Bundespatentgericht:
Urteil vom 26. Juni 2002
Aktenzeichen: 4 Ni 62/00
(BPatG: Urteil v. 26.06.2002, Az.: 4 Ni 62/00)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Bundespatentgericht hat in dem vorliegenden Urteil (Aktenzeichen 4 Ni 62/00) das europäische Patent 0 616 195 für nichtig erklärt. Es betrifft ein faseroptisches Gyroskop, also ein Gerät zur Messung von Drehungen, insbesondere im Bereich der Flugzeug- und Raumfahrt. Das Patent umfasst 22 Ansprüche, von denen die Ansprüche 1 bis 4, 7 bis 10, 12 bis 18 und 22 für nichtig erklärt wurden.
Die Klägerin hat geltend gemacht, dass die Erfindung des Streitpatents nicht neu ist und sich nicht auf erfinderischer Tätigkeit gründet. Sie beruft sich dabei auf verschiedene vorbekannte Dokumente und bietet Zeugenbeweis an. Die Beklagte hat dem Vorbringen widersprochen und das Streitpatent als bestandsfähig verteidigt.
Das Gericht kommt zu dem Schluss, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht neu ist, da er bereits im Stand der Technik nach einer bestimmten Druckschrift zu finden war. Das bekannte Gyroskop weist bereits die meisten Merkmale des Anspruchs 1 auf. Das Gericht kommt auch zu dem Schluss, dass der eingeschränkte Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht, da er sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.
Das Gericht erklärt daher das Streitpatent im genannten Umfang für nichtig. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, wenn eine Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrags erbracht wird.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BPatG: Urteil v. 26.06.2002, Az: 4 Ni 62/00
Tenor
1. Das europäische Patent 0 616 195 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Ansprüche 1 bis 4, 7 bis 10, 12 bis 18 und 22 für nichtig erklärt.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 616 195 (Streitpatent), das am 16. März 1993 angemeldet worden ist. Das in der Verfahrenssprache Englisch veröffentlichte Streitpatent, das beim Deutschen Patentamt unter der Nummer 693 18 283 geführt wird, betrifft ein faseroptisches Gyroskop (optischer Faserkreisel). Es umfasst 22 Ansprüche, von denen Patentanspruch 1 in deutscher Übersetzung folgenden Wortlaut hat:
"1. Lichtleiter-Gyroskop, umfassend eine Lichtquelle (62, 92, 96, 88), mindestens einen Photodetektor (54, 56, 58, 60, 108), mindestens eine Lichtleiter-Sensorspule (42, 44, 46, 114) und mindestens einen yverzweigten Wellenleiter (30, 32, 34, 112), wobei das Gyroskop sowohl gering doppelbrechende als auch polarisationserhaltende (PM) Komponenten aufweist und die Sensorspule aus PM-Lichtleitern aufgebaut ist, dadurch gekennzeichnet, dass sich der oder jeder yverzweigte Wellenleiter in einem integrierten optischen Multifunktionschip befindet und der oder jeder Wellenleiter und seine zugehörige Sensorspule beide PM sind und der Wellenleiter die Sensorspule mit einem gering doppelbrechenden Lichtleiter an die Quelle und den Photodetektor koppelt."
Wegen der unmittelbar und mittelbar auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 22 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Mit der Behauptung, die Lehre des Streitpatents sei nicht neu bzw beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, verfolgt die Klägerin das Ziel, das Streitpatent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland teilweise für nichtig zu erklären. Zur Begründung beruft sie sich auf eine offenkundige Vorbenutzung, legt hierzu verschiedene Unterlagen vor und bietet Zeugenbeweis an. Außerdem nennt sie folgende Druckschriften:
- DE 38 31 905 A1 (NK 20)
- US 4 573 797 (NK 27)
- EP 0 460 675 A1 (NK 32)
- Forschungsbericht W 85-033 Luft- und Raumfahrt der S...
