Sozialgericht Lüneburg:
Beschluss vom 23. April 2007
Aktenzeichen: S 25 SF 179/06
(SG Lüneburg: Beschluss v. 23.04.2007, Az.: S 25 SF 179/06)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Die Beteiligten stritten in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren über die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (Hartz IV). Es ging dabei um die Höhe der Kosten der Unterkunft und Heizung nach einem Umzug. Zuerst wurden den Antragstellern höhere Leistungen bewilligt, dann aber gekürzt. Die Antragsteller legten Widerspruch ein und beantragten die Festsetzung der Prozesskostenhilfe. Der Urkundsbeamte setzte die Kosten jedoch niedriger fest als beantragt. Die Antragsteller legten Erinnerung ein, was jedoch abgelehnt wurde. Das Gericht befand, dass die anwaltliche Tätigkeit durchschnittlich umfangreich und schwierig war, die Bedeutung der Angelegenheit aber unterdurchschnittlich. Daher sei die Mittelgebühr angemessen. Es wurde eine Verfahrensgebühr von 170,00 € festgesetzt. Der Beschluss des Urkundsbeamten wurde bestätigt. Die befristete Beschwerde wurde zugelassen, da die Frage der Bemessung der Gebühren in einstweiligen Rechtsschutzverfahren grundsätzliche Bedeutung hat.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
SG Lüneburg: Beschluss v. 23.04.2007, Az: S 25 SF 179/06
Tenor
Die Erinnerung der Erinnerungsführer vom 18. Oktober 2006 gegenden Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten derGeschäftsstelle vom 10. Oktober 2006 Az.: S 25 AS 663/06 ER wirdzurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Prozessbevollmächtigten der Erinnerungsführer vom Erinnerungsgegner im Rahmen der Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) zu erstattenden Gebühren.
Im zugrunde liegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren (Az.: S 25 AS 663/06 ER) stritten die Beteiligten im Wesentlichen um die Gewährung von Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) nach einem zum 01. März 2006 erfolgten Umzug, dabei insbesondere um die Frage, wer (noch) Mitglied der Haushalts- und Bedarfsgemeinschaft der Erinnerungsführerin zu 1. ist und inwieweit die tatsächlichen Unterkunftskosten in Höhe von 495,00 € berücksichtigungsfähig sind.
Die Antragsgegnerin im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bewilligte den Erinnerungsführern und den zwei weiteren Kindern der Erinnerungsführerin zu 1. mit Bewilligungsbescheid vom 30. März 2006 zunächst Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 371,25 € für den Zeitraum vom 01. März 2006 bis zum 31. August 2006. Nachdem die Erinnerungsführerin zu 1. die Antragsgegnerin darauf hingewiesen hatte, dass sie in der neuen Wohnung nur noch mit der Erinnerungsführerin zu 2. lebe, erging unter dem 15. Mai 2006 ein den o. g. Zeitraum regelnder Bescheid, der letztlich nur noch die Erinnerungsführer betraf, der allerdings nunmehr Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von nur noch 330,00 € auswies.
Hiergegen erhoben die Erinnerungsführer am 12. Juni 2006 Widerspruch und suchten mit Schriftsatz vom gleichen Tage um einstweiligen Rechtsschutz bei dem Sozialgericht Lüneburg mit dem Begehren nach, die Antragsgegnerin vorläufig zur Gewährung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung zu verpflichten. Nachdem die Erinnerungsführer eine Meldebescheinigung vorlegen ließen, aus dem sich ergab, dass die Tochter Marike bereits seit 1998 unter einer anderen Anschrift wohnhaft ist, entsprach die Antragsgegnerin dem Begehren mit Schriftsatz vom 30. Juni 2006 und bewilligte entsprechende Leistungen nach dem SGB II mit Bescheid vom 27. Juni 2006 (nur noch) für die Erinnerungsführer unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung. Mit Schriftsatz vom 13. Juli 2006 erklärte sich die Antragsgegnerin zur Übernahme der außergerichtlichen Kosten der Erinnerungsführer bereit.
Mit Schriftsatz vom 19. September 2006 haben die Erinnerungsführer die Festsetzung von Prozesskostenhilfevergütung in Höhe von 400,20 € beantragt, die sich wie folgt zusammensetzt:
Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV-RVG250,00 €30 % Erhöhung gemäß Nr. 1008 VV-RVG75,00 €Entgelt für Post- und Telekommunikationsleistung gemäß Nr. 7002 VV (pauschal)20,00 €16 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7007 VV-RVG55,20 €Summe400,20 €Mit Beschluss vom 10. Oktober 2006 hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Prozesskostenhilfevergütung, welche dem Prozessbevollmächtigten aus der Staatskasse zu erstatten ist, auf 279,56 € unter Berücksichtigung einer Verfahrensgebühr in Höhe von 221,00 € festgesetzt. Die Tätigkeit sei nicht derart umfangreich oder schwierig gewesen, dass die Mittelgebühr angemessen sei. Wenn der Gesetzgeber die Mittelgebühr für alle Verfahren der ersten Instanz einheitlich regele, so müsse das vorliegende einstweilige Rechtsschutzverfahren an der Gesamtheit der beim Sozialgericht anhängigen oder anhängig gewesenen Verfahren gemessen werden, also an durchschnittlich gelagerten Klageverfahren.
