Bundespatentgericht:
Urteil vom 24. November 2004
Aktenzeichen: 4 Ni 33/03

(BPatG: Urteil v. 24.11.2004, Az.: 4 Ni 33/03)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

In dieser Gerichtsentscheidung geht es um die Klage einer Klägerin, die das europäische Patent 0 580 845 für nichtig erklären lassen will. Das Patent betrifft einen intravaskulären Katheter, der über einen Führungsdraht vorgeschoben wird und ein distales Führungsdrahtlumen aufweist. Die Klägerin behauptet, dass der Gegenstand des Patents über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgeht und weder neu noch erfinderisch ist. Sie beruft sich dabei auf verschiedene druckschriftliche Stande der Technik sowie auf eine offenkundige Vorbenutzung durch einen bestimmten Katheter.

Das Bundespatentgericht hat die Klage jedoch abgewiesen. Es stellt fest, dass der Gegenstand des Patents neu und erfinderisch ist. Insbesondere unterscheidet sich der beanspruchte Katheter von ähnlichen Kathetern nach dem Stand der Technik, da er einen flexiblen Übergang zum distalen Schaftsegment und einen soliden Kerndraht aufweist, der sich im Wesentlichen linear in das distale Schaftsegment erstreckt. Im Gegensatz dazu verstärken die bekannten Katheter das Hauptschaftsegment.

Die Entscheidung des Bundespatentgerichts ist endgültig und das Patent bleibt bestehen. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits, und das Urteil kann vorläufig vollstreckt werden.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BPatG: Urteil v. 24.11.2004, Az: 4 Ni 33/03


Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II: Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 580 845 (Streitpatent), das am 9. Februar 1993 unter Inanspruchnahme der Priorität der amerikanischen Patentanmeldung US 833099 vom 10. Februar 1992 angemeldet worden ist. Das in der Verfahrenssprache Englisch veröffentlichte Streitpatent, das beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nr. 693 22 008 geführt wird, betrifft einen intravaskulären Katheter mit einem distalen Führungsdrahtlumen. Es umfasst 8 Patentansprüche, von denen Anspruch 1 wie folgt lautet:

Intravaskulärer "Überden-Draht"-Katheter (20) versehen mit:

einem Hauptschaftsegment (22), das von einer Röhre bestimmt ist und ein proximales Ende (28) sowie ein distales Ende (30) aufweist;

einem Ballon (26), der mit einem Führungsdrahtlumen (52) versehen ist, welches sich von einem Führungsdrahtlumeneinlass (22'), der proximal des Ballons vorgesehen und distal in Abstand von dem distalen Ende (34) des Hauptschaftsegments (22) angeordnet ist, bis zu einem Führungsdrahtlumenauslass (94) erstreckt, der distal von dem Ballon angeordnet ist, wobei der Führungsdrahtlumeneinlass (22') und der Führungsdrahtlumenauslass (94) von dem Katheter nach außen führen;

einem das distale Ende des Hauptschaftsegments und den Ballon verbindenden distalen Schaftsegment (23, 24);

einem durch das Hauptschaftsegment und das distale Schaftsegment bestimmten Inflationslumen (62, 82), um dem Ballon einen Inflationsdruck zuzuführen:

gekennzeichnet durchein flexibles Übergangsstück, welches einen soliden Kerndraht (25) aufweist, der an dem Hauptschaftsegment (22) angebracht ist und sich linear in das distale Schaftsegment (23, 24) erstreckt, wobei der Kerndraht nicht so steif wie das Hauptschaftsegment ist.

Wegen der unmittelbar und mittelbar auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 8 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Die Klägerin behauptet, der Gegenstand des europäischen Patents gehe über den Inhalt der Patentanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung (PCT/US 93/01138) hinaus, er sei weder neu noch beruhe er auf einer erfinderischen Tätigkeit. Zur Begründung beruft sie sich auf druckschriftlichen Stand der Technik gemäß der US 4 748 982 (Anlage 10) und der WO86/03129 (Anlage 18); weiter trägt sie vor, dass der Patentgegenstand durch die von der S... (USA) Inc. vertriebenen und der Öffentlichkeit zugänglich gemachten "Monorail-Piccolino Series P34"-Ballon-Katheter bereits vor dem Prioritätstag des Streitpatents bekannt gewesen sei und legt hierzu Produktbroschüren und weitere Unterlagen vor.

Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 580 845 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat zuletzt die von der Klägerin geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung des Katheters P34 nur noch in der von der Klägerin behaupteten Ausführungsform gemäß Anlage 9 bestritten. Im Übrigen hält sie das Streitpatent für bestandsfähig.

Gründe

Die zulässige Klage, mit der die in Art II § 6 Abs 1 Nr 1 und 2 IntPatÜG, Art 138 Abs 1 lit a und c iVm Art 54 Abs 1 und Art 56 EPÜ vorgesehenen Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit und der unzulässigen Erweiterung geltend gemacht werden, ist unbegründet.

I.

1.) Das Streitpatent betrifft einen intravaskulären Katheter, der über einen Führungsdraht vorgeschoben wird und ein distales Führungsdrahtlumen aufweist. Nach der Patentbeschreibung kommen derartige Katheter bei Angioplastieverfahren zum Einsatz, die sich in den letzten Jahren als effizient und wirksam bei der Behandlung von verschiedenen Arten von Gefäßerkrankungen erwiesen haben. Insbesondere wird die Angioplastie benutzt, um Stenosen in den Koronar-Arterien zu öffnen, sie wird aber auch für die Behandlung von Stenosen in anderen Teilen des Gefäßsystems eingesetzt. Die hier vorzugsweise verwendeten Katheter, die entlang einem Führungsdraht vorgeschoben werden können, werden im Stand der Technik als "Überden-Draht-Katheter" bezeichnet. Sie haben gegenüber Kathetern, bei denen ein Stützdraht mit dem Katheterschaft fest verbunden ist, insbesondere den Vorteil, dass zunächst nur der Führungsdraht in das Gefäßsystem eingeführt werden kann, um den beabsichtigten Weg für den Katheter vorzugeben. Bei diesen Kathetern ist die Länge des Führungsdrahtlumens kleiner als die Länge des Katheters. Es handelt sich dabei um den sogenannten Ballonkatheter, wie er im Stand der Technik (US 4 478 982) bekannt ist. Die bisher vorgeschlagenen Bauarten derartiger Katheter sind jedoch mit verschiedenen Nachteilen behaftet. Beispielsweise haben einige Katheter ein relativ flexibles einstückiges Kunststoffdesign. Das proximale Schaftsegment solcher Katheter hat eine niedrige Knickfestigkeit, so dass der Katheterschaft und der Teil des Führungsdrahtes, der außerhalb des Führungsdrahtlumens verläuft, die Tendenz hat, sich voneinander in Richtung auf gegenüberliegende Wände der Arterie zu entfernen, wenn der Katheter vorgeschoben oder zurückgezogen wird. Das heißt, der Schaft und der Führungsdraht neigen zum "Aufspreizen" und der Schaft kann sogar knicken, wenn man den Ballon durch eine Läsion hindurch vorbewegt oder zurückzieht. Dies kann zum Abrieb an der Innenwandung der Arterie führen. Das Aufspreizen oder Krümmen hat ferner schlechte Vorschiebbarkeit und Nachlauffähigkeit des Katheters zur Folge. Man hat versucht diesem Mangel dadurch zu begegnen, dass ein großer Teil des proximalen Katheterschafts aus einem Metallrohr, allgemein als Hyporohr bezeichnet, gefertigt wird. Dabei besteht das Problem, dass sich der Einlass für das Führungsdrahtlumen nicht immer an optimaler Stelle befindet. Außerdem ist das Hyporohr relativ steif, während das Kunststoffsegment relativ flexibel ist. Der Teil des Kunststoffschaftsegments, durch den sich der Führungsdraht hindurch erstreckt, wird gleichfalls relativ steif, wenn sich der Führungsdraht an Ort und Stelle befindet im Vergleich zu dem Teil des Kunststoffsegments, durch den der Führungsdraht nicht hindurchreicht. So entsteht ein relativ flexibler Abschnitt zwischen zwei relativ steifen Abschnitten, wenn der Führungsdrahteinlass distal von dem distalen Ende des Hyporohrs gelegt wird. Eine solche Konfiguration zeigt eine Tendenz zum Ausbiegen und Beulen in dem relativ flexiblen Bereich, wenn versucht wird, den Katheter durch das Gefäßsystem hindurch vorzubewegen. Außerdem besteht die Gefahr, dass der Katheter in dem Abschnitt zwischen den beiden relativ steifen Abschnitten knickt, was das Aufweitlumen verschließen kann.

