Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 28. Mai 2014
Aktenzeichen: 6 U 210/13

(OLG Köln: Urteil v. 28.05.2014, Az.: 6 U 210/13)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Oberlandesgericht Köln hat in einem Urteil vom 28. Mai 2014 (Aktenzeichen 6 U 210/13) die Berufung der Antragstellerin angenommen und das erstinstanzliche Urteil abgeändert. Die Antragsgegnerin wurde dazu verpflichtet, es unter Androhung eines hohen Ordnungsgeldes bzw. einer Ordnungshaft zu unterlassen, nicht-rezeptpflichtige pharmazeutische Produkte zur Anwendung bei fortschreitender Abnahme bzw. Verlust erworbener geistiger Fähigkeiten in Verpackungen anzubieten und zu vertreiben, die ein magenta-farbenes Rechteck auf der Schachteloberseite aufweisen.

Die Parteien sind konkurrierende Anbieter von Arzneimitteln. Die Antragstellerin vermarktet unter der Marke "Tebonin" eine Produktreihe, die auf der Basis eines Gingko-Biloba-Extraktes hergestellt wird und unter anderem zur Anwendung bei Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen dient. Die Verpackungen der Tebonin-Produkte haben einen zweigeteilten Aufbau, wobei der obere Teil die Produktkennzeichnung in schwarzen Buchstaben auf weißem Hintergrund enthält und der untere Teil in der Signalfarbe Magenta gehalten ist. Die Antragsgegnerin vertreibt ein Konkurrenzprodukt namens "Binko", das ebenfalls rezeptfrei über Apotheken erhältlich ist und eine ähnliche Verpackungsgestaltung aufweist.

Die Antragstellerin hat den Vertrieb des Binko-Produkts in der streitgegenständlichen Verpackung als unlautere Nachahmung beanstandet. Das Landgericht hat die einstweilige Verfügung aufgehoben und den Antrag der Antragstellerin zurückgewiesen. Mit ihrer Berufung hat die Antragstellerin ihren Verfügungsantrag weiterverfolgt.

Das Oberlandesgericht hat entschieden, dass das Binko-Produkt eine unlautere Nachahmung der Tebonin-Verpackung darstellt. Die Tebonin-Verpackung hat eine wettbewerbliche Eigenart, die durch die gleichartigen Merkmale der Verpackungen der Produktserie gekennzeichnet ist. Die Unterschiede zwischen der Tebonin- und der Binko-Verpackung sind nicht prägend genug, um eine Herkunftstäuschung zu vermeiden. Insbesondere in Apotheken kann es dazu kommen, dass Kunden aufgrund der ähnlichen Verpackung das Binko-Produkt anstatt des Tebonin-Produkts kaufen, ohne dass der Apotheker den Irrtum bemerkt oder darauf hinweist. Das Gericht sah daher die Gefahr einer vermeidbaren betrieblichen Herkunftstäuschung als gegeben an und untersagte der Antragsgegnerin den Vertrieb des Binko-Produkts in der streitgegenständlichen Verpackung.

Das Urteil ist rechtskräftig und die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

OLG Köln: Urteil v. 28.05.2014, Az: 6 U 210/13


Tenor

Auf die die Berufung der Antragstellerin wird das am 26.11.2013 verkündete Urteil der 33. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 33 O 136/13 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

I.

Die Antragsgegnerin hat es unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € - ersatzweise Ordnungshaft - oder der Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr nicht-rezeptpflichtige pharmazeutische Produkte zur Anwendung bei fortschreitender Abnahme bzw. Verlust erworbener geistiger Fähigkeiten (dementielles Syndrom) in Verpackungen anzubieten und zu vertreiben, die ein magenta-farbenes Rechteck auf der Schachteloberseite aufweisen, wie nachstehend wiedergegeben:

II.

Die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz trägt die Antragsgegnerin.

Gründe

I.

Die Parteien sind Wettbewerber bei der Herstellung und dem Vertrieb von Arzneimitteln.

