Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 28. Juli 2009
Aktenzeichen: X ZR 153/04
(BGH: Beschluss v. 28.07.2009, Az.: X ZR 153/04)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, Aktenzeichen X ZR 153/04, bezieht sich auf die Wertfestsetzung eines Nichtigkeitsberufungsverfahrens. In dem Verfahren hat die Beklagte die Klägerin wegen Verletzung eines Streitpatents verklagt und eine Schadensersatzforderung in Höhe von 32.672.592 € geltend gemacht. Das Verfahren wurde ausgesetzt, da das Nichtigkeitsverfahren bereits abgeschlossen war. Der Bundesgerichtshof hat nun den Wert des Nichtigkeitsberufungsverfahrens auf 30.000.000 € festgesetzt.
Die Klägerin ist der Meinung, dass ein Wert von 2.500.000 € ausreicht, den auch das Bundespatentgericht erstinstanzlich festgesetzt hat. Sie argumentiert, dass die Schadensersatzforderung der Beklagten reduziert werden müsse, da das Oberlandesgericht im Verletzungsverfahren zu Unrecht eine unmittelbare Patentverletzung statt einer möglichen mittelbaren Verletzung angenommen habe. Außerdem seien 80 % der Lieferungen ins Ausland erfolgt, wodurch keine schadensbegründende Handlung vorliege. Die Beklagte habe zudem nicht erstattungsfähige Positionen in ihre Schadensberechnung aufgenommen, was den Gewinn der Klägerin auf unter 12.500.000 € reduziere. Außerdem stehe dieser Gewinn nicht in vollem Umfang in Zusammenhang mit der behaupteten Patentverletzung, sondern nur zu etwa 10 %. Daher liege der Verletzergewinn sogar deutlich unter dem erstinstanzlich festgesetzten Streitwert.
Die Beklagte schlägt vor, den Streitwert auf 2.500.000 € festzusetzen. Obwohl nach bisheriger Rechtsprechung auch ein Streitwert in der Größenordnung der Schadensersatzforderung vertretbar wäre, müsse jedoch vermieden werden, dass dies eine prohibitve Wirkung für das Patentnichtigkeitsverfahren habe.
Das Gericht bestätigt, dass der Wert der Klage von den bis dahin entstandenen Schadensersatzforderungen und dem Wert des Patents bei Klageeinreichung abhängt. Wenn es zu diesem Zeitpunkt noch keine abschließende gerichtliche Entscheidung über die Höhe des Schadens gibt, ist es angemessen, den bezifferten Betrag der Schadensersatzforderung in die Wertbestimmung einzubeziehen. Der Wert der Klageforderung zeigt das Interesse des Klägers an der Vernichtung des Patents. Daher wäre eine abweichende Festlegung des Schadensersatzbetrags ohne sachlichen Bezug.
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass in diesem Fall eine andere Bewertung erforderlich wäre. Das Argument der Klägerin, dass der Schadensersatzprozess nicht zu dem beantragten Betrag führen werde, betrifft nur die Berechtigung der Forderung und muss im Patentverletzungsprozess geklärt werden. Auch der Vorwurf der Klägerin, die Beklagte habe einen unrealistischen Wert eingeklagt, ist nicht gerechtfertigt. Aufgrund der Vorschusspflichten, die mit einem hohen Betrag verbunden sind, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte unsachliche Beweggründe hatte.
In Anbetracht der Bestimmungen des Patentgesetzes und des Gerichtskostengesetzes besteht kein verfassungsrechtliches Problem bei der Festsetzung des Streitwerts auf den vollen Betrag der Schadensersatzklage. Die Kappungsgrenze von 30.000.000 € ist jedoch zu berücksichtigen. Daher wird der Wert des Nichtigkeitsberufungsverfahrens auf diesen Betrag festgesetzt. Der gemeine Wert des Patents in der Zeit von der Einlegung der Berufung bis zum Ablauf der Schutzdauer ist nicht mehr relevant.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs bestätigt somit den Wert des Nichtigkeitsberufungsverfahrens auf 30.000.000 €, basierend auf der Schadensersatzforderung der Beklagten.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BGH: Beschluss v. 28.07.2009, Az: X ZR 153/04
Tenor
Der Wert des Gegenstands des Nichtigkeitsberufungsverfahrens wird auf 30.000.000 € festgesetzt.
