Bundesgerichtshof:
Urteil vom 26. August 2014
Aktenzeichen: X ZR 18/11
(BGH: Urteil v. 26.08.2014, Az.: X ZR 18/11)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Die vorliegende Gerichtsentscheidung betrifft ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. August 2014 (Aktenzeichen X ZR 18/11). In dem Urteil geht es um die Teilnichtigkeit eines europäischen Patents 727 281, das ein motorgetriebenes Schleifgerät betrifft. Die Klägerin hatte das Patent mit einer Nichtigkeitsklage angegriffen und argumentiert, dass der Gegenstand des Patents nicht patentfähig sei. Das Patentgericht gab der Klage teilweise statt und erklärte einige der Patentansprüche für nichtig. Die Beklagte legte Berufung ein und verteidigte das Patent hilfsweise in einer modifizierten Fassung, in der bestimmte Merkmale ergänzt wurden. Der Bundesgerichtshof entschied, dass das Patent teilweise für nichtig zu erklären sei, aber auch in der modifizierten Fassung Bestand habe. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs bedeutet, dass das Patent in geänderter Form weiterhin gültig ist, aber einige der ursprünglichen Patentansprüche für nichtig erklärt wurden. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte, wobei die Klägerin einen Teil der Kosten des Berufungsverfahrens tragen muss.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BGH: Urteil v. 26.08.2014, Az: X ZR 18/11
Tenor
Auf die Anschlussberufung wird das am 4. November 2010 verkündete Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts dahin abgeändert, dass das europäische Patent 727 281 unter Abweisung der Klage im Übrigen mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 und 2 sowie 4, soweit unmittelbar auf 1 und 2 rückbezogen, und 7, soweit unmittelbar auf 1, 2 und 4 rückbezogen, dadurch teilweise für nichtig erklärt wird, dass an die Stelle der genannten Patentansprüche die Patentansprüche 1 und 2 in der Fassung des patentgerichtlichen Urteils mit der Maßgabe treten, dass in Patentanspruch 1 die Wörter "Motorbetriebenes Schleifgerät" ersetzt werden durch "Motorbetriebenes Trockenwand-Schleifgerät" und zwischen den Wörtern "wirkgekoppelten" und "Schleifschuh" das Wort "rotierenden" eingefügt wird.
Die weitergehende Anschlussberufung und die Berufung werden zurückgewiesen.
Die Kosten der ersten Instanz trägt die Beklagte. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin ein Viertel und die Beklagte drei Viertel zu tragen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Beklagte ist Inhaberin des am 9. Februar 1996 angemeldeten und mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 727 281 (Streitpatents), das ein motorgetriebenes Schleifgerät betrifft und 10 Patentansprüche umfasst. Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache:
"A motorized sander (100) of the type having a drive motor (112) mounted on a distal end (106) of a tubular wand (108), a flexible drive shaft (124) operatively coupled to the drive motor (112) and extending along the length of the tubular wand (108) and a sanding head (118) mounted by a pivotal joint to a proximal end (110) of the tubular wand (108), the sanding head (118) including a sanding pad (184) operatively coupled to the flexible drive shaft (124), which shaft (124) ensures the operative coupling at different positions of the head (118) relatively to the tubular wand (108) whereby: the pivotal joint comprising a first (132) and a second (134) flexible joint, the first joint (132) being configured to pivot about a first axis (136) which is different from a second axis (138) about which the second joint (134) pivots, such that the sanding head can pivot through several axes of rotation so that the user does not need to change positions as frequently as when using a motorized sander with a head that pivots about a single axis."
Wegen des Wortlauts der jeweils mittelbar oder unmittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 10 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Die aus dem Streitpatent in Anspruch genommene Klägerin hat dieses mit der Nichtigkeitsklage im Umfang der Ansprüche 1, 2 und 4, soweit mittelbar oder unmittelbar auf Ansprüche 1 oder 2 rückbezogen, angegriffen und geltend gemacht, sein Gegenstand sei in diesem Umfang nicht patentfähig. Außerdem sei Anspruch 1 unzulässig erweitert und nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann die Erfindung ausführen könne.
