Bundespatentgericht:
Beschluss vom 1. August 2007
Aktenzeichen: 19 W (pat) 352/04
(BPatG: Beschluss v. 01.08.2007, Az.: 19 W (pat) 352/04)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Bundespatentgericht hat in seinem Beschluss vom 1. August 2007 (Aktenzeichen 19 W (pat) 352/04) das Patent 100 39 428 widerrufen. Die Patentanmeldung für eine Treiberschaltung war am 11. August 2000 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangen und das Patent wurde am 15. Juli 2004 veröffentlicht. Eine Einsprechende erhob Einspruch gegen das Patent und beantragte den Widerruf. Die Einsprechende argumentierte, der Gegenstand des Patentanspruchs sei nicht patentfähig, da er durch den Stand der Technik nahegelegt sei. Die Patentinhaberin stellte einen Antrag auf Beschränkung des Patents. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Patentanspruchs weder nach dem Hauptantrag noch nach dem Hilfsantrag neu sei. Es verwies dabei auf bestimmte Stellen in einer ausländischen Patentschrift. Daher wurde das Patent widerrufen. Die Entscheidungsbefugnis über den Einspruch lag beim 19. Senat des Bundespatentgerichts, der nach einer mündlichen Verhandlung zu dieser Entscheidung kam.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BPatG: Beschluss v. 01.08.2007, Az: 19 W (pat) 352/04
Tenor
Das Patent 100 39 428 wird widerrufen.
Gründe
I Für die am 11. August 2000 im Deutschen Patent- und Markenamt eingegangene Patentanmeldung ist die Erteilung des nachgesuchten Patents am 15. Juli 2004 veröffentlicht worden. Es betrifft eine Treiberschaltung.
Gegen das Patent hat die Einsprechende mit Schreiben vom 15. Oktober 2004, eingegangen per Fax am selben Tag, Einspruch erhoben. Zur Begründung trägt sie u. a. vor, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei nicht patentfähig, weil er durch den Stand der Technik zumindest nahegelegt sei.
Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrecht zu erhalten:
Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 1. August 2007, Beschreibung und Zeichnungen gemäß Patentschrift.
Hilfsweise:
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 1. August 2007, Beschreibung und Zeichnungen gemäß Patentschrift.
Der Patentanspruch 1 als einziger Anspruch nach Hauptantrag betrifft (unter Einfügung von Gliederungsziffern 1.1) bis 1.10) in Anlehnung an die Merkmalsgliederung der Einsprechenden) eine
"1.1) Treiberschaltung für einen elektrischen Aktor (1), für ein elektromotorisch betätigtes Abgasventil einer Brennkraftmaschine, mit einem ersten Signaleingang zur Aufnahme eines Soll-Werts (XSOLL) für die Aktorstellung, 1.2) einem zweiten Signaleingang zur Aufnahme eines Ist-Werts (XIST) der Aktorstellung, 1.3) einem Signalausgang zur Abgabe einer Steuergröße (FG) für den Aktor (1), sowie mit 1.4) einer eingangsseitig mit den beiden Signaleingängen (XSOLL, XlST) und ausgangsseitig mit dem Signalausgang verbundenen Regeleinheit (6) zur Bestimmung der Steuergröße (FG) für den Aktor (1) in Abhängigkeit von der Abweichung zwischen dem Soll-Wert (XSOLL) und dem Ist-Wert (XIST)
dadurch gekennzeichnet, 1.5) dass eine eingangsseitig mit dem ersten Signaleingang (XSOLL) verbundene Steuereinheit (5) vorgesehen ist, 1.5.1) die das physikalische Verhalten der Regelstrecke nachbildet und 1.6) die in Abhängigkeit von dem Soll-Wert (XSOLL) der Aktorstellung die Steuergröße (FG) für den Aktor (1) derart mitbestimmt, 1.6.1) dass dadurch ein Arbeitspunkt des Aktors (1) einstellbar ist und die Regeleinheit (6) das Kleinsignalverhalten um den Arbeitspunkt regelt, 1.7) wobei die Steuereinheit (5) und die Regeleinheit (6) ausgangsseitig zusammengeführt sind und 1.8) dass an den zweiten Signaleingang ein Positionssensor angeschlossen ist, 1.9) der die Stellung des Abgasventils ermittelt und ein entsprechendes Positionssignal (XMess) abgibt, 1.10) wobei ein Kennlinienglied (7) aus dem von dem Positionssensor (3) ermittelten Positionssignal (Xmess) die aktuelle Position (XIST) des Abgasventils ermittelt."
Der Patentanspruch 1 als einziger Anspruch nach Hilfsantrag unterscheidet sich von dem des Hauptantrags dadurch, dass an ihn das (mit der Gliederungsziffer 1.11)) versehene) Merkmal
"1.11) und wobei die Steuereinheit (5) eine erste Recheneinheit (10, 11) aufweist, die aus dem Soll-Wert (XSOLL) der Aktorstellung die Rückstellkraft oder das Rückstellmoment (MRÜCK) berechnet."
angefügt ist.