Zum Programm der Antragstellerin gehört eine Produktreihe, die unter der Marke "Tebonin" über Apotheken rezeptfrei vertrieben wird. Diese ist auf der Basis eines Gingko-Biloba-Extraktes bestimmt zur Anwendung bei Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen. Der Vertrieb der Produkte erfolgt in Verpackungsgestaltungen, die wie folgt gestaltet sind:

Die Antragstellerin hat von 2003 bis 2012 jährlich zwischen 1.397.000 und 2.382.000 Verpackungen ihrer Produktserie "Tebonin" abgesetzt und diese umfangreich mit Aufwendungen in Millionenhöhe in den Medien und auf verschiedenen Werbemitteln beworben. Die Auswertung der Umsatzzahlen durch die J & Co. OHG für die vier wichtigsten ohne Rezept erhältlichen apothekenpflichtigen Präparate in Deutschland mit einem Ginko-Biloba-Monoextrakt hat eine Marktführerschaft und für die größten Marken der apothekenpflichtigen rezeptfreien Arzneimittel in Deutschland überhaupt hat vordere Positionen ergeben. Im Zeitraum 2003-2008 haben Präparate unter der Marke "Tebonin" nach den unter der Marke "Aspirin" verkauften Arzneimitteln im Umsatz den zweiten Platz eingenommen. Im Zeitraum 2009-2012 haben die Präparate unter der Marke "Tebonin" im Umsatz den dritten Platz nach den unter der Marke "Voltaren" und "Aspirin" verkauften Arzneimitteln eingenommen.

Die Antragsgegnerin vertreibt seit dem letzten Jahr unter der Marke "Binko" - ebenfalls rezeptfrei über Apotheken - ein Konkurrenzprodukt, dessen Verpackung wie aus dem Tenor ersichtlich gestaltet ist.

Die Antragstellerin hat den Vertrieb des Arzneimittels der Antragsgegnerin in der streitgegenständlichen Verpackung als unlautere Nachahmung gemäß § 4 Nr. 9 b) UWG beanstandet.

Am 18.07.2013 hat die Kammer antragsgemäß, jedoch gestützt auf § 4 Nr. 9 a) UWG eine einstweilige Verfügung erlassen und der Antragsgegnerin den Vertrieb von nichtrezeptpflichtigen pharmazeutischen Produkten zur Anwendung bei fortschreitender Abnahme bzw. Verlust erworbener geistiger Fähigkeiten in der angegriffenen Ausstattung untersagt. Auf den hiergegen gerichteten Widerspruch der Antragsgegnerin hat das Landgericht mit dem angefochtenen Urteil, auf das wegen des Tatbestandes und aller Einzelheiten Bezug genommen wird, die einstweilige Verfügung aufgehoben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückgewiesen.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Antragstellerin ihren Verfügungsantrag weiter und rügt, dass sich die die Urteilsgründe nicht erschöpfend mit Bekanntheit und Erfolg des Arzneimittels "Tebonin", den sich gegenüberstehenden Gestaltungen sowie einer besonderen Verkaufssituation von Arzneimitteln in Apotheken auseinandersetzen und vorgetragene und glaubhaft gemachten Tatsachen übergangen worden seien. Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen zu Bekanntheit und zum Erfolg ihres Arzneimittels und bezieht sich mit Schriftsatz vom 28.04.2014 ergänzend auf eine im März 2014 durchgeführte und als Anlage Ast 22 eingereichte Verkehrsbefragung zur Frage der gedanklichen Verbindungen bei dieser Farbe im Zusammenhang mit Produkten zur Verbesserung der Gedächtnisleistung und Konzentration. Die Antragstellerin vertritt die Ansicht, dass die angegriffene Produktausstattung eine unzulässige Nachahmung ihres eigenen Produktes "Tebonin" darstelle, die unter dem Gesichtspunkt einer vermeidbaren Herkunftstäuschung im Sinne des § 4 Nr. 9 a) UWG und der unangemessenen Ausnutzung der Wertschätzung gem. § 4 Nr. 9 b) UWG unlauter sei; sie weist im Hinblick auf die sich gegenüberstehenden Gestaltungen ergänzend auf zum Teil identische textliche Angaben der jeweiligen Verpackungen hin. Im Hinblick auf eine angenommene besondere Verkaufssituation in Apotheken verkenne das Landgericht die Anforderungen an die Beratungspflicht von Apothekern und übersehe im Übrigen die Möglichkeiten einer "Sichtwahl" im Regal der Apotheke oder des Bezuges über eine Versandapotheke.