- AG für das Bundesministerium für Forschung und - Technologie, Dezember 1985 (NK 33)
- EP 0 288 032 A2 (NK 35)
- EP 0 388 530 A1 (NK 36)
- M. S. Bielas et al., Test results of a high performance fiberoptic rotation sensor, veröffentlicht in: Fiber Optic Gyros: 10th Anniversary Conference, Proc. SPIE Vol. 719, 81-86 (1986) (NK 37)
Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 616 195 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 bis 4, 7 bis 10, 12 bis 18 und 22 für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise mit der Maßgabe, dass an die Stelle des erteilten Anspruchs 1 folgender Patentanspruch 1 tritt:
"1. Lichtleiter-Gyroskop, umfassend eine Lichtquelle (62, 92, 96, 88), mindestens einen Photodetektor (54, 56, 58, 60, 108), mindestens eine Lichtleiter-Sensorspule (42, 44, 46, 114) und mindestens einen yverzweigten Wellenleiter (30, 32, 34, 112), wobei das Gyroskop sowohl gering doppelbrechende als auch polarisationserhaltende (PM) Komponenten aufweist und die Sensorspule aus PM-Lichtleitern aufgebaut ist, dadurch gekennzeichnet, dass sich der oder jeder yverzweigte Wellenleiter in einem integrierten optischen Multifunktionschip befindet und der oder jeder Wellenleiter und seine zugehörige Sensorspule beide PM sind und der Wellenleiter die Sensorspule ab einem Spleiß (24, 26, 28) ausschließlich mit einem gering doppelbrechenden Lichtleiter an die Quelle und den Photodetektor koppelt."
weiter hilfsweise mit der Maßgabe, dass an die Stelle des erteilten Anspruchs 1 folgender Anspruch 1 tritt und die erteilten Ansprüche 2, 3, 7 bis 10, 12, 14 und 16 entfallen:
"1. Lichtleiter-Gyroskop, umfassend eine Lichtquelle (62, 88), mindestens einen Fotodetektor (54, 56, 58, 60), mindestens eine Lichtleiter-Sensorspule (42, 44, 46) und mindestens einen yverzweigten Wellenleiter (30, 32, 34), wobei das Gyroskop sowohl gering doppelbrechende als auch polarisationserhaltende (PM) Komponenten aufweist und die Sensorspule aus PM-Lichtleitern aufgebaut ist, gekennzeichnet durch - eine polarisiertes Licht abgebende Superlumineszenzdiode als Lichtquelle;
- einen Lyot-Depolarisator (120, 122, 124);
- einen ersten die Lichtquelle enthaltenden Abschnitt (20), der mindestens einen optischen Pfad aus gering doppelbrechendem Lichtleiter und mindestens einen aus gering doppelbrechendem Lichtleiter aufgebauten Koppler (36, 38, 40, 72, 78, 80) aufweist, über den drei Sensorspulen (42, 44, 46) an die Lichtquelle und den mindestens einen Fotodetektor gekoppelt sind, wobei die Sensorspulen so angeordnet sind, dass sie Drehgeschwindigkeiten um drei senkrechte Achsen messen; - einen zweiten Abschnitt (22), der mindestens einen optischen Pfad mit einem PM-Lichtleiter aufweist, wobei der zweite Abschnitt drei yverzweigte, jeweils in einem integrierten optischen Multifunktionschip befindliche Wellenleiter und seine jeweils zugehörige der drei Sensorspulen enthält, die beide PM sind, wobei die Sensorspulen mit den PM-Ausgangsanschlussfasern des jeweiligen integrierten optischen Multifunktionschips verbunden sind."
Die Beklagte ist dem Vorbringen der Klägerin entgegengetreten und hält das Streitpatent zumindest im verteidigten Umfang für bestandsfähig.
Gründe
Die Klage, mit der der in Art II § 6 Absatz 1 Nr 1 IntPatÜG, Art 138 Absatz 1 lit a EPÜ iVm Artikel 54 Abs 1, 2 und Art 56 EPÜ vorgesehene Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht wird, ist in vollem Umfang begründet.
