Bundespatentgericht:
Beschluss vom 6. März 2002
Aktenzeichen: 7 W (pat) 54/01

(BPatG: Beschluss v. 06.03.2002, Az.: 7 W (pat) 54/01)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Bundespatentgericht hat in seinem Beschluss vom 6. März 2002, Aktenzeichen 7 W (pat) 54/01, entschieden, dass die Anmelderin wieder in die Fristen zur Einlegung der Beschwerde und zur Entrichtung der Beschwerdegebühr eingesetzt wird. Zudem wurde der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse A 47 C des Deutschen Patent- und Markenamts vom 6. Februar 2001 aufgehoben und das Patent erteilt. Der Anmeldungsgegenstand bezieht sich auf eine Hubvorrichtung für Liege- und/oder Sitzflächen. Die Patentanmeldung wurde am 2. Juni 1999 eingereicht. In einem Prüfungsbescheid vom 22. März 2000 hat der Prüfer die Patentfähigkeit des Gegenstandes anerkannt, jedoch eine Aufnahme von bestimmten Druckschriften in die Beschreibungseinleitung gefordert. Da dies nicht fristgerecht erfolgte, wurde die Anmeldung zurückgewiesen. Die Anmelderin hat daraufhin einen Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt und neue Unterlagen eingereicht. In weiteren Schreiben hat die Anmelderin erklärt, dass der Wiedereinsetzungsantrag auch als Wiedereinsetzungsantrag in die Beschwerdefrist zu verstehen ist. Das Bundespatentgericht gibt dem Antrag auf Wiedereinsetzung statt. Durch die Wiedereinsetzung und die neuen Unterlagen erweist sich die Beschwerde als zulässig und erfolgreich. Der Anmeldungsgegenstand ist patentfähig und beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Es gibt keinen Stand der Technik, der den Gegenstand nahelegt. Die Patentansprüche sind zulässig und gewährbar. Der Anmeldungsgegenstand ist neu und beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die Patentansprüche 2 bis 5 sind auf Ausgestaltungen des Gegenstandes nach Patentanspruch 1 gerichtet und werden von dessen Patentfähigkeit mitgetragen.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BPatG: Beschluss v. 06.03.2002, Az: 7 W (pat) 54/01


Tenor

1. Die Anmelderin wird in die Fristen zur Einlegung der Beschwerde und zur Entrichtung der Beschwerdegebühr wieder eingesetzt.

2. Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse A 47 C des Deutschen Patent- und Markenamts vom 6. Februar 2001 aufgehoben und das Patent erteilt.

B e z e i c h n u n g: Hubvorrichtung für Liege- und/oder Sitzflächen.

A n m e l d e t a g: 2. Juni 1999.

Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zugrunde:

Patentansprüche 1 bis 5, Beschreibung Seiten 1 bis 5 sowie 3 Blatt Zeichnungen, Figuren 1 bis 3, jeweils eingegangen am 16. August 2001.

Folgende redaktionelle Änderungen in den Unterlagen wurden vorgenommen:

Im Anspruch 1, 6. Zeile von unten, wurde das Bezugszeichen "2a" in "2b", in der Beschreibung Seite 5, Zeile 16, das Bezugszeichen "4b" in "1b" geändert.

Gründe

I Die Patentanmeldung 199 25 340.4-16 ist am 2. Juni 1999 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangen.

In einem Prüfungsbescheid der Prüfungsstelle für Klasse A 47 C des Deutschen Patent- und Markenamts vom 22. März 2000 hat der Prüfer die Patentfähigkeit des Gegenstandes der vorliegenden Anmeldung gemäß den Ansprüchen vom Anmeldetag mit der Begründung anerkannt, dass er sich für einen Fachmann aus dem Stand der Technik nach der europäischen Offenlegungsschrift 781 517 und dem deutschen Gebrauchsmuster 19 69 241 nicht in naheliegender Weise ergäbe. Für eine Patenterteilung sei aber noch erforderlich, die genannten Druckschriften in die Beschreibungseinleitung aufzunehmen. Nachdem dies nicht fristgerecht erfolgt ist, hat die Prüfungsstelle die Anmeldung mit Beschluss vom 6. Februar 2001 zurückgewiesen.