Die Antragsgegnerin verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie behauptet, dass im Versandhandel eine Nachfrage nach einem bestimmten Arzneimittel ohne Nennung der Marke per se ausgeschlossen sei; auch bei einer für den Kunden sichtbaren Präsentation der Arzneimittelverpackung ("Sichtwahl") könne es nicht dazu kommen, dass der Kunde das gewünschte Produkt nicht anhand der Marke benennen könne. Im Übrigen sei es lebensfern, dass der Kunde das ihm bekannte Arzneimittel allein anhand der Farbe Magenta beschreibe. Sie ergänzt und vertieft ihre Auffassung, nach der die Produktgestaltung der Antragstellerin nicht wettbewerblich eigenartig sei und rügt hinsichtlich des erst in zweiter Instanz vorgelegten Gutachtens schwerwiegende Mängel der demoskopischen Umfrage.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

Das Landgericht ist bei Erlass der einstweiligen Verfügung ursprünglich rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin ein Unterlassungsanspruch aus §§ 3, 4 Nr. 9 a), 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG zusteht.

1.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat angeschlossen hat, kann der Vertrieb eines nachahmenden Erzeugnisses wettbewerbswidrig sein, wenn das nachgeahmte Produkt über wettbewerbliche Eigenart verfügt und besondere Umstände hinzutreten, die die Nachahmung unlauter erscheinen lassen. So verhält es sich, wenn die Nachahmung geeignet ist, eine Herkunftstäuschung hervorzurufen und der Nachahmer geeignete und zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung der Herkunftstäuschung unterlässt. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie den besonderen wettbewerblichen Umständen, so dass bei einer größeren wettbewerblichen Eigenart und einem höheren Grad der Übernahme geringere Anforderungen an die besonderen Umstände zu stellen sind, die die Wettbewerbswidrigkeit der Nachahmung begründen und umgekehrt (BGH, GRUR 2010, 80 Tz. 21 - LIKEaBIKE; GRUR 2012, 1155 Tz. 16 - Sandmalkasten; GRUR 2013, 951 Tz. 14 - Regalsystem; GRUR 2013, 1052 Tz. 15 - Einkaufswagen III; Senat, GRUR-RR 2014, 25, 26f. - Kinderhochstuhl "Sit up", jeweils m. w. N.).

Für die Annahme wettbewerblicher Eigenart genügt es, dass der Verkehr bei den in Rede stehenden Produkten Wert auf deren betriebliche Herkunft legt und aus deren Gestaltung Anhaltspunkte dafür gewinnen kann. Dafür wiederum ist maßgeblich, ob sich das unter Rückgriff auf vorhandene Formen und Stilelemente entwickelte Leistungsergebnis von anderen vergleichbaren Erzeugnissen in einem Maß abhebt, dass hierdurch im angesprochenen Verkehr die Vorstellung ausgelöst wird, dieses Produkt stamme aus einem bestimmten Betrieb (BGH, GRUR 2012, 1155 Tz. 19 - Sandmalkasten; GRUR 2013, 1052 Tz. 18 - Einkaufswagen III; Senat, GRUR-RR 2013, 24, 25 - Gute Laune Drops, jeweils m. w. N.). Abzustellen ist dabei nicht auf einzelne Gestaltungsmerkmale, sondern auf den durch seine prägenden Merkmale hervorgerufenen Gesamteindruck des jeweiligen Produkts (BGH GRUR 2010, 80 Tz. 32 - LIKEaBIKE; Senat, WRP 2013, 1500 Tz. 9 - PANDAS).