1. Das Streitpatent betrifft ein faseroptisches Gyroskop. Nach der Patentbeschreibung wird im Stand der Technik das Messen von Drehungen, das ua im Bereich der Flugzeug- und Flugkörperführung bzw. der Raumfahrt von besonderer Bedeutung ist, mittels Lichtleitergyroskopen durchgeführt. Diese Geräte habe man zunächst aus gering doppelbrechenden Lichtleitern und gering doppelbrechenden optischen Komponenten hergestellt. Dabei sei es durch den zufälligen und unvorhersagbaren Energieaustausch zwischen den beiden Polarisationszuständen des Lichtleiters zu einer starken Biasdrift, einem nichtreziproken Polarisations-Biasfehler (PNR), gekommen. Dieser könne zwar durch Einfügen eines idealen Polarisationsfilters oder Polarisators vor dem Schleifenkoppler beseitigt werden. Das Einfügen eines Polarisators in einem sonst ausschließlich gering doppelbrechenden Gyroskop erzeuge jedoch das Problem des "Polarisationsschwundes", durch den im zeitlichen Verlauf starke Energieschwankungen aufträten. Die dargestellten Schwierigkeiten mit dem Polarisationsschwund und dem nichtreziproken Polarisations-Biasfehler seien mit der Einführung von polarisationserhaltenden (PM) Lichtleitern und Kurzkohärenz- oder Breitband-Lichtquellen, z.B. Superluminiszenzdioden, stark zurückgegangen. PM-Lichtleiter und PM-Koppler seien jedoch in der Herstellung weitaus kostspieliger als ihre gering doppelbrechenden Gegenstücke.
2. Vor diesem Hintergrund soll die Erfindung durch eine Kombination von polarisationserhaltenden und gering doppelbrechenden Komponenten eine kostengünstige Herstellung von ein- und dreiachsigen Lichtleitergyroskopen ohne Qualitätsverlust ermöglichen.
3. Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung beschreibt demgemäß ein faseroptisches Gyroskop 1.1. mit einer Lichtquelle, mindestens einem Photodetektor, mindestens einer Lichtleiter-Sensorspule und mindestens einem yverzweigten Wellenleiter, wobei das Gyroskop sowohl 1.2. gering doppelbrechende als auch 1.3. polarisationserhaltende (PM) Komponenten aufweist und 1.4. die Sensorspule aus PM-Lichtleitern aufgebaut ist;
1.5. der oder jeder yverzweigte Wellenleiter befindet sich in einem integrierten optischen Multifunktionschip;
1.6. der oder jeder Wellenleiter und seine zugehörige Sensorspule sind polarisationserhaltend;
1.7. der Wellenleiter koppelt die Sensorspule mit einem gering doppelbrechenden Lichtleiter an die Quelle und den Photodetektor.
4. Der hier zu berücksichtigende Fachmann ist ein Diplomphysiker mit mehrjährigen Entwicklererfahrungen auf dem Gebiet der faseroptischen Gyroskope.
5. Zur Auslegung des erteilten Anspruchs 1 ist zunächst festzustellen, dass in den Merkmalen 1.6 und 1.7 unter dem "Wellenleiter" jeweils der yverzweigte Wellenleiter (Merkmal 1.5) zu verstehen ist; dies ist unter den Parteien nicht strittig.
Das Merkmal 1.7 ist nach Überzeugung des Senats dahingehend auszulegen, dass sich im Weg zwischen dem yverzweigten Wellenleiter einerseits und der Quelle und dem Photodetektor andererseits ein gering doppelbrechender Lichtleiter befinden soll. Der von der Beklagten vertretenen engeren Auslegung, wonach der genannte Weg ausschließlich aus nicht doppelbrechendem Lichtleiter bestehen soll, vermochte sich der Senat dagegen nicht anzuschließen. Eine solche Auslegung läßt sich nämlich dem Wortlaut des Merkmals 1.7 nicht entnehmen; vielmehr läßt der Wortlaut zu, dass der genannte Weg auch polarisationserhaltende Abschnitte aufweist.