Dem Patentgegenstand nach beiden Anträgen soll die Aufgabe zugrunde liegen, eine im Streitpatent beschriebene bekannte Treiberschaltung dahingehend zu verbessern, dass der Aktor einerseits möglichst schnell und andererseits möglichst genau die gewünschte Stellung einnimmt (Streitpatent Abs. 0010).
Die Einsprechende ist der Auffassung, der Gegenstand des jeweiligen Patentanspruchs 1 nach Haupt- und Hilfsantrag sei gegenüber dem aus der JP 10122059 A bekannten nicht mehr neu. Sie sieht das Teil 63 (operation part) mit vorgeschaltetem Addierer als Regler an und erkennt in dem Teil 65 (open loop control section) eine Vorsteuerung im Sinne des Anspruchs 1. Sie meint weiter, dass der Positionssensor 40 (position sensor) die Stellung eines Abgasventils (EGR valve) ermittle.
Zum Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 meint die Einsprechende, dass auch in dem von ihr als Vorsteuerung gesehenen Teil 65 eine Rückstellkraft berechnet werde.
Die Patentinhaberin ist bezüglich der JP 10122059 A der Meinung, das Teil 65 sei keine Vorsteuerung im Sinne des Anspruchs 1, es stelle lediglich die Drehrichtung des das Ventil betätigenden Motors 20 (DC motor) fest. Insbesondere werde das physikalische Verhalten der Regelstrecke durch das Teil 65 nicht nachgebildet.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II Gemäß der eindeutigen Zuständigkeitsregelung in § 147 Abs. 3 PatG in der Fassung vom 9. September 2004 liegt die Entscheidungsbefugnis über den zulässigen, am 30. Juni 2006 - d. h. vor Aufhebung des § 147 Abs. 3 PatG a. F. - noch anhängigen Einspruch bei dem hierfür zuständigen 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts (vgl. BGH-Beschluss vom 27. Juni 2007, X ZB 6/05 - Informationsübermittlungsverfahren II). Dieser hatte aufgrund mündlicher Verhandlung zu entscheiden.
Gegenstand des Verfahrens ist das erteilte Patent.
1. Fachmann Als zuständiger Fachmann ist hier ein Diplomingenieur der Elektrotechnik mit speziellen Kenntnissen der Regelungstechnik anzusehen. Einem solchen Fachmann sind die in der Regelungstechnik eingesetzten Komponenten eines Regelkreises bekannt. Seinem Fachwissen ist zuzurechnen, dass er auch Regelkreise mit Vorsteuerung kennt. Dabei weiß er, dass die Vorsteuerung genauso wie der Regler den Sollwert erhält und dass ihr Ausgang mit dem Ausgang des Reglers addiert wird, um eine Stellgröße zu erhalten. Ihm ist dabei bekannt, dass der Zweck der Vorsteuerung darin liegt, den Regelkreis so zu gestalten, dass der Regler nur mehr kleine Abweichungen zu korrigieren hat, damit eine schnelle Regelung möglich ist. Der Fachmann weiß schließlich auch, dass die Vorsteuerung dazu vorzugsweise so gestaltet ist, dass sie ein Modell der Regelstrecke nachbildet.
2. Hauptantrag Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag ist nicht neu.
Hierzu wird auf die - im parallelen PCT-Verfahren entgegengehaltenen - JP 10122059 A (Figuren, zusammen mit der aus JPDL abrufbaren englischen Maschinenübersetzung) hingewiesen. Die von beiden Beteiligten übegebenen Fassungen stimmen an den relevanten Stellen überein. Hieraus ist bekannt eine 1.1) Treiberschaltung (Fig. 3) für einen elektrischen Aktor (20), für ein elektromotorisch betätigtes Abgasventil [Abs. 0001: exhaust gas recirculation (EGR) valve] einer Brennkraftmaschine, mit einem ersten Signaleingang (+ Eingang des linken Addierers) zur Aufnahme eines Soll-Werts für die Aktorstellung [Abs. 0031 1. Satz], 1.2) einem zweiten Signaleingang (- Eingang des linken Addierers) zur Aufnahme eines Ist-Werts der Aktorstellung [Abs. 0031 2. Satz], 1.3) einem Signalausgang (Ausgang des rechten Addierers) zur Abgabe einer Steuergröße für den Aktor (20) [Abs. 0031 4. Satz], sowie mit 1.4) einer eingangsseitig mit den beiden Signaleingängen (+ Eingang bzw - Eingang des linken Addierers) und ausgangsseitig (über drive duty operation part 64) mit dem Signalausgang (Ausgang des rechten Addierers) verbundenen Regeleinheit (linker Addierer i. V. m. operation part 63; weitere Ausführungen unten) zur Bestimmung der Steuergröße (Steuergröße am Ausgang des rechten Addierers) für den Aktor (20) in Abhängigkeit von der Abweichung zwischen dem Soll-Wert (am + Eingang des linken Addierers) und dem Ist-Wert (am - Eingang des linken Addierers) [Abs. 0031 3. Satz]