Die Klägerin hat beantragt, das Streitpatent im angegriffenen Umfang für nichtig zu erklären. Die Beklagte hat die Abweisung der Klage begehrt und das Streitpatent hilfsweise in der nachstehend wiedergegebenen Fassung verteidigt, die es durch das angefochtene Urteil erhalten hat und in der Patentanspruch 1 um die Merkmale der Unteransprüche 4 und 7 ergänzt ist:
"1. Motorbetriebenes Schleifgerät (100) der Art, die einen an einem distalen Ende (106) eines rohrförmigen Stabes (108) angebrachten Antriebsmotor (112), eine flexible, an den Antriebsmotor (112) wirkgekoppelte und sich entlang der Länge des rohrförmigen Stabes (108) erstreckende Antriebswelle (124) und einen über ein Schwenkverbindungsgelenk an einem proximalen Ende (110) des rohrförmigen Stabes (108) montierten Schleifkopf (118) aufweist, der einen an die flexible Antriebswelle (124) wirkgekoppelten Schleifschuh (184) umfasst, wobei die Welle (124) die Wirkkopplung bei unterschiedlichen Positionen des Kopfes (118) in Bezug auf den rohrförmigen Stab (108) gewährleistet, bei dem das Schwenkverbindungsgelenk ein erstes (132) und ein zweites (134) flexibles Gelenk umfasst, wobei das erste Gelenk (132) so ausgelegt ist, dass es um eine erste Achse (136) schwenkt, die sich von einer zweiten Achse (138), um die das zweite Gelenk (134) schwenkt, unterscheidet, sodass der Schleifkopf um mehrere Drehachsen schwenken kann, sodass der Benutzer weniger häufig seine Position ändern muss als bei der Verwendung eines motorbetriebenen Schleifgeräts mit einem um eine einzige Achse schwenkenden Kopf und bei dem der Schleifkopf (118) weiterhin eine einen Umfangsrand des Schleifschuhs (184) umgebende Haube (158) umfasst und die Haube (158) im Schleifkopf (118) mit Federn (180) montiert ist, die eine Lippe (182) der Haube (158) in einer Ebene halten, die sich über eine durch den Schleifschuh (184) gebildete Ebene hinaus- und vom Schwenkverbindungsgelenk wegerstreckt, bis die Lippe (182) zum Schwenkverbindungsgelenk hin so mit einer äußeren Kraft beaufschlagt wird, dass der Schleifschuh (184) bei Beaufschlagung mit der äußeren Kraft freigelegt wird.
2. Motorbetriebenes Schleifgerät (100) nach Anspruch 1, bei dem a) das erste Gelenk (132) ein U-Gelenk umfasst, bei dem ein starres Rohr (140) in eine drehbare Spannzange (142) an einem U-förmigen Halteglied (144, 146) eingepasst ist, wobei die drehbare Spannzange (142) und das U-förmige Halteglied (144, 146) so ausgelegt sind, dass sie frei um die erste Achse (136) schwenken, und b) das zweite Gelenk (134) einen zwischen offenen Armen des U-förmigen Halteglieds (144, 146) montierten ersten Stift (148) umfasst, wobei der Schleifkopf (118) so an den ersten Stift (148) gekoppelt ist, dass der Schleifkopf (118) um die zweite Achse (138) schwenkt, die sich entlang der Länge des ersten Stifts (148) erstreckt."
Mit ihrer Berufung, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verteidigt die Beklagte das Streitpatent nur noch beschränkt dahin, dass in Patentanspruch 1 die Wörter "Motorbetriebenes Schleifgerät" durch "Motorbetriebenes Trockenwand-Schleifgerät" ersetzt werden und zwischen den Wörtern "wirkgekoppelten" und "Schleifschuh" das Wort "rotierenden" eingefügt wird, und verfolgt ihren Klageabweisungsantrag sowie den erstinstanzlichen Hilfsantrag in diesem Umfang weiter. Die Klägerin hat Anschlussberufung eingelegt, mit der sie die Nichtigerklärung des Streitpatents auch im Umfang des erteilten Patentanspruchs 7 in Rückbezug auf Patentanspruch 4 und 1 begehrt.
Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr. S. ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhand- lung erläutert und ergänzt hat.
Gründe
I. 1. Das Streitpatent betrifft ein motorgetriebenes Schleifgerät mit einem Schleifkopf-Schwenkverbindungsgelenk zum Planschleifen von Wandfugen im Trockenwandbau. Solche Geräte haben der Beschreibung des Streitpatents zufolge die dafür ursprünglich eingesetzten Handschleifgeräte ersetzt. In den US-Patentschriften 4 782 632 (D2) und 5 239 783 (D1) werde, so heißt es in der Beschreibung des Weiteren, ein Schwenkmechanismus für den Schleifkopf solcher Geräte beschrieben, bei dem dieser Kopf um eine Achse schwenkbar sei. Seien Wände und Decken zu bearbeiten, müsse sich der Benutzer eines nur um eine einzige Achse schwenkbaren Geräts im Bereich der zu bearbeitenden Flächen hin- und her bewegen und oft die Körperhaltung ändern. Zur Lösung des Problems, wie der Aktionsradius des Bearbeiters aus dem Stand vergrößert werden kann, schlägt Patentanspruch 1 in der in zuletzt in erster Linie (Merkmale 1 bis 4) und hilfsweise (zusätzlich Merkmale 5 und 6) verteidigten Fassung vor:
1. ein motorgetriebenes Trockenwand-Schleifgerät mit a) einem Antriebsmotor 112 am distalen Ende 106 eines rohrförmigen Stabs 108, b) einer flexiblen, an den Antriebsmotor 112 wirkgekoppelten und sich entlang des Stabs 108 erstreckenden Antriebswelle 124 und c) einem über ein Schwenkverbindungsgelenk an einem proximalen Ende 110 des rohrförmigen Stabs montierten Schleifkopf 118, d) der einen an die flexible Antriebswelle wirkgekoppelten Schleifschuh 184 umfasst.
2. Die Welle 124 gewährleistet die Wirkkopplung bei unterschiedlichen Positionen des Kopfes 118 in Bezug auf den rohrförmigen Stab 108.
3. Das Schwenkverbindungsgelenk umfasst ein erstes und zweites flexibles Gelenk 132 und 134, wobei das erste Gelenk 132 so ausgelegt ist, dass es um eine erste Achse 136 schwenkt, die sich von einer zweiten Achse 138 unterscheidet, um die das zweite Gelenk 134 schwenkt, 4. so dass der Schleifkopf um mehrere Achsen schwenken kann und der Benutzer weniger häufig seine Position ändern muss als bei der Verwendung eines motorgetriebenen Schleifgeräts mit einem um eine einzige Achse schwenkenden Kopf.
5. Der Schleifkopf 118 des Schleifschuhs 184 umfasst eine einen Umfangsrand des Schleifschuhs umgebende Haube 158.
6. Die Haube 158 ist im Schleifkopf mit Federn 180 montiert, die eine Lippe 182 der Haube 158 in einer Ebene halten, die sich jenseits einer durch den Schleifschuh gebildeten Ebene und vom Schwenkverbindungsgelenk entfernt erstreckt, bis die Lippe zum Schwenkverbindungsgelenk hin so mit einer äußeren Kraft beaufschlagt wird, dass der Schleifschuh bei Beaufschlagung mit der äußeren Kraft freigelegt wird.