Auch aus den übrigen Patentunterlagen läßt sich für die von der Beklagten vertretene Auffassung nichts entnehmen. So zeigen die Ausführungsbeispiele der Erfindung gemäß Figuren 2 bis 4b übereinstimmend, dass der Weg von dem yverzweigten Wellenleiter - dieser ist jeweils in einem Multifunktionschip untergebracht - zur Quelle und zum Photodetektor über einen polarisationserhaltenden Faserschwanz des Multifunktionschips führt, vgl Patentschrift Sp 5 Z 26 bis 29 und Sp 8 Z 37 bis 40.
6. Der in der vorstehenden Weise verstandene Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 war am Anmeldetag nicht neu. Er gehörte zum Stand der Technik nach NK 33.
Der Forschungsbericht NK 33 betrifft die Entwicklung eines miniaturisierten Faserkreisels anhand von vier Funktionsmodellen FM1 bis FM4, wobei das Hauptziel ein miniaturisiertes Funktionsmodell FM4 ist (Berichtsblatt le Abs sowie S 21 unten). Das Modell FM4 ist auf S 61 und 62 dargestellt. Dabei entspricht die Aufzählung auf S 61 ersichtlich der Reihenfolge, in der die einzelnen Bauteile, wie sie auf S 62 zeichnerisch dargestellt sind, vom Licht durchlaufen werden.
Demnach enthält das Modell FM4 eine Lichtquelle LD, einen Photodetektor PIN, eine Lichtleiter-Sensorspule aus polarisationserhaltender Monomodefaser, einen Strahlteiler 1, der als Monomode-Schmelzkoppler ausgeführt ist und zur Auskopplung des Lichts zum Photodetektor dient, und einen weiteren Strahlteiler, der als Monomode-Schmelzkoppler mit polarisationserhaltenden Faserenden ausgeführt ist und zur Ankopplung der Sensorspule dient.
Näheres über den Aufbau derartiger Schmelzkoppler konnte der Fachmann im Abschnitt 3.3.3.1 "Faserkoppler nach einem Schmelzverfahren" auf S 102 bis 105 entnehmen. Dort wird zunächst die Herstellung von Schmelzkopplern aus gering doppelbrechenden Fasern beschrieben, die sehr gute Werte der Dämpfung von weniger als 0,5 bis 0,8 dB aufweisen (S 102 erste vier Abs iVm Abb 3.3-1). Darauffolgend wird die Fertigung polarisationserhaltender Koppler beschrieben, bei denen an einen konventionellen (dh gering doppelbrechenden) Koppler in sehr kurzem Abstand von der Koppelregion polarisationserhaltende Fasern angespleißt werden. Die Dämpfung eines solchen quasi - polarisationserhaltenden Kopplers war dann um die zweifache Spleißdämpfung höher (S 105 1. Abs). Nach Tabelle 3.3-1 auf S 101 beträgt der Dämpfungswert beim Spleißen polarisationserhaltender Monomodefaser 0,5 dB.
Dem Fachmann erschloss sich aus diesen Angaben, dass der zur Auskopplung zum Photodetektor dienende Strahlteiler 1, dessen Einfügungsdämpfung mit 0,2 dB angegeben ist, nach der erstgenannten Vorgehensweise hergestellt worden ist, dh ausschließlich aus gering doppelbrechender Faser, und dass der zur Ankopplung der Sensorspule dienende weitere Strahlteiler, dessen Einfügungsdämpfung mit 1,5 dB angegeben ist, als quasi - polarisationserhaltender Koppler im obigen Sinne ausgeführt ist.
Die Beklagte hat dagegen eingewendet, die auf S 61 angegebenen Dämpfungswerte der beiden Strahlteiler seien nicht so eindeutig verschieden voneinander, dass sie Schlüsse auf einen unterschiedlichen Aufbau erlaubten. Die Ausführungen in NK 33 seien dahingehend zu verstehen, dass ausschließlich polarisationserhaltende Fasern verwendet werden sollten. Dies zeige auch die im Abschnitt 3.3.3.2 ab S 105 erfolgende Beschreibung von polarisationserhaltenden Faserkopplern nach dem Anschliffverfahren.