Mit Schreiben vom 13. August 2001 hat die Anmelderin - zwar mit Firmenbezeichnung, aber ohne handschriftliche Unterschrift - Wiedereinsetzung in die Patentanmeldung beantragt und geltend gemacht, die Anmeldung resultiere aus einer Diplomarbeit eines Herrn H..., der nach Beendigung seiner Diplomarbeit die Anmelderin verlassen habe, so dass dort seither niemand fachlich in der Lage gewesen sei, den Bescheid des Patentamts zu beantworten. Sie hat gleichzeitig neue Unterlagen eingereicht, in denen die beiden Druckschriften zum Stand der Technik gewürdigt worden sind.

Mit Schreiben vom 13. September 2002 hat das Patentamt der Anmelderin daraufhin mitgeteilt, dass der Beschluss des Patentamts nur im Wege der Beschwerde anfechtbar sei. Daraufhin hat die Anmelderin mit Schreiben vom selben Tag (diesmal unterschrieben und mit Verrechnungsscheck) mitgeteilt, dass sie Beschwerde erhebe. Mit Schreiben vom 15. November 2001 hat sie mitgeteilt, dass der Wiedereinsetzungsantrag vom 13. August 2001 in die Patentanmeldung als Wiedereinsetzungsantrag in die Beschwerdefrist zu verstehen sei.

Mithin hat die Anmelderin beantragt, die Anmeldung wieder in die Beschwerdefrist einzusetzen, den Beschluß vom 6. Februar 2001 aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der am 16. August 2001 eingegangenen Patentansprüche 1 bis 5, Beschreibungsseiten 1 bis 5 sowie 3 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1 bis 3 zu erteilen.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

"Hubvorrichtung für Liege- und/oder Sitzflächen, bestehend aus einem oberen Gestellrahmen und einem unteren Gestellrahmen, mit einem dazwischen angeordneten Höhenverstellmechanismus, wobei der obere Gestellrahmen mittels des Höhenverstellmechanismus gegenüber dem unteren Gestellrahmen in der Höhe vertikal verschiebbar ist, wobei am oberen Gestellrahmen (8) Befestigungsstellen (10a, 10b) zur Aufnahme der Liege- und/oder Sitzfläche vorgesehen sind, wobei am unteren Gestellrahmen (9) Fußstützen (11, 11b) vorgesehen sind, dadurch gekennzeichnet, daß der Höhenverstellmechanismus der Hubvorrichtung während des gesamten Verstellvorganges eine konstante Stützweite der äußeren Auflagerpunkte (1a, 1b, 4a, 4b) aufweist, wobei bezüglich der horizontalen Mitte des Gesamtsystems das linke Hebelpaar aus einem durchgehenden Hebel (5a) besteht, der am oberen Gestellrahmen (8) im Gelenkpunkt (1a) radial, am unteren Gestellrahmen (9) im Gelenkpunkt (3a) horizontal verschieblich gelagert ist, sowie einem Hebel (6a) der am unteren Gestellrahmen (9) im Gelenkpunkt (4a), als auch im Gelenkpunkt (2a) radial gelagert ist, wobei bezüglich der horizontalen Mitte des Gesamtsystems das rechte Hebelpaar aus einem durchgehenden Hebel (5b) besteht, der am unteren Gestellrahmen (9) im Gelenkpunkt (1b) radial, am oberen Gestellrahmen (8) im Gelenkpunkt (3b) horizontal verschieblich gelagert ist, sowie einem Hebel (6b) der am oberen Gestellrahmen (9) im Gelenkpunkt (4b), als auch im Gelenkpunkt (2b) radial gelagert ist, wobei das linke Hebelpaar (5a, 6a) im Gelenkpunkt (2a) mit dem rechten Hebelpaar (5b, 6b) im Gelenkunkt (2b) durch einen in der vertikalen Mitte des Höhenverstellmechanismus angeordneten elektromotorischen Antrieb gekoppelt ist."

Die geltenden Patentansprüche 2 bis 5 sind dem Patentanspruch 1 nachgeordnet und auf ihn rückbezogen.

