Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Beschluss vom 29. April 1997
Aktenzeichen: 9 S 1013/97

(VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 29.04.1997, Az.: 9 S 1013/97)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat in einem Beschluss vom 29. April 1997 entschieden, dass Beschwerden gegen Beschlüsse der Verwaltungsgerichte über Erinnerungen gegen Vergütungsfestsetzungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle keiner Zulassung durch das Oberverwaltungsgericht bedürfen. Somit besteht für diese Beschwerden im Unterschied zu anderen Rechtsmitteln kein Vertretungszwang vor den Oberverwaltungsgerichten.

In dem konkreten Fall hatte der Kläger Beschwerde gegen die Festsetzung der von seinem früheren Prozessbevollmächtigten geltend gemachten Rechtsanwaltsvergütung eingelegt. Die Beschwerde war statthaft und bedurfte nicht der Zulassung. Sie war auch im Übrigen zulässig, aber nicht begründet.

Der Verwaltungsgerichtshof stellte fest, dass der Vertretungszwang vor den Oberverwaltungsgerichten durch das 6. VwGO-ÄndG nicht für diese Beschwerden gelte. Die Beschwerde konnte schriftlich beim Verwaltungsgericht eingelegt oder direkt an das Oberverwaltungsgericht gerichtet werden, ohne dass ein Rechtsanwalt eingeschaltet werden musste.

Diese Einschränkung des Vertretungszwangs stehe im Einklang mit dem Zweck der Einführung der Zulassungsberufung und -beschwerde. Zudem sei der Vertretungszwang durch die entsprechende Vorschrift der BRAGO, wonach Beschwerden betreffend die Festsetzung der Anwaltsvergütung auch ohne Mitwirkung eines Rechtsanwalts eingereicht werden können, ausgeschlossen.

Die Beschwerde war auch hinsichtlich des Wertes des Beschwerdegegenstands zulässig, da dieser höher als 400 DM war. Dennoch war sie unbegründet, da die Festsetzung der Vergütung den Vorschriften der BRAGO entsprach und keine Einwendungen oder Einreden vorlagen, die nicht im Gebührenrecht begründet waren.

Die Kostenentscheidung folgte aus § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertfestsetzung aus § 13 Abs. 1 S. 1 GKG. Die Regelungen der BRAGO, wonach das Verfahren gerichtsgebührenfrei ist und der Rechtsanwalt keine Gebühr erhält, galten für das Beschwerdeverfahren nicht.

Gegen diesen Beschluss konnte keine weitere Anfechtung eingelegt werden.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 29.04.1997, Az: 9 S 1013/97


1. Beschwerden gegen Beschlüsse der Verwaltungsgerichte über Erinnerungen gegen Vergütungsfestsetzungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bedürfen nicht der Zulassung durch das Oberverwaltungsgericht. Für sie besteht der durch § 67 Abs 1 VwGO idF des 6. VwGOÄndG (VwGOÄndG 6) eingeführte Vertretungszwang vor den Oberverwaltungsgerichten nicht.

Gründe

Die Beschwerde, mit der der Kläger seine Einwände gegen die Festsetzung der von seinem vormaligen Prozeßbevollmächtigten geltend gemachten Rechtsanwaltsvergütung weiterverfolgt, ist statthaft. Sie ist kein Rechtsmittel gegen eine der in § 146 Abs. 2 VwGO genannten Entscheidungen und bedarf nicht nach § 146 Abs. 4 VwGO der Zulassung. Sie ist auch im übrigen zulässig, aber nicht begründet.