2.) Es ist daher Aufgabe der vorliegenden Erfindung, einen Überden-Draht-Katheter mit kurzem Führungsdrahtlumen bereitzustellen, der verbesserte Vorschiebbarkeit und Nachlauffähigkeit hat.

3.) Patentanspruch 1 beschreibt demgemäss einen Katheter mit folgenden Merkmalen:

1. Intravaskulärer Überden-Draht-Katheter 20 versehen mit:

2. einem Hauptschaftsegment 22, 2.1 das von einer Röhre bestimmt ist, und 2.2 das ein proximales Ende 28 und ein distales Ende 30 aufweist, 3. einem Ballon 26, 3.1 der mit einem Führungsdrahtlumen 52 versehen ist, 3.2 wobei sich das Führungsdrahtlumen 52 von einem Führungsdrahtlumeneinlass 22' zu einem Führungsdrahtlumenauslass 94 erstreckt, 3.3 wobei der Führungsdrahtlumeneinlass 22' proximal des Ballons 26 und distal in Abstand von dem distalen Ende 34 (richtig 30) des Hauptschaftsegments 22 angeordnet ist, 3.4 wobei der Führungsdrahtlumenauslass 94 distal von dem Ballon 26 angeordnet ist, und 3.5 wobei der Führungsdrahtlumeneinlass 22' und der Führungsdrahtlumenauslass 94 von dem Katheter nach außen führen, 4. einem das distale Ende 30 des Hauptschaftsegments 22 und den Ballon 26 verbindenden distalen Schaftsegment 23, 24, 5. einem durch das Hauptschaftsegment 22 und das distale Schaftsegment 23, 24 bestimmten Inflationslumen 62, 82, um dem Ballon 26 einen Inflationsdruck zuzuführen, 6. sowie einem flexiblen Übergangsstück, 6.1 das einen soliden Kerndraht 25 aufweist, 6.2 wobei der Kerndraht 25 an dem Hauptschaftsegment 22 angebracht ist, 6.3 wobei der Kerndraht 25 sich im Wesentlichen linear in das distale Schaftsegment 23, 24 erstreckt und 6.4 wobei der Kerndraht 25 nicht so steif wie das Hauptschaftsegment 22 ist.

II.

Der angegriffene Anspruch 1 des Streitpatents ist zulässig. Sein Gegenstand ist in der ursprünglichen Anmeldung PCT/US 93/01138 offenbart.

Strittig zwischen den Parteien ist die Offenbarung der Merkmale "flexibles Übergangsstück" im Merkmal 6., die Erstreckung des Kerndrahts "im Wesentlichen linear" in das distale Schaftsegment hinein aus dem Merkmal 6.3 und die fehlende Angabe für einen Werkstoff für das "distale Schaftsegment 23, 24" im Merkmal 4.. Die Offenbarung der übrigen Merkmale ist unbestritten, diese Merkmale sind den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen (Figuren 1 bis 3 mit zugehöriger Beschreibung) ohne Weiteres entnehmbar, so dass im Folgenden nur auf die strittigen Merkmale eingegangen wird.

a) Dass das Übergangsstück "flexibel" ist, folgt aus mehreren Stellen der Beschreibung. Dieses Übergangsstück ist das Verbindungsstück zwischen dem so genannten proximalen Hauptschaftsegment 22 (Figur 1) und dem Ballon 26. Es ist in Figur 1 mit den Bezugsziffern 32, 24 und 34 versehen. In den Figuren 3 und 5 ist das Übergangsstück etwas verdeutlicht dargestellt, wobei zusätzlich noch die Bezugszeichen 23 und 25 eingeführt worden sind. Bezüglich dieses Übergangsstücks heißt es auf Seite 11 im 3. Absatz, "The distal shaft section 24 includes a tubular shaft 23 and a transition member 25. The tubular shaft 23 is more flexible than the main shaft section 22" (Das distale Schaftsegment 26 umfasst einen rohrförmigen Schaft 23 und ein Übergangsstück 25. Der rohrförmige Schaft 23 ist flexibler als das Hauptschaftsegment 22). Auf Seite 13 im 2. Absatz heißt es in Zeile 6 im gleichen Sinne "the distal shaft section 23 is relatively flexible" (Das distale Schaftsegment 23 ist relativ flexibel). Gleichlautende Formulierungen finden sich auch auf Seite 17 im 3. Absatz von unten und auf Seite 5 im 2. Absatz von unten in den Zeilen 3 bis 5. Anspruch 11 weist in Zeile 6 die gleiche Formulierung auf.

