Verwaltungsgericht Gießen:
Urteil vom 8. September 2003
Aktenzeichen: 1 E 1173/03
(VG Gießen: Urteil v. 08.09.2003, Az.: 1 E 1173/03)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Die Kläger sind Eigentümer eines Grundstücks in G..., auf dem sich ein Wohnhaus befindet. Neben diesem Grundstück liegt das Nachbargrundstück, für das die Beklagte der Beigeladenen eine Baugenehmigung für eine Mobilfunkanlage erteilt hat. Die Kläger erhoben zunächst Klage auf Erlass einer Abrissverfügung, nahmen diese jedoch zurück. Anschließend erhoben sie erneut Klage mit dem Ziel, die Baugenehmigung für die Mobilfunkanlage aufzuheben. Das Verwaltungsgericht Gießen wies die Klage ab. Es stellte fest, dass die Baugenehmigung keine Verstöße gegen das öffentliche Recht aufweist und keine übermäßigen Auswirkungen auf das Ortsbild oder die Grundstücke der Kläger hat. Es verwies zudem auf die Einhaltung der immissionsschutzrechtlichen Bestimmungen. Die Klage wurde als unbegründet abgewiesen.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
VG Gießen: Urteil v. 08.09.2003, Az: 1 E 1173/03
Tatbestand
Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks A in G..., auf dem sich ein Wohnhaus befindet. Hieran grenzt das Nachbargrundstück B, für das die Beklagte der Beigeladenen eine Baugenehmigung erteilt hat, über die die Beteiligten streiten. Für das im Zusammenhang bebaute Gebiet existiert kein Bebauungsplan; wegen der baulichen Situation, insbesondere Grundstücksnutzungen, wird auf die bei den beigezogenen Behördenakten befindlichen Pläne und Aufstellungen Bezug genommen.
Nachdem die Beigeladene im April 2000 auf dem Gebäude B eine Mobilfunkanlage errichtet hatte, kam es zu Nachbarbeschwerden, in deren Folge die Kläger unter dem 05.09.2001 Klage auf Erlass einer Abrissverfügung erhoben (Az.: 1 E 2381/01), die sie nach einem rechtlichen Hinweis in der mündlichen Verhandlung vom 28.01.2002 zurücknahmen. Mit Schriftsatz vom 15.07.2002 erhoben die Kläger erneut Klage (Az.: 1 E 2447/02), mit der sie die Verpflichtung der Beklagten begehrten, der Beigeladenen die Baugenehmigung für die streitbefangene Mobilfunkanlage zu verweigern und die Betriebsuntersagung anzuordnen. Auf einen rechtlichen Hinweis des Gerichts bezüglich verschiedener Zulässigkeitsbedenken wurde die Klage unter dem 02.10.2002 dahin abgeändert, dass nunmehr die Aufhebung der zwischenzeitlich erteilten Baugenehmigung und eine Nutzungsuntersagung beantragt werde. Mit Schriftsatz vom 15.10.2002 wurde auch diese Klage zurückgenommen.
Zuvor hatte die Beigeladene unter dem 25.09.2002 einen Bauantrag für die bereits durchgeführte Errichtung eines Mobilfunksendemastes und die Nutzungsänderung eines Kellerraumes zum Mobilfunktechnikraum auf dem streitbefangenen Grundstück gestellt. Ausweislich der vorgelegten Pläne ragt der insgesamt 5,10 m hohe Mast 3,50 m über dem 11,75 m hohen Dachfirst hinaus, so dass die Gesamthöhe 15,25 m beträgt. Eine Standortbescheinigung über die Einhaltung der Sicherheitsabstände und Grenzwertanforderungen gem. § 59 TKG i.V.m. § 6 TKZulV wurde von der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post bereits unter dem 23.02.2000 erteilt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Bauantrages wird auf die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen. Die Beigeladene erklärte gegenüber der Beklagten, sie wünsche gem. § 6 der FreistellVO eine Entscheidung auf Grundlage des bisherigen Rechts.
Mit Bescheid vom 12.06.2002, der Beigeladenen und den Klägern am 06.09.2002 zugestellt, erteilte die Beklagte der Beigeladenen die Baugenehmigung zur "Errichtung einer Mobilfunkstation mit Sendemast und Nutzung eines Kellerraumes als Betriebsraum (bereits ausgeführt)". Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen.
Gegen diese Baugenehmigung legten die Kläger mit am 24.09.2002 bei der Beklagte eingegangenem Schreiben Widerspruch ein. Die Mobilfunksendeanlage sei eine gewerbliche Anlage, die in dem reinen Wohngebiet nicht errichtet und betrieben werden dürfe. Von ihr gingen außerdem Gesundheitsgefahren aus.
Das Regierungspräsidium G... wies diesen Widerspruch mit Bescheid vom 12.03.2003 zurück und führte zur Begründung unter näherer Darlegung im Einzelnen aus, die genehmigte Anlage sei kein Vorhaben i.S.v. § 29 BauGB, denn sie habe aufgrund ihrer konkreten Gestaltung in der bestehenden Umgebungssituation (Rundfunk- und Fernsehantennen sowie Satellitenschüsseln) keine übermäßigen Auswirkungen auf das Ortsbild der näheren Umgebung oder die Grundstücke der Kläger und sei deshalb planungsrechtlich nicht relevant. Darüber hinaus handele es sich bei dem streitbefangenen Gebiet zumindest um ein Allgemeines Wohngebiet, wo die Anlage als nicht störende betriebliche Nutzung ausnahmsweise zulässig sei; sie entspreche den Bestimmungen der 26. BImSchV. In dem Kostenausspruch des Widerspruchsbescheides wurden die Verwaltungskosten auf 2.008,10 € festgesetzt.
