Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 27. September 2011
Aktenzeichen: I-4 U 91/11

(OLG Hamm: Urteil v. 27.09.2011, Az.: I-4 U 91/11)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Oberlandesgericht Hamm hat entschieden, dass die Kassenzahnärztliche Vereinigung es unterlassen muss, ihren Mitgliedern kostenlos VPN-Router für den sicheren Datenaustausch zur Verfügung zu stellen. Ein Technologieunternehmen hatte die Kassenzahnärztliche Vereinigung verklagt, da sie in dem kostenlosen Angebot der Router eine wettbewerbswidrige Handlung sah. Das Landgericht Bochum hatte die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht Hamm hingegen hat die Kassenzahnärztliche Vereinigung dazu verurteilt, das kostenlose Angebot der Router zu unterlassen. Das Gericht sah in dem Angebot eine erhebliche Gefährdung des Wettbewerbs, da die Router die Konnektoren anderer Anbieter entbehrlich machen und so den Wettbewerb privater Anbieter im Bereich der Datenübertragung und Kommunikationssysteme erheblich beeinträchtigen können. Die Kassenzahnärztliche Vereinigung muss nun die Kosten des Rechtsstreits tragen.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

OLG Hamm: Urteil v. 27.09.2011, Az: I-4 U 91/11


Tenor

Auf die Berufung der Antragstellerin wird das am 14. April 2011 verkündete Urteil der 14. Zivilkammer - Kammer für Handelssachen - des Landgerichts Bochum abgeändert.

Die Antragsgegnerin wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000, EUR, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs VPN-Router mit integrierten Schutzmechanismen (VPN-Virensoftware und Firewall) kostenlos oder gegen eine von den Mitgliedern erhobene Umlage zur Verfügung zu stellen, wenn dies geschieht, wie im Zahnärzteblatt Ausgabe Dezember 2010 Seite 14 (Anlage ASt 7) angekündigt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Die Antragstellerin ist ein Technologieunternehmen, das Geräte für den sicheren Datenaustausch zwischen Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen entwickelt und herstellt. Die Antragsgegnerin ist die für die Regierungsbezirke Münster, Arnsberg und Detmold zuständige Kassenzahnärztliche Vereinigung. Im Zahnärzteblatt, Ausgabe Dezember 2010, S. 14, kündigte die Verfügungsbeklagte an, im Zuge der verpflichtenden Einführung der elektronischen online-Abrechnung jeder Zahnarztpraxis einen kostenlosen VPN-Router mit integrierten Schutzmechanismen mit einer ZOD-Karte zur Authentifizierung und Signierung zur gesicherten Übertragung an die Verfügungsbeklagte kostenlos zur Verfügung zu stellen. Zwischenzeitlich hat die Antragsgegnerin - wie sie im Senatstermin mitgeteilt hat - die VPN-Router bereits teilweise ausgeteilt.

Die Antragstellerin meint, die Maßnahme der Antragsgegnerin sei wettbewerbswidrig und begehrt die Unterlassung der kostenlosen Abgabe der VPN-Router an ihre Mitglieder bzw. einer Abgabe gegen eine erhobene Umlage.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Die Antragstellerin hat beantragt,

im Wege der einstweiligen Verfügung bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel die Antragsgegnerin zu verurteilen, es zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs VPN-Router mit integrierten Schutzmechanismen (VPN-Virensoftware und Firewall) kostenlos oder gegen eine von den Mitgliedern erhobene Umlage zur Verfügung zu stellen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

Die Zuständigkeit des Landgerichts Bochum sei gegeben, weil die Antragstellerin ausdrücklich die Frage der Ausschreibung und der Vergabe aus dem Streit herausgenommen und ihren Anspruch auf die Frage der wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit der von der Antragsgegnerin angekündigten Maßnahme beschränkt habe.

Ein Verfügungsanspruch sei aber zu verneinen, weil nach Abwägung aller Umstände ein unlauteres Verhalten gemäß § 3 UWG nicht gegeben sei. Es sei davon auszugehen, dass die öffentliche Hand und damit auch die Antragsgegnerin als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht uneingeschränkt in das Marktgeschehen eingreifen dürfe, sondern derartige Eingriffe so gering wie möglich halten müsse, um ihrer prinzipiellen Neutralitätspflicht zu genügen.

