessen Außenabmessung im wesentlichen der Innenabmessung der zweiten Mittenöffnung (430) entspricht, an das sich koaxial ein länglicher Stil (310) anschließt, dessen Außenabmessung im wesentlichen der Innenabmessung der ersten Mittenöffnung (210) entspricht, undein Lagebestimmungsgerät (500, 600) mit einem Oberseitenbereich (510), auf welchem das Label (400) angeordnet werden kann, und einer Mittenöffnung (520) in dem Oberseitenbereich (510), die im wesentlichen gleich groß wie die zweite Mittenöffnung (430) ist, so daß der Körper (330) in die Mittenöffnung (520) in dem Oberseitenbereich (510) und in die zweite Mittenöffnung (430) einführbar ist und dabei innerhalb der Mittenöffnung (520) in dem Oberseitenbereich (510) zentrierbar ist, wobei das Positionierteil (300) und das Lagebestimmungsgerät (500, 600) unterschiedliche Bauteile sind.
Die Antragstellerin beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Gebrauchsmuster im Umfang des Schutzanspruches 1 zu löschen.
Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nur zum Teil begründet. Der auf Schutzanspruch 1 beschränkte Löschungsantrag ist begründet, soweit das Streitgebrauchsmuster über den Schutzanspruch 1 in der nach Hilfsantrag II verteidigten Fassung hinausgeht. Insoweit besteht der geltend gemachte Löschungsanspruch unzulässiger Erweiterung gemäß § 15 Abs 1 Nr 3 GebrMG. Im übrigen sind der Löschungsantrag und die Beschwerde unbegründet. Der Löschungsanspruch aus § 15 Abs 1 Nr 3 und der Löschungsanspruch wegen mangelnder Schutzfähigkeit aus § 15 Abs 1 Nr 1 GebrMG sind insoweit nicht gegeben.
1. Das Streitgebrauchsmuster wurde wirksam gemäß § 5 GebrMG abgezweigt. Es kann den Anmeldetag und die Prioritäten aus der ihm zugrunde liegenden Patentanmeldung beanspruchen.
Mit dem am 3. August 1998 eingegangenen Antrag auf Eintragung des Gebrauchsmusters hat die Anmelderin erklärt, daß es sich dabei um eine Abzweigung aus der Patentanmeldung DE 195 81 727.3/PCT entsprechend US 95/10150 vom 8. August 1995 handle. Zu diesem Antrag waren in einem Beiblatt (Bl 31 der Registerakte) die eingereichten Unterlagen erläutert. Dort ist - unter 3)- angegeben, daß die als "Anmeldeunterlagen für die vorliegende Gebrauchsmusteranmeldung" bezeichneten und dem Umfang nach spezifizierten Unterlagen (vgl Bl 2-30 RegA) identisch mit der deutschen Übersetzung der internationalen Patentanmeldung PCT/US 95/10150 (vgl Bl 63-98 RegA) seien. Außerdem wird dort unter 4) auf wiederum dem Umfang nach spezifizierte Unterlagen hingewiesen, die "der Eintragung des Gebrauchsmusters zugrunde zu legen" seien. Diese Unterlagen (vgl Bl 101-124 RegA) sind als "Unterlagen für die Eintragung des Gebrauchsmusters" (vgl Bl 101 RegA) überschrieben.
Aus diesen Unterlagen ergibt sich, daß mit der Gebrauchsmusteranmeldung die Erklärung nach § 5 Abs 1 Satz 1 GebrMG abgegeben worden ist, daß der für die genannte Patentanmeldung maßgebende Anmeldetag in Anspruch genommen wird. Vergeblich macht die Antragstellerin geltend, mit der Einreichung der "Unterlagen, die der Eintragung des Gebrauchsmusters zugrunde zu legen sind", widerriefe die Anmelderin die gleichzeitig vorgelegten "Anmeldeunterlagen für die vorliegende Gebrauchsmusteranmeldung"; weder handelt es sich bei diesen beiden Unterlagen - entgegen der Auffassung der Antragstellerin - um einander widersprechende Unterlagen noch sind die Anmeldeunterlagen gegenüber den erwähnten Eintragungsunterlagen - anders, als die Antragstellerin meint - schlechthin als "überholt und nicht gültig gebrandmarkt" anzusehen Die Gebrauchsmusteranmeldung, für die die Abzweigungsanmeldung abgegeben worden ist, betrifft den Gegenstand der den Anmeldeunterlagen entnehmbar ist. Das ergibt sich eindeutig aus der für sie gewählten Bezeichnung in der ihnen beigefügten Überschrift und dem auf sie verweisenden Beiblatt. Die zugleich vorgelegten "Unterlagen, die der Eintragung des Gebrauchsmusters zu grunde zu legen sind", geben keine Veranlassung, hieran Zweifel aufkommen zu lassen. Der Gegenstand der Anmeldung muß nicht völlig mit dem Gegenstand der Eintragung übereinstimmen. Denn bis zur Verfügung über die Eintragung sind Änderungen der Anmeldung zulässig, soweit sie nur den Gegenstand der Anmeldung nicht erweitern (§ 4 Abs 6 Satz 1 GebrMG 1998).