Mit am 10.04.2003 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz haben die Kläger Klage erhoben. Die streitbefangene Baugenehmigung verstoße gegen öffentliches Recht. Das genehmigte Vorhaben sei bauplanungsrechtlich relevant und damit eine Anlage i.S.v. § 29 BauGB, denn auf Grund seiner Höhe und der exponierten Lage sei das Ortsbild als städtebaulicher Belang berührt, ebenso die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse sowie die Belange des Fernmeldewesens. Die Mobilfunkanlage als gewerbliche Nutzung füge sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein, die sich als reines Wohngebiet darstelle. Wegen der optischen Wirkung der Anlage und der konkreten Bebauungssituation sei auf einen Bereich von ca. 75 Meter um die Sendeanlage abzustellen. Dort gebe es ausschließlich Wohnnutzung. Dieser Einstufung stünden auch vereinzelte freiberufliche Nutzungen nicht entgegen. Die Mobilfunkanlage sei auch keine Nebenanlage im bauplanungsrechtlichen Sinn, weil ihr Einwirkungsbereich über das Baugebiet hinaus gehe. Der Charakter dieses Baugebietes habe nachbarschützende Qualität, auf eine tatsächliche Beeinträchtigung komme es nicht an. Die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB lägen nicht vor, denn es fehle an der Atypik des Vorhabens und auch ein Ermessen sei insoweit nicht ausgeübt worden. Bereits die Ungewissheit bezüglich drohender Gesundheitsschäden begründe die Gebietsunverträglichkeit einer Mobilfunksendeanlage im reinen Wohngebiet und stehe einer Befreiung entgegen. Die Einhaltung der Grenzwerte der 26. BImSchV reiche nicht aus, um den Schutz der Allgemeinheit und insbesondere der unmittelbaren Nachbarn vor den nachteiligen Folgen der dauerhaften Bestrahlung sicherzustellen, denn die Verordnung habe nur einen beschränkten Schutzbereich bezüglich thermischer Effekte, schütze aber nicht vor den Gesundheitsgefährdungen durch athermische Effekte, für die es wissenschaftlich begründete Hinweise gebe. Somit verstoße die 26. BImSchV gegen das Vorsorgeprinzip des § 23 BImSchG, und es ergäben sich Zweifel an der Wirksamkeit der Verordnung. Die Existenz von Mobilfunksendeanlagen in der Nachbarschaft führe mittlerweile bereits zu erheblichen Wertminderungen bei Grundstücken. Der Kostenansatz im Widerspruchsbescheid sei weit überhöht und geeignet, betroffene Bürger von der Wahrnehmung ihrer Rechte abzuhalten.
Die Kläger beantragen,
die der Beigeladenen unter dem Datum des 12. Juni 2002 erteilte Baugenehmigung zur Errichtung einer Mobilfunkstation mit Sendemast und Nutzung eines Kellerraumes als Betriebsraum auf und im Gebäude des Grundstücks B in G..., in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums G... vom 12. März 2003 aufzuheben,
die Beklagte zu verpflichten, der Beigeladenen die Nutzung der Mobilfunkstation mit Sendemast und des Kellerraumes als Betriebsraum auf und im Gebäude des Grundstücks B in G..., sofort vollziehbar zu untersagen,
der Beklagten die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten des Vorverfahrens aufzuerlegen,
hilfsweise die Verwaltungskostenfestsetzung in Ziffer 3 Satz 2 des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, diese unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu festzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen des angefochtenen Widerspruchsbescheides, die sie vertieft und ergänzt. Auf dem Dach des streitbefangenen Gebäudes stehe eine TV-Antenne, die den danebenstehenden Mobilfunkmast um knapp 1 m überrage, was die mangelnde baurechtliche Relevanz des Funkmastes belege. In der näheren Umgebung finde sich überwiegend, aber keinesfalls ausschließlich Wohnbebauung, was im Einzelnen ausgeführt wird. Die streitbefangene Anlage würde sich aber als fernmeldetechnische Nebenanlage selbst im reinen Wohngebiet einfügen. Der Klageantrag zu 2. sei unzulässig, weil sich der zugrundeliegende Antrag auf Nutzungsverbot vom 06.12.2000 durch die Erteilung der vollziehbaren Baugenehmigung erledigt habe. Ihm fehle auch das Rechtsschutzbedürfnis, da nichts dafür ersichtlich sei, dass eine durch Aufhebung der Baugenehmigung formell illegal werdende Nutzung von der Beigeladenen fortgesetzt und auch von der Beklagten geduldet würde. Der Hilfsantrag zu 3. sei unbegründet, da die Beklagte hierfür nicht passiv legitimiert sei.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich nicht schriftsätzlich zur Sache geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der beigezogenen Gerichtsakten 1 E 1175/03, 1 E 1174/03, 1 E 2697/01, 1 E 2699/01, 1 E 2447/02 und 1 E 2381/01 sowie der beigezogenen Behördenakten (2 Hefter).
Gründe
Der Klageantrag zu 1. der Kläger auf Aufhebung der streitbefangenen Baugenehmigung vom 12.06.2002 ist zulässig, aber in der Sache nicht begründet, denn die Kläger haben kein Abwehrrecht gegen das genehmigte Vorhaben der Beigeladenen auf dem Nachbargrundstück (§§ 42 Abs. 1, 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Ein Abwehrrecht des Dritten gegen eine dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung besteht nur, wenn
- ein genehmigtes Vorhaben gegen Vorschriften des öffentlichen Rechts verstößt und die Voraussetzungen für eine Abweichung, Ausnahme oder Befreiung nicht vorliegen und
- die verletzten Vorschriften auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt, also nachbarschützend sind, und
- durch das rechtswidrige Vorhaben eine tatsächliche Beeinträchtigung des Nachbarn hinsichtlich der durch die Vorschriften geschützten nachbarlichen Belange eintritt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Hess. VGH, Beschl. v. 01.08.1991 - 4 TG 1244/91 -).