Demgegenüber ist jedoch festzustellen, dass der für den Strahlteiler 1 angegebene geringe Dämpfungswert von 0,2 dB in Anbetracht der oben erwähnten Angaben der S 101 und 102 nur den Schluß zuläßt, dass dieser Strahlteiler ausschließlich aus gering doppelbrechender Faser aufgebaut ist. Die Verwendung von polarisationserhaltenden Fasern führt, wie oben dargelegt, zu deutlich höheren Dämpfungswerten.
Die Sichtweise des Senats wird zusätzlich dadurch gestützt, dass auf S 61 nur bei dem die Faserspule ankoppelnden Strahlteiler von polarisationserhaltenden Faserenden die Rede ist. Eine weitere Stütze findet sich im Abschnitt 4.1 "Konzept", der zum Kapitel 4. "Diskussion und Zusammenfassung" gehört. Dort ist zu entnehmen, dass der der Sensorspule zugeordnete Strahlteiler 2 als polarisationserhaltender Strahlteiler zu realisieren ist und der Auskoppel-Strahlteiler 1 zu den für die Genauigkeit und Funktion des Kreisels unkritischen Komponenten gehört (le beiden Abs auf S 144).
Sieht man zunächst von der anspruchsgemäßen Ausbildung des die Sensorspule ankoppelnden Kopplers als yverzweigter Wellenleiter ab, so ergibt sich aus den bisherigen Darlegungen, dass das aus NK 33 bekannte Gyroskop FM4 die Merkmale 1.1 bis 1.4 sowie 1.6 und 1.7 aufweist, wobei der gering doppelbrechende Lichtleiter des Merkmals 1.7 durch den Strahlteiler 1 des bekannten Gyroskops gebildet wird.
Schließlich entnahm der Fachmann im Abschnitt 3.5 "Integriertoptische Schaltkreise" das Ziel, die Funktionen des Faserkreisels möglichst weitgehend zu integrieren, zB in LiNbO3-Technologie (S 129 erste beide Abs sowie S 150 le Abs), und in diesem Zusammenhang eine alternative Ausbildung des zur Ankopplung der Sensorspule dienenden Kopplers innerhalb einer integrierten Struktur mit Y-Abzweig und Phasenmodulator auf einem Substrat (S 139 Abschn "Y-Abzweig und Phasenmodulator" sowie Abb 3.5-6 auf S 140).
Das im Sinne dieser Angaben modifizierte Modell FM4 von NK 33 erfüllt auch das noch verbliebene Merkmal des Anspruchs 1, nämlich die Ausbildung des der Sensorspule zugeordneten Kopplers als yverzweigter Wellenleiter in einem integrierten optischen Multifunktionschip.
7. Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von dem erteilten Anspruch 1 durch die Einfügung der Worte "ab einem Spleiß (24, 26, 28) ausschließlich" hinter dem Wort "Sensorspule" in Merkmal 1.7.
Die Einfügung bringt zum Ausdruck, dass der Weg zwischen dem yverzweigten Wellenleiter einerseits und der Quelle und dem Photodetektor andererseits ab einer Spleißstelle ausschließlich aus gering doppelbrechendem Lichtleiter bestehen soll.
Die Neuheit des in dieser Weise eingeschränkten Anspruchsgegenstandes gegenüber dem Stand der Technik nach NK 33 mag zwar gegeben sein; er beruht aber jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit, weil er sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem ergab, was gemäß den obigen Darlegungen zum Hauptantrag aus NK 33 zu entnehmen war.
Bei dem vorbekannten Gyroskop FM4 besteht, wie dargelegt, der zur Auskopplung zum Detektor dienende Koppler aus gering doppelbrechendem Lichtleiter. Die Verbindung dieses Kopplers mit der Lichtquelle erfolgt über einen Monomode-Faserschwanz (S 61 Abs mit der Bezeichnung "Laserdiode mit Faserschwanz"), der ebenfalls gering doppelbrechend ist, vgl dazu auf S 113 Abschnitt 3.4.2.1 die zu den dortigen Lichtquellen aufgeführten Standard-Monomodefasern.