Letzteres verkennt die Antragstellerin nicht, meint aber, zur Eintragung bestimmte, von den weiteren, mit der Patentanmeldung identischen Anmeldungsunterlagen abweichende und den Gegenstand beschränkende Unterlagen dürften nicht gleichzeitig, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt eingereicht werden; sie erst einige Tage nach der Anmeldung des Gebrauchsmusters einzureichen entspräche auch der gängigen Praxis. Dies trifft nicht zu. Überwiegend werden in solchen Fällen von vornherein die für die Eintragung bestimmten, im Vergleich zur zugrunde liegenden Patentanmeldung engeren Unterlagen - dies gilt insbesondere für die Schutzansprüche - eingereicht. Diese Praxis folgt der Rechtsprechung des Senats hierzu, wie sie in der Entscheidung "Scheibenzusammenbau" (GRUR 1995, 486) erstmalig ihren Niederschlag gefunden hat. Soweit Anmelder eines Gebrauchsmusters sich den genannten Offenbarungsgehalt der zugrundeliegenden Patentanmeldung für eine eventuelle Ergänzung der Schutzansprüche, die sie zunächst enger formulieren, vorbehalten wollen, reichen sie mit jener Anmeldung identische Anmeldungsunterlagen als "Offenbarungsreservoir", wie die Antragstellerin es nennt, ein. Die Vorlage engerer Schutzansprüche erfolgt aber in diesen Fällen meistens zugleich mit der Anmeldung und nicht zeitlich versetzt. Der Senat sieht keine Veranlassung, dies als unzulässig zu beanstanden.
Allerdings lautet der mit der Anmeldung vorgelegte, dem vom Patentamt hierfür vorgesehenen Formblatt G 6003 (8.97) entsprechende Antrag "auf Eintragung eines Gebrauchsmusters". Dies folgt der Vorschrift des § 4 Abs 3 GebrMG, wonach für die Anmeldung ein Antrag auf Eintragung des Gebrauchsmusters vorgeschrieben ist. Darüber hinaus sind in dieser Vorschrift als Inhalt der Anmeldung ein oder mehrere Schutzansprüche, eine Beschreibung des Gegenstandes und die Zeichnungen vorgesehen, auf die sich die Schutzansprüche oder die Beschreibung beziehen. Die Unterlagen, die die Antragsgegnerin als "Anmeldeunterlagen für die vorliegende Gebrauchsmusteranmeldung" eingereicht hat, beziehen sich also auf ihren Eintragungsantrag. Hiermit läßt sich aber bei einer abgezweigten Anmeldung die gleichzeitige Einreichung von davon abweichenden "Unterlagen, die der Eintragung des Gebrauchsmusters zugrunde zu legen sind", vereinbaren.
Denn wenn neue Unterlagen für die Eintragung bis zum Zeitpunkt der Verfügung über die Eintragung des Gebrauchsmusters eingereicht werden dürfen (§ 4 Abs 6 Satz 1 GebrMG 1998), kann die Zulässigkeit ihrer Einreichung nicht von dem zeitlichen Abstand zur ursprünglichen Anmeldung abhängen, weil letzterer ohne jeden sachlichen Bezug zu der Zulässigkeit ist. Entscheidend ist bei Vorlage von Unterlagen für die Eintragung, die zusätzlich zu den mit dem Eintragungsantrag der Anmeldung vorgelegten Unterlagen überreicht werden, daß kein Zweifel besteht, welche Unterlagen die für den Anmeldetag geltende erfindungswesentliche Offenbarung enthalten und welche Unterlagen auf dieser Offenbarungsgrundlage letztlich der Eintragung zugrunde gelegt werden sollen. Werden neue Unterlagen erst nach Einreichung der Gebrauchsmusteranmeldung vorgelegt, wird es an dieser Unterscheidung keinen Zweifel geben. Zweifel daran, welche Unterlagen welche Funktion haben, brauchen aber auch bei gleichzeitiger Vorlage nicht zu bestehen; in diesem Fall ist bei eindeutiger Kennzeichnung des jeweiligen Zwecks der doppelten Unterlagen ein Zweifel an ihrer unterschiedlichen Bestimmung nicht begründet.
