Bundespatentgericht:
Beschluss vom 1. Juli 2009
Aktenzeichen: 9 W (pat) 386/04

(BPatG: Beschluss v. 01.07.2009, Az.: 9 W (pat) 386/04)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

In der vorliegenden Gerichtsentscheidung geht es um den Einspruch gegen ein Patent, das eine Vorrichtung zum Betreiben eines Scheibenwischers betrifft. Die Einsprechende argumentiert, dass der Gegenstand des Patents nicht neu sei und keine erfinderische Tätigkeit aufweise. Sie bezieht sich dabei unter anderem auf eine bestimmte Druckschrift. Die Patentinhaberin hingegen hält das Patent für neu und erfinderisch. Der geltende Patentanspruch besteht aus mehreren Merkmalen, die die Vorrichtung beschreiben. Das Bundespatentgericht stellt fest, dass das Patent zwar gewerblich anwendbar ist, jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Es verweist dabei auf eine andere bekannte Vorrichtung, die ähnliche Merkmale aufweist und somit nahelegt, dass die beschriebene Lösung naheliegend wäre. Das Gericht entscheidet daher, das Patent aufrechtzuerhalten.

Anmerkungen:

- Es handelt sich um eine Gerichtsentscheidung vom Bundespatentgericht vom 1. Juli 2009 mit dem Aktenzeichen 9 W (pat) 386/04.

- Die Einsprechende hatte Einspruch gegen das Patent eingelegt und argumentiert, dass die Vorrichtung in Patentanspruch 1 nicht neu ist und keine erfinderische Tätigkeit aufweist. Sie stützt sich dabei unter anderem auf die Druckschrift EP 0 547 337 A1.

- Die Patentinhaberin hält das Patent hingegen für neu und erfinderisch.

- Der Patentanspruch 1 beschreibt die Vorrichtung zum Betreiben eines Scheibenwischers mit verschiedenen Merkmalen.

- Das Bundespatentgericht kommt zu dem Schluss, dass das Patent nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, da es eine ähnliche Vorrichtung bereits gibt, die eine ähnliche Lösung bietet.

- Das Gericht entscheidet daher, das Patent aufrechtzuerhalten.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BPatG: Beschluss v. 01.07.2009, Az: 9 W (pat) 386/04


Tenor

Das Patent wird widerrufen.

Gründe

I.

Gegen das am 27. Mai 1995 angemeldete und am 15. April 2004 veröffentlichte Patent mit der Bezeichnung

"Vorrichtung zum Betreiben eines Scheibenwischers"

ist Einspruch eingelegt worden.

Die Einsprechende macht geltend, dass der Gegenstand gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatents nicht mehr neu sei und nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Auch die Gegenstände der abhängigen Patentansprüche seien nicht patentfähig. Zur Stütze ihres Vorbringens verweist sie u. a. auf die Druckschrift EP 0 547 337 A1 und beantragt, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent aufrechtzuerhalten.

Sie tritt dem Vorbringen der Einsprechenden entgegen. Nach ihrer Meinung ist der Patentgegenstand neu und durch den Stand der Technik nicht nahegelegt.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

Vorrichtung zum Betreiben eines Scheibenwischers mit einer Sensoreinrichtung zum Erfassen des Benetzungszustandes einer Scheibe, einer das Sensorsignal aufnehmenden Auswerteeinrichtung, mit der der Signalverlauf feststellbar ist, und einer Ansteuereinheit für den Scheibenwischer, die von der Auswerteeinrichtung zum Erzeugen eines Wischvorgangs ansteuerbar ist, wenn zwischen einem dem Sensorsignal nachführbaren Referenzwert und einem aktuellen Messwert des Sensorsignals eine Abweichung festgestellt wird, wobei die Auswerteeinrichtung einen Bewertungsteil aufweist, in dem das Sensorsignal zusätzlich hinsichtlich charakteristischer Eigenschaften analysierbar und bewertbar ist, wobei auf der zusätzlichen Grundlage des Bewertungsergebnisses ein das Sensorsignal beeinflussendes Ereignis erkennbar ist, und wobei mittels der Auswerteeinrichtung erforderlichenfalls ein angepasstes Steuersignal erzeugbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass ein Wischvorgang erzeugt wird, wenn die Differenz zwischen dem Referenzwert (RW) und dem aktuellen Messwert eine vorgegebene Auslöseschwelle (AS, AS') außerhalb eines Grundrauschpegels (GRP) überschreitet, dass die charakteristischen Eigenschaften des Sensorsignals (S) dessen Flankensteilheit, die Fläche zwischen dem Sensorsignal (S) und dem Referenzwert, die Einbruchstiefe, die Form die zeitliche Dauer und die Häufigkeit des zeitlichen Auftretens eines charakteristischen Merkmals des Sensorsignals (S) sind, dass die Bewertung auf der Grundlage zumindest einer dieser charakteristischen Eigenschaften durchgeführt wird, und dass mit dem angepassten Steuersignal (ST) ein anderer, auf den erfassten Benetzungszustand abgestimmter Wischbetrieb auslösbar ist.