Gemäß geltender Beschreibung Seite 2, Zeilen 16 bis 22 liegt die Aufgabe vor, eine Hubvorrichtung für Liege- und/oder Sitzflächen mit den Vorteilen einer einfachen Hubschere und günstigem Verhältnis zwischen Einbauraum und Hubhöhe, bei gleichzeitig hoher Standstabilität mit konstanter Stützweite der äußeren Auflagerpunkte, zu schaffen, wobei der Bewegungsablauf allein eine vertikale Verschiebung zulässt und die Störgröße der horizontalen Verschiebung unterbunden wird.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akte verwiesen.

II 1. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist wird stattgegeben. Zwar hätte die Anmelderin (nur) innerhalb der Beschwerdefrist entsprechend der Rechtsmittelbelehrung Beschwerde erheben müssen. Sie hat jedoch glaubhaft vorgetragen, daß während dieser Zeit bei ihr niemand fachlich in der Lage war, abzuschätzen, ob eine Beschwerdeerhebung sinnvoll ist. Es kann deshalb als unverschuldet angesehen werden, daß die Anmelderin die Beschwerdefrist versäumt hat. Nach Behebung dieses Mangels hat sie unverzüglich die versäumten Handlungen nachgeholt.

2. Aufgrund der Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist und der mit Schriftsatz vom 13. August 2001 vorgelegten neuen Unterlagen, in denen die von der Prüfungsstelle gerügten Mängel beseitigt wurden, erweist sich die Beschwerde als zulässig und in der Sache erfolgreich.

Der Anmeldungsgegenstand stellt, wie auch die Prüfungsstelle zu Recht ausgeführt hat, eine patentfähige Erfindung iSd § 1 bis § 5 PatG dar. Nachdem die Anmelderin in der Beschreibungseinleitung die entgegengehaltenen Druckschriften gewürdigt hat, sind auch die formalen Mängel beseitigt, die einer Patenterteilung noch entgegengestanden hatten.

Die geltenden Patentansprüche 1 bis 5 sind zulässig. Sie stimmen in ihrem Wortlaut mit der Fassung der ursprünglich eingereichten Patentansprüche überein.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist neu. Keine der aus den entgegengehaltenen Druckschriften bekannten Hubvorrichtungen umfasst beispielsweise einen elektromotorischen Antrieb zwischen den mittleren Gelenkpunkten der linken und rechten Hebelpaare.

Die zweifellos gewerblich anwendbare Hubeinrichtung für Liege- und/oder Sitzflächen nach Patentanspruch 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Aus dem deutschen Gebrauchsmuster 1 969 242 ist eine Hubeinrichtung für ein höhenverstellbares Möbel, insbesondere für einen höhenverstellbaren Tisch, bekannt, die der Fachmann - als hier zuständig wird ein Maschinenbauingenieur angesehen, der mit der Konstruktion von Hubeinrichtungen für Möbel aller Art befasst ist - ohne weiteres auch für Liege- oder Sitzmöbel in Betracht zieht. Es sind bei dieser Hubeinrichtung linke und rechte, gelenkig miteinander verbundene Hebelpaare (6) vorhanden, die infolge einer Krafteinleitung (Spindelantrieb 12,13 bzw Kraftspeicherantrieb 5) in Hubrichtung (Fig 2) oder senkrecht dazu (Fig 1 und 3) eine scherenartige Hebelverstellung und damit eine veränderte Höheneinstellung bewirken können. Diese Hubvorrichtung dürfte zwar geeignet sein, die og anmeldungsgemäße Aufgabe zu lösen. Die Anmeldung (Beschreibung S 1 Z 24 bis 31) sieht bei diesem Hubmechanismus aber als nachteilig an, dass nur ein Hebelpaar (in Fig 2 das rechte) mit einem durchgehenden Hebel (8, 16) (zwischen oberem und unterem Gestellrahmen) ausgestaltet ist, so dass eine zusätzliche Linearführung zur Stabilisierung des Systems - gemeint ist hier die starre Verbindung der beiden Scherengelenkpunkte (9, 20) der beiden Hebelpaare mittels einer Kupplungsstange (11) - erforderlich sei (Fig 1 bis 3).