Um einen solchen Fall handelt es sich hier. Mit der eindeutigen Kennzeichnung des einen Teils der gleichzeitig eingereichten Unterlagen als Anmeldungsunterlagen - also als Offenbarungsgrundlage nach § 4 Abs 1 GebrMG - und des anderen Teils als Eintragungsunterlagen - also als den Schutzgegenstand nach § 11 GebrMG festlegende Grundlage - ist dem grundsätzlichen Erfordernis der Eindeutigkeit der bei Einreichung der Anmeldung im Hinblick auf den angestrebten Schutz abzugebenden Erklärungen Genüge getan.
2. Das Streitgebrauchsmuster war im Umfang seines eingetragenen Schutzanspruchs 1 (nach Hauptantrag) sowie im Umfang des Schutzanspruches 1 nach Hilfsantrag I zu löschen, weil der Gegenstand dieser Ansprüche über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinausgeht, in der sie ursprünglich eingereicht worden ist (§ 15 Abs 1 Satz 3 GebrMG).
A) Mit dem eingetragenen Schutzanspruch 1 wird eine Vorrichtung für das Plazieren von haftenden Labeln (400) auf einer Compact Disk (CD) unter Schutz gestellt. Diese Vorrichtung weist - nachfolgend teilweise mit anderen Worten ausgedrückt - ein Positionierteil (300) auf, an dessen Körper (330) sich koaxial ein länglicher Stiel (310) anschließt. Die Außenabmessungen des Körpers (330) sind an die Mittenöffnung des Labels (430) und die des Stiels (310) an die Mittenöffnung (210) der CD (200) angepasst. Die Vorrichtung weist außerdem ein Lagebestimmungsgerät (500,600) mit einer Mittenöffnung (520) entsprechend der Mittenöffnung (430) des Labels auf, so daß der Körper (330) des Positionierteils (300) durch die Mittenöffnung (520) des Lagebestimmungsgerätes (500,600) in dessen Oberseitenbereich (510) - und damit auch durch die Mittenöffnung (430) des Labels (400), welches auf dem Oberseitenbereich (510) angeordnet sein kann - führbar ist.
Der eingetragene Schutzanspruch 1 umfaßt mehrere Ausführungsformen:
a) Bei dem Positionierteil (300) und dem Lagebestimmungsgerät (500,600) handelt es sich um voneinander getrennte Bauteile.
aa) Das Positionierteil (300) wird von oben her in und durch die Mittenöffnung (520) in dem Oberseitenbereich (510) des Lagebestimmungsgerätes (500,600) eingeführt.
ab) Das Positionierteil (300) wird von unten her durch die Mittenöffnung (520) in dem Oberseitenbereich (510) des Lagebestimmungsgerätes (500,600) ein- bzw hindurchgeführt.
b) Bei dem Positionierteil (300) und dem Lagebestimmungsgerät (500,600) handelt es sich um unterschiedliche Bauteile, die funktionell so ineinander integriert sind, daß das Positionierteil (300) mit seinem Körper (330) durch die (bzw mittels der) Mittenöffnung (520), die sich in dem Oberseitenbereich (510) des Lagebestimmungsgerätes (500,600) befindet, führbar ist bzw geführt wird.
In den "Anmeldeunterlagen für die vorliegende Gebrauchsmusteranmeldung", die der deutschen Übersetzung der PCT-Anmeldung entspricht, wird aber nur die Ausführungsform aa) offenbart. So lehrt Seite 7 Zeilen 3-7, daß das Positionierteil (300) durch das Label (400) und eine Öffnung (520) in der Oberfläche (510) des Lagebestimmungsgerätes (500,600) eingeführt wird. Auch der kurz darauf folgende Satz (S 7 Z 10-12), wonach der Zylinder größeren Durchmessers, dh der Körper (330) durch das Label (400) und die Öffnung in der Oberfläche (520) einsetzbar ist, offenbart die Einführung des Positionierteiles (300) von oben her in das Lagebestimmungsgerät (500,600). Nur diese Lehre zieht sich wie ein roter Faden durch die genannten Anmeldeunterlagen (vgl dazu insb auch S 8 Z 8-12; S 10 Abs 1 und S 10 Z 20-29, wobei dort mit "Stiel" bezeichnet wird was in Fig 1/2 mit Positionierkörper (330) und verjüngter Abschnitt (340) dargestellt ist; S 11 Z 11-19; S 13 Z 1-3; S 15 Z 10-12; S 18 Z 15-21 und Z 27 bis S 19 Z 2; S 19 Z 22-30). Allein diese Ausführungsform wird auch mit den Patentansprüchen offenbart (vgl Anspruch 1; Anspruch 11, insb Schritt e); Anspruch 13, insb ab Merkmal b); Anspruch 17, insb Maßnahme (c)) und durch die Zeichnungen, Figuren 1/2 und 2/2 dargestellt.