1.5) wobei eine eingangsseitig mit dem ersten Signaleingang (+ Eingang des linken Addierers) verbundene Steuereinheit (open loop control section 65) vorgesehen ist (wird unten ausgeführt), 1.5.1) die das physikalische Verhalten der Regelstrecke nachbildet (wird unten ausgeführt) und 1.6) die in Abhängigkeit von dem Soll-Wert (am + Eingang des linken Addierers) der Aktorstellung die Steuergröße (Steuergröße am Ausgang am rechten Addierer) für den Aktor (20) derart mitbestimmt, 1.6.1) dass dadurch ein Arbeitspunkt des Aktors (20) einstellbar ist und die Regeleinheit (linker Addierer i. V. m. operation part 63) das Kleinsignalverhalten um den Arbeitspunkt regelt (Abs. 0032), 1.7) wobei die Steuereinheit (65) und die Regeleinheit (linker Addierer i. V. m. operation part 63) ausgangsseitig zusammengeführt sind (am rechten Addierer über drive duty operation part 64) und 1.8) dass an den zweiten Signaleingang (- Eingang des linken Addierers) ein Positionssensor (position sensor 40) angeschlossen ist (über den transducer 62) (Fig. 3 i. V. m. [0032] und Fig. 1 i. V. m. [0023], 1.9) der die Stellung des Abgasventils (EGR) ermittelt und ein entsprechendes Positionssignal (am Ausgang von A/D Wandler 62) abgibt (Abs. 0029 2. Satz i. V. m. Abs. 0031 2. Satz), 1.10) wobei ein Kennlinienglied (transducer 62) aus dem von dem Positionssensor (40) ermittelten Positionssignal (am Ausgang von position sensor 40) die aktuelle Position (am Ausgang von transducer 62) des Abgasventils ermittelt (wird unten ausgeführt).
Zu 1.4 Als Regeleinheit im Sinne des Anspruchs sieht der Senat den in Figur 3 linken Addierer, dem Soll- und Ist-Wert zugeführt werden und die diesem nachgeschaltete control section 63, die eine Stellgröße als Steuergröße für den Aktor 20 liefert, an. Ob deren Regelsignal vor (Fig. 3) oder nach dem rechten Addierer in eine interne Treiberschaltung gegeben wird, deren Signal den Aktor (Motor 20) ansteuert, ist für den Regelvorgang mit Vorsteuerung ohne Bedeutung.
Zu 1. 5 und 1.5.1 Nach Überzeugung des Senats entnimmt der Fachmann aus den Angaben im Absatz 0032 sowie [0034, letzter Satz], dass der Regler nur kleine Werte (small value) auszuregeln hat und im Absatz 0020, dass eine stabile Regelung erreicht werden soll, sowie aus der Figur 3, die zeigt, dass die open loop control section 65 eingangsseitig mit dem ersten Signaleingang (+ Eingang am linken Addierer) und ausgangsseitig mit der Regeleinheit (linker Addierer i. V. m. operation part 63) zusammengeführt ist, dass es sich bei der open loop control section 65 um eine Vorsteuerung handelt. Von einer Vorsteuerung (zur Einstellung eines Arbeitspunktes) weiß er aber aufgrund seines Fachwissens, dass sie so gestaltet ist, dass sie das physikalische Verhalten der Regelstrecke nachbildet.
Zu 1.10 Der transducer 62 ist als A/D-Wandler ausgeführt (Abs. 0031 2. Satz); er setzt daher das vom Positionssensor 40 erhaltene Analogsignal (Abs. 0031 2. Satz: Potentialdifferenz) in ein Digitalsignal um. Im einfachsten Fall erfolgt dies proportional, d. h. kleine Potentialdifferenz, niedriger digitaler Wert bzw. große Potentialdifferenz, hoher digitaler Wert. Somit ist durch den transducer 62 wenigstens ein proportional wirkendes Kennlinienglied realisiert.
3. Hilfsantrag Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von dem des Hauptantrags dadurch, dass an ihn angefügt ist, dass
"die Steuereinheit eine erste Recheneinheit aufweist, die aus dem Soll-Wert der Aktorstellung die Rückstellkraft oder das Rückstellmoment berechnet."
Auch diese Maßnahme ist zumindest hinsichtlich der Alternative "Rückstellmoment" aus der JP 10122059 A bekannt. Denn diese beschreibt in Absatz 0033, dass die Steuereinheit eine erste Recheneinheit aufweist [Abs. 0033 1. Satz: "65 is the open loop control section, and calculates..."], die aus dem Soll-Wert der Aktorstellung (der am + Eingang des linken Addierers anliegt) - und in Kenntnis der Drehrichtung (die ihr von der direction detection section 66 gemeldet wird) - das Rückstellmoment (return torque) und daraus die Treibergrößen für den Arbeitspunkt des Motors 20 berechnet [Abs. 0033 1. und 4. Satz].
Damit ist auch der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag nicht neu.
Bertl Dr. Kaminski Groß
Zimmerer Be
BPatG:
Beschluss v. 01.08.2007
Az: 19 W (pat) 352/04
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/6ef6d8688831/BPatG_Beschluss_vom_1-August-2007_Az_19-W-pat-352-04