Nach den aufgezeigten Grundsätzen ist die Produktgestaltung der "Tebonin"-Produkte als wettbewerblich eigenartig anzusehen, wenn auch der Grad der wettwerblichen Eigenart von Hause aus als allenfalls schwach durchschnittlich bezeichnet werden mag. Die Verpackungsgestaltungen der Produktserie "Tebonin", bestehend u.a. aus den Präparaten "Tebonin intens 120 mg", "Tebonin spezial 80 mg" und "Tebonin bei Ohrengeräuschen" sind einheitlich zweigeteilt aufgebaut, wobei sich in der Regel im oberen Teil der Verpackung die Kennzeichnung "Tebonin" in schwarzen Buchstaben vor weißem Hintergrund befindet, während der untere Teil, der in Form eines flachen Dreiecks an die weiße Fläche anschließt, in der Farbe Magenta gehalten ist, die durch ihre Signalwirkung und den Kontrast zu der weißen Fläche deutlich ins Auge springt. Nur die Verpackung des "Tebonin konzent 240 mg" weist ein umgekehrtes Farbregime auf. Zwar mag - worauf die Antragsgegnerin hinweist - eine farbige Gestaltung von Arzneimittelverpackungen an sich branchenüblich sein. Dies schließt es indes nicht aus, dass die Kombination der vorhandenen Elemente zu einer eigenständigen und deshalb im wettbewerbsrechtlichen Sinne eigenartigen Form führen kann. So liegt es hier. Jede einzelne Verpackung der Produktserie Tebonin weist die aufgezeigten Gestaltungsmerkmale, insbesondere den zweigeteilten Verpackungsaufbau mit der die eine Hälfte einnehmenden Signalfarbe Magenta auf, und ist insoweit durch gleichartige Merkmale gekennzeichnet. Die wettbewerbliche Eigenart muss sich auch nicht notwendigerweise auf ein bestimmtes Produkt beziehen, sondern kann auch aus den übereinstimmenden Merkmalen verschiedener Exemplare einer Modellreihe hergeleitet werden, solange nicht nur Schutz für einzelne Stilmittel oder eine dem Sonderschutz nicht zugängliche Grundidee begehrt wird, sondern für konkrete Gestaltungsmerkmale, die jeweils allen Modellen der Reihe eigen sind und deren wettbewerbliche Eigenart begründen (BGH, GRUR 2007, 795 Tz. 27 - Handtaschen; Senat, GRUR-RR 2013, 24, 25 - Gute Laune Drops; GRUR-RR 2014, 25, 27 - Kinderhochstuhl "Sit up"). Die Antragsgegnerin spricht der genannten Produktserie, auf die die Antragsgegnerin ihren Verfügungsanspruch stützt, daher zu Unrecht mit Blick auf "schmückendes Beiwerk" die Eignung als betrieblicher Herkunftshinweis ab. Die Gestaltung der Verpackungsvarianten weichen nur in Details ab, die auf den jeweils maßgeblichen Gesamteindruck der Ausstattung keinen Einfluss haben. Dies gilt sowohl für die Variante "Tebonin bei Ohrengeräuschen", auf der sich ein beschreibende Zusatz in blauer Farbe unterhalb der Produktkennzeichnung und ein schmaler, wellenförmiger Streifen ebenfalls in blau zwischen den beiden Verpackungshälften findet, als auch für die Variante "Tebonin konzent 240 mg". Auch wenn bei dieser - als einziger aus der Produktserie "Tebonin" - die Farbanordnung weiß/magenta umgedreht ist, fügt sie sich nach ihrem maßgeblichen Gesamteindruck durch den zweigeteilten Verpackungsaufbau, der im oberen Teil befindlichen und in Großbuchstaben geschriebenen Produktkennzeichnung und der einheitlichen Farbgebung nahtlos in die Produktserie ein. Soweit die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung eine Verpackung "Tebonin spezial 80 mg" mit einem etwas helleren Magenta-Ton überreicht und ergänzend auf die Anlage rop 2 zum Schriftsatz vom 25.09.2013 verwiesen hat, die eine Verpackung "Tebonin forte 40 mg" in ähnlichem Farbton wiedergeben soll, vermitteln diese Verpackungsgestaltungen letztlich keinen anderen Gesamteindruck, da die leichten Farbunterschiede nur bei direktem Vergleich auffallen. Es erscheint auch schwer nachvollziehbar, dass die Antragstellerin das Präparat "tebonin spezial 80 mg", wie es im Tatbestand wiedergegebenen wird, in einer abweichenden Farbgestaltung in den Verkehr bringt, so dass der Senat nicht auszuschließen vermag, dass die im Termin überreichte Verpackung einen "Ausreißer" darstellt oder die Verpackung etwa durch Sonneneinstrahlung verblichen ist.

