Landgericht Hamburg:
Urteil vom 27. Februar 2009
Aktenzeichen: 324 O 703/08

(LG Hamburg: Urteil v. 27.02.2009, Az.: 324 O 703/08)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Landgericht Hamburg hat mit Urteil vom 27. Februar 2009 (Aktenzeichen 324 O 703/08) entschieden, dass die Beklagte verurteilt wird, es zu unterlassen, ein Foto des Klägers zu veröffentlichen, zu verbreiten oder veröffentlichen oder verbreiten zu lassen. Das Foto wurde in der Zeitung "B" abgebildet, und zwar in einem Artikel mit der Überschrift "Die Geisel der Killer-Schüler - Schwächeanfall vor Gericht". Die Beklagte muss bei Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld zahlen oder für den Fall, dass dies nicht beigetrieben werden kann, für eine bestimmte Zeit in Haft genommen werden. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, allerdings muss die Beklagte eine Sicherheitsleistung erbringen.

Der Kläger, ein jugendlicher Straftäter, wurde wegen zweifachen Mordes und Geiselnahme zu einer Jugendstrafe verurteilt. In einem Artikel über das Strafverfahren wurde in der Zeitung ein Foto des Klägers abgedruckt, bei dem seine Augen mit einem Balken verdeckt wurden. Der Kläger argumentiert, dass sein Recht am eigenen Bild durch die Veröffentlichung des Fotos verletzt wird und dass sein Resozialisierungsinteresse nicht durch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit aufgewogen wird. Das Foto habe wenig Informationswert, da es keine Rückschlüsse auf das Verhalten des Klägers bei oder nach der Tat zulasse.

Das Gericht entschied jedoch, dass das Veröffentlichungsinteresse der Zeitung hinter dem Anonymitätsinteresse des Klägers zurückstehen muss. Die besondere Schutzbedürftigkeit jugendlicher Straftäter und ihr Recht auf Anonymität haben weiterhin Gültigkeit, auch wenn der Kläger inzwischen volljährig ist. Die Tat des Klägers war sehr schwerwiegend, aber das Foto hatte nur einen geringen Informationswert. Das Gericht kam daher zu dem Schluss, dass das Interesse des Klägers, nicht identifizierbar abgebildet zu werden, das Informationsinteresse der Zeitung überwiegt.

Da die Wiederholungsgefahr durch die rechtswidrige Erstberichterstattung indiziert ist und die Beklagte keine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben hat, wurde die Beklagte zur Unterlassung des Fotos verurteilt. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte, und das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Streitwert wurde auf 25.000 Euro festgesetzt.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

LG Hamburg: Urteil v. 27.02.2009, Az: 324 O 703/08


Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens € 250.000,00, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre),

zu unterlassen,

das den Kläger zeigende Foto zu veröffentlichen, zu verbreiten und/oder veröffentlichen oder verbreiten zu lassen, das in der B. vom 23. Juni 2007 auf Seite 3 im Rahmen eines Artikels mit der Überschrift €Die Geisel der Killer-Schüler € Schwächeanfall vor Gericht€ abgebildet war.

II. Die Kosten des Verfahrens fallen der Beklagten zur Last.

III. Das Urteil ist hinsichtlich Ziffer I. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 25.000,- und hinsichtlich Ziffer II. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Veröffentlichung eines ihn zeigenden Fotos in der von der Beklagten verlegten Tageszeitung B..

Der am 14.07.1989 geborene Kläger tötete am 13.01.2007 in T. gemeinsam mit einem Mittäter ein Ehepaar und flüchtete sodann mit einem fünfzehn Jahre alten Mädchen als Geisel. Er wurde noch am selben Tag festgenommen und am 12.07.2007 von dem Landgericht Schwerin wegen tateinheitlich begangenen zweifachen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge sowie wegen Geiselnahme zu einer Jugendstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Tat und das Strafverfahren sorgten für erhebliches Aufsehen in der Öffentlichkeit und waren Gegenstand einer umfangreichen bundesweiten Berichterstattung in den Medien.

Aus Anlass der Vernehmung des von den Tätern als Geisel genommenen Mädchens als Zeugin berichtete die Beklagte in der B. (Regionalausgabe Mecklenburg-Vorpommern) vom 23.06.2007 auf Seite 3 unter dem Titel €Die Geisel der Killer-Schüler - Schwächeanfall vor Gericht€ über das Strafverfahren vor dem Landgericht Schwerin. Dabei druckte sie ein den Kläger nach seiner Festnahme im Einsatzfahrzeug der Polizei zeigendes Foto ab, wobei seine Augenpartie mit einem schwarzen Balken abgedeckt war. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die als Anlage K2 in Kopie zur Akte gereichte Berichterstattung Bezug genommen.