Zumindest mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogen schließen sich hieran die Patentansprüche 2 bis 8 an.

II.

Die Zuständigkeit des Beschwerdesenats des Bundespatentgerichts ist durch § 147 Abs. 3 Satz 1 PatG a. F. begründet.

Der Einspruch ist zulässig. Gegenteiliges hat auch die Patentinhaberin nicht vorgetragen.

In der Sache hat der Einspruch Erfolg; er führt zum Widerruf des Patents.

Das Streitpatent bezieht sich auf eine Vorrichtung zum Betreiben eines Scheibenwischers mit einer Sensoreinrichtung zum Erfassen des Benetzungszustandes einer Scheibe, einer das Sensorsignal aufnehmenden Auswerteeinrichtung und einer Ansteuereinheit für den Scheibenwischer, die von der Auswerteeinrichtung zum Erzeugen eines Wischvorganges ansteuerbar ist, wenn die Differenz zwischen einem Referenzwert und einem aktuellen Messwert eine vorgegebene Auslöseschwelle überschreitet. Eine derartige Vorrichtung soll so weitergebildet werden, dass der Wischbetrieb den äußeren Bedingungen besser anpassbar ist (vgl. Abs. 0001 und 0005 der Streitpatentschrift).

Als Lösung wird eine Vorrichtung mit den Merkmalen des erteilten Patentanspruchs 1 vorgeschlagen, welche Merkmale nachfolgend in einer gegliederten Form wiedergegeben werden.

Vorrichtung zum Betreiben eines Scheibenwischers;

1.

die Vorrichtung verfügt über eine Sensoreinrichtung zum Erfassen des Benetzungszustandes einer Scheibe;

2.

die Vorrichtung verfügt über eine das Sensorsignal aufnehmende Auswerteeinrichtung;

2.1 mit der Auswerteeinrichtung ist der Sensorverlauf feststellbar;

3.

die Vorrichtung verfügt über eine Ansteuereinheit für den Scheibenwischer;

3.1 die Ansteuereinheit ist von der Auswerteeinrichtung zum Erzeugen eines Wischvorgangs ansteuerbar, 3.2 wenn zwischen einem dem Sensorsignal nachführbaren Referenzwert und einem aktuellen Messwert des Sensorsignals eine Abweichung festgestellt wird;

4.

die Auswerteeinrichtung weist einen Bewertungsteil auf, 4.1 in dem das Sensorsignal zusätzlich hinsichtlich charakteristischer Eigenschaften analysierbar und bewertbar ist;

5.

auf der zusätzlichen Grundlage des Bewertungsergebnisses ist ein das Sensorsignal beeinflussendes Ereignis erkennbar;

6.

mittels der Auswerteeinrichtung ist erforderlichenfalls ein angepasstes Steuersignal erzeugbar;

7.

es wird ein Wischvorgang erzeugt, 7.1 wenn die Differenz zwischen dem Referenzwert und dem aktuellen Messwert eine vorgegebene Auslöseschwelle überschreitet, 7.2 die Auslöseschwelle liegt außerhalb eines Grundrauschpegels;

8.

die charakteristischen Eigenschaften des Sensorsignals sind 8.1 dessen Flankensteilheit, 8.2 die Fläche zwischen dem Sensorsignal und dem Referenzwert, 8.3 die Einbruchstiefe, 8.4 die Form, 8.5 die zeitliche Dauer und 8.6 die Häufigkeit des zeitlichen Auftretens eines charakteristischen Merkmals des Sensorsignals;

9.

die Bewertung wird auf der Grundlage zumindest einer dieser charakteristischen Eigenschaften durchgeführt;

10.

mit dem angepassten Steuersignal ist ein anderer, auf den erfassten Benetzungszustand abgestimmter Wischbetrieb auslösbar.