Daraus folgt, dass das Begehren des Dritten bereits dann abzulehnen ist, wenn die Baugenehmigung ihn offensichtlich nicht in eigenen Rechten verletzt.
Die der Beigeladenen von der Beklagten unter dem 12.06.2002 erteilte Baugenehmigung zur Errichtung einer Mobilfunkstation mit Sendemast und Nutzung eines Kellerraumes als Betriebsraum verstößt nicht gegen die öffentlich-rechtlichen Vorschriften des Immissionsschutzes.
Beim Sendebetrieb mittels dieser Mobilfunksendeanlage des Mobilfunks entstehen Immissionen und Emissionen im Sinne von § 3 Abs. 2 und 3 Bundes-Immissionsschutzgesetz - BImSchG - (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 11.03.1993 - 3 TH 768/92 -, NVwZ 1993, 1119) . § 2 Abs. 2 Satz 1 BImSchG ist nicht einschlägig. Bei der Mobilfunksendeanlage handelt es sich um eine nicht nach den §§ 4 ff. BImSchG genehmigungspflichtige Anlage. Die Pflichten der Betreiber nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen sind in § 22 BImSchG geregelt. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG sind nicht genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Nach § 3 Abs. 1 BImSchG sind schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile - darunter sind vor allem Vermögenseinbußen, die auf physischen Einwirkungen beruhen, zu verstehen (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 30.12.1994 - 4 TH 2064/94 -) - oder erhebliche Belästigungen - dies sind unzumutbare Beeinträchtigungen des körperlichen und seelischen Wohlbefindens unterhalb der Schwelle der Gesundheitsbeeinträchtigung (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21.03.1993 - 10 S 1735/91 -, VBlBW 1994, 239; Hess. VGH, Beschluss vom 30.12.1994 - 4 TH 2064/94 -) - für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Derartige Einwirkungen sind den davon Betroffenen grundsätzlich unzumutbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.02.1977 - IV C 22.75 -, BVerwGE 52, 122; Hess. VGH, Beschluss vom 30.12.1994 - 4 TH 2064/94 -). Die §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG sind aufgrund der Einbeziehung der Nachbarschaft nachbarschützend (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.07.1986 - 4 C 31.84 -, BVerwGE 74, 315; Urteil vom 03.04.1987 - 4 C 41.84 -, NVwZ 1987, 884; Hess. VGH, Urteil vom 04.07.1985 - 3 OE 22/82 -, UPR 1986, 354; Beschluss vom 11.03.1993 - 3 TH 768/92 -, NVwZ 1993, 1119; Beschluss vom 30.12.1994 - 4 TH 2064/94 -).
Die Mobilfunksendeanlage hielt und hält nach § 2 Nr. 1 26. BImSchV (Verordnung über elektromagnetische Felder vom 16.12.1996, BGBl. I S. 1966) sowohl die zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen im Anhang 1 der 26. BImSchV bestimmten Grenzwerte als auch nach § 2 Nr. 2 26. BImSchV zusätzlich den im hier vorliegenden Fall der Verursachung von gepulsten elektromagnetischen Feldern maßgeblichen Spitzenwert ein. Dies ergibt sich aus der vorgenannten Standortbescheinigung vom 23.02.2000, auf die Bezug genommen wird.
Die 26. BImSchV konkretisiert das vom Normgeber für erforderlich gehaltene Maß dessen, was an Umwelteinwirkungen i.S.d. §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG für die Nachbarschaft zumutbar ist. Nach der seit dem Inkrafttreten dieser Verordnung ergangenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung können bei Einhaltung dieser Verordnung keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch Sendeanlagen für den Mobilfunk oder vergleichbare Anlagen festgestellt werden; eine Unterschreitung der sich nach der 26. BImSchV ergebenden Sicherheitsabstände wurde in keinem Fall verlangt (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 08.07.1997 - 14 B 93.3102 -, NVwZ 1998, 419; VG Schleswig, Urteil vom 22.08.1997 - 12 A 77/93 -, NVwZ 1998, 434; Sächs. OVG, Beschluss vom 17.12.1997 - 1 S 746/96 -, DÖV 1998, 431; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.1997 - 10 S 4/96 -, NVwZ 1998, 416 <Hochspannungsfreileitung>; Hess. VGH, Beschluss vom 29.07.1999 - 4 TG 2118/99 -; VG Gießen, Beschluss vom 29.08.2000 - 1 G 2224/00 -; Beschluss vom 18.06.2002 - 1 G 1689/02 -). Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12.02.1997 - 1 BvR 1658/96 - (NJW 1997, 2509 = NuR 1997, 394) ist die 26. BImSchV eine geeignete Maßnahme zur Abwehr von Gesundheitsgefahren aus elektromagnetischen Feldern. Als normative Festlegung dieser Zumutbarkeitsschwelle schließt die 26. BImSchV grundsätzlich die tatrichterliche Beurteilung aus, dass Immissionen der Funkübertragungsanlage , die die Immissionsrichtwerte nach der 26. BImSchV unterschreiten, im Einzelfall gleichwohl als erheblich i.S.d. vorgenannten Vorschriften eingestuft werden können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 08.11.1994 - 7 B 73.94 -, NVwZ 1995, 993, zur vergleichbaren Problematik nach der 18. BImSchV <Sportanlagenlärmschutzverordnung>). Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28.02.2002 - 1 BvR 1676/01 - ist durch die 26. BImSchV den sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz - GG - ergebenden Anforderungen an den staatlichen Schutz der menschlichen Gesundheit genügt und kann eine kompetente eigenständige Risikobewertung durch die Gerichte erst dann erfolgen, wenn die Forschung so weit fortgeschritten ist, dass sich die Beurteilungsproblematik auf bestimmte Fragestellungen verengen lässt, welche anhand gesicherter Befunde von anerkannter wissenschaftlicher Seite geklärt werden kann.