Gründe
I. Die Beklagte hat wegen Verletzung des Streitpatents Klage erhoben, die u.a. eine auf 32.672.592 € bezifferte Schadensersatzforderung zum Gegenstand hat. Der Verletzungsprozess ist mit Blick auf das inzwischen abgeschlossene Nichtigkeitsverfahren ausgesetzt worden. Der Senat hat den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme zur Wertfestsetzung gegeben.
Die Klägerin hält lediglich den Wert von 2.500.000 € für angemessen, den auch das Bundespatentgericht erstinstanzlich festgesetzt hat. Sie macht geltend, von der Schadensersatzforderung der Beklagten seien schon deshalb erhebliche Abstriche zu machen, weil das Oberlandesgericht im Verletzungsverfahren zu Unrecht eine unmittelbare Patentverletzung anstatt der allenfalls vorliegenden mittelbaren angenommen habe, wobei zudem 80 % der Lieferungen in das Ausland erfolgt seien und insoweit keine schadensbegründende Handlung vorliege. Des Weiteren habe die Beklagte ihrer Schadensberechnung auch nicht berücksichtigungsfähige Umsätze zugrunde gelegt und dort in großem Umfang nicht erstattungsfähige Positionen eingestellt, insbesondere Kosten für Entwicklung/Konstruktion sowie Herstellung und Vertrieb. Der Gewinn der Klägerin reduziere sich schon deshalb auf unter 12.500.000 €. Dieser Gewinn stehe aber nicht in vollem Umfang in ursächlichem Zusammenhang mit der ihr vorgeworfenen Patentverletzung, sondern schätzungsweise nur in Höhe von 10 %, so dass der Verletzergewinn sogar deutlich unter dem erstinstanzlich festgesetzten Streitwert liege.
Die Beklagte regt an, den Streitwert auf 2.500.000 € festzusetzen. Zwar sei nach den Grundsätzen der bisherigen Rechtsprechung auch ein Streitwert in der Größenordnung des Betrags der Schadensersatzklage gut vertretbar, jedoch müsse auch mit Blick auf den Popularklagencharakter des Patentnichtigkeitsverfahrens vermieden werden, dass von der Wertfestsetzung eine prohibitive Wirkung ausgehe.
II. Das Prozessgericht hat den Wert für die zu erhebenden Gebühren festzusetzen, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht (§ 63 Abs. 2 Satz 1 GKG). Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt, nachdem das Nichtigkeitsberufungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist.
Der Wert des Gegenstands des Nichtigkeitsverfahrens ist nach § 51 GKG nach billigem Ermessen zu bestimmen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind dafür im Allgemeinen der Betrag der bis dahin entstandenen Schadensersatzforderungen und der gemeine Wert des Patents bei Erhebung der Klage bzw. bei Einlegung der Berufung maßgeblich (Sen.Beschl. v. 11.10.1956 - I ZR 28/55, GRUR 1957, 79; vgl. auch Beschl. v. 17.12.1963 - I ZR 146/59, Mitt. 1963, 60 und Beschl. v. 7.11.2006 - X ZR 138/04, GRUR 2007, 175 - Sachverständigenentschädigung IV).