Mithin geht der Gegenstand des eingetragenen Anspruchs 1, der auch die oben genannten Ausführungsformen ab) und b) umfasst, über den Inhalt der Anmeldungsfassung hinaus. Dieser Anspruch musste daher gelöscht werden.
B) Keine substantiell andere Lehre gibt der Anspruch 1 nach Hilfsantrag I. Er wurde lediglich am Schluss ergänzt durch die erläuternden Ausführungen "und dabei innerhalb der Mittenöffnung (520) in dem Oberseitenbereich (510) zentrierbar ist, wobei das Positionierteil (300) und das Lagebestimmungsgerät (500,600) unterschiedliche Bauteile sind".
Der erste Teil dieser ergänzenden Ausführungen besagt lediglich, daß der Körper (330) innerhalb der Mittenöffnung (520) in dem Oberseitenbereich (510) zentrierbar ist. Auf welche Weise dies geschehen soll, wird dabei nicht definiert. Eine Zentrierbarkeit ist aber allein schon dadurch gegeben, daß -wie im Anspruch angegeben ist- die Außenabmessung des Körpers (330) im wesentlichen der Innenabmessung des Lochbereichs (430) des Labels (400) und der Mittenöffnung (520) des Lagebestimmungsgerätes (500,600) gleich ist.
Die weitere Feststellung, wonach "das Positionierteil (300) und das Lagebestimmungsgerät (500,600) unterschiedliche Bauteile sind", schränkt den Anspruch auch nicht auf das ursprünglich Offenbarte ein. Dieser Anspruch umfasst ebenfalls die oben genannten Ausführungsformen ab) und b). Er musste daher ebenfalls gelöscht werden.
3. Anders verhält es sich mit der Vorrichtung gemäß Anspruch 1 nach Hilfsantrag II. Eine unzulässige Erweiterung liegt hier nicht vor.
Soweit der angegriffene Gegenstand durch eine Beschränkung zulässigerweise auf den Gegenstand im ursprünglich offenbarten Umfang zurückgeführt, also von der unzulässigen Erweiterung befreit werden kann, ist der Löschungsanspruch aus § 15 Abs 1 Nr 3 GebrMG unbegründet. Zwar sieht diese Vorschrift bei unzulässiger Erweiterung des Gegenstandes des Gebrauchsmusters schlechthin einen "Anspruch auf Löschung des Gebrauchsmusters" vor. Der hinter dieser Regelung stehende, in § 4 Abs 5 Satz 2 GebrMG niedergelegte Grundgedanke, daß aus unzulässigen Änderungen Rechte nicht hergeleitet werden können, läßt es aber als gerechtfertigt erscheinen, die wegen unzulässiger Erweiterung auszusprechende Löschung auf eine Beseitigung des erweiternden Teiles zu begrenzen, soweit eine solche einen zulässigen und sinnvollen bereinigten Restgegenstand übrig läßt. Denn damit ist der Maxime, durch unzulässige Erweiterungen keine Rechte zu begründen, Genüge getan.
Der Gegenstand des in zweiter Linie hilfsweise verteidigten Schutzanspruchs 1 ist in solcher Weise um die unzulässige Erweiterung bereinigt. Der geänderte Wortlaut dieses Anspruchs (...so daß der Körper (330) in die Mittenöffnung (520) und in die zweite Mittenöffnung (430) einführbar ist ...) legt ausreichend deutlich fest, daß es sich zum einen bei dem Körper (330) und dem Lagebestimmungsgerät (500,600) um voneinander getrennte Bauteile handelt, weil sonst der funktionelle Zusammenhang der Vorrichtung nicht gegeben wäre, und daß zum anderen der Körper (330) dafür vorgesehen ist, in die Mittenöffnung (520) in dem Oberseitenbereich (510), dh von oben her, eingeführt zu werden.