Die Entscheidung, im Zuge der technischen Möglichkeiten die Abrechnung zukünftig online zu gestalten, sei eine Frage der Selbstorganisation und als solche nicht zu beanstanden. Mit der von der Antragsgegnerin durchgeführten Ausschreibung werde die Chancengleichheit prinzipiell gewahrt. Mit den Fragen, ob und inwieweit hier ausschreibungs- oder vergaberechtliche Aspekte nicht eingehalten worden seien, sei die Antragstellerin aufgrund ihrer vorgenommenen Beschränkung auf die Frage der Weitergabe der VPN-Router ausgeschlossen. Dass die Antragsgegnerin ein System aus eigener Hand wünsche, damit die Funktionalität weitgehend gewährleistet sei und bei etwaig auftretenden Problemen nicht ein Verweis von einer auf die andere Seite erfolge, sei nachvollziehbar.

Die geplante kostenlose Weitergabe des Routers an die Zahnärzte stelle sich auch bei beanstandungsfreier Beschaffung der Geräte und Komponenten nicht als unlauter dar. Es sei absolut sinnlos, etwas im Interesse des reibungslosen Funktionierens anzuschaffen, wen dieses nicht abgegeben werden dürfe. Außerdem stelle die Abrechnung der kassenzahnärztlichen Leistungen eine Hauptverpflichtung der Antragsgegnerin dar, so dass Regelungen in diesem Rahmen durchaus zulässig seien. Zwar sei nicht zu verkennen, dass die von der Antragsgegnerin durchgeführte Maßnahme das Marktgeschehen in ihrem Bezirk beeinflusse. Jedoch sei ein Ausschluss der Absatzmöglichkeiten für alle Zeiten nicht zu bejahen, da allein die technische Lebensdauer des Routers sich mit der vereinbarten Wartungszeit von drei Jahren erschöpft haben dürfte. Andererseits sei zu berücksichtigen, dass der von der Antragsgegnerin gestellte Router für die Installation im Rahmen der Gesundheitskarte nicht geeignet sei, so dass bei Einführung der Gesundheitskarte auch von den Zahnärzten die im Bezirk der Verfügungsbeklagten tätig seien, ein zweiter oder ein anderer VPN-Router angeschafft werden müsste. Zweifelsfrei sei aber eine Erschwerung der Absatzmöglichkeiten der Antragstellerin festzustellen. Gleichwohl sei unter Abwägung aller Umstände und Interessen die von der Antragsgegnerin vorgesehene Maßnahme nicht als unlauter einzustufen. Dem Interesse der Antragstellerin am freien Marktzugang stehe das Interesse der Antragsgegnerin an einem reibungslos funktionierenden Abrechnungssystem gegenüber. Weiter sei zu berücksichtigen, dass der Bezirk der Antragsgegnerin nur einen Teil der insgesamt im Bundesgebiet vorhandenen Bezirke darstelle und sich zudem auf die Zahnärzte beschränke.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Berufung, mit der sie ihren erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts könne das Interesse der Antragsgegnerin an einer Belieferung "aus einer Hand" die von der Antragsgegnerin geplante Maßnahme nicht rechtfertigen. Ein Kommunikations- und Rechnungssystem aus einer Hand sei aus technischen Gründen nicht erforderlich. Es reiche aus, wenn die Antragsgegnerin die infrastrukturellen Vorgaben für den Einsatz der verschiedenen Hardwareprodukte schafften und die technischen Voraussetzungen bekannt gäben und die Erfüllung der technischen Merkmale durch eine Zertifizierung sicherstelle.

