Verwaltungsgericht Berlin:
Urteil vom 3. Mai 2012
Aktenzeichen: 27 A 19.07

(VG Berlin: Urteil v. 03.05.2012, Az.: 27 A 19.07)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Die Klägerin hat gegen eine Beanstandung der Beklagten geklagt, bei der es um die Ausstrahlung eines Films im Fernsehen ging. Die Beklagte hatte den Film beanstandet, da sie der Auffassung war, dass er gegen Jugendschutzbestimmungen verstoße. Die Klägerin hingegen argumentierte, dass der Film bereits mehrfach unbeanstandet ausgestrahlt worden sei und dass das Gutachten der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) keine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung des Films auf Kinder festgestellt habe. Das Verwaltungsgericht entschied, dass die Entscheidung der Beklagten rechtswidrig sei, da sie nicht ausreichend begründet wurde. Daher wurde der Bescheid aufgehoben und die Beklagte wurde dazu verpflichtet, die Kosten des Verfahrens zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

VG Berlin: Urteil v. 03.05.2012, Az: 27 A 19.07


1. Die KJM muss ihre - für andere Organge der Medienanstalt bindende - Entscheidung nach § 17 Abs. 1 JMStV begründen.

2. Fehlt eine solche Begründung , kann diese nicht durch den Aussteller des Bescheides ersetzt werden. Der Bescheid ist in einem solchen Falle wegen eines unheilbaren aboluten Verfahrensfehlers rechtswidrig.

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 5. Januar 2007 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen eine Beanstandung der Beklagten vom 5. Januar 2007 wegen der Ausstrahlung des Films "Brain X Change - Der Feind in meinem Körper€ am 1. Januar 2004 um 8:20 Uhr.

Der 1995 entstandene dänische Film wurde von der FSK am 13. Mai 1996 ab 12 Jahren freigegeben.

Die Klägerin strahlte den Film zuvor am 3. September 1998 um 20:15 Uhr sowie am 1. Februar 2001 um 9:32 Uhr, am 2. August 2001 um 9:25 Uhr und am 28 Mai 2002 um 9:13 Uhr im Tagesprogramm aus. Eine Nachtausstrahlung, die in den nächsten Morgen ab 6:00 Uhr hinein reichte, fand am 3. August 2001 statt.

Am 9. März 2004 fertigte die Beklagte eine Vorlage für eine Präsenzprüfung der Prüfgruppe der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). Die Vorlage kam zu dem Ergebnis, dass die Klägerin mit der Ausstrahlung des Films um 8:20 Uhr die Bestimmungen zum Jugendschutz übertreten habe; der Film könne dazu geeignet sein, jüngere Kinder übermäßig zu ängstigen. Jüngere Zuschauer seien wahrscheinlich mit der Verarbeitung des Gesehenen überfordert, so dass eine psychische übermäßige Belastung nicht auszuschließen sei. Diese Vorlage wurde durch die Prüfgruppe anlässlich der Präsenzprüfung am 7./8. Juli 2004 in München gebilligt und im Anschluss an die Mitglieder des 7. Prüfausschusses der KJM H... und ... zur Beurteilung im Umlaufverfahren versandt. Die Mitglieder des 7. Prüfausschusses stimmten der Empfehlung der Prüfgruppe jeweils per Faxantwort vom 4. Oktober 2004, 7. Oktober 2004 bzw. 15. Oktober 2004 zu.

Mit Schreiben vom 18. Oktober 2004 forderte der Vorsitzende der KJM den Direktor der Beklagten zur Einleitung eines Rechtsaufsichtsverfahrens gegen die Klägerin wegen eines Verstoßes gegen § 5 Abs. 4 Satz 3 in Verbindung mit Abs. 1 des Jugendmedienstaatsvertrages (JMStV)auf. Mit Schreiben vom 25. Oktober 2004 hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Beanstandung an, worauf die Klägerin mit Schreiben vom 8. Februar 2005 zur beabsichtigten Beanstandung Stellung nahm und ein Gutachten der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen -FSF- vom 2. Dezember 2004 vorlegte, welches die von der Klägerin dort beantragte Tagesfreigabe erteilte. Die FSF wurde ausweislich des letzten Satzes des Gutachtens erst nach der Prüfung darüber informiert, dass die Ausstrahlung des Spielfilms im Tagesprogramm von der KJM als Verstoß nach § 5 Abs. 4 S. 3 i.V.m. Abs. 1 JMStV bewertet wurde.

Die Klägerin kam mit Blick auf das FSF-Gutachten in ihrem Schreiben vom 8. Februar 2005 zu dem Ergebnis, dass ein materieller Verstoß gegen die Bestimmungen des Jugendmedienstaatsvertrages nicht vorliege. Zugleich stellte sie Befangenheitsanträge gegen die Mitglieder des 7. Prüfausschusses wegen der Befassung €der KJM- Prüfgruppe und deren abschließender Bewertung des Falles (vgl. KJM-Rundschreiben vom 18. 10. 2004)€ vor Durchführung der erforderlichen Anhörung des betroffenen Sendeunternehmens und wegen der gewählten Form des Umlaufverfahrens.

Unter dem 6. April 2005 fertigte die Beklagte eine Vorlage für die endgültige Beschlussfassung der KJM, welche am 7. April 2005 an den Vorsitzenden der KJM sowie deren Geschäftsführer gefaxt, danach aber nicht weiter bearbeitet wurde.