Oberbegriff Kennzeichen Der erteilte Patentanspruch 1 ist unbestritten zulässig. Sein Gegenstand ist zweifellos gewerblich anwendbar. Es kann dahinstehen, ob die beanspruchte Vorrichtung mit vorstehend genannten Merkmalen neu ist, denn sie beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, da sie sich für einen Fachmann -hier ein Dipl.-Ing. der Fachrichtung Maschinenbau mit fundierten Kenntnissen der Messund Regelungstechnik, der über mehrjährige Erfahrung in der Entwicklung und Konstruktion von Scheibenwischanlagen in Fahrzeugen verfügt -in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.

In der Druckschrift EP 0 547 337 A1 ist eine Einrichtung zur Steuerung einer Scheibenwischanlage beschrieben (vgl. Bezeichnung und Fig. 1). Die bekannte Einrichtung ist dafür vorgesehen, einen auf der Frontoder der Heckscheibe eines Kraftfahrzeuges vorhandenen flüssigen oder festen Belag qualitativ und quantitativ zu erfassen und in Abhängigkeit davon eine der Scheibe zugeordnete Scheibenwischanlage automatisch zu beeinflussen, d. h., dieselbe zur Reinigung der Scheibe insbesondere intervallmäßig in Betrieb zu setzen (vgl. Sp. 1, Z. 1 bis 13). Die EP 0 547 337 A1 offenbart somit eine Vorrichtung zum Betreiben eines Scheibenwischers.

Die Einrichtung umfasst eine optoelektronische Sensorvorrichtung 2. Im Betrieb erfasst diese Signale und führt sie einer Schaltungsanordnung 3 zu. Die erfassten Signale ändern sich durch sich qualitativ und/oder quantitativ ändernde Zustände eines sich auf der Scheibe bildenden Belages (entspricht einem Benetzungszustand z. B. durch Regen). In der Schaltungsanordnung 3 werden die Sensorsignale zu Steuersignalen für den Betrieb des Antriebsmotors 4 der Wischerblätter 5 umgeformt (vgl. Sp. 4, Z. 47 bis 58). In der Schaltungsanordnung 3 wird der Signalverlauf festgestellt, wie beispielsweise in Fig. 2, 4 und 5 gezeigt. Dazu ist eine integrierte Signalmustererkennungsanordnung sowie eine Regenformerfassungseinrichtung 8 vorgesehen (siehe Sp. 3, Z. 49 bis 54). Zur Auswertung der Sensorsignale beinhaltet die Schaltungsanordnung 3 auch einen Mikroprozessor (siehe Spalte 5, Zeilen 5 bis 7). Die Schaltungsanordnung 3 entspricht der streitpatentgemäßen Ansteuereinheit und weist zusätzlich die Arbeitsweise der streitpatentgemäßen Auswerteeinrichtung auf. Sie vereint somit Ansteuereinheit und Auswerteeinheit (Merkmale 1. bis 3.1). Bei der bekannten Einrichtung wird als Referenzwert für den Zustand einer maximal sauberen Scheibe der maximale Signalwert der Sensorvorrichtung (z. B. nach einem Überwischvorgang des Sensors, vgl. Sp. 7, Z. 57 bis Sp. 8, Z. 8) neu eingelesen. Er entspricht somit dem streitpatentgemäßen, einem Sensorsignal nachführbaren Referenzwert. Wie in Figur 5 dargestellt, wird ein Wischvorgang erzeugt, wenn der Wert eines aktuellen aufbereiteten Sensorsignals unterhalb einer Einschaltschwelle (entspricht der streitpatentgemäßen Auslöseschwelle) zu liegen kommt, also unterschritten wird. In Übereinstimmung mit dem Streitgegenstand (vgl. Fig. 2) liegt eine Abweichung als Differenz zwischen dem Referenzwert (maximal saubere Scheibe) und dem aktuellen Messwert des Sensorsignals vor (Merkmale 3.2, 7., 7.1). Zwangsläufig muss das festgestellte Sensorsignal in der Schaltungsanordnung 3 auch analysiert und bewertet werden, um die Ansteuerung des Antriebsmotors 4 vornehmen zu können. Die Regenformerfassungseinrichtung 8 der Schaltungsanordnung 3 unterteilt die Signale zur Unterscheidung verschiedener Regenformen in Kategorien und zieht dazu die Amplitude der Signaländerung (als charakteristische Signaleigenschaft) als Auswertekriterium heran. Die Schaltungsanordnung 3 beinhaltet somit zusätzlich noch einen Bewertungsteil (vgl. Sp. 12, Z. 17 bis 41; Merkmale 4., 4.1). Mit anderen Worten wird das Signal auf die größte Änderung seiner Flankensteilheit als charakteristische Signaleigenschaft entsprechend Merkmal 8.1 hin ausgewertet. Aufgrund der Signalauswertung ist erkennbar, ob Niederschlag mit vielen feinverteilten Tröpfchen oder solcher mit grobverteilten großen Tropfen vorliegt (das Sensorsignal beeinflussende Ereignisse in streitpatentgemäßem Sinn; Merkmal 5.). In Abhängigkeit von der Regenform wird ein bestimmter Wischzyklus ausgelöst, wozu zwangsläufig ein angepasstes Steuersignal für den Antriebsmotor der Wischerblätter erzeugt werden muss (vgl. Fig. 6 und 7 i. V. m. Sp. 12, Z. 36 bis Sp. 13, Z. 37; Merkmal 6). Die Einschaltschwelle, bei der ein Wischvorgang ausgelöst wird, ist unterhalb eines Störpegels angeordnet (vgl. Fig. 5). Der Störpegel ist ein Wert, unterhalb dem mit großer Sicherheit von einem Belag auf der Scheibe 7 ausgegangen werden kann, es sich also höchstwahrscheinlich nicht um undefinierte Störungen handelt. Signaländerungen oberhalb des Störpegels werden als Störeinflüsse ohne Bedeutung gewertet und führen zu keinerlei Reaktion (des Wischers) (vgl. Sp. 11, Z. 7 bis 32). Ausgehend vom Referenzwert überschreitet das Sensorsignal die Einschaltschwelle daher außerhalb des Störpegels. Der in der EP 0 547 337 A1 definierte Störpegel entspricht dem streitpatentgemäßen Grundrauschpegel, zumal der Grundrauschpegel den Wert einer Größe und nicht ein Verhältnis von Größen darstellt, wie auch die Pateninhaberin einräumt, und Rauschen dem Fachmann ganz allgemein als Störgröße mit breitem unspezifischen Frequenzspektrum bekannt ist. Mangels näherer Erläuterung des Begriffs Grundrauschpegel in der Streitpatentschrift muss daher von einem sehr breiten Verständnis des Begriffs ausgegangen werden, der auch die Definition nach der EP 0 547 337 A1 umfasst (vgl. auch Signalwerte in Fig. 4 der EP 0 547 337 A1 und Pegel in Fig. 2 des Streitpatents; Merkmal 7.2). Aufgrund der Bewertung der Amplitude der Signaländerung, d. h. einer -im Streitpatent nicht näher definierten -Flankensteilheit des Signals als charakteristischen Größe, wird ein (weiterer) Wischbetrieb automatisch ausgelöst, wenn die Einschaltschwelle vom Signal nicht unterschritten wird (vgl. Fig. 7, Sp. 13, Z. 10 bis 28; Merkmale 9., 10.).

