Bundespatentgericht:
Beschluss vom 8. April 2008
Aktenzeichen: 6 W (pat) 330/04
(BPatG: Beschluss v. 08.04.2008, Az.: 6 W (pat) 330/04)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Bundespatentgericht hat in seinem Beschluss vom 8. April 2008 das Patent mit der Bezeichnung "Elektromechanisch betätigbare Scheibenbremse" vollständig aufrechterhalten. Gegen das am 6. Mai 2004 veröffentlichte Patent wurde ein Einspruch eingelegt, der jedoch von der einzigen Einsprechenden zurückgenommen wurde. Die erteilten Patentansprüche wurden als ursprünglich offenbart, neu und als Ergebnis einer erfinderischen Tätigkeit angesehen. Eine elektromechanisch betätigbare Scheibenbremse mit allen im Patentanspruch aufgeführten Merkmalen wurde in den genannten Druckschriften nicht gezeigt. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass das Patent sowohl hinsichtlich der Hauptansprüche als auch der Unteransprüche bestandsfähig ist.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BPatG: Beschluss v. 08.04.2008, Az: 6 W (pat) 330/04
Tenor
Das Patent 195 11 287 wird im vollen Umfang aufrechterhalten.
Gründe
I.
Gegen das am 6. Mai 2004 veröffentlichte Patent 195 11 287 mit der Bezeichnung "Elektromechanisch betätigbare Scheibenbremse" ist mit Schriftsatz vom 6. August 2004, eingegangen am selben Tag, Einspruch erhoben worden.
Mit Schriftsatz vom 18. März 2008 (eingegangen am 19. März 2008) hat die einzige Einsprechende ihren Einspruch zurückgenommen.
Der erteilte, geltende Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
Elektromechanisch betätigbare Scheibenbremse für Kraftfahrzeuge, mita) einem Bremssattel, sowieb) einer am Bremssattel angeordneten Betätigungseinheit, mitc) zwei mit je einer Seitenfläche einer Bremsscheibe zusammenwirkenden, im Bremssattel begrenzt verschiebbar angeordneten Reibbelägen, d) wobei einer der Reibbeläge mittels eines Betätigungselementes durch die Betätigungseinheit direkt und der andere Reibbelag durch die Wirkung einer vom Bremssattel aufgebrachten Reaktionskraft mit der Bremsscheibe in Eingriff bringbar ist, unde) wobei die Betätigungseinheit einen koaxial zum Betätigungselement angeordneten Elektromotor sowie ein wirkungsmäßig zwischen ihm und dem Betätigungselement angeordnetes Untersetzungsgetriebe aufweist, dadurch gekennzeichnet, dassf) der Rotor (10) des Elektromotors (6) ringförmig ausgebildet ist undg) das Untersetzungsgetriebe (7) radial umgreift.
Daran schließen sich die rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 30 an. Als Stand der Technik wurden folgende Druckschriften entgegengehalten:
Im Prüfungsverfahren:
P1: DE 41 15 758 A1 P2: DE 38 36 255 A1 P3: DE 38 10 012 A1 P4: US 48 65 162 P5: EP 394 238 B1 = E1 Im Einspruchsverfahren:
E1: EP 394 238 B1 = P5 E2: JP 1-311 844.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Das Verfahren wird von Amts wegen ohne die Einsprechende fortgesetzt (§ 61 Abs. 1 Satz 2).
1. Das Bundespatentgericht ist für die Entscheidung im vorliegenden Einspruchsverfahren nach § 147 Abs. 3 PatG in der bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassung zuständig geworden, weil der Einspruch im in dieser Vorschrift genannten Zeitraum beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangen ist. Gegen die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts für das Einspruchsverfahren nach dieser Vorschrift bestehen weder unter dem Aspekt der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) noch unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungsrechtliche Bedenken (vgl. BGH GRUR 2007, 859, 861 f. - Informationsübermittlungsverfahren I).
Das Bundespatentgericht ist auch nach der ab 1. Juli 2006 in Kraft getretenen Fassung des § 147 Abs. 3 PatG gemäß dem Grundsatz der perpetuatio fori, der u. a. in § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO seine gesetzliche Ausprägung gefunden hat, zuständig geblieben (vgl. hierzu auch BPatG GRUR 2007, 499 - Rundsteckverbinder; BPatG GRUR 2007, 907 - Gehäuse/perpetuatio fori; BGH GRUR 2007, 862 f. - Informationsübermittlungsverfahren II).
2. Der frist- und formgerecht erhobene Einspruch ist mit Gründen versehen, ausreichend substantiiert und damit zulässig.
a Die erteilten Patentansprüche 1 bis 30 entsprechen den ursprünglich eingereichten Patentansprüchen 1 bis 30. Sie sind damit als ursprünglich offenbart anzusehen.
b Eine elektromechanisch betätigbare Scheibenbremse mit den Merkmalen nach Patentanspruch 1 ist neu, denn keine der im Erteilungs- bzw. Einspruchsverfahren genannten Entgegenhaltungen zeigt eine elektromechanisch betätigbare Scheibenbremse mit allen im Patentanspruch 1 aufgeführten Merkmalen. Dies wurde auch von der Einsprechenden nicht unterstellt.
c Die Patentansprüche 1 bis 30, die eine zweifelsfrei gewerblich anwendbare elektromechanisch betätigbare Scheibenbremse beschreiben, sind auch als das Resultat einer erfinderischen Tätigkeit anzusehen.