Demgegenüber lehrt der Patentanspruch 1 der vorliegenden Anmeldung zur Erhöhung der Systemstabilität zwei gleichwirkende Hebelpaare mit jeweils einem sowohl am oberen wie am unteren Gestellrahmen (8, 9) angelenkten Hebel (5a, 5b) einzusetzen, der endseitig an einem Gestellrahmen drehbeweglich (Gelenkpunkte 1a, 1b), am anderen Gestellrahmen drehbeweglich und horizontal verschieblich (Gelenkpunkte 3a, 3b) gehalten ist, wobei auf dem jeweiligen durchgehenden Hebel ein Gelenkpunkt (2a, 2b) für die eine endseitige, drehbewegliche Befestigung des jeweils anderen Hebels (6a, 6b) des Hebelpaares angeordnet und das andere Ende dieses Hebels (6a, 6b) am unteren bzw am oberen Gelenkrahmen drehbeweglich angeschlagen ist (Gelenkpunkte 4a, 4b) und die Gelenkpunkte (2a, 2b) in der vertikalen Mitte des Höhenverstellmechanismus mit einem elektromotorischen Antrieb gekoppelt sind. Diese Koppelung ist gemäß Beschreibung so zu verstehen, dass die beiden mittleren Gelenkpunkte (2a, 2b) der Hebelpaare zum Senken des oberen Gestellrahmens gegenüber dem unteren Gestellrahmen aufeinander zu bzw zum Heben des oberen Gestellrahmens voneinander weg bewegt werden.

Zu dieser Lehre gibt der aufgezeigte Stand der Technik dem Fachmann weder Vorbild noch Anregung.

Das deutsche Gebrauchsmuster 1 969 242 führt nicht in die gedankliche Richtung der Lehre des Anspruchs 1 der vorliegenden Anmeldung, weil es gemäß allen Ausführungsbeispielen an den unterschiedlichen Hebelpaaren in Verbindung mit der Stabilisierungsmaßnahme mittels einer starren Kupplungsstange zwischen den mittleren Gelenkpunkten festhält.

Auch die europäische Offenlegungsschrift 0 781 517 führt den Fachmann nicht näher zum Anmeldungsgegenstand nach Anspruch 1. Denn der dort beschriebene Hub- und Schwenkmechanismus für ein Liegemöbel (Bett) sieht linke und rechte Hebelpaare mit gleichlangen, etwa mittig sich kreuzenden, drehbeweglich verbundenen Hebeln (3,5 bzw 4,6) vor, deren eines Ende horizontal mittig am oberen oder unteren Gestellrahmen (11,21) an einem gemeinsamen Gelenkpunkt angeschlagen ist, und deren anderes Ende horizontal- und drehbeweglich in Gleitführungen an den äußeren Enden des oberen und unteren Gestellrahmens gehalten ist (Fig 1 bis 6 und zugehörige Beschreibungsteile). Da somit der Längenausgleich an den äußeren Seiten der Scheren erfolgt, kann die Stützweite von Ober- und Unterrahmen - anders als beim Anmeldungsgegenstand mit seinen fixierten äußeren Gelenkpunkten (1a, 1b, 4a, 4b - nicht konstant gehalten werden. Im übrigen werden die Stellkräfte im bekannten Fall an den Enden der Scherenhebel eingeleitet, so dass es auch an Anregungen fehlt, die Verstellkraft durch einen elektromotorischen Antrieb auf die mittleren Gelenkpunkte der Hebelpaare einwirken zu lassen.

Nach Vorstehendem kann auch die Zusammenschau der beiden Entgegenhaltungen dem Fachmann nicht den Anmeldungsgegenstand nach Patentanspruch 1 nahelegen.

Der Patentanspruch 1 ist somit gewährbar.

Die Patentansprüche 2 bis 5 sind auf weitere Ausgestaltungen der Vorrichtung nach Patentanspruch 1 gerichtet und werden von dessen Patentfähigkeit mitgetragen.

Dr. Schnegg Eberhard Köhn Frühauf Hu






BPatG:
Beschluss v. 06.03.2002
Az: 7 W (pat) 54/01


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/5e44f12c2d36/BPatG_Beschluss_vom_6-Maerz-2002_Az_7-W-pat-54-01




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