Die Beschaffung von VPN-Routern "aus einer Hand" sei auch nicht dazu geeignet, die Funktionalität des Systems sicherzustellen oder die Abgrenzung der Verantwortung im Fall von Fehlfunktionen zu erleichtern. Denn es verbleibe in jedem, Fall eine technische "Bruchstelle" zwischen Abrechnungs- und Kommunikationssystem. Entscheidend sei weiter, dass die Beschaffung einer größeren Zahl von Komponenten "aus einer Hand" nicht die geringere Fehleranfälligkeit eines Systems sicherstelle.

Soweit die Ausführungen des Landgerichts so zu verstehen sei, dass schon der bloße Umstand einer Art "Arbeitserleichterung" bei der Einführung eines neuen Rechnungssystems zugunsten der Antragsgegnerin zu berücksichtigen sei, gehe dies aus rechtlichen Erwägungen fehl.

Eine Rechtfertigung der massenhaften kostenlosen Abgabe der VPN-Router ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Antragsgegnerin zu deren Beschaffung eine Ausschreibung durchgeführt habe.

Die von dem Landgericht genannten Aspekte, die belegen sollen, dass der von der Antragsgegenerin vorgenommene Eingriff in den Wettbewerb nur geringe Auswirkungen habe, seien teilweise spekulativ und teilweise unzutreffend und gingen insgesamt fehl.

Die Antragstellerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Essen vom 14.04.2011 die Antragsgegnerin zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs VPN-Router mit integrierten Schutzmechanismen (VPN-Virensoftware und Firewall) kostenlos oder gegen eine von den Mitgliedern erhobene Umlage zur Verfügung zu stellen, wenn dies geschieht wie im Zahnärzteblatt Ausgabe Dezember 2010, Seite 14 (Anlage AST 7) angekündigt.

Die Antragstellerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag und verteidigt das angefochtene Urteil.

Die Antragsgegnerin verwalte nur die Mitgliedsbeiträge ihrer Mitglieder, d.h. einer verhältnismäßig kleinen Gruppe. Sie greife auch nicht als öffentliche Hand in das Marktgeschehen ein. Insbesondere erfolge kein Eingriff unter Verwendung öffentlicher Ressourcen im privatrechtlichen Bereich. Die Zur-Verfügung-Stellung der VPN-Router sei lauterkeitsrechtlich als entgeltlich zu bewerten.

Die Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs gemäß § 8 UWG seien nicht erfüllt. Die Antragsgegnerin verhindere nicht den Markteintritt wirtschaftlich tätiger Unternehmen, schließe andere Unternehmen nicht aus und behindere auch nicht gezielt andere Marktteilnehmer.

Die umfangreichen Ausführungen der Antragstellerin zum Sinn und Zweck des Vergaberechts als Sonderrecht für die öffentliche Beschaffung gingen bereits vor dem Hintergrund ins Leere, dass die Antragsgegnerin nicht allein wegen ihrer Rechtsform als "die öffentliche Hand" im lauterkeits- und wettbewerbsrechtlichen Sinne angesehen werden könne.

Die Ausführungen der Antragstellerin zur Erforderlichkeit der Beschaffung und Abgabe aus einer Hand seien nicht nachvollziehbar. Es werde kein Anbieter vom Markt ausgeschlossen. Die von der Antragstellerin zitierte Entscheidung des BGH vom 08.07.1993, Az.: I ZR 147/91, sei nicht übertragbar. Eine erhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs privater Anbieter sei hier nicht gegeben. Vergleichbar sei vielmehr die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 28.04.2010, Az.: VI-U (Kart) 4/10.

Es liege hier kein Eingriff der Antragsgegnerin in den Wettbewerb mit mehr als nur geringen Auswirkungen vor.

Es werde auch bestritten, dass der Antragstellerin ein wirtschaftlicher Schaden in Höhe von 400.000,- € bis 500.000,- € entstehen werde.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung der Antragstellerin ist begründet.

1.

Die Zulässigkeit des Rechtswegs ist gemäß § 17a Abs. 5 GVG der Überprüfung des Berufungsgerichts entzogen.

2.

Der Antrag ist jedenfalls durch die Einbeziehung der konkreten Verletzungshandlung bestimmt genug im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

3.

