Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 15. März 2013
Aktenzeichen: 24 U 97/12
(OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 15.03.2013, Az.: 24 U 97/12)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 15. März 2013 (Aktenzeichen 24 U 97/12) die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 25. April 2012 zurückgewiesen. Die Beklagte muss die Kosten des zweiten Rechtszuges tragen. Das und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abwenden. Die Revision wurde zugelassen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Einzelrichter am 11. Januar 2013 haben die Kläger erklärt, dass sie aufschiebend bedingt durch eine Zahlung der ihnen mit diesem Urteil unter anderem gegebenenfalls zuzusprechenden 18.000 Euro nebst Zinsen den Wandelgenussscheinen der Beklagten ihren Anteil an der Globalurkunde über die streitgegenständliche Wandelanleihe abtreten.
Der Senat hat, im Einverständnis der Parteien, die zunächst dem Einzelrichter übertragene Entscheidung wegen der wesentlichen Änderung der Prozesslage, die der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung verleiht, wieder übernommen.
Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Die Klageforderung der Kläger ist gerechtfertigt. Die Fälligkeit der Rückzahlung der Wandelgenussscheine ist eingetreten und die auflösende Bedingung für den zugesagten Rückzahlungsanspruch ist nicht eingetreten. Die von der Beklagten vorgeschlagene Laufzeitverlängerung ist wegen Gesetzesverstoßes nichtig. Diese Verlängerung wäre weder unter der Geltung des SchVG 1899 noch des SchVG 2009 wirksam gewesen. Der Schutz der Kläger ist in diesem Fall besonders hoch, da sie sich auf die Rechtsposition der fälligen Wandelanleihe eingerichtet und Verwendungen gemacht haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO und die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision wurde zugelassen, da die Auslegung von § 24 SchVG 2009 höchstrichterlich nicht geklärt ist und die Frage, ob der Eingriff in eine bereits fällige Rückzahlungsforderung gegen das Rückwirkungsverbot verstößt, von grundsätzlicher Bedeutung ist.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 15.03.2013, Az: 24 U 97/12
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 19. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 25. April 2012 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des zweiten Rechtszuges zu tragen.
Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des Betrages leisten, dessen Vollstreckung sie betreiben.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Wegen der Feststellungen wird zunächst auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 135 ff. d. A.) verwiesen.
Die Beklagte verfolgt mit ihrer Berufung das erstinstanzliche Ziel einer vollständigen Klageabweisung weiter. Sie wiederholt und vertieft dazu in zweiter Instanz zunächst ihre erstinstanzliche Argumentation; insoweit wird auf die Berufungsbegründung (Schriftsatz vom 26. Juli 2012, Bl. 164 ff. d. A.) sowie auf die Schriftsätze vom 4. Januar 2013 (Bl. 202 ff. d. A.) verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 9. Januar 2013 (Bl. 205 ff. d. A.) teilt die Beklagte mit, es sei € durch eine Abstimmung ohne Versammlung iSv. § 5 SchVG 2009 € mit Gläubigermehrheit eine Laufzeitverlängerung der streitgegenständlichen Wandelgenussschein-Emission um 4 Jahre bis ins Jahr 2015 beschlossen worden. Wegen der Einzelheiten wird auf diesen Schriftsatz und die Anlagen dazu (Bl. 212-226 d.A.) verwiesen. Die Beklagte hat schließlich noch mit Schriftsätzen vom 22. Januar (Bl. 236 ff. d. A.) und 5. März 2013 (Bl. 274 ff. d. A.) 2013 Stellung bezogen.
Die Beklagte beantragt,
das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen. hilfsweise, die Zahlung hat nur Zug um Zug zu erfolgen gegen Wertpapierübertragung von Wandelgenussscheinen der Beklagten, WKN 783 590, im Nennwert von € 18.000.-
Die Kläger beantragen,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Auch sie haben zunächst ihren erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und vertieft; dafür wird auf die Berufungserwiderung vom 28. September 2012 (Bl. 184 ff. d. A.) verwiesen. Zu der Situation nach der Laufzeitverlängerung nehmen die Kläger mit Schriftsätzen vom 23. Januar (Bl. 242 ff. d. A.) und 8. März 2013 (Bl. 279 f. d. A.) Stellung.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Einzelrichter am 11. Januar 2013 (Sitzungsniederschrift Bl. 230 d. A.) haben die Kläger erklärt, dass sie € aufschiebend bedingt durch eine Zahlung der ihnen mit diesem Urteil unter anderem gegebenenfalls zuzusprechenden € 18.000 nebst Zinsen € der Beklagten ihren Anteil an der Globalurkunde über die streitgegenständliche Wandelanleihe abtreten.