Der Zulässigkeit der Beschwerde steht der durch das am 1.1.1997 in Kraft getretene 6. VwGOÄndG eingeführte Vertretungszwang vor den Oberverwaltungsgerichten nicht entgegen. Sie kann gem. § 147 Abs. 1 S. 1 VwGO schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts eingelegt werden; statt dessen kann sie gem. § 147 Abs. 2 VwGO an das Oberverwaltungsgericht gerichtet und auch bei diesem zur Niederschrift des Urkundsbeamten erhoben werden (Meyer/Ladewig in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 147 Rdnr. 4). Im Hinblick auf den Vertretungszwang bei der Beschwerde verweist § 147 Abs. 1 S. 2 VwGO nach wie vor lediglich auf § 67 Abs. 1 S. 2 VwGO, also auf die dort genannten Fälle zulassungspflichtiger Beschwerden, zu denen das vorliegende Rechtsmittel gem. § 146 Abs. 4 VwGO nicht zählt. Die Vorschrift des § 67 Abs. 1 S. 1 VwGO, aus der allein sich der Vertretungszwang für das vorliegende Rechtsmittel somit noch ergeben könnte, ist dagegen nicht genannt. Dieser Umstand spricht für eine vom Gesetzgeber beabsichtigte Einschränkung des nach seinem Wortlaut an sich weiten Anwendungsbereichs des § 67 Abs. 1 S. 1 VwGO, nach dem sich vor dem Oberverwaltungsgericht - und nicht, wie nach alter Rechtslage, nur vor dem Bundesverwaltungsgericht - jeder Beteiligte durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule oder einen gleichwertig qualifizierten Vertreter gem. § 67 Abs. 1 S. 3 bis S. 6 VwGO als Bevollmächtigten vertreten lassen muß, soweit er einen Antrag stellt. Diese Einschränkung steht in Übereinstimmung mit dem Zweck der Einführung des Vertretungszwanges vor den Oberverwaltungsgerichten. Der Vertretungszwang ist die Konsequenz aus der Einführung der Zulassungsberufung und der Zulassungsbeschwerde (vgl. Schmieszek, NVwZ 1996, 1151, 1154; Schenke, NJW 1997, 81, 85) und wird daher bei zulassungsfreien Rechtsmitteln wie dem vorliegenden vom Zweck des Gesetzes nicht gefordert. Ausgeschlossen wird der Vertretungszwang ferner durch die hier anzuwendende Vorschrift des § 19 Abs. 6 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte - BRAGO -, denn danach können u.a. Beschwerden in Sachen betreffend die Festsetzung der Anwaltsvergütung (auch) "schriftlich ohne Mitwirkung eines Rechtsanwaltes eingereicht werden". Diese Vorschrift ginge einem weit verstandenen Vertretungszwang in § 67 Abs. 1 S. 1 VwGO nach dem Grundsatz der Spezialität vor (lex specialis derogat legi generali; vgl. Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl., § 17 Rdnr. 41; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl., § 28 IVa Nr. 2). Durchbrochen wäre ein Vertretungszwang außerdem durch § 78 Abs. 3 ZPO. Die entsprechende Anwendbarkeit dieser Vorschrift im Verwaltungsprozeß gem. § 173 VwGO für die Vertretung vor dem Bundesverwaltungsgericht ist höchstrichterlich seit jeher anerkannt (Beschluß des Großen Senats des BVerwG vom 18.3.1961, BVerwGE 12, 119, 124 = Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 5 - damals noch § 78 Abs. 2 ZPO; BVerwG, Beschluß vom 22.8.1990, Buchholz 310 § 166 VwGO Nr. 21); es ist kein Grund ersichtlich, weshalb dies im Hinblick auf die Vertretung vor den Oberverwaltungsgerichten anders sein sollte. § 78 Abs. 3 ZPO besagt, daß die Vorschriften über den Anwaltszwang u.a. auf Prozeßhandlungen, die vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgenommen werden können, nicht anzuwenden sind. Zu ihnen gehören Beschwerden gegen Beschlüsse der Verwaltungsgerichte über Erinnerungen gegen Vergütungsfestsetzungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle sowohl nach § 147 Abs. 1 S. 1 VwGO als auch nach dem spezielleren § 19 Abs. 6 BRAGO.

Zulässig ist die Beschwerde ferner auch in bezug auf § 146 Abs. 3 VwGO, denn der Wert des Beschwerdegegenstands ist höher als 400,-- DM.

Die Beschwerde ist aber unbegründet. Der Beschluß des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 17.10.1996 über die Vergütungsfestsetzung entspricht den Vorschriften der BRAGO. Die Festsetzung war auch nicht nach § 19 Abs. 5 BRAGO wegen Einwendungen oder Einreden abzulehnen, die nicht im Gebührenrecht ihren Grund haben. Dies alles hat das Verwaltungsgericht ausführlich und überzeugend dargelegt. Das Beschwerdevorbringen enthält keine neuen Gesichtspunkte, so daß der Senat sich die Gründe des angefochtenen Beschlusses zu eigen machen kann (vgl. § 122 Abs. 2 S. 3 VwGO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus § 13 Abs. 1 S. 1 GKG. § 19 Abs. 2 S. 4 und S. 5 BRAGO, wonach das Verfahren gerichtsgebührenfrei ist und der Rechtsanwalt keine Gebühr erhält, gelten für das Beschwerdeverfahren nicht (Senatsbeschluß vom 14.1.1997 - 9 S 78/97 - unter Hinweis auf Gerold/ Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO, 12. Aufl., § 19 Rdnr. 56 m.w.N.).

Dieser Beschluß ist unanfechtbar.






VGH Baden-Württemberg:
Beschluss v. 29.04.1997
Az: 9 S 1013/97


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