Der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgrund ist gegeben. Der Antragstellerin kommt die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG zugute, welche die Antragsgegnerin nicht widerlegt hat. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist am 22.03.2011 beim Landgericht eingegangen. Die Antragstellerin hat behauptet und durch eidesstattliche Versicherung ihres Geschäftsführers Kollack vom 18.03.2011 glaubhaft gemacht, dass ihr das Vorhaben der Antragsgegnerin, die für die sichere Kommunikation erforderlichen Router kostenlos abzugeben, erstmals am 24.02.2011 bekannt geworden ist. Diesen Ausführungen ist die Antragsgegnerin nicht entgegengetreten.

4.

Die Antragstellerin hat gegen die Antragsgegnerin keinen Verfügungsanspruch gemäß §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. §§ 3, 4 Nr. 10 UWG, jedoch einen solchen gemäß §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 UWG.

a.

Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG stehen die Ansprüche aus § 8 Abs. 1 UWG jedem Mitbewerber zu. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG ist ein Mitbewerber jeder Unternehmer, der mit einem oder mehreren Unternehmern als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht. Die für die Annahme der Antragsbefugnis i.S.v. § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG erforderliche Stellung als Mitbewerber i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG liegt vor, wenn die Parteien versuchen, Waren oder Dienstleistungen innerhalb derselben Verkehrskreise abzusetzen mit der Folge, dass das konkret beanstandete Wettbewerbsverhalten den anderen beeinträchtigen kann (BGH GRUR 2007, 1079). Bei der Beklagten handelt es sich zwar um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Jedoch tritt sie als Mitbewerber auf, indem sie den VPN-Router auf den Markt bringt. Zumindest unterstützt sie damit den Absatz eines Dritten, hier des Herstellers des Routers, die Fa. Q. Beide Parteien bieten den Zahnärzten Geräte zum Datenaustausch an. Jedenfalls bietet die Beklagte die kostenlose bzw. die mit dem Beitrag der Zahnärzte abgegoltene Abgabe des Routers der Fa. Q an. Auch in räumlicher Hinsicht ergibt sich eine Überschneidung für den Bereich der Regierungsbezirke Detmold, Münster und Arnsberg. Damit sind sie auf demselben sachlich und räumlich relevanten Markt tätig (vgl. auch die Konstellation bei BGH - GRUR 1993, 917 - Abrechnungssoftware für Zahnärzte).

b.

Die Beklagte handelt mit der Abgabe des Routers VPN auch geschäftlich im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG. Eine geschäftliche Handlung ist jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG). Diese Kriterien sind hier erfüllt.

Die handelnde Antragsgegnerin ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Es kommt deshalb darauf an, ob es sich um eine erwerbswirtschaftliche Tätigkeit von dieser handelt oder um eine Tätigkeit ihres öffentlichrechtlichen Aufgabenbereichs. Ist sie bei der Ankündigung der kostenlosen Zurverfügungstellung der VPN-Router privatrechtlich tätig geworden, interessiert dabei vor allem das dabei zu Tage getretene Marktverhalten, nämlich das "wie" im Rahmen der Marktteilnahme. Um den Marktzutritt selbst kann es gerade nicht gehen (vgl. BGH - Elektroarbeiten), ebenso wenig um das Verhalten im Rahmen der Vergabepraxis, das die Antragstellerin im Rahmen ihrer Antragstellung gerade ausgeklammert hat.

Der Antrag richtet sich infolgedessen auch ausschließlich gegen die wettbewerbsrechtlichen Auswirkungen des angekündigten Verhaltens auf dem Markt der Anbieter von Leistungen im Bereich der Kommunikationsdienstleistungen in Form der Unterstützung eines Mitbewerbers der Antragstellerin, nicht gegen die öffentlichrechtliche Tätigkeit als solche.