Auch aus § 50 BImSchG ergibt sich nichts anderes. Danach sind bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen die für eine bestimmte Nutzung vorgesehenen Flächen einander so zuzuordnen, dass schädliche Umwelteinwirkungen auf die ausschließlich oder überwiegend dem Wohnen dienenden Gebiete soweit wie möglich vermieden werden (sog. immissionsschutzrechtliche Optimierungsgebot). § 50 BImSchG findet im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens keine Anwendung. Der immissionsrechtliche Schutz des Nachbarn richtet sich nach § 22 BImSchG. § 50 BImSchG wendet sich nicht an die Bauaufsichtsbehörde, sondern richtet sich an alle, die im Bereich des öffentlichen Rechts mit raumbezogenen Planungen und Maßnahmen befasst sind. Es handelt sich - dies zeigt auch die Überschrift "Planung" - um eine raumbezogene Planungsvorschrift mit einer in das Planungsstadium vorverlagerten Umweltverträglichkeitsprüfung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.09.1981 - 4 B 114.81 -, NJW 1982, 348; Urteil vom 04.05.1988 - 4 C 2.85 -, NVwZ 1989, 151; VG Gießen, Beschluss v. 18.06.2002 - 1 G 1689/02 -, NVwZ-RR 2002, 825; Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Stand April 1999, Band I § 50 Anm. 2 u. 3; Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz, 4. Aufl. 1999, § 50 Rn. 1 u. 2). Wie die Formulierung "so weit wie möglich" in § 50 BImSchG zeigt, ist bei der Abwägung diesem Belang hinreichend Rechnung getragen, wenn der das Maß der zulässigen Umwelteinwirkung regelnden Norm - hier der 26. BImSchV - Genüge getan wird. Dies ist hier - wie gezeigt - der Fall (vgl. hierzu insgesamt Beschluss des erkennenden Gerichts vom 08.07.2002 - 1 G 2239/02 -, NuR 2003, 60 f.).
Der klägerische Vortrag gibt auch keinen Anlass zu weiterer Amtsermittlung in diesem Problemkreis. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass dem Verordnungsgeber bei komplexen Gefährdungslagen, über die noch keine verlässlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen, ein angemessener Erfahrungs- und Anpassungsspielraum zukomme. In einer solchen Situation der Ungewissheit verlange die staatliche Schutzpflicht von den Gerichten weder, ungesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen mit Hilfe des Prozessrechts zur Durchsetzung zu verhelfen, noch die Vorsorgeentscheidung des Verordnungsgebers unter Kontrolle zu halten und die Schutzeignung der Grenzwerte jeweils nach dem aktuellen Stand der Forschung zu beurteilen. Es sei vielmehr Sache des Verordnungsgebers, den Erkenntnisfortschritt der Wissenschaft mit geeigneten Mitteln nach allen Seiten zu beobachten und zu bewerten, um ggf. weitergehende Schutzmaßnahmen treffen zu können. Eine Verletzung der Nachbesserungspflicht durch den Verordnungsgeber könne gerichtlich erst festgestellt werden, wenn evident sei, dass eine ursprünglich rechtmäßige Regelung zum Schutz der Gesundheit auf Grund neuer Erkenntnisse oder einer veränderten Situation verfassungsrechtlich untragbar geworden sei. Eine solche Verteilung der Verantwortung zur Beurteilung komplexer, wissenschaftlich umstrittener Gefährdungslagen zwischen Exekutive und Gerichten trage auch den nach Funktion und Verfahrensweise unterschiedlichen Erkenntnismöglichkeiten beider Gewalten Rechnung. Dies zeige der vorliegend in Rede stehende Forschungsbereich deutlich. Untersuchungen zu den Auswirkungen elektromagnetischer Felder auf den Menschen fänden bereits seit längerem auf internationaler Ebene und fachübergreifend statt, insbesondere auch zu den hier in Rede stehenden Einwirkungen unterhalb der geltenden Grenzwerte. Die Forschungen seien nach wie vor keineswegs abgeschlossen. Vielmehr sei die Zahl neuer Forschungsarbeiten äußerst groß. In dieser Situation könne durch die Betrachtung einzelner wissenschaftlicher Studien kein konsistentes Bild über die Gefährdungslage erlangt werden; eine kompetente Risikobewertung setze stattdessen die laufende fachübergreifende Sichtung und Bewertung der umfangreichen Forschung voraus. Diese Aufgabe werde von verschiedenen internationalen und nationalen Fachkommissionen wahrgenommen, u.a. von einer beim Bundesamt für Strahlenschutz gebildeten Arbeitsgruppe von Experten aus den mit dem Forschungsgegenstand befassten Fachrichtungen. Es liege auf der Hand, dass die gerichtliche Beweiserhebung anlässlich eines konkreten Streitfalles die gebotene Gesamteinschätzung des komplexen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes nicht leisten könne. Eine kompetente eigenständige Risikobewertung durch die Gerichte könne erst erfolgen, wenn die Forschung so weit fortgeschritten sei, dass sich die Beurteilungsproblematik auf bestimmte Fragestellungen verengen ließe, welche anhand gesicherter Befunde von anerkannter wissenschaftlicher Seite geklärt werden könnten (BVerfG, Beschluss vom 28.02.2002 - 1 BvR 1676/01 -).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bietet der klägerische Vortrag keine Anhaltspunkte für die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen, etwa durch Beweiserhebungen. Hiervon ist offensichtlich auch der Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung vom 08.09.2003 ausgegangen, denn er hat nach dem ausführlichen rechtlichen Hinweis des Gerichts und dem sich hieran anschließenden Rechtsgespräch trotz Nachfrage des Kammervorsitzenden keinen der zuvor angekündigten Beweisanträge gestellt.