Am 2. August 2006 erfolgte dann eine erneute Vorlage der Beklagten für die KJM, welche der KJM eine Beanstandung der Ausstrahlung des Films empfahl. Im Rahmen der Aufbereitung der unterschiedlichen Sichtweisen von KJM und FSF kommt sie zu dem Ergebnis: €Beide unterschiedliche Bewertungen sind aus unserer Sicht akzeptabel, die Argumente nachvollziehbar. Sie zeigen verschiedene Ansätze zur Bewertung jugendschutzrelevanter Sachverhalte und die Bandbreite des Beurteilungsspielraumes.€

Mit Schreiben vom 14. August 2006 bat der Vorsitzende der KJM die Mitglieder des 28. Prüfausschusses der KJM um eine Stellungnahme bis zum 31. August 2006 zu dem in Rede stehenden Film. Mit Fax-Antworten vom 22. August 2006 bzw. 16. Juli 2006 stimmten die Prüfausschusses Mitglieder H... und P... der Beschlussempfehlung der Beklagten aus dem Jahre 2004 zu; die Prüferin M... stimmte mit Fax vom 26. August 2006 der Beschlussempfehlung nicht zu, sondern schlug vor, den Fall im Plenum der KJM zu behandeln und das Verfahren wegen Zeitablaufes einzustellen. Wegen der fehlenden Einstimmigkeit der Entscheidung sandte der Vorsitzende der KJM mit Schreiben vom 10. November 2006 den Prüffall €Brain X Change€ an alle Mitglieder der KJM zur Prüfung im Umlaufverfahren bis zum 27. November 2006. Hierbei stimmten die Mitglieder R... und K... der Beschlussempfehlung der Beklagten nicht zu, die Prüferin M... nur eingeschränkt. Daraufhin befassten sich auf der 36. Sitzung der KJM am 28. November 2006 in Erfurt alle Mitglieder der Kommission mit dem Fall. Das Protokoll der Sitzung vermerkt unter Top 11: "Die Mitglieder diskutieren den Fall im Hinblick auf die äußerst lange Verfahrensdauer. Sie kommen mit einem Abstimmungsverhältnis von 8:0:1 zu dem Ergebnis, dass an der inhaltlichen Bewertung der Prüfgruppe festzuhalten ist: Die Ausstrahlung des Films stellt einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 S. 3 dar und ist zu beanstanden."

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2006 bat der Direktor der KJM unter Bezugnahme auf das Abstimmungsergebnis der KJM vom 28. November 2006 die Beklagte um Beanstandung des Filmes €Brain X Change - der Feind in meinem Körper€.

Mit Bescheid vom 5. Januar 2007 beanstandete die Beklagte den genannten Film als Verstoß gegen § 5 Abs. 4 S. 3 in Verbindung mit Abs. 1 JMStV. Zur Begründung führte sie aus, die KJM habe zur Beurteilung des Films festgestellt, dass er für jüngere Kinder "eine hohe nervliche Anspannung" darstelle und "zu einer starken Ängstigung€ führe. Eine psychische übermäßige Belastung sei nicht auszuschließen. Der Film arbeite mit den Mitteln aus den Genres Horror-, Grusel- und Psychofilm. Zahlreiche nicht vorhersehbare Überraschungsmomente prägten den Charakter des Films. Der Film sei besonders durch die Brutalität und Kaltblütigkeit des Arztes und einen langanhaltenden Spannungsbogen geprägt und biete nur vereinzelt Entlastungsmomente an. Die KJM habe die Argumente der FSF gewürdigt, sei aber zu keinem anderen Ergebnis in der Bewertung des Films gekommen. Die FSF sehe mehrheitlich allenfalls kurze Angst- und Schreckmomente und gehe von keiner nachhaltigen Verängstigung oder Beeinträchtigung aus. Hiergegen bleibe die KJM bei ihrer Bewertung, dass die Ausweglosigkeit, in der sich die beiden Protagonisten befinden, sowie die undurchschaubar wirkenden medizinischen Abläufe Kinder unter zwölf Jahren in der problemlosen Verarbeitung des Films überforderten.

Die Klägerin hat am 17. Januar 2007 Klage erhoben. Diese begründet sie im Wesentlichen wie folgt:

Kern des Rechtsstreits sei die Frage des zutreffenden Verständnisses von § 20 Abs. 3 JMStV. Nach dessen Wortlaut führe eine Interpretation zu dem Ergebnis, dass deren Sperrwirkung nur dann eintrete, wenn der Veranstalter die Sendung vor ihrer Ausstrahlung einer anerkannten Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle im Sinne dieses Staatsvertrages vorlege.

Nach Auffassung der Klägerin jedoch sei diese Norm dahingehend auszulegen, dass deren Sperrwirkung auch dann eingreife, wenn entweder die in Rede stehende Sendung erst nach ihrer Ausstrahlung der FSF vorgelegt werde, aber zuvor bereits mehrfach unbeanstandet ausgestrahlt worden sei, oder eine künftige Ausstrahlung der Sendung zu erwarten sei, oder es sich um die Ausstrahlung handele, die nach Einschätzung und Beratung des gemäß § 7 JMStV vorgesehenen Jugendschutzbeauftragten des Senders im Tagesprogramm erfolge.

Dafür spreche, dass die KJM gegen weitere Ausstrahlungen des in Rede stehenden Films nach Erteilung der FSF Freigabe im Tagesprogramm durch den Prüfbescheid vom 2. Dezember 2004 keine weiteren Maßnahmen im Hinblick auf die Ausstrahlung im Tagesprogramm ergreifen könne. Mit Blick auf die Unteilbarkeit des Jugendschutzes stelle es einen unauflösbaren Gesetzeswiderspruch dar, wolle man der Klägerin den Schutz der FSF-Freigabeentscheidung für die bereits erfolgte Ausstrahlung versagen, während ein anderer Fernsehsender, der die Ausstrahlungsrechte an dem Filmwerk nach erfolgter Beanstandung erwürbe, oder auch die Klägerin selbst diese bei künftigen Ausstrahlungen für sich in Anspruch nehmen könne.

Eine vollumfängliche Vorabvorlage aller FSK 12-Filmwerke, für die es in § 5 Abs. 4 S. 3 JMStV keine feste Sendezeitvorgabe gegeben habe, sei zudem weder durch die FSF zu bewältigen, noch erscheine eine derartig große Selbstkontrolleinrichtung durch die Mitglieder der FSF finanzierbar. Daher sei die Programmierung derartiger Filme durch den Sender der Einschätzung und Empfehlung des in § 7 JMStV mit eigenem Rechtsstatus ausgestatteten Jugendschutzbeauftragten überantwortet worden.