Zwar geht es bei dem Angebot der kostenlosen Überlassung der Router um das Handeln im Zusammenhang mit der Einführung der online-Abrechnung der Mitglieder mit der Antragsgegnerin und damit um eine öffentliche Aufgabe. Diese Aufgabe bewegt sich auch noch im Bereich der reinen Gesundheitsvorsorge, der nach dem gesetzgeberischen Willen, wie er sich in § 69 SGB V und § 51 Abs. 2 SGG manifestiert, in erster Linie dem Bereich des öffentlichrechtlichen Handelns und der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen ist. Für diese Abrechnung ist aber die beanstandete konkrete Handlung, nämlich das kostenlose Zurverfügungstellen des Routers, nicht zwingend erforderlich. Es könnte beispielsweise genügen, die kommunikative Zusammenarbeit mittels eines Pflichtenheftes sicherzustellen, das den privaten Beraterfirmen aufgeben würde, welche Mindeststandards zur Kompatibilität und zur Sicherheit der zu übertragenden Daten erforderlich sein müssten. Dadurch, dass die Antragsgegnerin den Bereich der öffentlichen Gesundheitsvorsorge verließ und in den Bereich der Organisation der Praxen der Zahnärzte eingriff, indem sie zur besseren Kommunikation kostenlose Router anbot, die sich Zahnärzte an sich auch jederzeit gegen ein Entgelt auf dem Markt der Anbieter von entsprechenden Kommunikationsleistungen besorgen konnten, überschritt sie die Grenze des Handeln im öffentlichrechtlichen Bereich und begab sich auf den privatrechtlichen Markt. Wie sie sich im Einzelnen bei ihrem Gang auf den Markt im Bereich der Kommunikationsleistungen verhielt, unterlag dann der Kontrolle des Wettbewerbsrechts.

Es kommt hinzu, dass die Antragsgegnerin mit dem Angebot der Überlassung der kostenlosen Router in sachlich nicht gebotener Weise den Wettbewerb des entsprechenden Anbieters gefördert hat. Eine solche Wettbewerbsförderung des Lieferanten der Router tritt hier auch nicht als völlig nebensächlich hinter dem Zweck der öffentlichen Aufgabe der Antragsgegnerin zurück, auch wenn es im Rahmen der Kommunikation mit den Zahnärzten ihre Aufgabe erleichtern würde, alles in einer Hand eines Dienstleisters zu wissen.

Die Antragsgegnerin hat unübersehbar auch ein Interesse am wirtschaftlichen Erfolg des geförderten Unternehmens, weil sie aufgrund von vertraglichen Beziehungen mit der Firma Q, die ihr große Mengen von Routern liefert, auch davon profitiert, dass diese einheitlich an (fast) alle Zahnärzte verteilt werden.

Die Auswirkung ihres Handelns auf den Wettbewerb erscheint hier somit als sachlich nicht notwendige Begleiterscheinung. Es geht damit um eine geschäftliche Handlung.

c.

In der Art und Weise des Absatzes der Antragsgegnerin liegt keine gezielte Behinderung der Antragstellerin oder eines anderen Mitbewerbers im Sinne des § 4 Nr. 10 UWG.

Die Regelung des § 4 Nr. 10 UWG erfasst mit dem Erfordernis der Zielgerichtetheit lediglich die individuelle Behinderung, nicht hingegen die allgemeine Marktbehinderung (Ohly/Sosnitza, UWG 5. Aufl., § 4.10 Rn 10/7 m.w.N; OLG Köln, Urt. v. 28.04.2010, VI-U (Kart) 4/10). Tatbestandlich ist daher nur diejenige Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten, die bei objektiver Würdigung aller Umstände in erster Linie nicht auf die Förderung der eigenen wettbewerblichen Entfaltung, sondern (unmittelbar) auf die Störung der Entfaltung eines bestimmten Konkurrenten oder einer bestimmten Gruppe von Konkurrenten gerichtet ist (Köhler/ Bornkamm, UWG 29. Aufl., § 4 Rn 10.7 u. 10.10 m.w.N.; OLG Köln a.a.O.).

Eine solche individuelle Behinderung ist nicht gegeben. Indem die Beklagte den streitbefangenen Router allen Vertragszahnärzten ohne gesonderte Berechnung zur Verfügung stellt und damit den Anreiz gesetzt hat, ihren Router anstatt die L-Box der Klägerin oder ähnliche Produkte von Mitbewerbern zu nutzen, beeinträchtigt sie die wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten aller privaten Konnektor-Anbieter gleichermaßen.

d.

