Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 7. Dezember 2009
Aktenzeichen: AnwZ (B) 113/08
(BGH: Beschluss v. 07.12.2009, Az.: AnwZ (B) 113/08)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
In dieser Gerichtsentscheidung geht es um einen Antragsteller, der seine Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft beantragt hat. Der Anwaltsgerichtshof hat den Versagungsbescheid der Antragsgegnerin aufgehoben und diese dazu verpflichtet, den Antragsteller zur Rechtsanwaltschaft zuzulassen. Die Antragsgegnerin hat gegen diese Entscheidung eine sofortige Beschwerde eingelegt.
Der Bundesgerichtshof hat die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückgewiesen und entschieden, dass dem Antragsteller die Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht aus den Gründen der angefochtenen Verfügung der Antragsgegnerin versagt werden kann.
Der Versagungsgrund nach § 7 Nr. 5 der Bundesrechtsanwaltsordnung liegt nicht mehr vor, da der Antragsteller in den letzten 13 Jahren keine weiteren Verfehlungen begangen hat und sich aktiv darum bemüht hat, den entstandenen Schaden wieder gut zu machen. Zudem hat er bereits von Beginn der gegen ihn eingeleiteten Ermittlungen an die Bereitschaft gezeigt, die Konsequenzen seines Fehlverhaltens zu tragen.
Die Antragsgegnerin hat argumentiert, dass die Schwere der Verfehlungen des Antragstellers und die noch ausstehende Rückzahlung des Schadens gegen seine Wiederzulassung sprechen. Der Bundesgerichtshof ist jedoch der Meinung, dass die Strafen, die der Antragsteller für seine Untreuehandlungen erhalten hat, schuldangemessen sind. Eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren steht einer geringen Unterschreitung der Regelfrist von mindestens 15 Jahren nicht entgegen, wenn die Gesamtumstände eine frühere Wiederzulassung rechtfertigen.
Zudem kann dem Antragsteller die Wiederzulassung auch nicht wegen Vermögensverfalls versagt werden, da er nach den Feststellungen des Anwaltsgerichtshofs nicht mehr in Vermögensverfall ist.
Die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs wird daher bestätigt und die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin muss die Kosten des Rechtsmittels tragen und dem Antragsteller die ihm im Beschwerdeverfahren entstandenen Auslagen erstatten.
Die Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt. Die Vorinstanz in diesem Verfahren war das Niedersächsische Anwaltsgericht.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BGH: Beschluss v. 07.12.2009, Az: AnwZ (B) 113/08
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des 2. Senats des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs vom 27. Oktober 2008 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Antragsgegnerin verpflichtet wird, dem Antragsteller die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht aus den Gründen des Bescheids vom 13. Juli 2007 zu versagen.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und dem Antragsteller die ihm im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der am 23. Dezember 1947 geborene Antragsteller wurde am 4. Juni 1975 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Durch Erlass des Niedersächsischen Ministers der Justiz vom 23. November 1983 wurde er zum Notar mit Amtssitz in O. bestellt; mit Verfügung vom 23. Januar 1997 wurde er auf seinen Antrag aus diesem Amt entlassen. Der Präsident des Oberlandesgerichts O. widerrief mit Verfügung vom 14. Februar 1997 die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO, nachdem dieser auf die Rechte aus seiner Zulassung verzichtet hatte. Am 17. Februar 1997 erstattete der Antragsteller bei der Staatsanwaltschaft O. Selbstanzeige wegen Veruntreuung von Mandantengeldern.
Der Antragsteller wurde durch Urteil des Amtsgerichts O. vom 26. November 1997 wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 60 DM verurteilt. In dem durch die Selbstanzeige des Antragstellers in Gang gesetzten Strafverfahren wurde der Antragsteller durch Urteil des Landgerichts O. vom 17. Februar 1998 wegen Untreue in drei Fällen, die in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 1996 begangen worden waren, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nach Ablauf der dreijährigen Bewährungszeit wurde die Strafe mit Wirkung vom 19. März 2001 erlassen.
Am 23. Februar 2007 beantragte der Antragsteller seine Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft. Die Antragsgegnerin wies den Antrag mit Bescheid vom 13. Juli 2007 unter Berufung auf die Versagungsgründe nach § 7 Nr. 5 und § 7 Nr. 9 BRAO zurück. Der Antragsteller hat gerichtliche Entscheidung beantragt. Der Anwaltsgerichtshof hat den Versagungsbescheid der Antragsgegnerin aufgehoben und diese verpflichtet, den Antragsteller zur Rechtsanwaltschaft zuzulassen. Dagegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 2 und 4 BRAO a.F., § 215 Abs. 3 BRAO), hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Der Anwaltsgerichtshof hat mit Recht angenommen, dass dem Antragsteller die Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht aus den Gründen der angefochtenen Verfügung der Antragsgegnerin versagt werden kann.