Der Kläger erwirkte gegen die Beklagte wegen der streitgegenständlichen Fotoveröffentlichung am 16.7.2007 eine einstweilige Verfügung der Kammer (Az. 324 O 636/07), die auf den Widerspruch der Beklagten mit Urteil vom 20.11.2007 bestätigt wurde. Die hier gegen eingelegte Berufung der Beklagten wies das Hanseatische Oberlandesgericht mit Urteil vom 17.6.2008 ( Az. 7 U 35/08) zurück. Die Beklagte ließ dem Kläger eine Frist zur Erhebung der Hauptsacheklage setzen.

Der Kläger meint, die mit der Veröffentlichung seines Fotos einhergehende Beeinträchtigung seiner Rechte, insbesondere die erhebliche Beeinträchtigung seines Resozialisierungsinteresses, werde nicht durch ein legitimes Informationsbedürfnisses aufgewogen. In Bezug auf Jugendliche sei anerkannt, dass selbst dann, wenn sie Kapitalverbrechen verübt haben, wegen des besonderen Resozialisierungsbedürfnisses eine identifizierbar machende Berichterstattung unter Bildnisveröffentlichung und / oder Namensnennung grundsätzlich zu unterbleiben habe. Zum Zeitpunkt der Straftat sei er Jungendlicher gewesen, auf diesen Zeitpunkt sei im Rahmen der Interessenabwägung abzustellen.

Der Informationswert des streitgegenständlichen Fotos sei gering, da es über das Verhalten des Klägers bei oder nach der Tat keinen Aufschluss gebe.

Der Kläger beantragt,

der Beklagten bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzellfall höchstens 250.000,-; Ordnunghaft insgesamt höchstens zwei Jahre),

zu verbieten,

das den Kläger zeigende Foto zu veröffentlichen, zu verbreiten und / oder veröffentlichen oder verbreiten zu lassen, das in der B. vom 23. Juni 2007 auf Seite 3 im Rahmen eines Artikels mit der Überschrift €Die Geisel der Killer-Schüler € Schwächeanfall vor Gericht€ abgebildet war.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte meint, an der Tat des Klägers und an seiner Person bestünde ein überragendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Der Minderjährigenschutz sei der einzige Gesichtspunkt, den der Kläger dem überragenden Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Verbreitung seines Bildnisses entgegenhalten könne. Die Minderjährigkeit zum Zeitpunkt der Tat sei aber nur einer der in die Interessenabwägung gemäß § 23 Abs.2 KUG einzustellenden Gesichtspunkte. Die Berichterstattung über die Taten jugendlicher Straftäter sei nicht generell unzulässig. Sinn und Zweck des § 48 JGG sei nicht in erster Linie das aus seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht fließende Anonymitätsinteresse des Angeklagten, die Bestimmung habe vielmehr eine erzieherische Zielsetzung. Hinzu komme, dass der Kläger mittlerweile € unstreitig - volljährig ist. Im Rahmen des zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs sei aber maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für das Bestehen oder Nichtbestehens des Anspruchs die letzte mündliche Verhandlung. Nach der Rechtsprechung ende der besondere Schutz für Kinder und Jugendliche mit dem Eintritt ihrer Volljährigkeit (vgl. BGH NJW 2005, 56, 58).

Das streitgegenständliche Foto vermittle den Eindruck eines fast apathischen, geistesabwesenden Menschen, das mache den zeitgeschichtlichen Inhalt des Fotos aus.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

I. Die zulässige Klage ist begründet.

Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß §§ 823 Abs.2, 1004 Abs.1 S.2 BGB analog i.V.m. §§ 22, 23 Abs.2 KUG zu. Die streitgegenständliche Bildnisveröffentlichung verletzt den Kläger bei bestehender Wiederholungsgefahr in seinem Recht am eigenen Bild.

a) Die Kammer hat im Rahmen des Verfahrens der einstweiligen Verfügung (Az. 324 O 636/07), dem ebenfalls die hier angegriffene Fotoveröffentlichung zu Grunde lag, zur Frage der Verletzung des Rechts am eigenen Bild ausgeführt:

Bei dem streitgegenständlichen Foto handelt es sich um ein Bildnis im Sinne des § 22 KunstUrhG. Der Antragsteller ist auf dem veröffentlichten Bild erkennbar. Der die Augenpartie verdeckende schwarze Balken ist nicht geeignet, den Antragsteller zu anonymisieren, denn er verdeckt schon wesentliche Gesichtszüge nicht.