Die unbeanstandet gebliebenen Ausstrahlungen in der Vergangenheit, eine sorgfältige Vorabberatung durch den durch § 7 JMStV mit eigener Rechtsposition ausgestatteten Jugendschutzbeauftragten des klagenden Senders und auch der Blick auf die gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, bei denen es gerade die Jugendschutzbeauftragten seien, die ohne Teilnahme an einer Selbstkontrolleinrichtung Sendezeiten für Filmwerke jeglicher Altersstufe abschließend prüften und bewerteten, mache deutlich, dass eine kostenaufwändige lückenlose Vorprüfung durch die FSF für FSK 12-Filme als nicht geboten anzusehen sei.

Eine solche Auslegung des § 20 Abs. 3 JMStV sei auch verfassungskonform. Wenn der Staat als Grundsatz des Jugendmedienstaatsvertrages die Selbstregulierung vor die staatliche Regulierung stelle, gestatte er den Selbstregulierungsbehörden somit Entscheidungen im Bereich des Jugendschutzes, die dann bindend seien. Das Risiko, dass auch bei einer nachträglichen Vorlage an die FSF diese zu dem Ergebnis komme, dass eine Jugendbeeinträchtigung oder Jugendgefährdung statuiert würde oder Maßnahmen wie Sendezeitbeschränkungen erfolgten, obwohl der Veranstalter genau dies nicht mit seinem Antrag beabsichtigt habe, zeige deutlich, dass die Selbstkontrolle auch bei einer nachträglichen Kontrolle funktioniere. Deswegen sei auch der Vorwurf zurückzuweisen, es bestehe für die Veranstalter nicht der geringste Anreiz, sich an eine Selbstkontrolleeinrichtung zu wenden, bevor die KJM an sie heran trete, weil das Risiko, dass die FSF zu einer gleichen Beurteilung wie die KJM komme, immer zulasten des Veranstalters gehe.

Der Bescheid sei im Übrigen auch wegen Ermessensnichtgebrauch rechtswidrig. Die Beklagte trage im Beanstandungsbescheid vor, sie habe sich in der Sache mit dem Prüfgutachten der FSF inhaltlich auseinandergesetzt, komme aber zu keiner anderen Erwägung als die Vorlage der Prüfgruppe. Aus den Behördenunterlagen sei deutlich erkennbar, dass bei der 36. Sitzung der KJM vom 28. November 2006 in Erfurt die Prüfgruppenentscheidung vom 7. Juli 2004 zur Grundlage gemacht worden sei, obwohl die zuständige Sachbearbeiterin der Beklagten in ihrer Vorlage vom 2. August 2006 ausdrücklich die Bewertung der FSF als akzeptabel angesehen habe. Die Mitglieder der KJM hätten den Fall in ihrer Sitzung ausweislich des Protokolls lediglich "im Hinblick auf die äußerst lange Verfahrensdauer" diskutiert; eine inhaltliche Auseinandersetzung insbesondere mit dem FSF-Gutachten habe nicht stattgefunden.