In bauplanungsrechtlicher Hinsicht liegen für das von der Beklagten unter dem 12.06.2002 genehmigte Vorhaben der Beigeladenen die Voraussetzungen einer Ausnahme bzw. Befreiung vor, soweit es nicht ohnehin mit dem öffentlichen Recht übereinstimmt.
Ohne Belang ist insoweit, dass die Beklagte tatsächlich keine Ausnahme- oder Befreiungsentscheidung getroffen hat, da es nur darauf ankommt, ob die Voraussetzungen hierfür vorliegen. Insoweit stellt sich auch die Frage von Ermessensfehlern bei einer solchen Entscheidung im vorliegenden Fall nicht.
Auf die zwischen den Beteiligten streitige, bauplanungsrechtliche Frage des Gebietscharakters des im Zusammenhang bebauten Ortsteils i.S.v. § 34, in dem das streitbefangene Grundstück liegt, kommt es vorliegend nicht an. Sofern es sich hier um ein Mischgebiet handeln sollte - wofür nach Auffassung der Kammer aber kaum Anhaltspunkte sprechen -, wäre die streitbefangene Anlage als "sonstiger, nicht wesentlich störender Gewerbebetrieb" (vgl. hierzu VG Gießen, Beschluss vom 08.07.2002 - 1 G 2239/02 -, NuR 2003, 60) nach § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO ohne Weiteres zulässig. Die Bedenken des Verwaltungsgerichts Hamburg in dem von der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung vom 08.09.2003 vorgelegten Beschluss (Az.: 4 VG 4640/2002) teilt das erkennende Gericht nicht. Wenn das Verwaltungsgericht Hamburg zweifelt, ob eine Mobilfunkanlage trotz Einhaltung der immissionsschutzrechtlichen Bestimmungen nicht doch eine störende Nutzung darstellt, weil bei den Anwohnern hierdurch psychische Belastungen ausgelöst würden, so ist dem entgegenzuhalten, dass es sich hierbei zum einen nicht um einen bauplanungsrechtlichen, d.h. bodenrechtlichen Gesichtspunkt handelt und dass zum anderen die Frage der psychischen Belastung von Anwohnern von außerrechtlichen Determinanten abhängt, die sich innerhalb kürzester Zeit in die eine oder andere Richtung verändern können. Eine solche rechtliche Unsicherheit ist dem Inhaber einer Baugenehmigung bzw. Betreiber einer gewerblichen Anlage aber unter Berücksichtigung der Eigentumsgarantie nach Art. 14 Abs. 1 GG nicht zuzumuten.
Würde man dagegen die nähere Umgebung der streitbefangenen Anlage als Allgemeines Wohngebiet qualifizieren, so wäre diese dort ausnahmsweise zulässig. Nach § 31 Abs. 1 BauGB, der gem. § 34 Abs. 2 BauGB im unbeplanten Innenbereich entsprechend anzuwenden ist, i.V.m. § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO kann in einem Gebiet, das einem Allgemeinen Wohngebiet entspricht, ein nicht störender Gewerbebetrieb zugelassen werden, der nach Art und Umfang gebietsverträglich ist und die allgemeine Zweckbestimmung des Gebiets nach § 4 Abs. 1 BauNVO, vorwiegend dem Wohnen zu dienen, nicht gefährdet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 02.07.1991 - 4 B 1/91 -, NVwZ 1991, 982; Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 6. Aufl. 1998, Rz. 14 zu § 31). Eine solche Gefahr besteht im vorliegenden Fall nicht, denn die streitbefangene Anlage hat nur geringe Ausmaße und fällt in der konkreten Umgebungssituation kaum auf. Sie hat keinen Zu- und Abgangsverkehr, benötigt keine zusätzlichen Erschließungs-, Verkehrs- oder Stellplatzflächen und hat auch sonst keine Auswirkungen, die den Gebietscharakter gefährden könnten, so dass für den Fall eines Allgemeinen Wohngebietes bezüglich der streitbefangenen Anlage die bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Ausnahme vorlägen.
Die Klage hätte mit ihrem Klageantrag zu 1. aber auch dann keinen Erfolg, wenn die nähere Umgebung des streitbefangenen Grundstücks als reines Wohngebiet anzusehen wäre, da die Mobilfunksendeanlage dann im Wege einer Befreiung zugelassen werden könnte. Nach § 31 Abs. 2 BauGB kann eine solche Befreiung erteilt werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und Gründe des Allgemeinwohls die Befreiung erfordern oder die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder eine unbeabsichtigte Härte entstünde und wenn die Abweichung auch unter Berücksichtigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Voraussetzung für eine Befreiungsentscheidung ist aber zunächst das Vorliegen eines atypischen Sonderfalles. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rechtfertigt sich das Rechtsinstitut der Befreiung von dem Gebot oder Verbot einer Norm daraus, dass die mit einer Normierung regelmäßig verbundene Abstraktion und Verallgemeinerung unvermeidbar zu Differenzen zwischen dem Regelungsinhalt und dem hinter der Regelung stehenden Schutzgut führen könne, weil und soweit sie besonders gelagerten Sachverhalten, die aus tatsächlichen Gründen "atypisch aus der Regel fallen", nicht gerecht werden. Um im Einzelfall diesem Mangel abhelfen zu können, bedarf es der Möglichkeit, in solchen atypischen Fällen von der Einhaltung einer Norm zu befreien (vgl. Gelzer/Bracher/Reidt, Bauplanungsrecht, 6. Aufl. 2001, Rz. 1941). Daher ist die atypische Sondersituation immanentes Merkmal einer jeden Befreiung (BVerwG, Beschluss vom 08.05.1989 - 4 B 78/89 -, NVwZ 1989, 1060). Hieran ist auch nach der Neufassung des Baugesetzbuches durch das BauROG 1998 festzuhalten (vgl. Ferner, BauGB in: Das deutsche Bundesrecht, Stand: 3/2001, § 31, S. 189).