b) Die Offenbarung, dass der Kerndraht sich "im Wesentlichen linear" in das distale Schaftsegment hinein erstreckt ist zwar in der mündlichen Verhandlung nicht mehr ausdrücklich bestritten worden, gleichwohl wird festgestellt, dass auch dieses Merkmal durch die ursprünglichen Figuren 3 und 5 mit zugehöriger Beschreibung (z.B. ab Seite 14, 2. Absatz) gedeckt ist. Denn dort ist ausgeführt und i.V. mit Figur 3 ersichtlich, dass der Kerndraht sich zum einen in den distalen Schaft 23, 24 hinein erstreckt, und zwar geradlinig bis in den Ballon hinein und dort am Markierungsband befestigt ist und dass zum anderen der Kerndraht infolge dessen Befestigung an der Wand des Hauptschaftsegments (Seite 14, Zeilen 3 bis 8), eine gewisse, leichte Biegung erhält (vgl. Figur 5 ganz links bei den Bezugszeichen 62, 32,82), so dass der Kerndraht sich also im "Wesentlichen" linear in das Schaftsegment 23, 24 hinein erstreckt.

c) Der Einwand, für das distale Schaftsegment 23, 24 sei ausschließlich der Werkstoff "Plastik" offenbart und kein beliebig anderer, wie derzeit im Anspruch 1 beansprucht ist, wurde ebenfalls in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufgegriffen. Gleichwohl wird festgestellt, dass auch dieses Merkmal offenbart ist. Es ist zwar der Klägerin zuzustimmen, dass an verschiedenen Stellen in der Beschreibung und auch im Patentanspruch 1 in Bezug auf das Material, aus dem das distale Schaftsegment bestehen soll, "Plastik" genannt ist. So heißt es z.B. in Anspruch 1 in Zeile 5, wo auf dieses Segment Bezug genommen ist, "a plastic shaft segment" (ein Schaftsegment aus Plastik). Im Anspruch 11 jedoch, der nebengeordnet ist, also keine Rückbeziehung zum Anspruch 1 besitzt, und damit eine eigenständige Ausgestaltungsform eines weiteren Gegenstands des Patents betrifft, heißt es bezüglich dieses Schaftsegments "a relatively flexible distal shaft section" (ein relativ flexibles distales Schaftsegment). Es ist hier also keine Bezugnahme auf ein bestimmtes Material vorhanden. Da ein Nebenanspruch eine unabhängige, selbstständige Erfindung enthält (vgl. Schulte, 6. Auflage, §34, Rdn 136) ist in den ursprünglichen Unterlagen, insbesondere im Anspruch 11, somit eine Ausführungsform eines Katheters offenbart, die keinen Bezug zu einem bestimmten Material herstellt. Das Gleiche gilt sinngemäß auch bezüglich des nebengeordneten Anspruchs 19. Damit ist eine Beschränkung auf "Plastik" nicht erforderlich.

III.

Der Gegenstand der Streitpatents ist gegenüber dem entgegengehaltenen Stand der Technik patentfähig, es steht ihm auch die behauptete offenkundige Vorbenutzung nicht patenthindernd entgegen, das heißt er ist neu, gewerblich anwendbar und beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