Gemäß § 22 KunstUrhG dürfen Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet werden. Dass der auf dem streitgegenständlichen Foto abgebildete Antragsteller eine solche Einwilligung erteilt hat, trägt auch die insoweit darlegungs- und glaubhaftmachungspflichtige Antragsgegnerin nicht vor. Die Einwilligung war auch nicht gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG entbehrlich. Zwar mag es sich bei dem streitgegenständlichen Foto um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte im Sinne dieser Vorschrift handeln, dessen Verbreitung verletzt jedoch ein berechtigtes Interesse des Antragstellers im Sinne des § 23 Abs. 2 KunstUrhG.

Insoweit überwiegt das Anonymitätsinteresse des Antragstellers, der sich neben seinem Recht am eigenen Bild aus § 22 KunstUrhG auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG berufen kann, das Informationsinteresse der Öffentlichkeit bzw. das Berichterstattungsinteresse der Antragsgegnerin, für die die Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG streitet. Bei der Abwägung besonders zu berücksichtigen ist das besondere Schutzbedürfnis des zur Tatzeit und im Zeitpunkt der Aufnahme des Fotos jugendlichen Antragstellers. Auf dieses Schutzbedürfnis kann sich der Antragsteller auch nach dem Eintritt der Volljährigkeit nach wie vor berufen. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ist nämlich auf das Alter des Antragstellers zur Zeit der Tat abzustellen. Dies gebietet der besondere Resozialisierungsanspruch des jugendlichen Straftäters, der nicht mit dem Eintritt der Volljährigkeit entfällt.

Entsprechendes ergibt sich auch aus den Wertungen des Gesetzgebers, die im JGG zum Ausdruck kommen. Sowohl die materiellrechtlichen Bestimmungen des JGG über Verfehlungen Jugendlicher und ihre Folgen als auch die formellrechtlichen Bestimmungen des JGG über die Jugendgerichtsverfassung und das Jugendstrafverfahren stellen hinsichtlich ihres Geltungsbereichs, wie sich aus § 1 Abs. 2 JGG ergibt, auf das Alter des Straftäters zur Zeit der Tat ab. Dabei übersieht die Kammer nicht, dass strafrechtliche Wertungen nicht ohne weiteres in das zivilrechtliche System übernommen werden können. Dennoch bieten sie jedenfalls eine Orientierung.

Der Berücksichtigung des besonderen Schutzbedürfnisses des zur Tatzeit und im Zeitpunkt der Aufnahme des Fotos jugendlichen Antragstellers steht auch nicht die von der Antragsgegnerin zitierte Rechtsprechung (BGH NJW 2005, 56, 58) entgegen. Abgesehen davon, dass der BGH in der genannten Entscheidung zu der hier maßgeblichen Frage nur in einem obiter dictum Stellung genommen hat, lag der Entscheidung ein völlig anderer Sachverhalt zugrunde. In dem von dem BGH entschiedenen Fall ging es nämlich um die Verbreitung eines vor Eintritt der Volljährigkeit in nicht diskreditierendem Kontext aufgenommenen Fotos nach Eintritt der Volljährigkeit.

Deshalb kann aus der von der Antragsgegnerin zitierten Entscheidung allenfalls abgeleitet werden, dass die im Rahmen des § 23 Abs. 2 KunstUrhG zu berücksichtigende besondere Schutzbedürftigkeit Minderjähriger bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Verbreitung von kurz vor Eintritt der Volljährigkeit entstandener Bildnisse nach Eintritt der Volljährigkeit nicht grundsätzlich zu berücksichtigen ist. Dies kann aber nach Ansicht der Kammer nur dann gelten, wenn die besondere Schutzbedürftigkeit des Minderjährigen nicht fortwirkt, was insbesondere bei in nicht diskreditierendem Kontext aufgenommenen Fotos der Fall sein mag. Wird mit dem Foto jedoch eine zu Zeiten der Minderjährigkeit begangene Verfehlung dokumentiert, wirkt die Schutzbedürftigkeit des Minderjährigen fort und kann die Verbreitung des Fotos unzulässig machen.