2. Der technische Sinngehalt des in der deutschen Übersetzung der Streitpatentschrift missverständlich übertragenen Merkmals 6 erschließt sich dem jederzeit um ein sinngebendes Verständnis von Patentansprüchen bemühten Fachmann (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 2007 - X ZR 275/02 Rn. 19) jedenfalls bei Lektüre der maßgeblichen Fassung in der Verfahrenssprache. Wenn es dort heißt, "... the shroud (158) is mounted within the sanding head (118) by springs (180) which hold a lip (182) of the shroud (158) in a plane which extends beyond a plane formed by the sanding pad (184) and away from the pivotal joint...", dann verdeutlicht die Präposition "beyond" ("jenseits" [von]), dass die Dichtlippe in ihrer Ausgangsposition auf einer Ebene jenseits - axial verschoben in Richtung weg vom Schwenkverbindungsgelenk - der Ebene des Schleifschuhs 184 angeordnet sein soll. Was damit bezweckt wird, erschließt sich aus den Erläuterungen in Absatz 51 in Verbindung mit Absatz 36 der Beschreibung und Figur 2, die sich auf die in Unteranspruch 8 unter Schutz gestellte besondere Ausführungsform beziehen, in der die Lippe eine Schürze aus Borsten 186 umfasst (vgl. Beschreibung Abs. 36 aE). Die Lippe ragt (axial) über die Ebene des Schleifschuhs hinaus, so dass die zu bearbeitende Fläche beim Aufsetzen der Maschine zuerst mit ihrer Stirnseite in Berührung kommt. Damit soll unter anderem erreicht werden, dass der Schleifkopf ohne zu verkanten parallel zu dieser Fläche aufgesetzt wird, so dass keine mondsichelförmigen Vertiefungen eingeschliffen und Verkratzungen der Oberfläche vermieden werden. Presst der Benutzer das Gerät nach dem Ansetzen der Borsten gegen die zu bearbeitende Oberfläche, weicht die Haube axial gegen den Druck der Federn 180 zurück. Soweit es in Merkmal 6 dazu heißt, dass "der Schleifschuh bei Beaufschlagung mit der äußeren Kraft freigelegt wird", ist dies aus fachlicher Sicht, wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, so zu verstehen, dass die Dichtlippe so lange zurückweicht, bis schließlich der Schleifschuh mit dem an seiner Unterseite angebrachten Abrasivmaterial (Körnung) an der zu bearbeitenden Fläche anliegt. In einer Ausführungsform ohne solche Borsten würde bei dem entsprechenden Bearbeitungsvorgang zunächst die Dichtlippe selbst an der zu bearbeitenden Fläche des Werkstücks anliegen.
II. Das Patentgericht hat, soweit für das Berufungsverfahren noch von Bedeutung, angenommen, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung zwar neu sei, weil motorgetriebenen Schleifgeräten nach D1 und D2 jeweils die Anordnung eines zweiten Gelenks im Sinne von Merkmal 3 fehle und in den übrigen Entgegenhaltungen D3 bis D7 jeweils schon keine flexiblen Antriebswellen (Teil von Merkmal 1) gezeigt würden. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei dem Fachmann - einem Techniker oder Diplom-Ingenieur mit Fachhochschulabschluss der Fachrichtung Maschinenbau mit mehrjähriger Erfahrung im Bereich der Entwicklung von motorisch betriebenen Handwerkzeugen - aber durch den Stand der Technik nahegelegt gewesen. Soweit es das in D1 und D2 fehlende, zwei flexible Gelenke umfassende Schwenkverbindungsgelenk (Element von Merkmal 3) betreffe, erkenne der Fachmann, dass die Bedienung eines motorgetriebenen Schleifgeräts erleichtert werde, wenn die Position des Schleifkopfs ohne Veränderung der Position des Bedieners in einem weiteren Bereich verändert werden könne, als es bei D1 möglich sei. Das hierfür entscheidende Bauteil sei, für den Fachmann sofort erkennbar, das Gelenk zwischen Stab und Schleifkopf. Der Fachmann werde also über eine entsprechende Verbesserung des vorbekannten, einen Freiheitsgrad aufweisenden Gelenkes nachdenken. Wenn ihn nicht allein schon sein Fachwissen dahin führe, dem vorbekannten Gelenk einen weiteren Freiheitsgrad hinzuzufügen, werde er hierzu in jedem Fall durch den Gegenstand der US-Patentschrift 5 144 774 (D5) angeregt. Wende der Fachmann die Lehre von D5 auf den Gegenstand von D1 an, gelange er in naheliegender Weise zu einem motorgetriebenen Schleifgerät mit allen Merkmalen des erteilten Anspruchs 1.