1.) Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist, entgegen der Auffassung der Klägerin, neu. Die Lehre des Streitpatents richtet sich an einen Fachmann, der ein mit der Entwicklung und Herstellung von Kathetern befasster Medizintechniker ist, der gegebenenfalls mit einem Arzt zusammenarbeitet. Dieser Fachmann entnimmt beim verständigen Studium der Beschreibung und der Zeichnungen, die er hinzuzieht um eventuelle Unklarheiten in der Formulierung eines Patentanspruchs auszuräumen, dass das distale Schaftsegment des Merkmals 4. dem so genannten flexiblen Übergangsstück im Merkmal 6. entspricht und dass es als eigenes (Teil-) Element ausgebildet ist, also nicht ein integrales Teil des sog. Hauptschaftsegments darstellt. Im Merkmal 4. des Anspruchs 1 ist nämlich einerseits von einem das distale Ende des Hauptschaftsegments und den Ballon verbindenden distalen Schaftsegment die Rede. Andererseits ist den Merkmalen 6., 6.1 und 6.3 des Anspruchs 1 zu entnehmen, dass der dort genannte Kerndraht, den das flexible Übergangsstück laut Merkmal 6. und 6.1 aufweisen soll, sich gemäß Merkmal 6.3 in dem dort mit 23 bezeichneten distalen Schaftsegment befindet und sich dabei im Wesentlichen linear in das distale Schaftsegment hinein erstreckt. Dieser Sachverhalt stimmt mit der Zeichnung insbes. Figur 3 oder 5 überein, denn auch dort ist der solide Kerndraht 25 als im distalen Schaftsegment 23 befindlich gezeichnet und in der Beschreibung ab Sp.7, Zeilen 36ff in diesem Sinne beschrieben.

Schließlich ist, ebenfalls unter Hinzuziehung von Beschreibung und Zeichnung, das Merkmal 6.2 derart zu interpretieren, dass der Fachmann unter der Angabe, der Kerndraht ist am Hauptschaftsegment "angebracht", versteht, dass der Kerndraht am Ende des Hauptschaftsegments 22 befestigt ist. In der Beschreibung Spalte 9, Zeilen 16 bis 21 heißt es dazu nämlich, dass der solide Kerndraht durch Hartlöten oder auf andere zweckentsprechende Weise mit dem Rohr 22 (welches das proximale Hauptschaftsegment darstellt) verbunden ist und zwar nahe des Endes dieses Rohrs, wie den Figuren 3 und 5 zu entnehmen ist. Von dieser Befestigungsstelle aus erstreckt sich der solide Kerndraht in das distale Schaftsegment (= flexibles Übergangsstück) hinein, wie im Merkmal 6.3 angegeben. Dieses Hineinerstrecken ist dabei unter Bezugnahme auf die Zeichnung und die Beschreibung so zu interpretieren, dass der Kerndraht sich mindestens über die Länge des Übergangstücks erstreckt. In Spalte 9, Zeilen 16 bis 21 ist nämlich angegeben und in den Figuren 3 und 5 ist das auch so dargestellt, dass das Übergangsstück einen soliden Kerndraht aufweist, der sich bis zu einem Markierband 96 erstreckt. Gemäß Anspruch 8 erstreckt sich der Kerndraht dabei vom distalen Ende 30 des Hauptschaftsegments 22 bis zum Führungsdrahtlumeneinlass 22'. Daraus folgt indirekt, dass sich der Kerndraht in jedem Fall über die Länge des Übergangstücks hin erstreckt.

Eine solchermaßen verstandene und vom Anspruch 1 vermittelte Lehre des Streitpatents ist gegenüber dem Stand der Technik, wie eingangs angegeben, neu.

Aus der Druckschrift nach Anlage 10 ist ein intravaskulärer Überden-Draht-Katheter bekannt (Merkmal 1.; Anl.10, Abstract, Zeilen 1/2), der versehen ist mit einem Schaftsegment (Merkmal 2.; Anl.10, rohrförmiges Teil 12 in Fig. 1), das von einer Röhre bestimmt ist (Merkmal 2.1; Anl.10, rohrförmiges Teil 12 in Fig. 1) und das ein proximales Ende (etwa bei dem Bezugszeichen 13 in Fig. 1 von Anl.10) und ein distales Ende (etwa bei dem Bezugszeichen 14 in Fig. 1 von Anl.10) aufweist (Merkmal 2.2), ferner einen Ballon aufweist (Merkmal 3.; Pos. 21 in Fig.1 von Anl.10), durch den ein Führungsdrahtlumen hindurchführt (teilweise Merkmal 3.1; Anl.10, Fig.4, 1. Lumen 16, i.V. mit Fig.1), wobei sich das Führungsdrahtlumen von einem Führungsdrahtlumeneinlass (Anl.10 bei Pos. 31, 32 in Fig.1) zu einem Führungsdrahtlumenauslass (Anl.10 bei Pos. 23 in Fig.1) erstreckt (Merkmal 3.2), wobei der Führungsdrahtlumenauslass distal von dem Ballon angeordnet ist (Merkmal 3.4; Anl.10, bei Pos. 23) und wobei der Führungsdrahtlumeneinlass und der Führungsdrahtlumenauslass von dem Katheter nach außen führen (Merkmal 3.5; Anl.10, die Öffnung bei Pos. 31, 32 einerseits und bei 23 andererseits führt jeweils nach außen) und einem durch das flexible rohrförmige Teil hindurchreichendes Inflationslumen (Anl. 10 Pos 17 in den Figuren 2 bis 5) um dem Ballon 21 einen Inflationsdruck zuzuführen (teilweise Merkmal 5.), aufweist.