Der Beanstandungsbescheid sei im Übrigen auch materiell rechtswidrig, da ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 5 Abs. 4 S. 3 JMStV nicht vorliege. Es handele sich um einen Film, der nach § 14 Abs. 2 JuSchG unter 12 Jahren nicht freigegeben sei. Nach § 5 Abs. 4 S. 3 JMStV müsse in diesem Fall bei der Wahl der Sendezeit dem Wohl jüngerer Kinder Rechnung getragen werden, sofern eine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung im Sinne von § 5 Abs. 1 JMStV auf Kinder anzunehmen sei. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall, denn die Prüfentscheidung der FSF, die inhaltlich differenzierter sei als die der KJM, mache deutlich, dass keine potentielle entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung des Filmes anzunehmen sei. Die KJM € der selbst kein eigener Beurteilungsspielraum zukomme € könne nicht ihre eigene Bewertung über die der Selbstkontrolleinrichtung FSF stellen. Selbst wenn man € wie nicht € eine Sperrwirkung des § 20 Abs. 3 JMStV verneinen wollte, hätte die KJM die Bewertung der FSF als Gutachten eines Sachverständigengremiums jedenfalls inhaltlich dezidiert widerlegen müssen. Dies sei nicht geschehen; sie habe sich vielmehr darauf beschränkt, die lange Verfahrensdauer zu diskutieren.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 5. Januar 2007 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Der angegriffene Bescheid sei formell wie materiell rechtmäßig. Das in § 20 Abs. 3 JMStV vorgesehene Verfahren sei eingehalten worden, insbesondere habe dem Eingreifen der KJM die von der Klägerin vorgebrachte Sperrwirkung nicht entgegengestanden. Nach dem unzweideutigen Wortlaut des § 20 Abs. 3 JMStV bewirke die Befassung einer anerkannten Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle und die Beachtung von deren Vorgaben ausschließlich dann eine Sperrwirkung, wenn die Vorlage vor der Ausstrahlung der betreffenden Sendung erfolge. Diese Voraussetzung liege nicht vor, da die Klägerin den beanstandeten Spielfilm am 1. Januar 2004 ausgestrahlt und ihn erst am 2. Dezember 2004 von der FSF habe bewerten lassen. Die Ansicht der Klägerin, auch eine nachträgliche Vorlage hindere ein Einschreiten der Landesmedienanstalt durch die KJM, treffe nicht zu. Sie liege außerhalb der Grenze der zulässigen Norminterpretation, die durch umfassend ausgelegten Wortlaut gebildet werde. Bereits eine grammatikalische Auslegung führe hier zu einem eindeutigen Ergebnis: Schon rein sprachlich besage die Norm gerade das Gegenteil der klägerischen Auslegung. Nichts anderes ergebe sich aus den Gesetzesmaterialien; dort werde eindeutig klargestellt, dass es sich um eine Vorabkontrolle handele. So heiße es in der Begründung zum Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in die Rundfunk und Telemedien zu § 20 Abs. 3 JMStV: €S. 1 betrifft nur die Angebote, die zu einer Vorabkontrolle geeignet sind". Ausweislich der Begründung zu § 20 Abs. 5 JMStV sei es €Ziel (€), die Bereitschaft zu belohnen, sich einer anerkannten Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle anzuschließen und sich deren Entscheidungen und gegebenenfalls Sanktionen uneingeschränkt zu unterwerfen". Hätte die FSF lediglich die Funktion eines Instrumentes zur nachträglichen Verteidigung gegen Maßnahmen der KJM, so würde dieses Ziel nicht erreicht. Auch systematische Erwägungen stützten diese Auslegung: § 20 Abs. 3 S. 2 JMStV sehe ein gesondertes Verfahren für Sendungen vor, die nicht vorlagefähig seien. Bei diesen könne die Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle auch nachträglich befasst werden. Folge man der Ansicht der Klägerin, so wäre die differenzierende Regelung des § 20 Absatz 3 Sätze 1 und 2 des JMStV überflüssig, da die Unterscheidung zwischen vorlagefähigen und nicht vorlagefähigen Sendungen aufgehoben würde. Die von der Klägerin geforderte Gleichstellung von Spielfilmen wie dem vorliegend beanstandeten mit nicht vorlagefähigen Sendungen liege neben der Sache. Der Ausnahmetatbestand der Sendungen, die nicht vorlagefähig seien, weil es sich aus deren aktuellen Charakter ergebe, werde zur Regel erklärt. Ein solches Verständnis der Norm sei ferner nicht verfassungskonform. Der Staat könne im Rahmen der regulierten Selbstregulierung nur dann hoheitliche Aufgaben auf die gesellschaftliche Selbststeuerung übertragen, wenn er einen Rechtsrahmen mit einer Überwachungsstruktur schaffe, der die gesetzmäßige Erfüllung der übertragenen Aufgaben gewährleiste. Der Jugendmedienschutz sei eine solche Aufgabe, da ein staatlicher Schutzauftrag bestehe. Dieser folge aus Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG. Der Verfassungsrang des Jugendschutzes werde auch durch die Erwähnung in Art. 5 Abs. 2 GG deutlich. Die von der Klägerin vertretene Auslegung des § 20 Abs. 3 JMStV führte dazu, dass nahezu alle jugendschutzrelevanten Fernsehsendungen einer nur nachträglichen Kontrolle durch eine Selbstkontrolleeinrichtung zugeführt werden könnten. Es bestünde für die Veranstalter nicht der geringste Anreiz, sich an eine Selbstkontrolleeinrichtung zu wenden, bevor die KJM an sie herantrete. Somit wäre es weniger aufwändig, ein mögliches aufsichtsbehördliches Tätigwerden abzuwarten und sich dann nötigenfalls durch Befassung der FSF zu €verteidigen", als selbst tätig zu werden. Ein effektiver Jugendmedienschutz wäre damit nicht gewährleistet. Eine solche Interpretation würde nicht nur den Verfassungsauftrag des Jugendmedienschutzes missachten, sondern auch das Instrument der regulierten Selbstregulierung de facto abschaffen, weil Selbstregulierung dann praktisch nicht mehr stattfinde.

Auch eine teleologische Reduktion könne nicht zu einem anderen Ergebnis führen Ziel des § 20 Abs. 3 JMStV sei die Gewährleistung eines funktionierenden Systems der regulierten Selbstregulierung. Jugendschutzbestimmungen sollten auf eine für die Veranstalter möglichst schonende und gleichwohl effektive Weise durchgesetzt werden. Insofern handele es sich um zwei Gesetzeszwecke, die miteinander zu einem Ausgleich gebracht werden müssten. Aufgrund des ambivalenten Charakters des Normzwecks sei eine teleologische Reduktion hier schon grundsätzlich kaum denkbar. Jedenfalls aber stelle die klägerische Argumentation einseitig Veranstalterinteressen in den Vordergrund, ohne dabei dem Aspekt der Gewährleistung eines effektiven Jugendmedienschutzes ausreichend Rechnung zu tragen.

Eine solche Reduktion sei auch nicht aus Kostengründen geboten. Soweit die Klägerin vortrage, eine Vorlage aller Filmwerke mit FSK 12-Freigabe bei der FSF sei nicht finanzierbar, sei dies weder stichhaltig belegt, noch habe dies Einfluss auf das Verständnis des § 20 Abs. 3 JMStV. Durch die FSK-12-Einstufung erhielten die Veranstalter nämlich einen Anhaltspunkt dafür, dass der betreffende Film gerade nicht für das Tagesprogramm geeignet sei, und könnten sich entsprechend verhalten. Bei solchen Filmen seien sie gemäß § 5 Abs. 4 S. 3 JMStV verpflichtet, bei der Wahl der Sendezeit dem Wohl jüngerer Kinder Rechnung zu tragen. Sofern sie die Sendezeit ohnehin so wählten, dass jüngere Kinder nicht beeinträchtigt würden, müssten sie auch nicht sämtliche FSK 12-Spielfilme kostenaufwändig vorliegen.