Eine solche atypische Sondersituation ist in dem vorliegenden Einzelfall zu bejahen, da die Nutzung der streitigen Anlage zwar eine gewerbliche Nutzung darstellt, nicht aber eine solche, wie sie § 3 BauNVO verhindern will. Die dort normierte Beschränkung auf kleine Ladengeschäfte und Handwerksbetriebe, die zur Deckung des täglichen Bedarfs für die Bewohner des Gebiets dienen bzw. Anlagen für soziale Zwecke sowie den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienender Anlagen für kirchliche, kulturelle, gesundheitliche und sportliche Zwecke, hat den Sinn, das im reinen Wohngebiet gewollte störungsfreie Wohnen zu gewährleisten; hierzu gehören insbesondere störende Gerüche, Erschütterungen, Lärm etc. Eine derartige Sachlage ist aber bei der im Streit befindlichen Mobilfunkanlage nicht gegeben, da diese allein in optischer Hinsicht in Erscheinung tritt und da auf Grund der Vereinbarkeit mit den einschlägigen immissionsschutzrechtlichen Bestimmungen (s.o.) ein störungsfreies Wohnen gewährleistet ist. Außerdem nutzt sie die besondere Grundstückssituation aus, indem sie auf einem vorhandenen Gebäude errichtet ist, dort in der konkreten Umgebungssituation von untergeordneter Auswirkung ist und somit zusätzliche und störende selbstständige Unterkonstruktionen vermieden werden können (vgl. auch hierzu VG Sigmaringen, Urteil vom 26.03.2003 - 3 K 293/02 -).
Die Grundzüge der Planung i.S.v. § 31 Abs. 2 BauGB - dem entspricht im unbeplanten Innenbereich der faktische Charakter des Gebiets - nämlich den maßgeblichen Bereich als Wohngebiet zu erhalten, werden durch die streitbefangene Anlage nicht berührt. Die betreffenden Grundstücke werden weiterhin zu Wohnzwecken genutzt und das Gebiet bekommt keinen anderen Charakter dadurch, dass auf einem Grundstück eine Mobilfunksendeanlage in der hier konkret zur Beurteilung anstehenden Ausgestaltung errichtet ist (vgl. hierzu Urteil des VG Würzburg vom 11.03.2003 - W 4 K 02.135 -).
Fraglich ist dagegen, ob im vorliegenden Fall Gründe des Allgemeinwohls die Befreiung erfordern, weil die Nutzung eines Handys zum üblichen, wohl als notwendig angesehenen Standard gehört und damit ein entsprechendes Allgemeininteresse an der Lückenlosigkeit der Netzanlagen besteht (so VG Würzburg, a.a.O.) und die Wertentscheidung des Art. 87 f. Abs. 1 GG für eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Telekommunikationsdienstleistungen berücksichtigt werden muss (vgl. VG Sigmaringen, a.a.O.). Im vorliegenden Verfahren ist nämlich nicht abschließend geklärt worden, ob der konkrete Standort der streitbefangenen Anlage technisch notwendig ist oder auch ein anderer Standort in Betracht käme, wiewohl der Standort am höchstgelegensten Punkt der Umgebung nachhaltig dafür streitet.
Auf diese Frage, die möglicherweise mit einer (aufwändigen) Beweisaufnahme hätte beantwortet werden müssen, kommt es aber im Ergebnis nicht an, da eine Befreiung jedenfalls nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB städtebaulich vertretbar ist. Die Befreiungsmöglichkeit nach dieser Vorschrift ist mit der Änderung durch das BauROG 1998 wesentlich erweitert worden und durch das sehr weite Merkmal der "Vertretbarkeit" kaum eingeengt (Battis/Krautzberger/Löhr, a.a.O., Rz. 35 f. zu § 31). Eine Abweichung ist dann städtebaulich vertretbar, wenn das Bauvorhaben mit der geordneten städtebaulichen Entwicklung und Ordnung gemäß den Anforderungen des § 1 Abs. 5 und 6 BauGB vereinbar ist und sie von der Art und vom Umfang nicht die Bedeutung hat, dass unter Beachtung der §§ 1 Abs. 3, 13 BauGB eine Änderung bzw. Aufstellung eines Bebauungsplanes erforderlich wäre (Ferner, a.a.O., S. 189 m.w.N.). Maßgeblich sind somit allein städtebauliche Gesichtspunkte, die im konkret zur Entscheidung anstehenden Einzelfall keine Zweifel an der städtebaulichen Vertretbarkeit zulassen. Dies ergibt sich vor allem aus der Größe der streitbefangenen Anlage unter Berücksichtigung der sich aus den beigezogenen Zeichnungen, Plänen und Bildern ergebenden Umgebungssituation. Schon der Vergleich mit den tatsächlich existierenden oder sonst üblichen TV-Antennenanlagen zeigt die geringe städtebauliche Bedeutung der Mobilfunksendeanlage der Beigeladenen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem gewerblichen Charakter ihrer Nutzung, da diese - wie bereits ausgeführt - keine relevanten städtebaulichen Auswirkungen hat.