Bei diesem bekannten Überden-Draht-Katheter ist der Schaft 12 in einen ersten Bereich 12a und einen zweiten Bereich 12b unterteilt (vgl. Beschreibung Spalte 2, Zeilen 35 bis 57) und ist das Führungsdrahtlumen, das zunächst den gesamten Katheter durchläuft, mittels eines Stopfens 31, der nahe dem Verbindungspunkt der Bereiche 12a und 12b liegt verschlossen (Spalte 3, Zeilen 52 bis 57), dergestalt, dass ein Rohrabschnitt gebildet wird, der vom Stopfen zum Lueradapter 38 reicht und ein Rohrabschnitt gebildet wird, der nahe des genannten Verbindungspunktes liegt und der dort eine Öffnung zur Einführung des Führungsdrahts 41 in den Katheter bildet. In den ersten Abschnitt kann ein Mandrin (mandrel 34) eingeführt werden, der zur Versteifung des proximalen Teils des röhrenförmigen Elements 12 dient (Spalte 4, Zeilen 16 bis 20) und der an seinem dem Lueradapter 38 abgewandten Ende in dem Stopfen 31 fixiert wird (Spalte 4, Zeilen 30 bis 34). Dieser Mandrin liegt damit - nach der Terminologie des Streitpatents - im Hauptschaftsegment.

Von diesem Stand der Technik unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 im Wesentlichen schon dadurch, dass beim Gegenstand des Anspruchs 1 der Kerndraht nicht im Hauptschaftsegment (nach der Terminologie des Streitpatents) liegt, sondern im so genannten distalen Schaftsegment, also dem so genannten flexiblen Übergangsstück (Merkmal 6. und 6.1). Es wird damit gemäß dem Gegenstand des Anspruchs 1 nicht wie beim Gegenstand von Anlage 10 das Hauptschaftsegment in seiner Flexibilität beeinflusst, sondern das daran angrenzende Übergangsstück bzw. das distale Schaftsegment.

Wenn die Klägerin hier einwendet, der Mandrin 34 reiche beim Gegenstand von Anlage 10, entsprechend den Ausführungen in Spalte 3, Zeilen 52 bis 57 in den Teil 12b und damit in einen auch hier vorhandenen Übergangsteil hinein, so kann dem nicht gefolgt werden. Es mag zwar sein, dass das Eindringen des Mandrins 34 in den Teil 12b geringfügig gegeben ist, es bleibt aber dennoch der entscheidende Unterschied bestehen, dass gemäß Anlage 10 das Hauptschaftsegment zum Lueranschlussstück 38 hin mittels des Mandrins 34 verstärkt werden soll, während beim Gegenstand des Anspruchs 1 das distale Schaftsegment in Richtung Ballon verstärkt wird und zwar mittels eines Kerndrahts 25, der weniger als das Hauptschaftsegment ist (Merkmal 6.4). Ein solches Merkmal fehlt beim Gegenstand der Anlage 10, weshalb die Neuheit gegeben ist.

Die Neuheit ist auch gegenüber den Gegenständen der offenkundigen Vorbenutzung gegeben. Die Beklagte bestreitet nicht mehr, dass ein Katheter mit der Bezeichnung Monorail Piccolino Model 34, im folgenden P34-Katheter bezeichnet, offenkundig vorbenutzt worden ist. Sie erkennt allerdings nur die Ausführungsform gemäß Anlage 16 als vorbenutzt an, nicht jedoch die nach Anlage 9. Hierauf kommt es jedoch nicht entscheidend an, denn selbst wenn man auch diese Ausführungsform als offenkundig vorbenutzt unterstellt, kann die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 nicht in Zweifel gezogen werden, weil sich in dem hier bedeutenden Punkt die Ausführungsformen von Anlage 9 und Anlage 16 nach Überzeugung des Senats nur unwesentlich unterscheiden.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist gegenüber der Ausbildung eines P33-Katheters neu.

