Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 6. Juli 2015
Aktenzeichen: AnwZ (Brfg) 40/14

(BGH: Beschluss v. 06.07.2015, Az.: AnwZ (Brfg) 40/14)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Der Anwaltsgerichtshof Mecklenburg-Vorpommern hat den Antrag des Klägers abgelehnt, die Fachanwaltsbezeichnung Medizinrecht führen zu dürfen. Der Kläger hatte nicht das geforderte Mindestquorum von 60 praktischen Fällen aus dem Fachgebiet erreicht. Der Kläger hat daraufhin gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs Berufung eingelegt, jedoch wird sein Antrag auf Zulassung der Berufung vom Bundesgerichtshof abgelehnt. Der Kläger muss die Kosten des Verfahrens tragen. Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 12.500€ festgesetzt.

Der Kläger argumentiert, dass der Anwaltsgerichtshof nach Übermittlung des klägerischen Schriftsatzes zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung verpflichtet gewesen wäre. Der Bundesgerichtshof entscheidet jedoch, dass der Anwaltsgerichtshof nicht erneut in eine mündliche Verhandlung hätte eintreten müssen. Der Anwaltsgerichtshof hatte das Ermessen, eine Prüfung der vom Kläger nachgemeldeten Fälle zu ermöglichen. Die Nachmeldung von Fällen hätte bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgen können, was der Kläger jedoch versäumt hat. Der Anwaltsgerichtshof hat in seiner Abwägung auch berücksichtigt, dass die 20 neu gemeldeten Fälle während des Verfahrens geprüft werden müssten und dass die Beklagte mindestens drei Monate hierfür benötigen würde. Eine Verzögerung des Verfahrens um weitere Monate wollte der Anwaltsgerichtshof jedoch nicht hinnehmen.

Des Weiteren ist fraglich, ob die Nachmeldung einer Vielzahl von Fällen als Klageänderung anzusehen ist. Der Anwaltsgerichtshof hätte die Verhandlung auch wiedereröffnet, wenn er nicht von einer Klageänderung ausgegangen wäre. Insgesamt bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Die Gewichtung der einzelnen Fälle im angefochtenen Urteil ist ausreichend begründet und es liegen keine Rechtsfehler vor. Die Sache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BGH: Beschluss v. 06.07.2015, Az: AnwZ (Brfg) 40/14


Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des 2. Senats des Anwaltsgerichtshofs Mecklenburg-Vorpommern vom 11. Juli 2014 wird abgelehnt.

Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 12.500 € festgesetzt.

Gründe

Der Kläger erstrebt die Befugnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung Medizinrecht. Die Beklagte hat den durch ihn gestellten Antrag abgelehnt und den gegen den Ablehnungsbescheid erhobenen Widerspruch zurückgewiesen, weil das in § 5 Abs. 1 Buchst. i FAO geforderte Mindestquorum von 60 praktischen Fällen aus dem Fachgebiet nicht erreicht sei. Der Anwaltsgerichtshof hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.

I.

Die durch den Kläger geltend gemachte 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 5 VwGO) liegen nicht vor.

1. Dem Anwaltsgerichtshof ist kein Verfahrensfehler unterlaufen, auf dem das Urteil beruhen kann (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).

a) Der Kläger vertritt im Zuge seiner Ausführungen zum Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils) die Auffassung, dass der Anwaltsgerichtshof wegen eines nach Schließung der mündlichen Verhandlung übermittelten klägerischen Schriftsatzes zu deren Wiedereröffnung verpflichtet gewesen wäre. Mit dieser im Rahmen des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zu würdigenden Beanstandung kann er nicht durchdringen.

Es stellt keinen Verfahrensfehler dar, dass der Anwaltsgerichtshof nicht erneut in eine mündliche Verhandlung eingetreten ist, um eine Prüfung der durch den Kläger mit Schriftsatz vom 22. April 2014 nachgemeldeten 20 Fälle zu ermöglichen. § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO billigt dem Gericht insoweit ein Ermessen zu. Ein Fall, in dem nur durch Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung das rechtliche Gehör (vgl. Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) gewährt werden kann und deswegen eine Rechtspflicht zur Wiedereröffnung anzunehmen ist (vgl. BVerwG, NVwZ-RR 2002, 217, 219 f.; NVwZ 2003, 1132, 1134; Eyermann/Geiger, VwGO, 14. Aufl., § 104 Rn. 16, jeweils m.w.N.), lag hier nicht vor. Der Kläger hatte bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung ausreichend Gelegenheit, zusätzliche Versuche zu unternehmen, um den von der Fachanwaltsordnung geforderten Nachweis zu erbringen. Auch eine Nachmeldung von Fällen wäre bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung möglich gewesen (vgl. BGH, Urteile vom 10. Oktober 2011 - AnwZ (Brfg) 9/11, NJW-RR 2012, 298 Rn. 7; vom 10. März 2014 - AnwZ (Brfg) 58/12, VersR 2014, 1521 Rn. 9; vom 9. Februr 2015 - AnwZ (Brfg) 54/13). Dies hat der Kläger jedoch versäumt.