Jedenfalls unter Berücksichtigung des demnach weiterhin bestehenden besonderen Schutzbedürfnisses des zur Tatzeit und im Zeitpunkt der Aufnahme des Fotos jugendlichen Antragstellers müssen das Berichterstattungsinteresse der Antragsgegnerin bzw. das Informationsinteresse der Öffentlichkeit hinter dem Anonymitätsinteresse des Antragstellers zurückstehen. Der Antragsteller als zur Tatzeit siebzehnjähriger Schüler, der seinen Platz im Leben in sozialer wie beruflicher Hinsicht noch nicht gefunden hat und dessen weiterer Werdegang nach der Entlassung aus dem Jugendvollzug in vielfacher Hinsicht von der Einschätzung seiner Person durch Dritte abhängen wird, hat ein gesteigertes Interesse daran, dass seine Identität als Täter der Aufsehen erregenden Tat nicht in die Öffentlichkeit getragen wird.

Dies entspricht auch den Wertungen des Gesetzgebers, die in § 48 JGG zum Ausdruck kommen. Danach ist die Verhandlung gegen zur Tatzeit jugendliche Straftäter unabhängig vom Alter im Zeitpunkt der Verhandlung grundsätzlich nicht öffentlich. Weiterführend heißt es in den - freilich nicht mit Gesetzeskraft ausgestatteten - Richtlinien zum Jugendgerichtsgesetz hierzu: €Aus erzieherischen Gründen empfiehlt es sich nicht, Schulklassen oder anderen größeren Personengruppen die Teilnahme an der Verhandlung zu erlauben. Dies gilt auch für die Presse; entschließt sich der Vorsitzende dennoch, die Presse in der Hauptverhandlung zuzulassen, so sollte er darauf hinwirken, dass in den Presseberichten der Name des Jugendlichen nicht genannt, sein Lichtbild nicht veröffentlicht und auch jede andere Angabe vermieden wird, die auf die Person des Jugendlichen hindeutet.€ Auch wenn strafrechtliche Wertungen nicht ohne weiteres in das zivilrechtliche System übernommen werden können, kommen diese Wertungen vorliegend jedenfalls ergänzend zum Tragen.

Die Kammer verkennt nicht, dass das Alter bzw. die besondere Schutzbedürftigkeit des zur Tatzeit jugendlichen Antragstellers lediglich ein Gesichtspunkt der Interessenabwägung und die Bildberichterstattung über minderjährige Straftäter nicht grundsätzlich unzulässig ist. Die Kammer verkennt weiterhin nicht, dass bei einer aktuellen Berichterstattung jedenfalls über schwere Straftaten der hier in Rede stehenden Art bei Erwachsenen grundsätzlich das Informationsinteresse der Öffentlichkeit auch hinsichtlich einer identifizierenden Berichterstattung das Anonymitätsinteresse des Straftäters überwiegen wird.

Tatsächlich ist es auch so, dass die durch eine außergewöhnliche Brutalität gekennzeichnete Tat des Antragstellers außerordentlich schwer wiegt und ein erhebliches Informationsinteresse der Öffentlichkeit begründet hat, dass der Antragsteller voll schuldfähig war, dass die Berichterstattung in zeitlicher Nähe zur Tat aus Anlass des Strafverfahrens erfolgte und dass die Identifizierbarkeit des Antragstellers als in der Veröffentlichung abgebildete Person durch den die Augenpartie verdeckenden Balken erschwert war.

Gleichwohl hat nach Auffassung der Kammer aus den dargelegten Gründen das Veröffentlichungsinteresse der Antragsgegnerin unter dem Gesichtspunkt der besonderen Schutzbedürftigkeit Jugendlicher hinter dem Anonymitätsinteresse des Antragstellers zurückzutreten.