Im Übrigen zeigten auch die US-Patentschriften 5 205 079 (D3) und 4 685 252 (D4) prinzipiell die Verwendung von Gelenken mit zwei Freiheitsgraden bei motorgetriebenen Schleifgeräten. Es komme dabei nicht darauf an, dass das Gelenk bei den Lehren dieser Schriften im Unterschied zum Streitpatent und dem Gegenstand von D5 jeweils im Drehmomentpfad des Antriebs angeordnet sei. Im Übrigen offenbarten auch die US-Patentschriften 4 697 389 (D6) und 4 964 243 (D7) die Verwendung derartiger Gelenke, wenn auch bei handbetriebenen Schleifgeräten.
III. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Berufung haben keinen Erfolg.
1. Die am Prioritätstag um einen im Bewegungsablauf erleichterten und arbeitsökonomischen Einsatz bedachte Weiterentwicklung motorgetriebener Schleifgeräte nahm, wovon ersichtlich auch das Patentgericht ausgegangen ist, ihren Ausgangspunkt bei mit den Merkmalen von D1 und D2 ausgestatteten Schleifgeräten. D5 kam demgegenüber als Ausgangspunkt weniger in Betracht, weil der Antrieb dort am Schleifkopf angebracht ist und die damit einhergehende Gewichtsverlagerung aus fachlicher Sicht einem bedienerfreundlichen Einsatz abträglich erscheint.
2. Wie das Patentgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat, lag es am Prioritätstag im durchschnittlichen fachmännischen Vermögen zu erkennen, dass der Aktionsradius des Benutzers eines Schleifgeräts durch Ausstattung dieses Werkzeugs mit einem über einen weiteren Freiheitsgrad verfügenden Gelenk vergrößert werden konnte, ohne dass der Benutzer sich von der Stelle bewegen musste. Das korrespondiert mit der Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen, dass der Fachmann vor dem Hintergrund der im Stand der Technik bekannten Lösungen erkennen konnte, dass die Beschränkung der Beweglichkeit bei der Arbeit mit Geräten mit einachsigen Gelenken wie in D1 und D2 hinderlich war und dass dafür das (zweite) fehlende Gelenk ursächlich war. Zutreffend hat das Patentgericht es danach als dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt bewertet, ein Gelenk nach Maßgabe von Merkmal 3 vorzusehen.
Wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend und von der Beklagten unangegriffen ausgeführt hat, handelt es sich bei dem gemäß Merkmal 3 gestalteten Gelenk um ein Kreuzgelenk ("universal joint"), bei dem zwei Wellen U-förmige Anschlussstücke aufweisen, die mittels zweier Achsen und eines diese Achsen tragenden Mittelteils miteinander verbunden sind (Gutachten S. 18 oben). Ein solches Kreuzgelenk zeigt D4 für ein Trockenbau-Schwingschleifgerät. Dort versetzt ein am bedienerseitigen Ende einer Antriebsachse angebrachter Motor eine Welle in Drehbewegung, die über das Kreuzgelenk in den Schleifkopf übertragen wird. Das Kreuzgelenk ermöglicht es dem Benutzer, den Schleifkopf - über eine Verlängerungsstange - in allen Positionen parallel zu der zu bearbeitenden Fläche auszurichten, ohne sich von der Stelle bewegen zu müssen.
