Oberlandesgericht München:
Urteil vom 16. Oktober 2013
Aktenzeichen: 7 U 3018/13
(OLG München: Urteil v. 16.10.2013, Az.: 7 U 3018/13)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Oberlandesgericht München hat in einem Urteil vom 16. Oktober 2013 (Aktenzeichen 7 U 3018/13) entschieden, dass ein Vorstandsmitglied keinen Anspruch auf ein bestimmtes Abstimmungsverhalten im Aufsichtsrat hat, wenn es um die Abberufung des Vorstandsmitglieds nach § 84 AktG geht. Das Gericht argumentiert, dass das Einwirken auf das Abstimmungsverhalten eines einzelnen Aufsichtsratsmitglieds nicht ausreicht, um die Mehrheit für den Beschluss zu verhindern. Daher könne mit einem Antrag auf ein bestimmtes Abstimmungsverhalten kein effektiver Rechtsschutz erreicht werden.
Das Urteil des Landgerichts München I vom 27.06.2013 (Az. 5 HK O 26306/12), in dem dem Vorstandsmitglied eine einstweilige Verfügung gewährt wurde, wurde durch das Urteil des Oberlandesgerichts München aufgehoben. Der Antrag des Vorstandsmitglieds auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wurde abgewiesen. Das Vorstandsmitglied muss die Kosten des Rechtsstreits tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
In dem Rechtsstreit ging es um die Berechtigung, die Vorstandsstellung des Vorstandsmitglieds zu widerrufen. Das Vorstandsmitglied wollte erreichen, dass dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats untersagt wird, für den Widerruf der Bestellung zum Vorstandsmitglied, vorläufige Amtsenthebung und Kündigung des Vorstandsanstellungsvertrags zu stimmen.
Das Landgericht hatte die einstweilige Verfügung zunächst gewährt, jedoch mit der Maßgabe, dass der Widerruf der Bestellung des Vorstandsmitglieds nicht auf im einzelnen dargelegte Sachverhalte gestützt werden darf. Es begründet diese Entscheidung damit, dass das Vorstandsmitglied einen Anspruch darauf hat, nicht auf grundlosen Gründen aus dem Amt abberufen zu werden.
Die Berufung des Aufsichtsratsmitglieds gegen das Urteil des Landgerichts war erfolgreich. Das Oberlandesgericht entschied, dass das Vorstandsmitglied keinen Anspruch auf ein bestimmtes Abstimmungsverhalten im Aufsichtsrat hat. Das Gericht argumentierte, dass das Einwirken auf das Abstimmungsverhalten eines einzelnen Aufsichtsratsmitglieds nicht ausreicht, um einen mehrheitlichen Beschluss zu verhindern. Außerdem sei es Sache des Aufsichtsrats als Gremium, über den Widerruf des Vorstandsmitglieds zu entscheiden, nicht eines einzelnen Aufsichtsratsmitglieds. Das Gericht hielt auch die Anwendbarkeit der im Bereich des GmbH-Rechts ergangenen Entscheidungen für nicht zutreffend. Das Urteil begründete die Entscheidung damit, dass ein Anspruch des Vorstandsmitglieds allenfalls gegen die Gesellschaft, vertreten durch den Aufsichtsrat, geltend gemacht werden könnte.
Aufgrund dieser Gründe wurde das Urteil des Landgerichts aufgehoben und der Antrag des Vorstandsmitglieds auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgewiesen. Das Vorstandsmitglied muss die Kosten des Rechtsstreits tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
OLG München: Urteil v. 16.10.2013, Az: 7 U 3018/13
1. Für einen gegen ein Mitglied des Aufsichtsrats im Wege der einstweiligen Verfügung gerichteten Antrag eines Mitglieds des Vorstands auf ein bestimmtes Abstimmungsverhalten im Aufsichtsrat betreffend die Abberufung nach § 84 AktG gewährt diese Bestimmung keinen Anspruch.2. Da das Einwirken auf das Abstimmungsverhalten nur eines Mitglieds des Aufsichtsrats nicht geeignet ist, einen mehrheitlichen Beschluss zu verhindern, kann mit dem Antrag effektiver Rechtsschutz nicht erreicht werden.
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 27.06.2013, Az. 5 HK O 26306/12, aufgehoben und der Antrag des Klägers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die Parteien streiten im Wege der einstweiligen Verfügung um die Berechtigung, die Vorstandsstellung des Verfügungsklägers zu widerrufen.
Der Kläger, Vorstand der a. A. S. AG, eines nicht börsennotiertes Softwareunternehmens, begehrt mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung dem Verfügungsbeklagten, dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats der Gesellschaft, zu untersagen, für den Widerruf seiner Bestellung zum Vorstandsmitglied, für eine vorläufige Amtsenthebung (Suspendierung) als Vorstand der Gesellschaft und für die Kündigung seines Vorstandsanstellungsvertrags aus wichtigem Grund zu stimmen.