aa) Er trägt hierzu vor, der Anwaltsgerichtshof habe im Verhandlungstermin vom 11. April 2014 erstmals mitgeteilt, "dass das Krankenversicherungsrecht auch zum Medizinrecht gehört", weswegen auch erstmalig die Chance auf Anerkennung von Fällen aus diesem Fachgebiet und zugleich die Notwendigkeit einer Nachmeldung bestanden habe. Dies trifft jedoch ausweislich der Verfahrensakten in mehrfacher Hinsicht nicht zu. Die Anerkennung von Fällen aus dem Recht der privaten und gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. § 14b Nr. 2 FAO) war zwischen den Parteien von Anfang an streitig. Zunächst hatte die Beklagte sie mangels "medizinrechtlichen Bezugs" insgesamt in Abrede gestellt. Nachfolgend hatte zumindest der zuständige Berichterstatter vom Kläger gemeldete "Leistungsfälle" (Geltendmachung von Krankenversicherungsleistungen) anerkannt, wohingegen er in Bezug auf "Statusfälle" (Fragen zum Bestand eines Versicherungsverhältnisses) bei seiner ursprünglichen Ablehnung geblieben war. Beides hat den Kläger nicht gehindert, nachhaltig für die Anerkennung der zahlreichen Fälle aus dem Recht der Krankenversicherung einzutreten. Im Schreiben vom 10. Oktober 2013 und damit rund ein halbes Jahr vor der mündlichen Verhandlung wies der Vorsitzende darauf hin, dass nach vorläufiger Auffassung des Senats Bedenken gegen den Standpunkt der Beklagten bestünden, "Statusfälle in Abgrenzung vom Medizinrecht von der Wertung auszunehmen". Spätestens nach diesem Hinweis war der Kläger über die Rechtsauffassung des Anwaltsgerichtshofs hinreichend informiert und konnte sein Verhalten hierauf einrichten.

bb) Gleichfalls zu Unrecht beruft sich der Kläger darauf, dass er nicht mit einer Herabstufung der Fälle 23, 38, 63 sowie 66 habe rechnen können und zuvor auch deshalb keine Veranlassung zu einer Nachmeldung gehabt habe. Zu den Fällen 23, 38 und 63 hatte der Anwaltsgerichtshof den Kläger im vorgenannten Hinweisschreiben indessen zu ergänzendem Vortrag aufgefordert, weswegen dieser sich auf eine Neubewertung einstellen musste. Hinsichtlich des Falls 66 erfolgte ein Hinweis in der mündlichen Verhandlung. Insoweit entspricht die durch den Anwaltsgerichtshof vorgenommene Bewertung mit dem Faktor 0,5 der Einstufung durch den Kläger ("unterdurchschnittlicher Fall") im hierfür nachgelassenen Schriftsatz vom 22. April 2014. Dass sich die Erkenntnis zur Bewertung des Falls beim Kläger erst zu diesem Zeitpunkt eingestellt haben könnte, schließt der Senat aus.

cc) Bei seiner Abwägung betreffend die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung hat der Anwaltsgerichtshof gewichtet, dass die 20 neu gemeldeten Fälle während des gerichtlichen Verfahrens erstmals geprüft werden müssten. Die Beklagte hatte geltend gemacht, hierfür mindestens drei Monate zu benötigen. Dass der Anwaltsgerichtshof auch mit Rücksicht auf denkbare weitere Verwerfungen etwa wegen Anforderung und Prüfung von Arbeitsproben oder gar weiterer Nachmeldungen keine Verzögerung des ansonsten entscheidungsreifen Verfahrens um mehrere Monate hinnehmen wollte, lässt einen Ermessensfehlgebrauch nicht erkennen. Nachgelassene Schriftsätze erzwingen nur dann eine Wiedereröffnung, wenn das Gericht ihnen wesentlich neues Vorbringen entnimmt, auf das es seine Entscheidung stützen will (vgl. BVerwG, NVwZ-RR 2002, 217, 220). Das war hier nicht der Fall. Im Termin vom 11. April 2014 hat der Anwaltsgerichtshof dem Kläger zudem ausweislich der Sitzungsniederschrift allein für eine Stellungnahme zu den Widersprüchen zwischen seinem mündlichen Vortrag und der Begründung seines Widerspruchs sowie zur Bewertung des Falls 66 eine Schriftsatzfrist (vgl. § 283 ZPO i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO) gewährt, nicht jedoch für damit nicht zusammenhängenden völlig neuen Tatsachenvortrag; dieser ist deshalb unbeachtlich (vgl. BVerwG, aaO S. 219; MüKo-ZPO/Prütting, 4. Aufl., § 283 Rn. 21 m.w.N.).