Dass der hier in Rede stehende Film bereits zuvor unbeanstandet ausgestrahlt worden sei, sei ohne Einfluss auf die rechtliche Bewertung der Beanstandung. Die Medienaufsicht in Deutschland sei nicht auf eine lückenlose Kontrolle aller Inhalte ausgerichtet, die überdies auch völlig unmöglich wäre. Die Klägerin habe hier die Möglichkeit gehabt, sich durch Vorabvorlage Rechtssicherheit zu verschaffen; das diesbezügliche eigene Versäumnis der Klägerin begründe keinen Vertrauenstatbestand. Die Beanstandung oder die zu Grunde liegende Entscheidung wiesen auch keine Beurteilungs- oder Ermessensfehler auf. Der Klägervertreter weise selber daraufhin, dass eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gutachten der FSF erfolgt sei. Wie aus der Vorlage für die KJM vom 2. August 2006, aus den Antworten der Prüfer und nicht zuletzt aus Z. 5 des angegriffenen Bescheides hervorgehe, habe eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Argumenten des FSF-Gutachtens stattgefunden. Dieses habe die zuständige Referentin der Beklagten als vertretbar und nachvollziehbar eingestuft. Eine Bindung habe aber durch das Gutachten gerade nicht eintreten können. Die Frage, ob entwicklungsbeeinträchtigende Wirkungen zu befürchten seien, sei ohnehin auf der Tatbestandsseite der geprüften Norm zu verorten. Da die FSF vorab nicht befasst gewesen sei, habe die KJM in ihrer Eigenschaft als sachverständiges Gremium zu entscheiden gehabt. Insofern hätten die Mitglieder der KJM gerade ihre eigene Auffassung zu Grunde legen können. Eine Pflicht, unter den medienwissenschaftlich vertretbaren Auffassungen statt der eigenen die für den Veranstalter günstigste zugrundezulegen, bestehe nicht. Schließlich habe sich die KJM insgesamt mit allen auf der Ermessensebene relevanten Aspekten auseinandergesetzt. Insbesondere sei neben der Auseinandersetzung mit dem Vorliegen des abweichenden FSF-Gutachtens auch die erhebliche Verfahrensdauer berücksichtigt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakte sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge (2 Hefter) Bezug genommen.

Gründe

Die Anfechtungsklage ist gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO zulässig, denn das Widerspruchsverfahren gegen Entscheidungen der Beklagten ist nach § 7 Abs. 3 des Staatsvertrags über die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg im Bereich des Rundfunks in der Fassung vom 1. Januar 1999 (GVBl. S. 130) € MedienStV - ausgeschlossen.

Die angegriffene Beanstandung des Filmes €Brain X Change - Der Feind in meinem Körper€ mit Bescheid der Beklagten vom 5. Januar 2007 ist bereits formell rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO), da ihm ein nicht heilbarer absoluter Verfahrensfehler in Form eines Begründungsdefizits zugrundeliegt (dazu nachfolgend 3.).

1. Entgegen der Auffassung der Klägerin liegt allerdings kein Verfahrenshindernis nach § 20 Abs. 3 S.1 JMStV in Verbindung mit § 20 Abs. 1 JMStV (vgl. hierzu Kreile/Hartstein/Ring, RStV, 17. Auflage, § 20 JMStV, Rz.12) vor.

Nach dieser Norm besteht eine originäre Zuständigkeit der zuständigen Landesmedienanstalt für Aufsichtsmaßnahmen im Bereich des Jugendmedienschutzes gegen private Rundfunkveranstalter. Diese Aufsicht wird eingeschränkt, wenn der Veranstalter nachweist, dass er die von der KJM für beanstandungswürdig gehaltene Sendung vor ihrer Ausstrahlung einer anerkannten Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle im Sinne dieses Staatsvertrags - der FSF - vorgelegt und deren Vorgaben beachtet hat.

a) Der 1995 produzierte Film €Brain X Change - Der Feind in meinem Körper€ stand der Klägerin zweifelsfrei mit dem für eine Vorlage erforderlichen zeitlichen Vorlauf vor der Ausstrahlung zur Verfügung und war daher vorlagefähig; dementsprechend ist die auf nicht vorlagefähige Sendungen abstellende Regelung des § 20 Abs. 3 S. 2 JMStV schon tatbestandsmäßig nicht anwendbar.

b) Eine Einschränkung der Aufsichtsbefugnisse der Beklagten war vorliegend nach dem eindeutigen Wortlaut der hinsichtlich dieses Films anzuwendenden Vorschrift des § 20 Abs. 3 S. 1 JMStV nicht gegeben. €Vor" kann von seiner Wortbedeutung her nicht als €nach" interpretiert werden.

c) Auch nach Sinn und Zweck der Norm ist eine Auslegung im klägerischen Sinne nicht geboten: § 20 Abs. 3 JMStV stellt die praktische Umsetzung des mit dem JMStV erstmalig in der deutschen Medienlandschaft geregelten Konzeptes der €Regulierten Selbstregulierung€ dar. Dieses Konzept ist gekennzeichnet durch die Tatsache, dass der Staat seine sich aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verpflichtend ergebende Aufgabe zum Jugendschutz im Medienbereich der Steuerung durch gesellschaftliche Prozesse anvertraut, ohne seine Letztverantwortung aufzugeben. Es wertet die Selbstkontrolleinrichtungen, denen zuvor nur eine beratende Funktion zukam, auf und überträgt ihnen originär staatliche Aufgaben (vgl. hierzu Hartstein/Kreile/Ring/Dörr/Stettner, JMStV, 17 Aufl., § 19 Rz. 1). Die Norm steht daher im Spannungsverhältnis zwischen der verfassungsrechtlich verankerten Verpflichtung zur Gewährung effektiven Jugendschutzes einerseits und der sich aus Kunst- wie Pressefreiheit ergebenden Notwendigkeit der möglichst staatsfernen (BVerfGE 83, 130, 150) und damit zugleich anbieterschonenden Gestaltung von Aufsichtsmechanismen. Sie trägt beiden Interessen Rechnung durch eine verringerte Kontrolldichte und damit weitgehenden Schutz vor staatlichen Sanktionen durch die KJM als Organ der die staatliche Aufsicht ausübenden Landesmedienanstalt einerseits bei Inanspruchnahme der anerkannten Einrichtung der Selbstkontrolle für vorlagefähige Formate vor Ausstrahlung möglicherweise entwicklungsgefährdender Sendungen andererseits. Eine Erweiterung der Privilegierung auf Fälle der Begutachtung nach Beanstandung durch die KJM trotz Vorlagefähigkeit würde das empfindliche Gleichgewicht der Norm zulasten eines effektiven Jugendschutzes verlagern und damit stören. Es fehlte zudem auch, worauf die Beklagte zutreffend hinweist, an einem Anreiz für die Anbieter, sich einer Selbstkontrolleinrichtung anzuschließen (und damit auch einen Teil der Finanzierungslast für den Jugendschutz zu übernehmen) und sich deren Aufsicht zu unterwerfen. Eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Norm auf schon mehrfach unbeanstandet ausgestrahlte und nachträglich durch eine Selbstkontrolleinrichtung mit positivem Ergebnis begutachtete Sendungen - wie von der Klägerin angeregt - erscheint daher im Interesse effektiven Jugendschutzes nicht angezeigt. Zudem deutet gerade das von der Klägerin angesprochene Fehlen von Überleitungsregelungen von vor Inkrafttreten des JMStV durch die FSK für Kinder ab 12 Jahren freigegebener Filme darauf hin, dass deren Privilegierung in jugendschutzrechtlicher Hinsicht nicht beabsichtigt war. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang auf die große Menge zu überprüfender derartiger alter Filme und die dafür nicht ausreichende Kapazität der FSF sowie wirtschaftliche Erwägungen abstellt, ist mit der Beklagten darauf hinzuweisen, dass die Klägerin unproblematisch durch eine Programmierung zu zweifelsfreier Stunde € nach der Praxis der KJM für Kinder ab 12 Jahren freigegebene Filme also ab 20.00 Uhr - ohne Bemühung von FSF und weiteren finanziellen Aufwand Abhilfe schaffen kann und außerdem das verfassungsrechtliche Gebot des Jugendschutzes nicht aus schlicht wirtschaftlichen Gründen aufgegeben werden kann.