Die Ausführungsform des Katheters Monorail Piccolino Model P33, im Folgenden P33-Katheter genannt, nach Figur I von Anlage 16 entspricht der Skizze des Katheters derselben Bezeichnung gemäß Anlage 9. Beide Figuren zeigen einen Überden-Draht-Katheter mit einem Anschlussteil am proximalen Ende und einen Ballon am distalen Ende eines Katheterschaftes. Der Katheterschaft ist in seinem proximalen Segment steifer ausgebildet als in seinem distalen Segment (vgl. Anlage 16, Seite 20, Absatz 29, Zeilen 3 und 4). Über den größten Teil des proximalen Segments erstreckt sich dabei ein Versteifungsdraht (corewire in der Figur von Anlage 9, reinforcing mandrel in Figur I von Anlage 16), wie den Ausführungen in Anlage 16, Seite 20, letzter Satz zu entnehmen ist. Dies deckt sich auch mit der zeichnerischen Darstellung sowohl gemäß Anlage 9 als auch gemäß Figur I von Anlage 16. Die Einführungsöffnung zum Lumen für den Führungsdraht befindet sich bei dieser Ausführungsform etwa 9 cm vom Ballon entfernt. Damit weist dieser P33-Katheter zwar ein zum Ballon hin gerichtetes weniger steifes Teilsegment auf, dieses enthält aber keinen soliden Kerndraht wie im Merkmal 6.1 angegeben ist. Damit können auch als Folge davon die Merkmale 6.2 bis 6.4 nicht erfüllt sein.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist auch gegenüber der Ausbildung eines P34-Katheters neu.

Der P34-Katheter, der in Anlage 16 in Figur J dargestellt ist, entspricht dem in Anlage 9 im unteren Teil der dortigen Abbildung dargestellten Katheter mit der gleichen Bezeichnung. Dieser Katheter wiederum entspricht der Ausbildung des P33-Katheters mit dem Unterschied, dass er ein längeres distales Führungsdrahtlumen und einen längeren Versteifungsdraht (support wire, auf Seite 21, Zeile 4, reinforcing mandrel in Figur J, jeweils von Anlage 16) aufweist, der sich verjüngt und sich distal von der proximalen Führungsdrahtöffnung erstreckt (Anlage 16, Seite 21, 1. Absatz) und zwar zum proximalen Anschlussteil des Katheters hin über dessen gesamte Länge (Anlage 16, Seite 21, zweiter Absatz, 1. Satz). Die Verjüngung des Versteifungsdrahts beginnt hier bei etwa 1,7 inch proximal der proximalen Öffnung des Führungsdrahtlumens und endet am distalen Ende des Versteifungsdrahts, etwa 1,2 inch distal der proximalen Öffnung des Führungsdrahtlumens (Anlage 16, Seite 21, zweiter Absatz). Gleichlautende Ausführungen zum P34-Katheter finden sich auch in der zum Gegenstand von Anlage 9 gehörenden Erklärung von P. Keith gemäß Anlage 4, deren Richtigkeit unterstellt wird, auf Seite 2, Absatz 5 bis Seite 6.

Zusammenfassend ist damit festzustellen, dass auch die Ausführungsform des P34-Katheters nicht die Merkmale 6.1 bis 6.4 des Anspruchs 1 des Streitpatents aufweist, da auch bei diesem Katheter kein Kerndraht vorhanden ist, der an einem Hauptschaftsegment angebracht ist und sich im Wesentlichen linear in das distale Schaftsegment hinein erstreckt und weniger steif als das Hauptschaftsegment ist.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist auch gegenüber dem Gegenstand der Druckschrift gemäß Anlage 18 neu, da der hier beschriebene Katheter einen Kerndraht aufweist, der durch den gesamten Katheter läuft und damit auch hier nicht nur der Teil des Katheterlumens (Tubus 3) durch einen Kerndraht versteift wird, der dem distalen Schaftsegment entspricht.