b) Unter diesen Vorzeichen kommt es nicht mehr auf die durch den Anwaltsgerichtshof aufgeworfene Frage an, ob die Nachmeldung einer Vielzahl von Fällen in Verbindung mit der daraus resultierenden Verschiebung des Referenzzeitraums als an den Voraussetzungen des § 91 VwGO zu messende Klageänderung anzusehen ist. Dass der Anwaltsgerichtshof die Verhandlung wiedereröffnet hätte, wenn er nicht von einer Klageänderung ausgegangen wäre, kann aufgrund seiner Ausführungen zur Sachdienlichkeit sicher ausgeschlossen werden. Bereits deshalb gehen auch die Rügen des Klägers ins Leere, der Anwaltsgerichtshof hätte unter dem Blickwinkel des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) auf die Problematik der Klageänderung sowie auf seine Interpretation der Stellungnahme der Beklagten im Sinne einer Verweigerung der Einwilligung nach § 91 VwGO hinweisen müssen.

2. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger den für den Zulassungsgrund nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehenden Vortragspflichten genügt hat (hierzu Eyermann/Happ, aaO, § 124a Rn. 63 ff.). Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nicht. Namentlich hat der Anwaltsgerichtshof die durch den Senat entwickelten Grundsätze zur Gewichtungsregelung des § 5 Abs. 4 FAO beachtet (vgl. BGH, Urteil vom 8. April 2013 - AnwZ (Brfg) 54/11, BGHZ 197, 118).

a) Die Gewichtung der Fälle 23, 38, 63 und 66 ist im angefochtenen Urteil eingehend begründet. Die dazu angestellten Erwägungen des Anwaltsgerichtshofs lassen Rechtsfehler nicht erkennen und werden durch den Kläger nicht substantiiert angegriffen. Zum Fall 66 entspricht die Taxierung des Anwaltsgerichtshofs sogar exakt der des Klägers. Gleiches gilt für die (hypothetische) Bewertung der "Statusfälle" mit zumindest nicht mehr als dem Faktor 1. Im Blick darauf, dass der Kläger auch bei deren Einbeziehung das Mindestquorum nicht erreicht hätte, musste deren Relevanz für die Erlangung der Fachanwaltsbezeichnung Medizinrecht nicht entschieden werden.

b) Der Anwaltsgerichtshof hat die zwölf Fälle (Nr. 3, 5, 6, 8, 9, 10, 12, 14, 24, 49, 52 und 59), in denen sich die Tätigkeit des Klägers auf die Durchsetzung von überwiegend Arzthonoraren gegen säumige Schuldner im Mahnverfahren beschränkte ("reines Inkasso"), mit einem Faktor von 0,25 bewertet. Dies wirkt sich jedenfalls nicht zum Nachteil des Klägers aus. Der Senat kann wegen der ungeachtet dessen gegebenen Verfehlung des Mindestquorums offenlassen, ob der diesbezüglichen Tätigkeit des Klägers "Fallbearbeitungen" gerade aus dem Medizinrecht zugrunde lagen oder ob diese nicht eher dem allgemeinen Zivilrecht zuzuordnen gewesen wären (vgl. dazu BGH, Urteil vom 9. Februar 2015 - AnwZ (Brfg) 54/13 m.w.N.).

3. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Das gilt schon deswegen, weil die durch den Kläger in diesem Zusammenhang angesprochenen Rechtsfragen der Berücksichtigung von Fällen aus dem Recht der privaten und gesetzlichen Krankenversicherung und der Annahme einer Klageänderung aus den vorgenannten Gründen nicht entscheidungserheblich waren.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 52 Abs. 1 GKG.

Kayser König Remmert Quaas Schäfer Vorinstanz:

AGH Rostock, Entscheidung vom 11.07.2014 - AGH 4/13 (II/2) -






BGH:
Beschluss v. 06.07.2015
Az: AnwZ (Brfg) 40/14


Link zum Urteil:
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