Da somit Wortlaut und Sinn des § 20 Abs. 3 S. 1 JMStV einer Erweiterung des Anwendungsbereichs der Norm auf den Fall nachträglicher Vorlage eines Gutachtens einer Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle entgegenstehen, kann weder die auf die beabsichtigte Weiterverwendung des Films abstellende Argumentation der Klägerin, noch das Berufen auf zuvor unbeanstandete Ausstrahlung unter Vertrauensschutzgesichtspunkten einen derartigen Auslegungsspielraum abseits des vom mit Verfassungsrang ausgestatteten Jugendschutz getragenen Selbstkontrollsystems eröffnen. Das führt jedoch nicht dazu, dass das vorliegende, im Anhörungsverfahren der KJM eingeholte Gutachten der FSF, mit dem ein Verstoß gegen § 5 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 JMStV durch die Ausstrahlung des Films im Tagesprogramm verneint wird, gegenstandslos wäre. Vielmehr hat die KJM dieses Gutachten als relevante sachverständige Äußerung bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen. Sie ist deswegen relevant, weil der FSF als anerkannte Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle im Rahmen des JMStV eine mit der KJM gleichwertige Sachkompetenz zukommt, sofern € wie vorliegend in der €Vorlage für KJM€ der Beklagten vom 2. August 2006 €die unterschiedlichen Bewertungen sind aus unserer Sicht beide akzeptabel€ bescheinigt € die FSF bei ihrer Bewertung die rechtlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums nicht überschritten hat.

2. Der Bescheid ist nicht schon deswegen formell fehlerhaft, weil an ihm Personen mitgewirkt haben, die nach Auffassung der Klägerin befangen waren.

Gegen die Prüfer des 7. Prüfausschusses hatte die Klägerin im Rahmen der Anhörung am 8. Februar 2005 Befangenheitsanträge nach § 21 Abs. 2 VwVfG gestellt. Mit Blick auf das im Schreiben vom 8. Februar 2005 erwähnte €KJM-Rundschreiben vom 18. Oktober 2004€ dürfte dieser Antrag - entgegen dem Wortlaut - mit der Vorbe-fassung des 7. Prüfausschusses vor Anhörung der Klägerin begründet worden sein.

Über diese Befangenheitsanträge hat die KJM nicht entschieden; sie haben sich auch nicht durch die weitere Befassung eines anderen, des 28. Prüfausschusses erledigt, denn an der maßgeblichen Beschlussfassung der KJM auf deren Präsenzsitzung am 28. November 2006 haben alle Mitglieder der KJM, also auch die Mitglieder des 7. Prüfausschusses, teilgenommen. Eine Entscheidung der KJM konnte auch nicht durch die nachträgliche Entscheidung im angegriffenen Bescheid durch den Direktor der Beklagten ersetzt werden. Denn sie liegt nicht in dessen Zuständigkeit; vielmehr ist sie € entsprechend § 20 Abs. 4 S. 2 VwVfG € durch die KJM selbst zu treffen.

Jedoch bedarf es einer solchen Entscheidung dann nicht, wenn ganz offensichtlich ein Ausschlussgrund nicht gegeben ist (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 20 Rz. 51). So liegt es hier. Denn eine Sachbefassung vor Verfahrensabschluss stellt keinen Befangenheitsgrund dar (Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 21 Rz.18).

Die Tätigkeit des 7. Prüfausschusses war noch nicht auf eine Entscheidung in der Sache gerichtet, sondern nur auf eine Vorentscheidung, ob das Aufsichtsverfahren mit der erforderlichen Anhörung der Klägerin fortgesetzt werden soll. Weshalb in diesem Verfahrensstadium, in dem vor einer Entscheidung über das Vorliegen eines Verstoßes gegen § 5 Abs. 1 JMStV zunächst die Anhörung der Klägerin im Raume stand, ein Prüfausschuss, der nach § 14 Abs. 5 JMStV ein Entscheidungsgremium ist, mit der € begründeten - Vorlage der Prüfgruppe der KJM vom 7./8. Juli 2004 befasst wurde und die Anhörung der Klägerin nicht bereits aufgrund dieser Vorlage erfolgte, erschließt sich zwar nicht, stellt aber € weil noch eine Vorstufe zur späteren Entscheidung darstellend € jedenfalls keinen Verfahrensfehler dar. Die wiederholte Befassung eines Mitglieds der KJM innerhalb desselben Verwaltungsverfahrens, zunächst zur Vorbereitung einer Entscheidung und im weiteren Verlauf zur Entscheidung ist kein Ablehnungsgrund im Sinne von § 21 VwVfG. Das Problem der €Vorbefassung€ stellt sich erst dann, wenn eine bereits getroffene Entscheidung durch denselben Amtsträger nochmals geprüft werden soll; vorliegend ähnelt die Sachlage vielmehr dem verfahrensrechtlich unproblematischen Normalfall, in dem der Sachbearbeiter den Betroffenen zunächst zu der beabsichtigten Entscheidung anhört und nach Eingang der Stellungnahme dann die Entscheidung trifft.