1. Der Versagungsgrund nach § 7 Nr. 5 BRAO liegt nicht mehr vor.
a) Nach § 7 Nr. 5 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn der Bewerber sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen lässt, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben. Der Bewerber erscheint dann unwürdig, wenn er ein Verhalten gezeigt hat, das ihn bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblichen Umstände - wie Zeitablauf und zwischenzeitlicher Führung - nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheinen lässt; dabei sind das berechtigte Interesse des Bewerbers nach beruflicher und sozialer Eingliederung und das durch das Berufsrecht geschützte Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden, an der Integrität des Anwaltsstandes einzelfallbezogen gegeneinander abzuwägen. Auch ein schwerwiegendes berufsunwürdiges Verhalten kann nach einer mehr oder minder langen Zeit durch Wohlverhalten oder andere Umstände soviel an Bedeutung verlieren, dass es die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht mehr hindert. Die Frage, wie viele Jahre zwischen einem die Unwürdigkeit begründenden Verhalten und dem Zeitpunkt liegen müssen, in dem eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft möglich ist, lässt sich nicht durch eine schematische Festlegung auf bestimmte Fristen beantworten, sondern verlangt eine einzelfallbezogene Gewichtung aller für und gegen den Bewerber sprechenden Umstände (st.Rspr.; Senatsbeschluss vom 12. April 1999 - AnwZ (B) 67/98, NJW-RR 1999, 1219 unter II 1; Senatsbeschluss vom 10. Juli 2000 - AnwZ (B) 40/99, BRAK-Mitt. 2000, 306 unter II 1; Senatsbeschluss vom 3. November 2008 - AnwZ (B) 1/08 Tz. 4; Senatsbeschlüsse vom 20. April 2009 - AnwZ (B) 44/08 und vom 15. Juni 2009 - AnwZ (B) 59/08; Feuerich/Weyland, BRAO, 7. Aufl., § 7 Rdnr. 36 m.w.N.).
b) Von diesen Grundsätzen ist auch der Anwaltsgerichtshof ausgegangen. Der Senat teilt - unter Berücksichtigung des weiteren Zeitablaufs seit der angefochtenen Entscheidung - die Auffassung des Anwaltsgerichtshofs, dass die erheblichen Straftaten des Antragstellers dessen Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft bei Würdigung aller Umstände nicht mehr entgegenstehen. Das Beschwerdevorbringen der Antragsgegnerin rechtfertigt keine andere Beurteilung.
aa) Die Antragsgegnerin weist zwar zutreffend darauf hin, dass der Senat bei besonders gravierenden Straftaten - etwa schweren Fällen von Betrug und Untreue - einen zeitlichen Abstand zwischen der die Unwürdigkeit begründenden Straftat des Bewerbers und dessen Zulassung zur Rechtsanwaltschaft von in der Regel 15 bis 20 Jahren für erforderlich gehalten hat (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Februar 2000 - AnwZ (B) 8/99, BRAK-Mitt. 2000, 145, unter II 1 m.w.N.; Senatsbeschlüsse vom 20. April 2009 und 15. Juni 2009, jeweils aaO). Dieser Regelzeitraum ist aber, wie ausgeführt, nicht als starre Frist zu handhaben und dementsprechend vom Senat in Einzelfällen - wie in den Beschlüssen vom 10. Juli 2000 und 3. November 2008 (jeweils aaO) - unterschritten worden, wenn das Interesse des Bewerbers an seiner beruflichen und sozialen Eingliederung bei einer Gesamtwürdigung der Umstände unter Berücksichtigung des Grundrechts aus Art. 12 GG dies geboten erscheinen lässt; maßgebend dafür war jeweils die Einschätzung, dass der Bewerber sein Leben wieder geordnet hatte und deshalb nicht mehr festgestellt werden konnte, er sei für den Anwaltsberuf noch untragbar (Senatsbeschlüsse vom 10. Juli 2000, aaO unter II 2 b und c, und vom 3. November 2008, aaO, Tz. 6 m.w.N.).