Für den Fachmann lag es nahe, auch für den Weg von dem vorgenannten Koppler zu dem Photodetektor gering doppelbrechende Faser zu verwenden. Für eine Verwendung von wesentlich teurerer polarisationserhaltender Faser an dieser Stelle sind nämlich keine Gesichtspunkte vorhanden; vielmehr gehören gemäß dem oben schon erwähnten le Abs auf S 144 der Detektor und der Auskoppel-Strahlteiler zu den unkritischen Komponenten.
Bei der Anordnung nach Abb 2.4-1 auf S 62 muß zwischen dem aus polarisationserhaltender Faser aufgebauten Polarisator FP und dem ausschließlich aus gering doppelbrechender Faser aufgebauten Koppler zwangsläufig ein Spleiß vorgesehen werden. Von diesem verläuft dann aber der Weg zur Quelle und zum Photodetektor ausschließlich über gering doppelbrechende Lichtleiter.
8. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 beruht ebenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Er ergab sich vielmehr für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik nach NK 33 und NK 35.
Dieser Anspruch 1 stimmt in seinem Oberbegriff mit dem erteilten Anspruch 1 überein (Merkmal 1.1 bis 1.4). Die weiteren Anspruchsmerkmale lassen sich wie folgt untergliedern:
Das Lichtleitergyroskop weist auf 2.1 eine polarisiertes Licht abgebende Superlumineszenzdiode als Lichtquelle, 2.2 einen Lyot-Depolarisator, 2.3 einen ersten die Lichtquelle enthaltenden Abschnitt, der 2.4 mindestens einen optischen Pfad aus gering doppelbrechendem Lichtleiter und 2.5 mindestens einen aus gering doppelbrechendem Lichtleiter aufgebauten Koppler aufweist, 2.6 über den drei Sensorspulen an die Lichtquelle und den mindestens einen Photodetektor gekoppelt sind, 2.7 wobei die Sensorspulen so angeordnet sind, dass sie Drehgeschwindigkeiten um drei senkrechte Achsen messen, 2.8 einen zweiten Abschnitt, der mindestens einen optischen Pfad mit einem PM-Lichtleiter aufweist, 2.9 wobei der zweite Abschnitt drei yverzweigte, jeweils in einem integrierten optischen Multifunktionstyp befindliche Wellenleiter 2.10 und seine jeweils zugehörige der drei Sensorspulen enthält, 2.11 die beide PM sind, 2.12 wobei die Sensorspulen mit den PM-Ausgangsanschlussfasern des jeweiligen integrierten optischen Multifunktionschips verbunden sind.
Das gemäß den Darlegungen zum Hauptantrag und zum Hilfsantrag 1 aus NK 33 entnehmbare Gyroskop weist bereits einen großen Teil der vorstehenden Anspruchsmerkmale auf.
Offensichtlich gilt dies außer für die Merkmale des Oberbegriffs auch für die Merkmale 2.3, 2.4 (der Faserschwanz der Lichtquelle ist gering doppelbrechend), 2.5 und 2.8. Bei dem bekannten Gyroskop dient der aus gering doppelbrechendem Lichtleiter bestehende Koppler ebenfalls zur Kopplung der Sensorspule an die Lichtquelle und den Photodetektor (Teil von Merkmal 2.6), und der zweite Abschnitt enthält dort ebenfalls einen yverzweigten, in einem integrierten optischen Multifunktionschip befindlichen Wellenleiter (Teil von Merkmal 2.9) und die zugehörige Sensorspule (Teil von Merkmal 2.10), wobei beide PM, dh polarisationserhaltend, sind (Merkmal 2.11). Dabei stellt es lediglich eine im Griffbereich des Fachmanns liegende übliche Maßnahme dar, an dem optischen Multifunktionschip PM-Anschlussfasern vorzusehen, mit denen dann die Sensorspule zu verbinden ist (Teil von Merkmal 2.12).