Das Landgericht hat am 12.12.2012 die beantragte einstweilige Verfügung erlassen. Nachdem der Beklagte hiergegen Widerspruch eingelegt hatte, hat es nach mündlicher Verhandlung vom 06.06.2013 die einstweilige Verfügung durch Endurteil im Wesentlichen aufrecht erhalten, allerdings mit der Maßgabe, dass die im ursprünglichen Beschluss genannten Maßnahmen, insbesondere der Widerruf der Bestellung des Klägers zum Vorstandsmitglied nicht auf im einzelnen dargelegte Sachverhalte gestützt werden darf.
Das Landgericht hat seine Entscheidung maßgeblich damit begründet, dass dem Kläger ein Verfügungsanspruch zusteht, da er einen Anspruch darauf habe, nicht aus Gründen vom Aufsichtrat abberufen zu werden, die auf einem Hauptversammlungsbeschluss beruhen, soweit diesem unsachliche Erwägungen i.S.d. § 84 Abs. 3 S. 2, 2. Hs AktG zugrunde liegen. Es sah die Gründe, aus denen die Hauptversammlung dem Kläger durch Beschluss das Vertrauen entzogen hat, als offenbar unsachlich an, wobei es im Einzelnen auf diese Gründe einging. Da nach dem Beschluss der Hauptversammlung über den Vertrauensentzug die naheliegende Gefahr bestehe, dass der Aufsichtsrat zumindest mehrheitlich zeitnah die Abberufung beschließen werde und dem Kläger aus dem Verlust der Organstellung bis zu einer erfolgreichen Hauptsacheentscheidung faktisch nicht wieder gutzumachende Nachteile entstünden, bejahte es die Voraussetzungen für einen einstweiligen Rechtsschutz. Der Verfügungsgrund sei auch nicht deshalb entfallen, weil der Kläger zu lange zugewartet habe.
Ergänzend wird auf die Entscheidungsgründe und die tatbestandlichen Feststellungen des landgerichtlichen Urteils verwiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, der einwendet, dass das landgerichtliche Urteil offen lasse, warum einstweiliger Rechtsschutz nur gegen ein Mitglied der Aufsichtsrats begehrt wird. Der Beklagte verneint zudem unter Verweis auf die Norm des § 84 Abs. 3 S. 4 AktG grundsätzlich einstweiligen Rechtsschutz bei Abberufung eines Vorstandsmitglieds. Außerdem wendet er sich gegen die Feststellung des Erstgerichts, wonach der Hauptversammlungsbeschluss über die Vertrauensentziehung auf unsachlichen Erwägungen beruhte. Auch ein Verfügungsgrund läge nicht vor, es handle sich um einen unzulässigen Eingriff in die Entscheidungsfreiheit des Aufsichtsrats, wenn sich der Antrag nur gegen eins von drei Aufsichtsratsmitgliedern richte. Außerdem mangele es an der Dringlichkeit.
Der Beklagte beantragt daher die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und Zurückweisung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung.
Der Kläger begehrt die Zurückweisung der Berufung. Er hält das landgerichtliche Urteil für zutreffend. Auf den Hinweis des Senatsvorsitzenden lässt der Kläger vortragen, dass die Passivlegitimation des Beklagten zu bejahen sei. Effektiver Rechtsschutz gebiete es, in die Willensbildung eines Gesellschaftsorgans einzugreifen. Da die Abberufung durch den Beschluss des Aufsichtsrats nach § 84 Abs. 3 S. 4 AktG sofort wirksam werde, bestehe ein Recht, durch Eingriff in das Abstimmungsverhalten einen - wie vorliegend - sittenwidrigen Beschluss zu verhindern. Die herrschende Rechtsprechung zur GmbH sei auf Aktiengesellschaften entsprechend anwendbar.
Ergänzend wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Protokolle der mündlichen Verhandlungen erster und zweiter Instanz verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung des Beklagten erweist sich in der Sache als erfolgreich.
Dem Kläger steht ein Recht, dem Beklagten als Vorstand des Aufsichtsrats im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu untersagen, für den Widerruf der Bestellung, für eine vorläufige Amtsenthebung und die Kündigung des Vorstandsdienstvertrags des Klägers im Aufsichtsrat zu stimmen, nicht zu.
Eine Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch gegen ein Mitglied des Aufsichtsrats auf ein bestimmtes Abstimmungsverhalten gibt es nicht, insbesondere kann der Kläger einen Anspruch nicht auf § 84 AktG stützen.