Jedoch kommt es im Rahmen der geschäftlichen Handlung zu einem erheblichen Eingriff in das Marktgeschehen, also zu einer Marktstörung im Sinne des § 3 UWG, bei der die Grundlagen des Leistungswettbewerbs der privaten Anbieter erheblich gefährdet werden (vgl. BGH GRUR 1993, 917 - Abrechnungssoftware für Zahnärzte).

Es geht hier um die kostenlose Abgabe von Waren und Dienstleistungen an Mitglieder der Antragsgegnerin, die sich solche oder ähnliche, auch qualitativ bessere Waren auf dem entsprechenden Markt der Kommunikationsleistungen hätten besorgen müssen. Der Bereich der öffentlichen Gesundheitsvorsorge wird damit verlassen. Steht die erwerbswirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand im Streit, kommen über die allgemeinen Verhaltensregeln hinaus besondere Verhaltens- pflichten in Betracht, denen gerade der Hoheitsträger als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der Grundrechtsbindung unterliegt (BGH a.a.O.; OLG Köln a.a.O.).

aa.

Vorliegend ist die Gefährdung des Wettbewerbsbestandes zu besorgen.

Wird die öffentliche Hand zum Zweck der Erfüllung öffentlicher Aufgaben tätig, darf sie bei der Wahl ihrer Mittel die sachlich berechtigten Interessen privater Wettbewerber nicht außer Acht lassen. Dies führt dazu, dass die öffentliche Hand sich bei der Erfüllung öffentlichen Aufgabe durch privatwirtschaftliche Mittel im Bereich des verfassungsrechtlichen Zulässigen halten und auf (das Wie betreffende) Maßnahmen beschränken muss, die zur Aufgabenerfüllung erforderlich sind und am wenigsten in die berechtigten Interessen privater Wettbewerber eingreift. Die mit öffentlichen Mitteln finanzierte Preisunterbietung oder die gar unentgeltliche Zuwendung der Leistung sind daher unlauter, wenn sie zu einer Gefährdung des Wettbewerbsbestandes führen (BGH a.a.O. - Abrechnungssoftware für Zahnärzte; Köhler a.a.O. § 4 Rn. 13.35).

bb.

Eine Gefährdung des Wettbewerbsbestandes ist hier zu besorgen, weil der VPN-Router, den die Beklagte verteilen will bzw. teilweise schon verteilt hat, die Konnektoren anderer Anbieter mit teilweise weitreichenderen Funktionen entbehrlich macht.

Denn die L-Box der Antragstellerin und ähnliche Produkte anderer Anbieter sind für die Umsetzung der von der Antragsgegnerin verfolgten Ziele, ein digitales Kommunikations- und Rechnungssystem zu schaffen, vollständig geeignet. Die Tatsache, dass die L-Box der Antragstellerin weitergehende Anforderungen erfüllt, und zwar diejenigen zur Umsetzung der Einführung der Gesundheitskarte, und der VPN-Router der Antragsgegnerin diesen Anforderungen nicht genügt, spricht grundsätzlich dafür, dass das Produkt der Antragstellerin durch die Abgabe des VPN-Routers gar nicht entbehrlich wird. Jedoch ist aus heutiger Sicht für alle Beteiligten noch nicht sicher, ob die Gesundheitskarte eingeführt wird bzw. wann dies der Fall sein wird. Fest steht lediglich, dass bisher geregelt worden ist, dass die Sicherheitsanforderungen der Gematik bis 2015 umgesetzt werden sollen. Dies bedeutet aber, dass das Produkt der Antragstellerin bis zu diesem Zeitpunkt nicht von den Marktteilnehmern benötigt wird. Da die durchschnittliche Lebensdauer des VPN-Routers ca. vier Jahre oder mehr beträgt, besteht für die Mitglieder der Antragsgegnerin kein vernünftiger (wirtschaftlicher) Grund dafür, jetzt eine L-Box zu erwerben. Dies würde bedeuten, dass die Antragstellerin sowie die weiteren Mitbewerber in den nächsten ca. drei bis vier Jahren kaum einen Umsatz mit diesem Produkt auf dem hier räumlich interessierenden Markt erzielen könnten. Der durchschnittliche Nachfrager wäre in dieser Zeit nicht auf das Produkt der Antragstellerin oder ein vergleichbares Produkt anderer Anbieter angewiesen.