In NK 33 wird auf S 148, 2. Abs sowie in der Abb 4.2-1 auf S 149 bereits die Möglichkeit aufgezeigt, ein komplettes dreidimensionales Inertial-Sensorpaket aufzubauen. Damit ist für den Fachmann eine Erweiterung des beschriebenen Geräts im Sinne einer Messung von Drehungen um alle drei Raumrichtungen angesprochen. Er zieht daraus den Schluß, dass dann drei Sensorspulen mit zugehörigen yverzweigten, jeweils in einem integrierten optischen Multifunktionschip befindlichen Wellenleitern vorzusehen sind (die noch verbliebene Verdreifachung der Sensorspule und des yverzweigten Wellenleiters bei den Merkmalen 2.6, 2.9, 2.10 und 2.12) und dass die Sensorspulen so anzuordnen sind, dass sie Drehgeschwindigkeiten um drei senkrechte Achsen messen (Merkmal 2.7). Ein Beispiel für ein derartiges Vorgehen war für ihn aus NK 35 zu entnehmen, vgl dort S 16 Z 38 bis 40 sowie Fig 14 iVm S 20, Z 4 und 5 sowie 19 bis 21.
Schließlich gibt NK 33 in dem Abschnitt 4.1 "Konzept" ua die Empfehlung, als Lichtquelle eine Superlumineszenzdiode zu verwenden (S 143 unten). Diese erzeugt in der Regel teilweise polarisiertes Licht (Merkmal 2.1). Gemäß S 81 Abschnitt 3.1.3.1 1. Abs soll die Lichtquelle möglichst gut polarisiert oder aber völlig depolarisiert sein. Dieser Hinweis brachte den Fachmann in Verbindung mit der empfohlenen Verwendung einer Superlumineszenzdiode auf den Gedanken, der Superlumineszenzdiode einen Depolarisator nachzuschalten, um die Forderung nach völlig depolarisiertem Licht zu erfüllen. Es lag in seinem Griffbereich, dabei einen auf dem vorliegenden Gebiet üblichen Lyot-Depolarisator in Betracht zu ziehen (Merkmal 2.2), wie er bei dem Gyroskop nach NK 35 in ähnlichem Zusammenhang, nämlich in Verbindung mit einer Lichtquelle in Form einer breitbandigen LED eingesetzt wird, vgl dort Fig 15A Position 450 und 435 sowie S 20 Z 39 und 40 und S 21 Z 28 bis 36.
Die von dem vorbekannten Gyroskop nach NK 33 zum Anspruchsgegenstand führenden Maßnahmen - das sind im wesentlichen die Verdreifachung der Sensorspule und des yverzweigten Wellenleiters sowie das Anordnen eines Lyot-Depolarisators in Verbindung mit der polarisiertes Licht aussendenden Quelle - erschöpfen sich somit in Schritten, die der Fachmann in Verfolgung von in NK 33 genannten Zielen aufgrund seines durchschnittlichen Könnens und Wissens vornahm und die er außerdem in vergleichbarem Zusammenhang aus NK 35 entnehmen konnte.
9. Soweit die übrigen Ansprüche von der Klägerin angegriffen und von der Beklagten aufrechterhalten werden - beim Hauptantrag und beim Hilfsantrag 1 sind das die Ansprüche 2 bis 4, 7 bis 10, 12 bis 18 und 22, beim Hilfsantrag 2 die Ansprüche 4, 13, 15, 17, 18 und 22 - enthalten diese in Anbetracht des hierzu von der Klägerin zitierten Standes der Technik gleichfalls nichts Patentfähiges. Die Beklagte macht insoweit auch nichts geltend.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 Satz 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 ZPO.
Dr. Schwendy Obermayer Kalkoff Schuster Dr. Hartung Pr
BPatG:
Urteil v. 26.06.2002
Az: 4 Ni 62/00
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