2.) Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Wenn der Fachmann feststellt, dass sich beim praktischen Einsatz eines bestimmten Überden-Draht-Katheters, zum Beispiel eines P33-Katheters, ergibt, dass der Schaft in dem Teil, ab dem ein Versteifungsdraht endet, für Ausbiegungen oder Krümmungen anfällig ist, wie das z.B. in Anlage 9 im oberen Teil der Zeichnung und auch in der Streitpatentschrift in dem die Spalten 8 und 9 übergreifenden Satz erläutert ist, so wird er versuchen hier Abhilfe zu schaffen. Er wird also Maßnahmen ergreifen, die die Vorschiebbarkeit und Nachlauffähigkeit des Katheters verbessern (Problemstellung in Sp. 3, Zeilen 46 bis 48 der Streitpatentschrift).

Hierbei ist die naheliegende Form der Abhilfe die, wie sie im unteren Teil der Zeichnung von Anlage 9 dargestellt ist und dem P34-Katheter (auch gemäß der Anlage 16) entspricht, nämlich den ohnedies vorhandenen Versteifungsdraht weiter in den gefährdeten Katheterabschnitt hinein zu verlängern und gegebenenfalls, wie beim P34-Katheter ebenfalls vorgenommen, den vorderen Bereich des Versteifungsdrahts zu verjüngen, damit ein gleitender und kein abrupter Übergang in der Steifigkeit erzielt wird.

Gerade aber dieser Weg wird beim Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents nicht beschritten. Hier wird nicht ein vom Anschlussstück beginnender Versteifungsdraht lediglich verlängert, sondern hier wird, wie zur Neuheit bereits ausgeführt, beginnend von einem Bereich, der vom Lueranschlussstück entfernt liegt und sich nahe dem Ende des Hauptschaftsegments befindet, ein Versteifungsdraht (solider Kerndraht) angebracht, der sich dann in Richtung des Ballons im Wesentlichen linear erstreckt und der weniger steif als das nicht mit einem Versteifungsdraht versehene (Haupt-) Schaftsegment ist, wie dies die Merkmale 6. bis 6.4 zum Ausdruck bringen. Für eine solche Vorgehensweise bietet der Stand der Technik nach der offenkundigen Vorbenutzung eines Gegenstands entsprechend den Anlagen 9 und 16 keine Anregungen, da dort, wie ausgeführt, ein ganz anderer Weg beschritten wird. Das gilt sinngemäß auch für den Gegenstand der Druckschrift nach Anlage 10, denn auch bei diesem Katheter, der im Übrigen in seiner Ausbildung mit den Kathetern von Anlage 9 und 16 vergleichbar ist, wird das Hauptschaftsegment verstärkt und nicht das distale Schaftsegment, wie zur Neuheit ausführlich dargelegt worden ist.

Der Gegenstand der Druckschrift nach Anlage 18 konnte den Gegenstand des Anspruchs 1 schon deshalb nicht nahelegen, weil hier ein durch den gesamten Katheter führender Verstärkungsdraht beschrieben ist und der Fachmann nichts entnehmen konnte, was ihn veranlassen hätte können, diesen Draht nur auf einen Teil des Katheters zu begrenzen, insbesondere auf den dem Ballon nahen Bereich, abgesehen davon, dass auch keine Steifigkeitsangaben in Bezug auf das Hauptschaftsegment und den Verstärkungsdraht vorhanden sind.

3.) Es führt auch keine Kombination von Druckschriften des vorveröffentlichten Standes der Technik mit dem Gegenstand der offenkundigen Vorbenutzung zu der Merkmalsgruppe 6. des Anspruchs 1, weil keine der Druckschriften und auch nicht der Gegenstand der offenkundigen Vorbenutzung eine Maßnahme bei einem Überden-Draht-Katheter als an sich bekannt nachweist, bei der ein Kerndraht, der weniger steif als das Hauptschaftsegment ist, von einem Hauptschaftsegment über ein Übergangstück in Richtung des Ballons reicht, so dass folglich von diesem Stand der Technik auch keine Anregungen für eine solche Ausbildung ausgehen können.

4.) Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist auch, unbestritten, gewerblich anwendbar, da er, wie ohne weiteres ersichtlich, in einem Gewerbebetrieb hergestellt werden kann.

5.) Die auf Anspruch 1 rückbezogenen und ebenfalls angegriffenen Unteransprüche 2 bis 8 betreffen zweckmäßige Ausgestaltungen und haben daher ebenfalls Bestand.

6.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 Satz 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 ZPO.

Winkler Klosterhuber Schuster Dr. Maksymiw Dr. Häußler Pr






BPatG:
Urteil v. 24.11.2004
Az: 4 Ni 33/03


Link zum Urteil:
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