Da es an der Passivlegitimation des Beklagten fehlt, er mithin nicht richtiger Anspruchsgegner ist, kommt es auf die Frage, ob der in der Hauptversammlung der Gesellschaft gefasste Beschluss über den Entzug des Vertrauens gegenüber dem Kläger auf unsachlichen Gründen fußt und ob ein Verfügungsgrund vorliegt, nicht an. Ebenso kann letztlich dahingestellt bleiben, ob einstweiliger Rechtsschutz angesichts des Wortlauts des § 84 Abs. 3 S. 4 AktG grundsätzlich in Betracht kommt, soweit das Fehlen eines wichtigen Grundes für den Widerruf der Bestellung geltend gemacht wird (Hölters, AktG, 2011, § 84 Rdnr. 84, m.w. N.).
Selbst wenn man im Ausgangspunkt dem Landgericht zustimmen sollte, dass die Untersagung eines bestimmten Abstimmungsverhaltens mit den Mitteln einer einstweiligen Verfügung in Ausnahmefällen statthaft ist, in denen auf andere Art und Weise effektiver Rechtsschutz nicht gewährleistet werden kann, und hierfür überaus strenge Anforderungen aufstellt, die sich daraus rechtfertigen, dass fehlerhafte Beschlüsse zu vollendeten Tatsachen führen und Folgen zeitigen, die mit den Mitteln nachgehenden Rechtsschutzes nicht mehr hinreichend beseitigt werden können (vgl. Entscheidung des Senats vom 13.09.2006, Az: 7 U 2912/06), kann das vorliegende Begehren des Klägers keinen Erfolg haben.
Der Kläger richtet seinen Antrag nämlich lediglich gegen ein Mitglied des Aufsichtsrats der Gesellschaft. Angesichts der Tatsache, dass das Einwirken auf das Abstimmungsverhalten eines Mitglieds des Aufsichtsrats nicht geeignet ist, einen mehrheitlichen Beschluss zu verhindern, kann der Kläger mit seinem Antrag effektiven Rechtsschutz, d.h. die Verhinderung des Aufsichtsratsbeschlusses, nicht erreichen. Sollte dem Beklagten die Abstimmung, wie beantragt, untersagt werden, hindert dies die mindestens zwei weiteren Aufsichtsratsmitglieder nämlich nicht, mehrheitlich für die Abberufung des Klägers etc. zu stimmen.
Hinzu kommt, dass, da für die Bestellung von Vorstandsmitgliedern nach § 84 Abs. 1 S. 1 AktG der Aufsichtsrat, und zwar der Gesamtaufsichtsrat zuständig ist, als "das getreuliche Gegenstück" zur Bestellung der Gesamtaufsichtsrat auch für den Widerruf zuständig ist (h.M., vgl. z.B. Spindler/Stilz, AktG, 2. Auflage, § 84 Rdnr. 92). Die Zuständigkeit für den Widerruf liegt somit beim Aufsichtsrat und damit dem Gremium und Organ der Gesellschaft, der/das durch Beschluss entscheidet, § 108 Abs. 1 AktG (Spindler/Stilz, a.a.O. Rdnr. 96). Einen Anspruch auf ein bestimmtes Abstimmungsverhalten gegen lediglich ein Mitglied des Aufsichtsrats kann der Kläger unter Berufung auf effektiven Rechtsschutz nicht herleiten. Dem stehen - entgegen der Auffassung des Klägervertreters - auch nicht Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten, die ein bestimmtes Abstimmungsverhalten einzelner, personalisierter Mitaktionäre in der Hauptversammlung zum Gegenstand hatten (s. oben Entscheidung des 7.Senats), entgegen. In den vom Kläger zitierten Entscheidungen war das Rechtsverhältnis der Aktionäre untereinander, die der gesellschafterlichen Treuepflicht unterliegen, betroffen. Eine vergleichbare Rechtsbeziehung zwischen dem Kläger als Vorstandsmitglied und einzelnen Mitgliedern des Aufsichtsrats besteht jedoch nicht.
Da der Aufsichtsrat in seiner Gesamtheit zur Entscheidung berufen ist, könnte sich ein Anspruch des Klägers allenfalls gegen die Gesellschaft, vertreten durch den Aufsichtsrat, § 112 AktG, richten (vgl. Karsten Schmidt, AktG, 2008, § 84 Rdnr. 53).
Der Kläger kann sich auch nicht auf eine entsprechende Anwendbarkeit der im Bereich des GmbH-Rechts ergangenen Entscheidungen berufen. Dem GmbH-Recht ist ein dem Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft entsprechendes Organ fremd. Den vom Kläger herangezogenen Entscheidungen lagen zudem nicht vergleichbare Sachverhalte zu Grunde.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 710 Nr. 10, 713 ZPO
OLG München:
Urteil v. 16.10.2013
Az: 7 U 3018/13
Link zum Urteil:
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