Die EP 394 238 B1 (E1) wird im Streitpatent als nächstkommender und gattungsgemäßer Stand der Technik gewürdigt. Dabei wird ausgeführt, dass die Betätigungseinheit dieser bekannten Scheibenbremse aus einem Elektromotor besteht. Dieser wirkt mit einem Planetengetriebe zusammen, dessen Planetenräder ein Ringrad antreiben. Dessen Drehbewegung wird über Lagermittel auf eine Betätigungshülse übertragen bzw. sie bewirkt deren Axialverschiebung. Dadurch wird der, der Betätigungseinheit zugeordnete Reibbelag in Eingriff mit der Bremsscheibe gebracht. Der Elektromotor und das Planetengetriebe sind dabei in der Betätigungsrichtung der Scheibenbremse nebeneinander angeordnet. Als nachteilig wird bei der bekannten elektromechanisch betätigbaren Scheibenbremse insbesondere die verhältnismäßig große axiale Baulänge der Betätigungseinheit empfunden. Hinweise, durch einen speziellen Aufbau der Bremse, respektive von deren Betätigungseinheit, die gesamte Baulänge der Bremse zu verkürzen, sind dieser Druckschrift nicht entnehmbar.
Von der ehemaligen Einsprechenden wurde zusätzlich die japanische Patentanmeldung mit der Veröffentlichungsnummer JP 1 - 311 844 (E2) genannt. Diese Schrift liegt als japanisches Volldokument, als Abstract und als eine auszugsweise Übersetzung - durch die Einsprechende - vor.
Es wird darin ein Linear Aktuator beschrieben, der einee) Betätigungseinheit 5 - 10 mit einem koaxial zum Betätigungselement 8 - 10 angeordneten Elektromotor 4 - 7 sowie ein wirkungsmäßig zwischen ihm und dem Betätigungselement 8 - 10 angeordnetes Untersetzungsgetriebe 8 - 10 aufweist, wobei auch bereits vorgesehen ist, dassf) der Rotor 5 des Elektromotors 4 - 7 ringförmig ausgebildet ist undg) das Untersetzungsgetriebe 8 - 10 radial umgreift.
Weitere Merkmale des Patentanspruchs 1 gehen aus dieser Entgegenhaltung nicht hervor.
In der von der ehemaligen Einsprechenden angefertigten Übersetzung (vgl. S. 4) wird weiterhin ausgeführt, durch die Anordnung des Rotors 5, des Magneten 6 und des Stators 7 auf der Außenseite der Spindelmutter 10 werde die axiale Länge des Aktuators verkürzt, was von dem zuständigen Fachmann als Hinweis zur Lösung der streitpatentgemäßen Aufgabe verstanden werden könnte.
Die Argumentation der ehemaligen Einsprechenden greift nicht durch, denn das Streitpatent bezieht sich auf eine elektromechanisch betätigbare Scheibenbremse für Kraftfahrzeuge, zu deren Betätigung ein Elektromotor erforderlich ist. Im Gegensatz dazu offenbart die JP 1-311 844 (E2) einen Elektromotor mit einer speziellen Anordnung des Rotors und des Getriebes, wobei der Elektromotor zusätzlich auch noch eine Scheibenbremse zum Abbremsen des sich drehenden Kugelspindeltriebs enthält. Ein Bezug zu Kraftfahrzeugbremsen insb. zu solchen mit einem Aufbau entsprechend der Merkmale a bis d nach Patentanspruch 1 ist nicht erkennbar.
Ein mit der Konstruktion bzw. der Herstellung einer elektromechanisch betätigbaren Scheibenbremse betrauter Fachmann, bei dem es sich um einen Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau, mit Erfahrung in der Konstruktion von Fahrzeugbremsen handelt, wird als relevanten Stand der Technik sicherlich das Fachgebiet der Kraftfahrzeugbremsen ansehen, evtl. mit fachlich angrenzenden Sachgebieten. Dazu ist allerdings nicht der Bereich von Elektromotoren zu verstehen, bei denen ein drehendes Teil mittels einer Scheibenbremse abgebremst wird. Entsprechende Elektromotoren werden - soweit deren Verwendung überhaupt im Bereich der Kraftfahrzeugtechnik auftreten sollte, was von keiner Seite unterstellt wird - üblicherweise als geschlossene Baueinheit vertrieben und sind somit nicht in der Lage einen Fachmann für Kraftfahrzeugbremsen mit ihrem Aufbau zu einer bestimmten Lösung anzuregen.
Die im Prüfungsverfahren genannten Entgegenhaltungen P1 - P4 (P5 = E1) zeigen weitere Ausbildungen von Spindeltrieben, bzw. von elektromechanisch betätigbaren Scheibenbremsen, die allerdings deutlich weiter ab liegen und weder für sich, noch in Verbindung mit einer Ausführung nach der E1 oder der E2 einen Gegenstand nach Patentanspruch 1 nahelegen können.
Patentanspruch 1 ist daher bestandsfähig.
Die rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 30 erfüllen die an Unteransprüche zu stellenden Anforderungen und sind damit ebenfalls bestandsfähig.
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BPatG:
Beschluss v. 08.04.2008
Az: 6 W (pat) 330/04
Link zum Urteil:
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