cc)

Das Vorhaben der Antragsgegnerin, VPN-Router an ihre Mitglieder ohne gesonderte Berechnung abzugeben, beeinträchtigt in erheblichem Maße den Wettbewerb privater Anbieter im Bereich der Datenübertragung und Kommunikationssysteme (s.o.). Diese Maßnahme steht außer Verhältnis zu den Maßnahmen, welche zur Erfüllung der der Antragsgegnerin als öffentlichrechtlicher Körperschaft obliegenden gesetzlichen Aufgaben erforderlich sind.

Die der Antragsgegnerin durch Gesetz übertragene Aufgabe besteht vornehmlich in der Sicherstellung der kassen- bzw. vertragsärztlichen Versorgung (§§ 72, 73, 77 SGB V). Im Rahmen der Erfüllung dieser grundlegenden Aufgabe hat sie u.a. die Rechte der Kassenärzte gegenüber den Krankenkassen wahrzunehmen sowie die Erfüllung der den Kassenärzten obliegenden Pflichten zu überwachen (§ 75 Abs. 2 SGB V).

Im Rahmen der Erfüllung dieser Aufgaben ist es für die Antragsgegnerin unter Wirtschaftlichkeits- und Praktikabilitätserwägungen durchaus vernünftig, auf die Verwendung eines Kommunikationssystems mit einheitlichen Mindest-Standards der auf der Seite der Zahnärzte erforderlichen Module hinzuwirken, weil sich auf diese Weise ihre gesetzliche Aufgabe wesentlich erleichtert. Zur Wahrung dieses berechtigten Interesses hätte aber genügt, dass die Antragsgegner für die Anbieter von Routern ein Pflichtenheft zu erstellen, welches eine ausführliche Beschreibung der Leistungen technischer oder anderweitiger Art enthält, die erforderlich sind, um die Ziele der Schaffung eines einheitlichen Kommunikationssystems zu erreichen. Die Erarbeitung eines solchen Pflichtenheftes mit den erforderlichen Kriterien und Vorgaben sowie des technischen Leistungsprofils des Routers im Zusammenwirken mit den privaten Herstellern von Routern ist eine sachdienliche aber auch ausreichende Maßnahme, um ein einheitliches Kommunikationssystem zu schaffen. Nach unbestrittenem Vortrag der Antragstellerin funktioniert ein solches System - "KV Safernet" - bereits bei der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein seit einigen Jahren, wobei sich die Kassenärztliche Vereinigung Bremen diesem System angeschlossen hat.

dd.

Eine Rechtfertigung für das Vorhaben der Beklagten ergibt sich nicht aus dem Gesichtspunkt, dass die Beschaffung der Router "aus einer Hand" die Funktionalität des Systems besser sicherstellt, als das Vorgehen mittels eines Pflichtenheftes. Denn dadurch, dass nicht alle Zahnärzte das gleiche Abrechnungssystem in Gebrauch haben, entstehen zwangsläufig Schnitt- bzw. Bruchstellen zwischen dem von der Beklagten benutzten System einschließlich VPN-Router und den Systemen der Zahnärzte. Es ist also durch die Anschaffung von einheitlichen Routern insoweit kein Vorteil erreicht.

e.

Die Wiederholungsgefahr ergibt sich daraus, dass die Antragsgegnerin nach ihrem eigenen Bekunden im Senatstermin die Router bereits teilweise ausgeteilt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.






OLG Hamm:
Urteil v. 27.09.2011
Az: I-4 U 91/11


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/95795ac4d9bf/OLG-Hamm_Urteil_vom_27-September-2011_Az_I-4-U-91-11




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