Eine Schwächung der wettbewerblichen Eigenart durch das Umfeld - zu der die Antragsgegnerin in ihrer Widerspruchsschrift Ausführungen gemacht hat, ohne darauf in der Berufungserwiderung zurück zu kommen - ist weder hinreichend vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Die aus der Anlage rop 4a zum Schriftsatz vom 25.09.2013 ersichtlichen Verpackungsgestaltungen von Pharmazeutika schlechthin, denen der Verkehr allgemein in Apotheken begegnet, die aber andere Anwendungsgebiete haben und deren Adressaten demnach andere Kunden bzw. Patienten sind, stellen bereits kein wettbewerbsrechtlich relevantes Umfeld der Produktserie "Tebonin" dar und bleiben unberücksichtigt. Wettbewerbsrechtlich relevantes Umfeld begründen insoweit allein die als Anlage rop 3 vorgelegten Ablichtungen der Gingko-Produkte anderer Mitbewerber, die zur Produktgruppe der Antidementiva gezählt werden können. Unter diesen findet sich hingegen keine Verpackungsgestaltung, die einen ähnlichen Gesamteindruck wie die Verpackung der Antragstellerin vermittelt. Abgesehen davon fehlt es an jedem Vortrag zur Bedeutung der fraglichen Produkte auf dem deutschen Markt. Der wegen wettbewerbswidriger Nachahmung in Anspruch Genommene hat die Marktbedeutung von Produkten darzulegen, mit denen er die wettbewerbliche Eigenart des nachgeahmten Produkts in Frage stellen will (BGH, GRUR 2005, 600, 602 - Handtuchklemmen; Senat, GRUR-RR 2008, 166, 168 - Bigfoot).

Die wettbewerbliche Eigenart eines Produkts kann schließlich aufgrund seiner hohen Bekanntheit gesteigert sein (BGH, GRUR 2012, 1155 = WRP 2012, 1379 Tz. 38 - Sandmalkasten; GRUR 2013, 951 = WRP 2013, 1189 Tz. 27 - Regalsystem; GRUR 2013, 1052 = WRP 2013, 1339 Tz. 25 - Einkaufswagen III). Von einer derartigen Steigerung der von Hause aus allenfalls schwach durchschnittlichen wettbewerblichen Eigenart aufgrund einer erheblichen Bekanntheit im Verkehr geht der Senat nach dem Vorbringen der Antragstellerin aus. Diese hat durch eidesstattliche Versicherungen die Absatzmengen und Werbemaßnahmen von bzw. für "Tebonin" seit 2006 und ihre Position im Markt der apothekenpflichtigen Präparate mit einem Ginko-Biloba-Monoextrakt sowie der apothekenpflichtigen rezeptfreien Arzneimittel in Deutschland im Einzelnen dargelegt und glaubhaft gemacht. Nach diesem Vortrag, den die Antragsgegnerin im Übrigen nicht bestritten hat, ist davon auszugehen, dass die Produktserie Tebonin bei den angesprochenen Apothekenkunden über eine erhebliche Bekanntheit verfügt. Soweit nach dem von der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 28.04.2014 vorgelegten Gutachten der Pflüger Rechtsforschung von März 2014 bei einer Verkehrsbefragung fast 70 % der befragten Apotheker/pharmazeutischtechnischen Assistenten die Farbe Magenta spontan mit "Tebonin" bzw. der Antragstellerin selbst verbunden haben, könnte auch dies für eine entsprechende Bekanntheit des Produktes sprechen, wenn man daraus Rückschlüsse auch auf die Kenntnisse der Apothekenkunden für zulässig erachtet. Da der Senat aber mit Blick auf die sonstigen Glaubhaftmachungsmittel und das unbestrittene Vorbringen zu Absatzmengen, Werbemittel und Marktposition auf das erst zu einem späten Zeitpunkt im Verfahren eingereichte Gutachten nicht maßgeblich abstellt, bedarf es einer Entscheidung dieser Frage ebenso wenig wie einer Auseinandersetzung mit den von der Antragsgegnerin gerügten angeblichen Mängeln der demoskopischen Befragung.

2.

Eine nachschaffende Übernahme liegt bereits dann vor, wenn die Nachahmung wiedererkennbare wesentliche Elemente des Originals aufweist oder sich deutlich davon absetzt. Geringfügige Abweichungen vom Original sind unerheblich, solange das Original als Vorbild erkennbar bleibt (KG, GRUR-RR 2003, 84, 85 - Tatty Teddy; OLG Hamburg, MarkenR 2011, 275, 280 = juris Tz. 55; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Aufl. 2014, § 4 Rn. 9.37).