bb) Diese Voraussetzungen für eine gewisse Unterschreitung des Regelzeitraums für die Wohlverhaltensphase bei schwerwiegenden Straftaten, wie sie der Antragsteller begangen hat, sind auch hier gegeben. Die Annahme, dass die im Jahr 1996 begangene Veruntreuung von Mandantengeldern der Wiederzulassung des Antragstellers nicht mehr entgegensteht, ist zwar nicht schon allein aufgrund des Umstands gerechtfertigt, dass sich der Antragsteller in den vergangenen 13 Jahren seit Begehung seiner Straftaten keiner weiteren Verfehlung schuldig gemacht hat. Die positive Prognose des Anwaltsgerichtshofs über das zukünftige Wohlverhalten des Antragstellers, die dessen Wiederzulassung als Rechtsanwalt schon jetzt ermöglicht, erscheint aber auch dem Senat gerechtfertigt, weil sich der Antragsteller nicht nur in den zurückliegenden Jahren nichts mehr hat zu Schulden kommen lassen, sondern er auch schon von Beginn der gegen ihn eingeleiteten Ermittlungen an die Bereitschaft gezeigt hat, die Konsequenzen seines Fehlverhaltens uneingeschränkt tragen zu wollen. Diesen Umstand hat der Anwaltsgerichtshof mit Recht hervorgehoben. Der Antragsteller hat seine Verfehlungen - wenn auch unter dem Druck einer drohenden außerordentlichen Notarprüfung - selbst zur Anzeige gebracht und hat aktiv an der Sachaufklärung mitgewirkt; ebenso hat er seine Entlassung aus dem Notariat und den Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft selbst betrieben. Zu Gunsten des Antragstellers zu berücksichtigen sind auch die Bemühungen des Antragstellers, den entstandenen Schaden im Rahmen seiner - allerdings sehr beschränkten - finanziellen Möglichkeiten wieder gut zu machen. Ergänzend hat der Anwaltsgerichtshof mit Recht darauf hingewiesen, dass der Antragsteller in den vergangenen mehr als zehn Jahren als juristischer Mitarbeiter einer Kanzlei tätig gewesen sei und ihm sein Arbeitgeber insoweit einwandfreies Verhalten bescheinigt habe; auch hätten sich der vorgenommene Ortswechsel und die Integration in ein neues soziales Umfeld positiv ausgewirkt.
cc) Die Antragsgegnerin zieht diese Feststellungen des Anwaltsgerichtshofs nicht in Zweifel. Sie meint aber, der Anwaltsgerichtshof habe die Schwere der Verfehlungen des Antragstellers nicht angemessen berücksichtigt. Eine Wiederzulassung zum jetzigen Zeitpunkt sei angesichts des hohen Betrages von 309.597,46 €, den der Antragsteller seinerzeit veruntreut habe, noch verfrüht, zumal der Antragsteller davon bis heute erst etwa 23.000,-- € an den Vertrauensschadenfonds, der für den Schaden eingetreten sei, habe zurückzahlen können. Diese Gesichtspunkte rechtfertigen es nicht, dem Antragsteller die Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft als noch verfrüht zu versagen. Die Schwere der Straftaten des Antragstellers ist im Verfahren der Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht losgelöst davon zu beurteilen, welche Strafe dafür als schuldangemessen verhängt worden ist. Für die vom Antragsteller begangenen Untreuehandlungen hat das Landgericht O. eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von zwei Jahren - und damit eine Bestrafung noch im unteren Bereich des Strafrahmens von § 266 StGB für eine Freiheitsstrafe - für schuldangemessen gehalten. Von dieser Beurteilung ist auch für das vorliegende Verfahren auszugehen. Eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren steht einer - wie hier - verhältnismäßig geringen Unterschreitung der Regelfrist von mindestens 15 Jahren nicht entgegen, wenn die Gesamtumstände eine frühere Wiederzulassung rechtfertigen (vgl. Senatsbeschluss vom 3. November 2008: Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten). Soweit die Antragsgegnerin mutmaßt, dass der Antragsteller im Jahr 1996 Untreue nicht nur in den drei Fällen, für die er strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden ist, sondern noch in weiteren Fällen begangen hat, ergeben sich dafür aus den von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen keine hinreichenden Anhaltspunkte. Ebenso wenig kann dem Antragsteller vorgehalten werden, dass er keinen höheren Beitrag zur Wiedergutmachung des Schadens geleistet hat, als es ihm seine finanziellen Verhältnisse erlauben.
2. Dem Antragsteller kann die Wiederzulassung auch nicht wegen Vermögensverfalls (§ 7 Nr. 9 BRAO) versagt werden. Nach den Feststellungen des Anwaltsgerichtshofs befindet sich der Antragsteller nicht mehr in Vermögensverfall. Dagegen bringt die Antragsgegnerin nichts vor. Sie stützt ihre sofortige Beschwerde allein auf den Versagungsgrund nach § 7 Nr. 5 ZPO.
Ganter Frellesen Lohmann Frey Hauger Vorinstanz:
AGH Celle, Entscheidung vom 27.10.2008 - AGH 22/07 -
BGH:
Beschluss v. 07.12.2009
Az: AnwZ (B) 113/08
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