Das Patentgericht hat des Weiteren zu Recht angenommen, dass für das Anliegen, die Reichweite des Benutzers eines motorgetriebenen Trockenwand-Schleifgeräts zu vergrößern, auch D5 eine hinreichend konkrete Anregung gab. Dort ist am Ende des dem rohrförmigen Stab 108 des Streitpatents entsprechenden Griffteils 12 ein Fassungselement (26) in Form eines Kugelsegments vorgesehen, das gelenkkapselartig mit einer an der Basis des Schleifkopfs angebrachten Kugel (40) zusammenwirkt, die von einem Element 26 teilweise übergriffen wird. Dabei ist im Interesse einer besseren Positionierung des Schleifkopfes insbesondere in Wandecken und im Übergang von Wänden und Deckenflächen auf eine stufenlose Beweglichkeit des Kugelgelenks in alle Richtungen bewusst zugunsten einer Beweglichkeit mit lediglich zwei Freiheitsgraden verzichtet worden (vgl. D5 Sp. 3 Z. 27 ff.), indem das Element (26) mit vier halbkugelförmigen Anschlägen versehen wird, die in damit korrespondierenden Hohlkehlen der äußeren Oberfläche der Kugel (40) laufen und dadurch eine universelle Verschwenkbarkeit verhindern. Auch wenn bei D5 ein Kugelgelenk anstelle eines Kreuzgelenks vorgesehen ist, ist aus fachlicher Sicht darin das - übertragbare - Prinzip zu erkennen, dass ein Gelenk mit einem zweiten Freiheitsgrad eine komfortablere Handhabung des Schleifgeräts ermöglicht.
Zu Recht hat das Patentgericht ferner in den in D6 und D7 vorgeschlagenen Geräten hinreichend konkrete Anregungen für eine Ausgestaltung des Gelenks nach Merkmal 3 gesehen, auch wenn beide Entgegenhaltungen Handschleifgeräte zeigen, die mit unterschiedlichen Vorrichtungen zum Absaugen des Schleifstaubs ausgestattet sind. In beiden Schriften sind die dafür vorgesehene Haube und der darin fixierte und von Hand geführte Schleifblock relativ zu den jeweils vorgesehenen, zu einer Absaugeinheit hinführenden Absaug-Anschlussstücken verschwenkbar. Bei D6 ist die Haube mithilfe einer Y-förmigen Halteklammer, die mit einer kreuzförmigen Halteklammer zusammenwirkt, so gelagert, dass die Arbeitsfläche des Schleifblocks zum einen abgewinkelt und zum anderen in axialer Richtung gegenüber dem Absaugrohr gedreht werden kann (vgl. D6 Figuren 9, 10 und 13 sowie Beschreibung Sp. 7 Z. 31 ff.). Bei D7 sind entsprechende Bewegungsmöglichkeiten durch ein Kreuzgelenk mit um 90 Grad zueinander versetzt liegenden Achsen vorgesehen. Dass der Schleifblock in beiden Fällen selbst nicht motorgetrieben ist, ändert nichts daran, dass D6 und D7 Gelenke mit zwei Freiheitsgraden vorsehen und aus fachmännischer Sicht erkennbar ist, dass dies eine im Sinne des Streitpatents bequemere und flexiblere Handhabung der Geräte erlaubt.
Soweit mit der Hinzufügung eines zweiten Gelenks grundsätzlich ein gewisser Stabilitätsverlust insbesondere in der beim Einsatz im Trockenwandbau besonders heiklen Phase des Ansetzens des Geräts einhergeht, könnte die Patentfähigkeit nicht daraus hergeleitet werden, dass die Lehre des Streitpatents in der zuletzt mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung sich über diesen Nachteil hinwegsetzt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht es zur Bejahung der Patentfähigkeit nicht aus, wenn gegenüber der vorgeschlagenen Lösung zu Recht bestehende Bedenken lediglich ignoriert und mit ihr tatsächlich und vorhersehbar verbundene Nachteile einfach in Kauf genommen werden (BGH, Urteil vom 4. Juni 1996 - X ZR 49/94, BGHZ 133, 57 - Rauchgasklappe; Urteil vom 8. Januar 2008 - X ZR 104/04 Rn. 19).
IV. Die Anschlussberufung bleibt in der Sache, abgesehen von der weiteren Beschränkung des Streitpatents, im Ergebnis ohne Erfolg.
1. Das Patentgericht hat Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags im Wesentlichen mit folgender Begründung für patentfähig erachtet.