Bei der Beurteilung der Übereinstimmung oder Ähnlichkeit von Produkten ist auf den Gesamteindruck abzustellen, den Original und Nachahmung dem Betrachter vermitteln (BGH, GRUR 2005, 600, 602 - Handtuchklemmen; GRUR 2007, 795 Tz. 32 - Handtaschen; GRUR 2009, 1069 Tz. 20 - Knoblauchwürste). Dabei ist der Erfahrungssatz zu berücksichtigen, dass der Verkehr die fraglichen Produkte regelmäßig nicht gleichzeitig wahrnimmt und miteinander vergleicht, sondern seine Auffassung auf Grund eines Erinnerungseindrucks gewinnt. Dabei treten regelmäßig die übereinstimmenden Merkmale mehr hervor, so dass es mehr auf die Übereinstimmungen als die Unterschiede ankommt (BGH GRUR 2007, 795 Tz. 34 - Handtaschen; GRUR 2010, 80 Tz 41 - LIKEaBIKE; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Aufl. 2014, § 4 Rn. 9.43). Maßgebend für die Beurteilung von Übereinstimmungen ist der jeweilige Gesamteindruck, den die verschiedenen Erzeugnisse bei ihrer bestimmungsgemäßen Benutzung dem Betrachter vermitteln (BGH, GRUR 2002, 629, 632 - Blendsegel).

a.

In der angegriffenen Verpackung des Produkts "Binko" der Antragsgegnerin liegt eine Nachahmung der "Tebonin"-Verpackung der Antragstellerin, die unter dem Gesichtspunkt der vermeidbaren Herkunftstäuschung unlauter ist. In der einstweiligen Verfügung hat das Landgericht zu Recht als maßgeblich dafür den identischen zweigeteilten Aufbau der streitgegenständlichen Verpackung bezeichnet, der sich auch nicht annähernd im Produktumfeld findet bezeichnet: ein magentafarbener Teil, in den weitere Produktinformationen eingebracht sind, einerseits und ein weißer Teil andererseits, in den blickfangmäßig hervorgehoben in schwarzem Fettdruck die Produktbezeichnung platziert ist. Soweit die Kammer diese Feststellung in dem angefochtenen Urteil offenbar selbst in Zweifel zieht, teilt der Senat diese Zweifel nicht. Die von der Antragsgegnerin in ihrer Widerspruchsschrift aufgezeigten Unterschiede - der weiße Grund der gesamten Verpackung, die verschachtelten Elemente, kein zweigeteilter Aufbau, sondern ein mittig angeordnetes Farbfeld in dunklem Violett statt Magenta mit Metallic- bzw. Spiegeleffekt, die Umrahmung des Schriftzuges "Binko" in Blau und Silber und das hervorgehobene und farblich stark kontrastierende grüne Ginko-Blatt - sind für den maßgeblichen, aufgrund einer Übernahme der wesentlichen Gestaltungselemente des Produktes der Antragstellerin mit diesem übereinstimmenden Gesamteindruck nicht prägend und daher nicht geeignet, hinreichenden Abstand zu deren Ausstattung zu wahren. Die Abweichung von der Signalfarbe Magenta besteht allenfalls in Nuancen und ist - wenn überhaupt - nur bei Gegenüberstellung und direktem Vergleich zu erkennen. Auch die Umrandung des Schriftzuges "Binko" ist mit bloßem Auge kaum, jedenfalls nur bei ganz genauer Betrachtung wahrnehmbar. Schließlich ist auch das Ginko-Blatt, das als gleichsam beschreibendes Element den Wirkstoff beider in Streit stehender Produkte bildlich darstellt, nicht zur hinreichenden Unterscheidung geeignet, auch wenn der Senat nicht verkennt, dass es sich insoweit um einen ins Auge fallenden grünen "Farbtupfer" handelt, den das Produkt der Antragstellerin nicht ausweist. Der angesprochene Verkehr wird der Darstellung eines Ginko-Blattes keine herkunftshinweisende Funktion beimessen, sondern dieses als Hinweis auf den enthaltenen Inhaltsstoff des Parkpräparats ansehen, zumal ihm dies auch aus dem wettbewerblichen Umfeld der Ginko-Präparate geläufig ist, dokumentiert durch Anlage Ast. 8 zur Antragsschrift (Bl. 54 f GA) und Anlage rop 3 zur Widerspruchsschrift (Bl. 124 GA). Nach dem letztlich maßgeblichen Gesamteindruck der Verpackungsgestaltungen geht der Senat danach von einer zumindest nachschaffenden Übernahme aus.

b.

Diese führt auch zu einer vermeidbaren Herkunftstäuschung. Das "Tebonin"-Produkt ist, wie dargelegt, dem Verkehr hinreichend bekannt.