3. Der beanstandete Bescheid erweist sich jedoch wegen eines Begründungsmangels als nicht heilbar rechtswidrig und ist wegen dieses absoluten Verfahrensfehlers aufzuheben.

Die Entscheidung der KJM auf ihrer insoweit allein maßgeblichen 36. Sitzung in Erfurt am 28. November 2006 ist nicht hinreichend begründet worden.

45Maßstab ist insofern zwar nicht § 39 VwVfG, da der Entscheidung der KJM mangels Außenwirkung keine Verwaltungsaktsqualität zukommt. Jedoch statuiert § 17 Abs. 1 S. 3 JMStV die Verpflichtung der KJM, ihre Beschlüsse zu begründen. Diese wurzelt in der Tatsache, dass die Beschlüsse der KJM für die anderen Organe der jeweiligen Landesmedienanstalt bindend sind (S.5) und in die Begründung des ausführenden Verwaltungsakt der jeweiligen Landesmedienanstalt übernommen werden müssen (Held in: Beck€scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 2 Aufl. 2008, § 17 Rz. 10). In der Begründung sind nach S. 4 der Norm die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe für die Entscheidung mitzuteilen, was im Umfang der in § 39 Abs. 1 S. 2 VwVfG niedergelegten Verpflichtung entspricht (Held, a.a.O., Rz. 11).

Diesen Erfordernissen ist mit der Begründung des Beschlusses der KMJ, wie sich aus dem Protokoll der Sitzung der vom 28. November 2006 ergibt, nicht Genüge getan. Insofern heißt es dort: "Die Mitglieder diskutieren den Fall im Hinblick auf die äußerst lange Verfahrensdauer. Sie kommen mit einem Abstimmungsverhältnis von 8:0:1 zu dem Ergebnis, dass an der inhaltlichen Bewertung der Prüfgruppe festzuhalten ist: Die Ausstrahlung des Films stellt einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 S. 3 dar und ist zu beanstanden."

Diese Protokollnotiz lässt zum einen schon die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung vermissen. Sie enthält keinerlei Hinweise, welche Unterlagen - und ggf. Augenscheinsobjekte - den Mitgliedern der KJM vorlagen. Es ist davon auszugehen, dass im vorhergegangenen Umlaufverfahren unter Beteiligung aller Mitglieder der KJM nach § 16 Abs. 6 S. 3 GVO-KJM, in dessen Verlauf die zurückgesendeten Faxantworten den vorgegebenen Satz: € Ich stimme der Beschlussempfehlung der MABB zu€ enthielten, den Mitgliedern der KJM zumindest diese Beschlussempfehlung zugänglich gemacht worden war. Ob sie jedoch € über die wertende Zusammenstellung in der genannten Vorlage der Beklagten hinaus € Zugang zum vollständigen Gutachten der FSF und zu dem in Rede stehenden Film hatten, lässt sich aus dem Sitzungsprotokoll nicht entnehmen.

Weiter bleibt das Protokoll die eigentliche Begründungsarbeit in rechtlicher Hinsicht schuldig. Die rechtlich maßgebliche Antwort auf die Frage, inwiefern der Film einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 S. 3 JMStV darstellt, ist in ihr nicht enthalten. Sie ergibt sich auch nicht aus der Bezugnahme auf die inhaltliche Bewertung der Prüfgruppe vom 7./8. Juli 2004 und den Satz, dass an dieser €festzuhalten€ sei. Zwar dürfte diese Bezugnahme hinreichend bestimmt und damit geeignet sein, sich die inhaltlichen Wertungen der Prüfgruppenentscheidung vom 7./8. Juli 2004 zu eigen zu machen; jedoch lag diese Bewertung vor der Erstellung des FSF-Gutachtens und konnte sich daher mit diesem nicht auseinandersetzen. Mit dem Wort €festzuhalten€ mag zwar im Kontext des Verfahrensganges indiziert sein, dass das Vorliegen des FSF- Gutachtens in die Entscheidungsfindung eingeflossen ist. Mit Blick auf die Vorlage der Beklagten vom 2. August 2006, die das FSF-Gutachten als €akzeptabel€ bezeichnet und zu den unterschiedlichen Bewertungen durch Prüfgruppe und FSF ausführt, dass sie €verschiedene Ansätze zur Bewertung jugendschutzrelevanter Sachverhalte und die Bandbreite des Beurteilungsspielraumes€ zeigten, genügt ein einfaches €Festhalten€ den Anforderungen an eine Begründung jedoch nicht. Eine Begründung muss die Frage nach dem €Warum€ einer Entscheidung beantworten. Insbesondere mit Blick auf die Stellung der FSF als sachverständiges Gremium hätte es hier einer differenzierteren und vertieften Auseinandersetzung mit der Begründung des FSF-Gutachtens bedurft (etwa zur Frage der Identifikationsmöglichkeiten von Zuschauern im Alter unter zwölf Jahren, zur Frage, ob wirklich jede Episode im Film positiv abschließt und der Spannungsbogen durch die kurzzeitigen episodischen Aufhellungen tatsächlich aufgehoben war, etc), um darzulegen, warum entgegen den im FSF-Gutachten aufgeführten Gründen nach Meinung der KJM der Film eine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung auf jüngere Kinder entfalten kann. Hiervon war die KJM auch nicht wegen der fehlenden privilegierenden Wirkung nach § 20 Abs. 3 S. 1 JMStV entbunden. Im Gegenteil wurde ihr durch die fehlende Privilegierung - zum einen - erst die vertiefte inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gutachten ermöglicht, wozu sie sie dann aber - zum anderen - auch verpflichtet war.