Die Erteilung einer Befreiung ist auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Nach dem bereits Ausgeführten stehen weder immissionsschutzrechtliche Bedenken noch sonstige rechtlich relevante Schutzgüter auf Klägerseite einer Befreiung entgegen und auch öffentliche Belange sind insoweit nicht erkennbar. Insbesondere ist das Ortsbild nicht in relevanter Weise berührt. Aufgrund ihrer Größe und Gestaltung ruft die streitbefangene Anlage unter Berücksichtigung der konkreten Gebietssituation kein Bedürfnis nach einer Bauleitplanung hervor (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall VG Bayreuth, Urteil vom 05.07.2001 - B 2 S 01.367 -). Zudem streitet der Umstand, dass die Beigeladene mit der Errichtung und dem Betrieb der Mobilfunksendeanlage ihrem gesetzlichen Versorgungsauftrag nach den §§ 17, 18 Telekommunikationsgesetz - TKG - nachkommt und zur flächendeckenden Versorgung weitgehend standortgebunden ein Netz von Mobilfunksendeanlagen unterhalten muss, für die Befreiung (vgl. VG Gießen, Beschluss vom 08.07.2001, a.a.O.).
Nach alledem liegen für die Mobilfunksendeanlage der Beigeladenen bei Annahme eines reinen Wohngebietes die Voraussetzungen für die Gewährung einer Befreiung vor.
Selbst wenn man aber die nähere Umgebung des streitbefangenen Grundstücks als nicht einem Baugebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung zurechenbar ansähe und deshalb auf § 34 Abs. 1 BauGB abstellte, wären dessen Voraussetzungen des Einfügens aus den vorgenannten Gründen gegeben und auch die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse sowie bezüglich der Wahrung des Ortsbildes nach § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB sind gewahrt.
In bauordnungsrechtlicher Hinsicht bestehen gegen die angefochtene Baugenehmigung ebenfalls keine Bedenken, da die allein in Betracht kommenden Gesichtspunkte der §§ 3 Abs. 1, 16 HBO 1993 (nunmehr §§ 3 Abs. 1, 12 HBO 2002) durch die Standortbescheinigung abgedeckt sind. Insoweit wird auf die obenstehenden Ausführungen zur immissionsschutzrechtlichen Beurteilung verwiesen.
Nach alledem ist die Klage mit ihrem Klageantrag zu 1. bereits abzuweisen, weil für das genehmigte Vorhaben die Voraussetzungen für eine Ausnahme bzw. Befreiung vorliegen, soweit es nicht ohnehin mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften übereinstimmt.
Selbst wenn dies aber anders zu sehen wäre, könnte der Klageantrag zu 1. keinen Erfolg haben, denn die streitbefangene Anlage verletzt nicht den rechtlich gebotenen Nachbarschutz in dem im Zusammenhang bebauten Ortsteil.
Nach der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. Beschluss v. 25.07.1991 - 4 TH 1032/91 -) der sich die Kammer anschließt, ist § 34 BauGB nur insoweit nachbarschützend, als dem Gebot der Rücksichtnahme Nachbarschutz zukommt. Eine solchermaßen schutzwürdige Position im Rahmen des § 34 BauGB muss ein privates Interesse sein, das städtebaulich auch im Rahmen der Bauleitplanung (§ 1 Abs. 5 und 6 BauGB) beachtlich sein könnte. Die schutzwürdige Position muss außerdem eine sein, die in einem vergleichbaren Planbereich durch die Festsetzung eines Bebauungsplans oder die ergänzende Geltung des § 15 BauNVO ebenfalls so geschützt werden könnte, wie durch das Gebot der Rücksichtnahme im unbeplanten Innenbereich. Schließlich muss die Position so schutzwürdig sein, dass sie auch im Falle der Beplanung des betreffenden Gebiets mit einem Bebauungsplan bei rechtmäßiger Ausübung des planerischen Ermessens, nämlich bei sachgerechter Abwägung aller einschlägigen Belange, sich im Ergebnis durchsetzen müsste, also nicht - oder in Sonderfällen jedenfalls nicht entschädigungslos - entzogen werden könnte.
Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur nachbarschützenden Wirkung von Gebietsfestsetzungen in beplanten Bereichen, auf die die Klägerseite hinweist, lassen sich nicht auf den unbeplanten Innenbereich übertragen. § 34 Abs. 1 BauGB knüpft die Zulässigkeit von Vorhaben an eigenständige Voraussetzungen, die im Vergleich mit den Festsetzungen eines Bebauungsplanes notwendigerweise weniger scharf sind, da sie sich an der Umgebungsbebauung zu orientieren haben. Die Vorschrift bietet keine Garantie dafür, dass die Eigenart eines Gebiets auf Dauer unangetastet bleibt. Der vom Gesetzgeber in § 34 Abs. 1 BauGB verwandte Zulässigkeitsmaßstab bringt es zwangsläufig mit sich, dass sich der Beurteilungsrahmen für künftige Vorhaben durch bauliche Veränderungen in der Umgebung verschieben kann (BVerwG, Beschluss vom 13.11.1997 - 4 B 195/97 -, NVwZ-RR 1998, 540).
Anhand dieses Maßstabes ist im vorliegenden Fall keine rechtlich schutzwürdige Position erkennbar. Es ist nicht ersichtlich, dass sich das klägerische Interesse an der Erhaltung der bisherigen Grundstückssituation im Falle einer isolierten Beplanung des Beigeladenengrundstücks in einer Weise, die das genehmigte Bauvorhaben ermöglichen würde, bei der dann nach § 1 Abs. 6 BauGB erforderlichen Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen im Ergebnis durchsetzen müsste.