Ist zu diesem Zeitpunkt über die streitige Höhe des wegen Verletzung des Streitpatents bereits entstandenen Schadens noch keine abschließende gerichtliche Entscheidung ergangen, entspricht es regelmäßig billigem Ermessen, den bezifferten Betrag der Schadensersatzforderung in voller Höhe in die Wertbestimmung einzustellen. Gegenstand des Verfahrens zur Wertfestsetzung im Rahmen eines im Allgemeininteresse liegenden Verfahrens auf Nichtigerklärung eines Patents ist nicht die gegebenenfalls im Wege gesetzlich zulässiger Schätzung vorzunehmende Ermittlung der durch die unerlaubte Benutzung der patentierten Lehre entstandenen Schadensersatzansprüche. Das ist den Verletzungsgerichten im Rahmen eines Patentverletzungsprozesses vorbehalten. Dementsprechend gehen auch beide Parteien in ihren Stellungnahmen zu der Frage des Streitwerts für das Nichtigkeitsberufungsverfahren übereinstimmend davon aus, dass es nicht Aufgabe des Senats ist, zum Zwecke der Wertfestsetzung eine konkrete Schadensermittlung vorzunehmen. Dann aber ist Klagesumme der bezifferten Schadensersatzforderung regelmäßig der insoweit einzige substanzielle Anhaltspunkt für die Wertbestimmung. Der Wert der Klageforderung erlaubt - abgesehen davon, dass der Zahlbetrag das betragsmäßige Interesse des Beklagten an der Schadensersatzklage darstellt - objektiv, von einem mindestens entsprechenden Interesse des Klägers auszugehen, weil mit der erstrebten Vernichtung des Streitpatents der Patentverletzungsklage die Grundlage entzogen werden soll. Angesichts dessen wäre jede von dem mittels Klage bezifferten Schadensersatzbetrag abweichende Festlegung einer bereits entstandenen Schadensersatzforderung im Rahmen der Streitwertbestimmung regelmäßig ohne sachlichen Bezug.
Es ist nicht ersichtlich und auch nicht dargetan, dass hier ausnahmsweise eine andere Wertung geboten sein könnte. Das Argument der Klägerin, angesichts der geltend gemachten Mängel der Berechnung der eingeklagten Schadensersatzforderung durch die Beklagte könne und werde der Schadenersatzprozess bei weitem nicht zu dem beantragten Verurteilungsbetrag führen, betrifft lediglich die Frage der Berechtigung der Schadensersatzforderung, die nach dem Vorgesagten ausschließlich im Patentverletzungsprozess zu klären ist. Auch der erhobene Vorwurf, die Beklagte habe einen völlig unrealistischen "Phantasiewert" eingeklagt, kann daher nicht als berechtigt erkannt werden. Angesichts der Vorschusspflichten, die der eingeklagte außerordentlich hohe Betrag für die Beklagte mit sich gebracht hat, kann abgesehen davon jedenfalls hier nicht angenommen werden, dass die Beklagte sich von Beweggründen hat leiten lassen, die auch im Streitwertfestsetzungsverfahren keine Beachtung verdienen.
In Anbetracht der Regelung in § 144 PatG, § 51 Abs. 2 GKG erfordert schließlich eine andere Entscheidung auch nicht der in der Stellungnahme der Beklagten anklingende Gesichtspunkt, wenn der Streitwert für das Nichtigkeitsverfahren unter Berücksichtigung des vollen Betrags einer hohen Schadensersatzklage festgesetzt werde, könne womöglich das verfassungsmäßige Recht auf Zugang zu den Gerichten betroffen sein. Durch die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, auf gesonderten Antrag gegebenenfalls nach einem herabgesetzten Streitwert (Teilstreitwert) eine gerichtliche Entscheidung über den Bestand eines Patents zu erlangen, ist gewährleistet, nicht wegen eines auf Grund einer bezifferten Schadensersatzklage festzusetzenden Streitwerts und der deshalb drohenden Kosten von der Nichtigkeitsklage Abstand nehmen zu müssen, die als Reaktion auf die Patentverletzungsklage für geboten erachtet wird.
Da die Klagesumme im Verletzungsprozess vorliegend über 32.000.000 € beträgt, ist allerdings die - bereits zur maßgeblichen Zeit der Einlegung des Rechtsmittels (§ 40 GKG) geltende - Kappungsgrenze von 30.000.000 € (§ 39 Abs. 2 GKG a.F.) zu berücksichtigen. Deshalb ist der Wert des Nichtigkeitsberufungsverfahrens in dieser Höhe festzusetzen. Auf den an sich additiv zu berücksichtigenden gemeinen Wert des Streitpatents in der Zeit von der Berufungseinlegung bis zum Ablauf der Schutzdauer kommt es danach nicht mehr an.
Scharen Asendorf Gröning Berger Grabinski Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 21.07.2004 - 4 Ni 17/03 (EU) -
BGH:
Beschluss v. 28.07.2009
Az: X ZR 153/04
Link zum Urteil:
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