Nicht definiert sind in der EP 0 547 337 A1 sämtliche charakteristischen Eigenschaften des Sensorsignals, wie in Merkmalsgruppe 8. gefordert. Es entspricht jedoch der typischen fachmännischen Vorgehensweise, Signale aufzuzeichnen, zu analysieren und zu bewerten. Ob man neben einer Signaländerung (hier: Signalverlauf über der Zeit, d. h. Flankensteilheit des Sensorsignals), als charakteristischer Eigenschaft des Signals, dem Signal weitere "charakteristische Eigenschaften" zuordnet und diese eventuell verknüpft zu seiner Bewertung berücksichtigt, ist unerheblich, weil nach dem Wortlaut des Merkmals 9 die Bewertung auf der Grundlage auch nur einer einzigen charakteristischen Eigenschaft gefordert wird. Darüber hinaus ist schon in der EP 0 547 337 A1 erwähnt, dass in der Schaltungsanordnung 3 nicht nur etwa die Amplituden der Signaländerung, sondern auch andere im Sinne des Streitpatents als "charakteristische Eigenschaften" aufzufassende Größen wie die Fläche zwischen dem Signalverlauf und dem Störpegel (vgl. Anspruch 15) oder das Signalmuster entsprechend einer Signalform (z. B. Sp. 8, Z. 40 bis 45) ausgewertet werden.

Die durch den geltenden Patentanspruch 1 definierte Vorrichtung ist demnach in wenigstens einer Ausführungsform (Flankensteilheit als charakteristische Größe) nahegelegt und daher nicht patentfähig. Eine Aufrechterhaltung des Patents im Umfang des beantragten Anspruchssatzes kann daher nicht erfolgen. Die Patentfähigkeit der Gegenstände der weiteren Patentansprüche kann dahinstehen.

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BPatG:
Beschluss v. 01.07.2009
Az: 9 W (pat) 386/04


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