Dieser Anspruch ist demnach nur noch auf die oben genannte Ausführungsform aa) gerichtet, die von der ursprünglichen Offenbarung getragen wird.
4. Mangelnde Schutzfähigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag II läßt sich nicht feststellen.
A. Der Schutzanspruch kann in dieser Fassung verteidigt werden. Er stützt sich auf die "Anmeldeunterlagen für die vorliegende Gebrauchsmusteranmeldung", und zwar insbesondere auf die Ansprüche 1 und 13 in Verbindung mit Seite 6 Absatz 2, Seite 10, Seite 14 Absatz 2 bis Seite 15, Seite 17 Absatz 1 und 2 und Seite 19 ab Zeile 25 sowie auf die Figuren 1/2 und 2/2.
Hinsichtlich der Formulierung "Positionierteil (300)" anstelle "Positionierkonus (300)" -vgl dazu die Abbildungen- ist hinzuweisen auf Seite 10 und Anspruch 13 in Verbindung mit Anspruch 15. Da nach Seite 21 Absatz 3 der Anmeldeunterlagen die Ansprüche den Umfang des Offenbarten festlegen sollen, ist der konische Verjüngungsteil (vgl Anspruch 15) am Positionierteil erst eine bevorzugte Ausführungsform.
Hinsichtlich des Begriffes "Lagebestimmungsgerät (500,600)" hält es der Senat für gerechtfertigt, die Ausdrucksweise in der eingetragenen Fassung beizubehalten und, wie auch im angefochtenen Beschluß ausgeführt ist, darauf hinzuweisen, daß dies als Synonym für "Positionierplatte (500) mit Basisteil (600)" gilt.
B. Der Gegenstand des Schutzanspruches 1 nach Hilfsantrag II ist neu. Denn bei den Vorrichtungen nach dem zu berücksichtigenden Stand der Technik wird jeweils ein dem Positionierteil (300) vergleichbares Bauteil, welches in E1 als "Zentrierstück 23", in E2 als "Dorn 35" und in E3 als "Führungsbauteil 11" bezeichnet wird, in einem dem Lagebestimmungsgerät (500,600), dh einem einer Positionierplatte (500) mit Basisteil (600) vergleichbaren Bauteil, welches im Stand der Technik als "Etikettenhalteblock 20" (E1), "Körper 29 mit Abdeckscheibe 34" (E2) bzw als "Etikettenbefestigungsteil 13" (E3) bezeichnet wird, geführt. Das bedeutet, diese Bauteile sind jeweils ineinander integriert. Es handelt sich somit dort nicht wie bei der hier verteidigten Vorrichtung um voneinander getrennte Bauteile.
C. Der Gegenstand des Schutzanspruches 1 nach Hilfsantrag II beruht auch auf einem erfinderischen Schritt.
Da im Stand der Technik die dem Positionierteil (300) vergleichbaren Bauteile, wie bereits unter B ausgeführt ist, in den dem Lagebestimmungsgerät (500,600) vergleichbaren Bauteilen integriert und geführt sind und sich darin auf Federn abstützen (vgl dazu die Abbildungen 4 von E1, 2 von E2 und 1 von E3), konnte der Fachmann dem zu berücksichtigenden Stand der Technik keinen Hinweis dahingehend entnehmen, ein Positionierteil (300) und ein Lagebestimmungsgerät (500,600) als voneinander getrennte Bauteile auszubilden, wobei der Körper (330) des Positionierteiles (300) in die Mittenöffnung (520) in dem Oberseitenbereich (510)... einführbar ist, dh von oben her in und durch die Mittenöffnung (520) des Lagebestimmungsgerätes (500,600) eingeführt wird, was zB die Abstützfedern entfallen läßt.
5. Die Rechtsbeschwerde ist zugelassen worden, weil die hier angenommene, von der Antragstellerin bestrittene Zulässigkeit der gleichzeitigen Einreichung von Anmeldeunterlagen und (beschränkten) Eintragungsunterlagen als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 100 Abs 2 Nr 1 PatG) erscheint.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 18 Abs 3 Satz 2 GebrMG in Verbindung mit § 84 Abs 2 PatG, § 92 ZPO. Sie stellt den letztlich erzielten Teilerfolg der Beschwerdeführerin hinsichtlich ihres Löschungsantrags und ihres Beschwerdebegehrens in Rechnung. Daß die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert, ist nicht ersichtlich.
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BPatG:
Beschluss v. 11.07.2001
Az: 5 W (pat) 440/00
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