49Der Direktor der Beklagten hat als zuständiges Vertretungsorgan der Beklagten (§§ 7 Abs. 2 S. 1, 14 Abs. 1 MedienStV) im Rahmen des § 20 Abs. 2 JMStV dann nur noch die Aufgabe, die von der KJM getroffene begründete Entscheidung dem betroffenen Rundfunkveranstalter zu übermitteln, damit diese als Verwaltungsakt gegenüber dem betroffenen Rundfunkveranstalter vollziehbar und bindend werden kann. Ihm steht € wie aus der Bindungswirkung der nach dem Gesetz zwingend zu begründenden Beschlüsse der KJM (§ 17 Abs. 1 S. 3 und 4 JMStV) deutlich wird € jedoch nicht die Befugnis zu, die von der KJM getroffene Entscheidung inhaltlich zu verändern oder gar die erforderliche Begründung selbst abzugeben. Da die KJM auf ihrer 36. Sitzung am 28. November 2006 in Erfurt € wie bereits ausgeführt - keine Begründung für ihre Zustimmung zur Beschlussempfehlung der Beklagten abgegeben hat, stellt sich die formale Begründung € und dabei insbesondere die in der Begründung des Bescheides vorgenommene Auseinandersetzung mit der Bewertung durch die FSF - des angefochtenen Bescheides somit als kompetenzwidrig durch den Direktor der Beklagten als Verfasser des Bescheides gefertigt dar. Mit Blick auf den schon erwähnten Begründungsmangel kann dahinstehen, ob bereits eine derartige kompetenzwidrige Abfassung der Begründung des Bescheides durch den ausfertigenden Direktor der Beklagten einen weiteren, zur Rechtswidrigkeit des Bescheides führenden Verfahrensfehler darstellt. Gleiches gilt für einen weiteren möglichen Verfahrensfehler, der darin liegt, dass im Tenor des angefochtenen Bescheides die zwingende Rechtsfolge des von der KJM bindend entschiedenen Verstoßes gegen § 5 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 JMStV nur unzureichend umgesetzt worden ist: Die nach § 20 Abs. 2 JMStV bei einem derartigen Verstoß gegen Bestimmungen des JMStV anzuwendende landesrechtliche Aufsichtsmaßnahme ist § 58 Abs. 1 MedienStV; nach dieser Vorschrift ist jedoch nicht nur eine (feststellende) Beanstandung auszusprechen, sondern € was vorliegend unterlassen wurde - zwingend (€und€) unter Hinweis auf die möglichen Folgen einer Nichtbeachtung der Anordnung eine Aufforderung auszusprechen, den Verstoß zu beheben und künftig zu unterlassen. Dabei ist gerade in Fällen wie dem vorliegenden der Ausspruch einer Unterlassungsverfügung notwendig, weil sonst der Rundfunkveranstalter sich bei einer Wiederholung der beanstandeten Sendung auf die Privilegierung (§ 20 Abs. 3 S. 1 JMStV) durch das nunmehr vor der Wiederholung der Ausstrahlung eingeholte FSF-Gutachten berufen könnte. Da die Rechtsfolge des vom Prüfausschuss der KJM festgestellten Verstoßes gegen § 5 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 JMStV gemäß § 20 Abs. 2 JMStV i.V.m. § 58 Abs. 1 MedienStV zwingend neben einer Beanstandung weitergehende Maßnahmen vorsieht, nämlich neben der vorliegend wegen der erfolgten Ausstrahlung des beanstandeten Films nicht mehr möglichen Behebung des Verstoßes die Unterlassung eines künftigen Verstoßes, und sowohl die KJM als auch der Direktor der Beklagten als Organe der zuständigen Aufsichtsbehörde an diese zwingende Rechtsaufsichtsmaßnahme gebunden ist, kann dahinstehen, ob der KJM nach § 20 Abs. 2 JMStV auch die Entscheidung über die zu treffende Aufsichtsmaßnahme € und nicht nur die jugendschutzrechtliche Beurteilung des ausgestrahlten Films (vgl. § 16 S. 1 JMStV) € obliegt.

Der bereits im Fehlen einer von der KJM auf ihrer 36. Sitzung am 28. November 2006 in Erfurt abgegebenen Begründung ihre Entscheidung liegende Verfahrensmangel ist weder nach § 45 VwVfG heilbar, da das Verfahren bei der KJM mit der genannten Plenarentscheidung der KJM abgeschlossen ist und die KJM als Organ der Beklagten im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren nicht beteiligt ist, noch ist er nach § 46 VwVfG unbeachtlich. Denn § 46 VwVfG findet keine Anwendung auf absolute Verfahrensfehler (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., RdNr. 18 zu § 46). Um einen solchen absoluten Verfahrensfehler handelt es sich vorliegend, weil der Gesetzgeber einerseits die Entscheidungskompetenz für die abschließende Beurteilung von Angeboten nach dem JMStV (§ 16 S. 1 JMStV) der KJM als schon nach ihrer gesetzlichen Besetzung mit besonderem Sachverstand ausgestattetem Gremium übertragen hat, so dass nicht nur die von diesem Gremium getroffene Entscheidung, sondern auch die vom Gesetz verlangte Begründung dieser Entscheidung unvertretbar ist und andererseits nach der Konzeption des JMStV die KJM nur verwaltungsintern als Organ der jeweils zuständigen Landesmedienanstalt, jedoch nicht als Verfahrensbeteiligter im Sinne des § 13 VwVfG tätig wird. Damit ist das Vorliegen einer vom Entscheidungsgremium € also der KJM oder des an ihrer Stelle entscheidenden Prüfausschusses € stammenden Begründung essentiell für die Rechtmäßigkeit einer von der jeweiligen Landesmedienanstalt erlassenen Aufsichtsmaßnahme nach dem JMStV, ohne dass letztere auf das Verfahren der KJM Einfluss nehmen kann.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Vollstreckbarkeitsentscheidung aus § 167 Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 11 ZPO.






VG Berlin:
Urteil v. 03.05.2012
Az: 27 A 19.07


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/64b0366eedc3/VG-Berlin_Urteil_vom_3-Mai-2012_Az_27-A-1907




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