Der Senat hat, im Einverständnis der Parteien, die zunächst dem Einzelrichter übertragene Entscheidung wegen der € infolge der Laufzeitverlängerung € wesentlichen Änderung der Prozesslage, die der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung verleiht, wieder übernommen (§ 526 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 ZPO).
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
I. Für die Situation vor der Laufzeitverlängerung gilt Folgendes: Die Fälligkeit der Rückzahlung der Wandelgenussscheine ist gemäß 10.3 (€Laufzeit€) der ursprünglichen Emissionsbedingungen (Bl. 56 d. A.) am 31. August 2011 eingetreten. Die auflösende Bedingung für den zugesagten Rückzahlungsanspruch € eine Ausübung des Wandlungsrechtes durch die Kläger € ist nicht eingetreten.
Entgegen der Auffassung der Beklagten stand die Rückzahlung nicht unter einer doppelten € aufschiebenden € Bedingung dahingehend, dass die Wandlung in Aktien (1.) möglich, jedoch (2.) nicht vorgenommen war. Dafür gibt weder der Wortlaut noch die Logik der Emissionsbedingungen etwas her; dass es des Vorhandenseins (= der Ausgabe) von Aktien bedurft hätte, um das Recht auszuüben, diese nicht gegen die Wandelgenussscheine einzutauschen, ist ein spitzfindiger Gedanke, der nicht überzeugt, weil es nicht auf die Wahlmöglichkeit, sondern allein auf das tatsächlich Eingetretene € die Kläger hatten bei der Fälligkeit und haben nach wie vor die Wandelgenussscheine und keine Aktien zu Eigentum € ankommt. Vor allem wäre eine solche Auslegung mit den Interessen der Investoren unvereinbar, hätte die Beklagte es dann doch in der Hand, durch Nicht-Ausgabe von Aktien die Fälligkeit der Rückzahlung ad infinitum hinauszuschieben.
II. 1. Die neue, auf dem Ergebnis der Abstimmung vom 4. Januar 2013 basierende Argumentation der Beklagten ist nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO als neues Verteidigungsmittel präkludiert, denn sie wurde der Beklagten erst zweitinstanzlich möglich.
2. Die Berufung der Beklagten ist dennoch unbegründet, denn die rückwirkende Verlängerung der Laufzeit ist wegen Gesetzesverstoßes nichtig.
Dies deshalb, - da sie für diese Emission, so wie vorgenommen, unter der Geltung des SchVG 1899 nicht möglich gewesen wäre (dazu im Folgenden unter a), - sie ferner für eine neue, unter dem SchVG 2009 begebene Anleihe ebenfalls nicht möglich gewesen wäre (dazu im Folgenden unter b), - und dem Gesetzgeber des Jahres 2009 nicht unterstellt werden kann, er habe mit § 24 Abs. 2 SchVG 2009 allein für die ephemere, in übersehbarer Zeit auslaufende Gruppe der vor Inkrafttreten des SchVG begebenen €Altanleihen€ ein besonderes Recht mit der Möglichkeit schaffen wollen, diese unbeschränkt von den Grenzen sowohl des SchVG 1899 als auch des SchVG 2009 nach dem Belieben der Mehrheit der Gläubiger im Einvernehmen mit dem Schuldner zu ändern (dazu im Folgenden unter c).
a) Unter dem SchVG 1899 bestand, soweit hier von Interesse, nur die Möglichkeit, dass die Mehrheit der Gläubiger (1) zur Abwendung einer Zahlungseinstellung € (2) eine Stundung, €höchstens für die Dauer von 3 Jahren beschließt (vgl. § 11 Abs. 1 SchVG a. F.). Keine dieser Voraussetzungen ist vorliegend gegeben, denn die Beklagte hat zum Bestehen einer Insolvenzgefahr nichts vorgetragen, und die beschlossene Laufzeitverlängerung beträgt nicht 3, sondern 4 Jahre.