Auf diese Ausführungen hat das Hanseatische Oberlandesgericht im Berufungsurteil vom 17.6.2008 (Az. 7 U 35/08) verwiesen und sie wie folgt ergänzt:

Soweit die Antragsgegnerin im Berufungsverfahren geltend macht, dass das Landgericht bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen zu Unrecht dem Anonymitätsinteresse des Antragstellers den Vorrang eingeräumt habe, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Zutreffend hat das Landgericht im Rahmen der Abwägung auf die besondere Schutzbedürftigkeit jugendlicher Straftäter hingewiesen, die auch in den Regelungen des JGG zum Ausdruck kommt, wonach die Verhandlung gegen zur Tatzeit jugendlicher Straftäter grundsätzlich nicht öffentlich ist. Dieser besondere Schutz beruht u.a. darauf, dass jugendliche Straftäter nach Reifegesichtspunkten noch nicht die gleiche Einsichts- und Verantwortungsfähigkeit wie erwachsene Täter aufweisen und dass deshalb die Folgen der Tat für das künftige Leben des Jugendlichen zu begrenzen sind. Der Antragsteller hat, weil er als zur Tatzeit siebzehnjähriger Schüler seinen Platz im Leben in sozialer wie beruflicher Hinsicht noch nicht gefunden hat und sein weiterer Werdegang nach der Entlassung aus dem Jungendvollzug in vielfacher Hinsicht von der Einschätzung seiner Person durch Dritte abhängen wird, ein gesteigertes Interesse daran, dass seine Identität als Täter der Aufsehen erregenden Tat nicht in die Öffentlichkeit getragen wird. An diesem besonderen bei der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Schutzbedürfnis ändert sich nichts dadurch, dass der Antragsteller zwischenzeitlich volljährig geworden ist. Würde man im Rahmen der Interessenabwägung nicht auf den Zeitpunkt der Straftat, sondern auf denjenigen der identifizierenden Berichterstattung oder gar auf denjenigen des Schlusses der mündlichen Verhandlung im Unterlassungsprozess abstellen, würde man dem oben geschilderten besonderen Bedürfnis des jugendlichen Straftäters nach Anonymität nicht gerecht. Dementsprechend stellt auch § 48 JGG für die Frage der Öffentlichkeit der Verhandlung nicht auf das Alter des Täters zum Zeitpunkt der Verhandlung, sondern allein auf sein Alter zum Zeitpunkt der Tat ab.

Dem Anonymitätsinteresse des Antragstellers steht ein außerordentlich hohes öffentliches Informationsinteresse, das für die Antragsgegnerin streitet, gegenüber. Die vom Antragsteller begangenen Straftaten waren nicht nur besonders schwerwiegend und brutal, auch die Umstände der ohne nachvollziehbaren Anlass begangenen Taten waren extrem außergewöhnlich. Die Berichterstattung der Antragsgegnerin erfolgte zeitnah, das Informationsinteresse war aktuell. Der Informationswert, der dem konkreten verbotenen Foto zukommt, ist allerdings eher als gering einzustufen. Das Foto, das das mit einem unzureichenden Augebalken versehene Gesicht des Antragstellers zeigt, gibt über ein Verhalten des Antragstellers bei oder nach Begehung der Tat keinen Aufschluss. Dennoch verbleibt das grundsätzlich anzuerkennende Interesse der Öffentlichkeit zu erfahren, wer ein schweres Gewaltverbrechen begangen hat und wie diese Person aussieht. Das große Informationsinteresse an dem Geschehnis zeigt sich auch daran, dass die Presse bundesweit ausführlich über die Straftat und ihre Hintergründe berichtete.

Bei der vorzunehmenden Abwägung überwiegt das Interesse des Antragstellers, im Rahmen der Beichterstattung nicht identifizierbar abgebildet zu werden. Dies bedeutet entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht, dass jedem minderjährigen Straftäter generell absoluter Schutz zu gewähren ist, bei dem keine Abwägung mehr stattfindet. Allerdings ist der Antragsgegnerin einzuräumen, dass die Abwägung im Hinblick auf die gebotene Rücksichtsnahme auf die Zukunft des Jugendlichen in nahezu allen Fällen zu Lasten der Presse und der Informationsfreiheit ausfallen dürfte.

Diesen ergänzenden Ausführungen schließt sich die Kammer an.

Die Erwägungen im Verfahren der einstweiligen Verfügung haben auch im vorliegenden Verfahren der Hauptsache uneingeschränkt Geltung.

b) Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr wird durch die rechtswidrige Erstberichterstattung indiziert. Umstände, bei deren Vorliegen ausnahmsweise die Indizwirkung entfällt, sind nicht vorgetragen; die Beklagte hat insbesondere keine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S.1, 2 ZPO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 3 ZPO.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf € 25.000,- festgesetzt.






LG Hamburg:
Urteil v. 27.02.2009
Az: 324 O 703/08


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/67b75c238a3d/LG-Hamburg_Urteil_vom_27-Februar-2009_Az_324-O-703-08




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share