Das Landgericht hat die Gefahr einer vermeidbaren betrieblichen Herkunftstäuschung mit Blick auf die "besondere Verkaufssituation" von Arzneimitteln in Apotheken verneint; die diesbezügliche Begründung wird von der Berufung zu Recht beanstandet. Insbesondere bei der sog. "Sichtwahl", also der Kaufentscheidung eines Verbrauchers aufgrund der Wahrnehmung von Verpackungen, die im Regal hinter dem Verkaufstisch auf- und ausgestellt sind, besteht die Gefahr, dass der Arzneimittelkunde einer Herkunftstäuschung unterliegt. Dies gilt insbesondere in dem Fall, dass nur das Produkt der Antragsgegnerin, nicht jedoch das dem Kunden bekannte Produkt der Antragstellerin, das er im Kopf hat, dessen Name ihm aber nicht einfällt, ausgestellt ist. Der Kunde wird dann gegebenenfalls auf das ausgestellte Produkt der Antragstellerin zeigen und dieses ausgehändigt bekommen, ohne dass der Apotheker Bedarf oder die Notwendigkeit einer Beratung und Aufklärung sieht bzw. auch nur sehen kann. Entsprechendes gilt aber auch für den Bezug über eine Versandapotheke, bei der eine Beratung nicht stattfindet. Es trifft insoweit nicht zu, dass - wie die Antragsgegnerin vorträgt - im Versandhandel eine Nachfrage nach einem bestimmten Arzneimittel ohne die Nennung der Marke dieses Arzneimittels per se ausgeschlossen ist. Vielmehr kann der Kunde auch nach einem Wirkstoff oder einem bestimmten Anwendungsgebiet suchen und bei der nachfolgenden Anzeige von Produkten, deren Namen ihm nicht geläufig sind, einem entsprechenden Irrtum unterliegen, wenn er sich an der abgebildeten Verpackung orientiert. Dies gilt schließlich auch bei der Anzeige von Sonderangeboten, die dem Kunden unaufgefordert angezeigt werden.

4.

Auch wenn bei einer lediglich nachschaffenden Übernahme die Anforderungen an die wettbewerbliche Eigenart und die sonstigen, die Unlauterkeit begründenden Merkmale höher sind als bei einer (fast) identischen Übernahme (Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Aufl. 2014, § 4 Rn. 9.36), führt die Gesamtabwägung vor dem Hintergrund der aufgrund Bekanntheit gesteigerten wettbewerblichen Eigenart der "Tebonin"-Verpackung gleichwohl zu dem Ergebnis, dass das Produkt "Binko" als wettbewerblich unzulässige Nachahmung der Produktserie "Tebonin" anzusehen ist. Durch die oben aufgezeigten, für den Gesamteindruck aber nicht prägenden Unterschiede in Details der Verpackungen wird die Gefahr einer Herkunftstäuschung nicht beseitigt. Sie wird auch nicht dadurch vermieden, dass die angegriffenen Verpackungen mit den Produktbezeichnungen sowie Herstellerangaben gekennzeichnet sind. Zwar kann die hinreichend sichtbare Anbringung einer Herstellerbezeichnung eine an sich bestehende Verwechslungsgefahr beseitigen (BGH, GRUR 2002, 820, 823 - Bremszangen). Jedenfalls besteht vorliegend aber die Gefahr einer Herkunftstäuschung im weiteren Sinne. Soweit die Zeichen "Binko" und "neuraxpharm" mit dem Symbol "r" versehen sind, kann schon nicht ausgeschlossen werden, dass der Verkehr sie als Waren- und Handelsmarke versteht. Im Übrigen weist die Antragstellerin zu Recht darauf hin, dass zwischen Arzneimittelherstellern Verflechtungen bestehen, die für den Arzneimittelkunden unüberschaubar sind.

Die Herkunftstäuschung ist schließlich auch vermeidbar, da die Gestaltungsfreiheit und -möglichkeit bei Arzneimittelverpackungen, auch und insbesondere hinsichtlich der Farbwahl, unbegrenzt ist.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Das Urteil ist gemäß § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.






OLG Köln:
Urteil v. 28.05.2014
Az: 6 U 210/13


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/8c3fd5a896e9/OLG-Koeln_Urteil_vom_28-Mai-2014_Az_6-U-210-13




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