Zudem verstößt die beschlossene Änderung gegen das Begünstigungsverbot aus § 12 Abs. 1 des SchVG a. F., soweit dort gesetzlich bestimmt war, der Beschluss nach § 11 müsse für alle Gläubiger die gleichen Bedingungen festsetzen. Vorliegend wurde indes (nur) für die Gläubiger, die für die von der Beklagten vorgeschlagene Änderung gestimmt haben, in Gestalt einer Rückkaufsverpflichtung der Beklagten zum Nennwert (vgl. im Einzelnen TOP 2 d der angenommenen Beschlussvorschläge, Bl. 211 d. A.) eine Bevorzugung beschlossen. Dass zu dieser Unterschiedlichkeit eine eigene Entscheidung der benachteiligten Gläubiger € nicht für den Vorschlag abzustimmen € geführt hat, ändert an dem, gesetzlich verbotenen, Vorhandensein der Unterschiedlichkeit nichts. Zudem verstößt diese für ein Abstimmungsverhalten im Sinne der Beklagten ausgesetzte €Prämie€ gegen § 12 Abs. 1 Satz 4 SchVG a. F., wo es heißt, ein Beschluss, der durch Begünstigung einzelner Gläubiger zustande gebracht sei, habe gegenüber den übrigen Gläubigern keine verbindliche Kraft.
b) Auch für eine neue, nach dem SchVG 2009 begebene Emission wäre die beschlossene Laufzeitverlängerung nicht wirksam gewesen, denn sie war in den Anleihebedingungen nicht vorgesehen, was aber nach § 5 Abs. 1 SchVG n. F. erforderlich gewesen wäre.
Zudem verstößt die Laufzeitverlängerung durch eine schon erwähnte Benachteiligung der Gläubiger, die nicht für die Änderung gestimmt haben, auch gegen § 5 Abs. 2 SchVG n. F.
c) Der Senat hält es weder für mit dem Willen des Gesetzgebers von 2009 vereinbar, noch für der Systematik des SchVG 2009 entsprechend, dass diejenige Gruppe aller Schuldverschreibungen, die (einerseits) unter der Geltung des alten Rechtes begeben wurden, und für die (andererseits) eine Mehrheit der Gläubiger nach einem Opt-in gemäß § 24 Abs. 1 SchVG n. F. eine Laufzeitverlängerung (oder eine andere womöglich noch schwerer wiegende Änderung) beschlossen habt, keinerlei Beschränkungen unterliegen soll. Denn der Gesetzgeber hat stets € im SchVG 2009 sogar noch stärker als 1899 mit der Pflicht, alle Änderungsmöglichkeiten zum Nachteil der Gläubiger schon in den Anleihebedingungen €anzukündigen€ € auf den Schutz der Gläubigerminderheit Bedacht genommen. Dieser Schutz würde aber vernachlässigt, folgte man der Auffassung der Beklagten. Denn nach deren Verständnis wirkten weder die Schranken des alten SchVG (Bindung an Insolvenzgefahr, 3-Jahres-Grenze) noch die Schranken des neuen SchVG (rechtzeitige, bei Erwerb der Emission bekannte Warnung der Gläubiger vor Änderungsmöglichkeiten zu ihrem Nachteil durch die Anleihebedingungen). Die schutzbedürftige überstimmte Minderheit der Gläubiger müsste vielmehr € in den Grenzen nur der §§ 138, 242 BGB € jede Änderung zu ihrem Nachteil hinnehmen. Nichts in den Gesetzesmaterialien lässt erkennen, dass der Gesetzgeber diese € weder zuvor noch danach gegebene € rückwirkende Benachteiligung einer nur vorübergehend vorhandenen Gruppe von Gläubigern gesehen und gewollt hat (vgl. zu diesem Gedanken OLG Frankfurt am Main, 5. Zivilsenat, Beschluss vom 27. März 2012, AZ 5 AktG 3/11, juris).