Auch der Umstand, dass im Rahmen der Prüfung des Gebots der Rücksichtnahme bei störenden Nutzungen auch die Anforderungen des Immissionsschutzes nach dem Maßstab des § 22 Abs. 1 BImSchG zu beachten sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.06.1990 - 4 C 6/87 -, NVwZ 1991, 64), führt zu keinem anderen Ergebnis, da nach den vorstehenden Ausführungen zur immissionsschutzrechtlichen Beurteilung diesen Anforderungen genügt wird.
Nach dem bereits Ausgeführten gehen von der streitbefangenen Mobilfunksendeanlage keine Auswirkungen aus, die in Bezug auf das klägerische Grundstück als rücksichtslos angesehen werden könnten.
Etwas anderes ergäbe sich auch dann nicht, wenn für dieses Grundstück tatsächlich der behauptete Wertverlust eingetreten wäre. Wertminderungen als Folge der Ausnutzung der einem Dritten erteilten Baugenehmigung bilden nicht für sich genommen einen Maßstab dafür, ob Beeinträchtigungen im Sinne des Rücksichtnahmegebots zumutbar sind oder nicht. Einen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, dass der Einzelne einen Anspruch darauf hat, vor jeglicher Wertminderung bewahrt zu bleiben, gibt es nicht (BVerwG, Beschluss vom 13.11.1997 - 4 B 195/97 -, BRS 59 Nr. 177). Selbst die durch eine rechtswidrige Baumaßnahme eintretende Minderung des Verkehrswertes kann nur bei einer "grundsätzlichen", d.h. die Funktionen und Nutzbarkeit des Grundstücks betreffenden Entwertung erheblich sein. Es besteht kein Schutz gegen Wertminderungen des eigenen Grundstücks durch die Bebauung eines anderen Grundstücks, deren Auswirkungen nicht den Grad des schweren und unerträglichen Eingriffs erreichen (Hess. VGH, Beschluss vom 31.10.1983 - 4 TG 41/83 -, Hess.VGRspr. 1984, 54 m.w.N.), wovon im vorliegenden Fall zweifellos nicht auszugehen ist.
Darüber hinaus ist der Klageantrag zu 1. auch deshalb abzuweisen, weil eine tatsächliche Beeinträchtigung des klägerischen Grundstücks für die Kammer nicht erkennbar ist. Soweit die genehmigte Mobilfunksendeanlage überhaupt rechtlich relevante Auswirkungen auf die Nachbargrundstücke hat, erreichen sie jedenfalls nicht die insoweit bestehende Bagatellgrenze. Der Annahme einer solchen Grenze steht auch die von der Klägerseite herangezogene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.09.1993 (Az.: 4 C 28.91, BRS 55 Nr. 110) nicht entgegen. Zwar heißt es dort, dass ein Nachbaranspruch schon bestehe, wenn das baugebietswidrige Vorhaben noch nicht zu einer tatsächlich spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigung führe. Voraussetzung hierfür ist nach dieser Entscheidung aber, dass eine Verfremdung des Gebiets eingeleitet wird. Dies ist bei einem Mobilfunkmast wie dem im vorliegenden Verfahren zur Beurteilung Anstehenden nicht anzunehmen. Außerdem spricht die vorgenannte Entscheidung an anderer Stelle selbst davon, dass eine erhebliche Verletzung des Gebietscharakters notwendig sei, was nach dem bereits Ausgeführten ebenfalls zu verneinen ist.
Nach alledem ist der Klageantrag zu 1. als unbegründet abzuweisen.
Auch der Klageantrag zu 2. auf Verpflichtung der Beklagten, der Beigeladenen die Nutzung der streitbefangenen Anlage sofort vollziehbar zu untersagen, kann nach dem Vorstehenden keinen Erfolg haben.
Der Klageantrag zu 3. ist unzulässig.
Bei der Kostenfestsetzung im Widerspruchsbescheid, auf die sich der Hilfsantrag bezieht, handelt es sich gem. § 80 Abs. 3 HVwVfG um eine Entscheidung der Behörde, die auch die Kostenentscheidung getroffen hat, mithin des Regierungspräsidiums G... als Widerspruchsbehörde. Diese Entscheidung kann sowohl als selbstständiger Verwaltungsakt ergehen als auch mit der Entscheidung über den Widerspruch verbunden werden. In beiden Fällen handelt es sich aber um eine eigene Entscheidung der Widerspruchsbehörde, die gesondert gegenüber deren Rechtsträger, dem Land Hessen, anzufechten wäre (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, Rz. 95 zu § 80). Dies ergibt sich auch aus § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, wonach Gegenstand der Anfechtungsklage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt ist, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat (vgl. Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Aufl. 2000, Rz. 6 a zu § 79). Hierzu zählt die Kostenfestsetzung nicht, so dass sich der Hilfsantrag im Klageantrag zu 3. gegen den falschen Beklagten richtet.
Richtet sich dieser Hilfsantrag aber gegen einen anderen Beklagten als den, gegenüber dem der Kostenausspruch des Gerichts in der Entscheidung über die Klageanträge im Übrigen ergehen würde, so ist auch die Verbindung der Anträge im Klageantrag zu 3. als Haupt- und Hilfsantrag unzulässig. Dies ergibt sich bereits aus der nach § 173 VwGO entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 260 ZPO, wonach nur dann mehrere Ansprüche in einer Klage verbunden werden können, wenn sie sich gegen denselben Beklagten richten.
Somit ist die Klage insgesamt mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren nicht für erstattungsfähig zu erklären (§ 162 Abs. 3 VwGO), da diese keinen Antrag gestellt und sich somit keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
VG Gießen:
Urteil v. 08.09.2003
Az: 1 E 1173/03
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/702c1eb2c794/VG-Giessen_Urteil_vom_8-September-2003_Az_1-E-1173-03