Die federnd gelagerte Ausbildung der Haube gemäß Merkmal 6 sei aus dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik weder bekannt noch angeregt. D2 führe den Fachmann nicht zu einer federnd gelagerten Ausbildung der Haube. Soweit die Klägerin für das Freilegen des Schleifschuhs eine funktionale Äquivalenz zwischen der Elastizität des elastischen Elements 19 und der federnd gelagerten Haube des Streitpatents sehe, erfüllten beide Maßnahmen zwar den gleichen Zweck, jedoch sei hierdurch keine Äquivalenz gegeben. Da in D2 die notwendige Beweglichkeit zum Freilegen des Schleifschuhs bereits mittels der Elastizität des elastischen Elements 19 erreicht werde, habe der Fachmann keinen Anlass, zusätzlich auch noch die Haube federnd zu lagern, wenn das Freilegen des Schleifschuhs bereits ohne diese Maßnahme erreicht werde.
2. Das greift die Anschlussberufung im Ergebnis ohne Erfolg an. Weder die vom Patentgericht gewürdigte D2, noch die in das Berufungsverfahren eingeführte britische Patentanmeldung 2 260 721 (D8) gaben aus fachmännischer Sicht eine hinreichend konkrete Anregung dafür, eine federnde Haube zur Lösung des technischen Problems vorzusehen, dem der Einsatz nach der Lehre von Patentanspruch 1 in der zuletzt hilfsweise verteidigten, um die Merkmale der Unteransprüche 4 und 7 ergänzten Fassung dient. Wie bereits ausgeführt (oben I 2) soll die Ausgestaltung nach dem erteilten Anspruch 7 (Merkmal 6 der obigen Merkmalsgliederung) ein verkantungsfreies Ansetzen des Schleifschuhs ermöglichen. Dieser soll nicht unmittelbar mit der zu bearbeitenden Fläche in Berührung kommen, sondern es soll zunächst nur die Lippe der Haube angesetzt und das Schleifgerät dadurch möglichst parallel zur zu bearbeitenden Fläche justiert werden, so dass der Schleifschuh, auf diese Weise ausgerichtet, möglichst eben auf die Wandfläche aufsetzt, wenn der Bearbeiter den Anpressruck entsprechend erhöht, und auf diese Weise das Einfräsen von unerwünschten Vertiefungen oder die Verkratzung der Wandoberfläche vermieden werden. Dafür gab D8 keine Anregung. Als besonderer Vorteil der dort gezeigten federnden Lagerung der Abdichtung wird vielmehr herausgestellt, dass die Kupplungsanordnung die Dichtung in Kontakt mit der Oberfläche des zu bearbeitenden Werkstücks hält, wenn das Werkzeug entlang dessen Form gekippt wird.
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG in Verbindung mit § 92 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Kosten der ersten Instanz fallen der Beklagten in vollem Umfang zur Last. Die Beklagte hat das Streitpatent im Wesentlichen durch Aufnahme der Merkmale von Patentanspruch 7 in Patentanspruch 1 beschränkt verteidigt. Patentanspruch 7 war erstinstanzlich aber nicht Gegenstand der Nichtigkeitsklage. Es kann dahinstehen, ob an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs festzuhalten ist, dass Änderungen nicht im Streit stehender Patentansprüche im Nichtigkeitsverfahren im Weg der Selbstbeschränkung nicht in Betracht kommen (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 2003 - X ZR 61/99 - Mikroschaber; Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren, 5. Aufl. Rn. 174 mwN in Fn. 11). Jedenfalls entspricht es dem Rechtsgedanken aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Klägerin vor diesem Hintergrund nicht mit Kosten zu belasten, auch wenn der mit der Anschlussberufung geführte Angriff Patentanspruch 7 nunmehr einschließt.
Meier-Beck Gröning Schuster Deichfuß Kober-Dehm Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 04.11.2010 - 2 Ni 35/08 (EU) -
BGH:
Urteil v. 26.08.2014
Az: X ZR 18/11
Link zum Urteil:
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