Auch machen die von der Beklagten ins Feld geführten Argumente € stichwortartig: eine unter den Bedingungen der heutigen globalisierten Wirtschaftswelt etc. gebotene €Entwicklung einer neuen Sanierungskultur€€ es keinesfalls erforderlich, diese vergängliche Gruppe von Gläubigern wie vorbeschrieben zu benachteiligen, weil der bessere Schutz der Gläubiger unter § 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG n. F. € alle Änderungen müssen ihnen in den Emissionsbedingungen angekündigt sein € alsbald, wenn nämlich alle vor 2009 begebenen Schuldverschreibungen ausgelaufen sein werden, wieder Platz greifen wird.
Daher ist der Wortlaut von § 24 Abs. 2 SchVG teleologisch dahin zu reduzieren, dass bei einem Opt-in und einer nachfolgenden Änderung der Konditionen € wenn die Anleihebedingungen eine weitergehende Benachteiligung der Gläubiger nicht schon vorsehen € wenigstens die den Gläubigern der Alt-Schuldverschreibungen bei der Emission bekannten Grenzen des SchVG a. F. eingehalten werden müssen.
Da dies vorliegend nicht geschehen ist (siehe oben a), ist die von der Gläubiger-Mehrheit beschlossene Laufzeitverlängerung unwirksam. Für eine geltungserhaltende Reduktion auf die 3-Jahres-Grenze ist schon deswegen kein Raum, weil es an der weiteren Voraussetzung, der Insolvenzgefahr, fehlt.
d) Da somit die Verlängerung wegen eines Gesetzesverstoßes nichtig ist, kommt es auf Billigkeitserwägungen € bei denen womöglich bedeutsam würde, dass jedenfalls für die im Sinne der Schuldnervorschlages stimmenden Gläubiger eine Verwertungsmöglichkeit durch Rückkauf der Wandelgenussscheine gemäß TOP 2 d) der Beschlussvorlage gegeben ist € nicht entscheidend an.
3. Die Schutzbedürftigkeit der Kläger ist vorliegend zudem deswegen besonders hoch, weil die Wandelanleihe bereits im Jahr 2011 fällig geworden ist und die Kläger damit eine Rechtsposition erworben haben, auf die sie sich € durch die Klageerhebung € eingerichtet und darauf Verwendungen gemacht haben. Die Beklagte hat sie € durch ihre auf die oben zu I. abgehandelte (sit venia verbo) abwegige Argumentation gestützte Rechtsverteidigung € in einer an Treuwidrigkeit grenzenden Weise hingehalten, bis sie die unter II. 1. erörterte Abstimmung zuwege gebracht hatte.
4. Dass die Kläger den Beschluss der Gläubiger nicht nach § 20 SchVG n. F. angefochten haben, steht einer Stattgabe der Klage nicht entgegen. Die Anfechtung eines wegen Gesetzwidrigkeit nichtigen Beschlusses ist nicht erforderlich, um ihm seine Wirkung zu nehmen; vielmehr kann sich jedermann in beliebiger Weise auf die Nichtigkeit berufen (allg. Meinung für die parallele, in § 20 SchVG n. F. in Bezug genommene Regelung im AktG, vgl. nur Hüffer, AktG., 10. Aufl. 2012, Rn 4 zu § 241 AktG).
III. 1. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; das Rechtsmittel der Beklagten war erfolglos. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gegenstandswert: € 18.000.-.
2. Die Revision war zuzulassen, da die Auslegung von § 24 SchVG 2009 höchstrichterlich nicht geklärt ist, und zudem die vom Senat vorliegend bejahte Frage, ob der Eingriff in eine bereits fällige Rückzahlungsforderung in besonderen Maß gegen das Rückwirkungsverbot verstößt, von grundsätzlicher Bedeutung ist.
OLG Frankfurt am Main:
Urteil v. 15.03.2013
Az: 24 U 97/12
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/8318b7fb1188/OLG-Frankfurt-am-Main_Urteil_vom_15-Maerz-2013_Az_24-U-97-12