Hiergegen hat der Erinnerungsführer am 18. Oktober 2006 Erinnerung eingelegt. Er ist der Auffassung, dass die Angelegenheit nicht unterdurchschnittlich gewesen sei. Es sei eine Antragsschrift zu verfassen gewesen, die einen gewissen Aufwand beinhaltet habe und wofür allein schon die Mittelgebühr angemessen sei. Das Gericht verkenne, dass in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren unter hohem Zeitdruck und unter hoher Anspannung gearbeitet werden müsse. Dies habe sich erhöhend auszuwirken. Auch die Bedeutung der Angelegenheit sei geeignet, die Angelegenheit weit über die Mittelgebühr hinaus zu erheben. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber das Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit in eine Verfahrens- und eine Terminsgebühr aufgeteilt habe und bereits mit Einreichung der Klageschrift die Mittelgebühr verdient sein müsse. Daraus werde deutlich, dass in einstweiligen Rechtsschutzverfahren, in denen regelmäßig keine Terminsgebühr anfalle, die Mittelgebühr schon mit Einreichung der Antragsschrift und unter Berücksichtigung des Zeitdrucks gerechtfertigt sei.
Der Erinnerungsgegner schließt sich den Ausführungen des Urkundsbeamten an.
Dieser hat der Erinnerung nicht abgeholfen und sie dem Gericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die nach § 56 Abs. 1 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG)) zulässige Erinnerung ist nicht begründet.
Der Urkundsbeamte hat die Kosten des Rechtsstreits zu Recht auf insgesamt 279,56 € festgesetzt.
Die Höhe der Gebühr richtet sich hier nach den §§ 3, 14 RVG. Danach bestimmt der Rechtsanwalt die Rahmengebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Das Haftungsrisiko ist nach § 14 Abs. 1 S. 3 RVG mit einzubeziehen.
14Nach diesen Grundsätzen ist die Verfahrensgebühr der Nr. 3102 des Vergütungsverzeichnisses (VV-RVG) Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG zu entnehmen. Der dort vorgesehene Rahmen sieht eine Mindestgebühr in Höhe von 40,00 und ein Höchstgebühr in Höhe von 460,00 € vor. Erweist sich das Betreiben eines Geschäfts einschließlich der Information nach den Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG als insgesamt durchschnittliche Leistung, ist die Mittelgebühr von 250,00 € angemessen. Liegen Wert und Bedeutung der Sache unter oder über diesem Mittelwert, bietet sich eine entsprechende Quotierung an. Im vorliegenden Fall ist es gerechtfertigt die Mittelgebühr zu unterschreiten.
Die Bedeutung der Angelegenheit war für die Erinnerungsführer - entgegen der Ansicht ihres Prozessbevollmächtigten - unterdurchschnittlich. Gegenstand des Verfahrens war zwar die Gewährung höherer existenzsichernder Leistungen, jedoch handelte es sich nach dem Antragsziel um eine vorläufige Gewährung ab Juni 2006 (Eingang des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei Gericht) und für einen begrenzten Zeitraum. Daraus ergibt sich andererseits, dass die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Erinnerungsführer unterdurchschnittlich sind.
Der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit waren durchschnittlich. Dabei ist auf den objektiv erforderlichen Aufwand abzustellen. Der erforderliche anwaltliche Aufwand bestand darin, den Inhalt des angefochtenen Bescheides und die tatsächliche Höhe der Kosten der Unterkunft und Heizung sowie die Familienverhältnisse vorzutragen, zu würdigen und hierüber eine eidesstattliche Versicherung aufzunehmen. Dieser Tätigkeitsumfang ist für einen seine Mandanten auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gewissenhaft vertretenen Anwalt obligatorisch und entspricht demjenigen Aufwand, der erforderlich ist, um die Mandanteninteressen ordnungsgemäß und unter Beachtung seiner aus §§ 43, 43a der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) folgenden Berufspflichten zu wahren. Auch ist zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer kurz war, keine umfangreichen Beiakten geprüft werden mussten und keine Beweisaufnahme stattgefunden hat. Auch eine rechtliche Schwierigkeit bestand nicht, weil es allein um die (vorläufige) Gewährung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung ging und die Zugehörigkeit von Familienmitgliedern zur Haushalts- und Bedarfsgemeinschaft zu klären war. Dies allein betrachtet war die anwaltliche Tätigkeit in dem anzustellenden Vergleich zu anderen einstweiligen Rechtsschutz- und Hauptsacheverfahren im Recht der Grundsicherung für Arbeitssuchende unterdurchschnittlich umfangreich und schwierig; insoweit schließt sich die Kammer der Auffassung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ausdrücklich an
17Zu berücksichtigen ist aber ferner - worauf der Prozessbevollmächtigte der Erinnerungsführer zu Recht hinweist -, dass auch die Besonderheiten bei der Bearbeitung einstweiliger Rechtsschutzverfahren bei der Bewertung von Umfang und Schwierigkeit der Tätigkeit - also insbesondere ein hoher Zeitdruck und ggf. eine hohe Anspannung - nicht vernachlässigt werden dürfen. Dieser hat jedoch in der vorliegenden Angelegenheit nicht ein solches Maß erreicht, das Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit schon als überdurchschnittlich erscheinen lassen. Insgesamt betrachtet liegt daher eine durchschnittlich umfangreiche und schwierige Tätigkeit vor.
Das Haftungsrisiko war gering, weil vorläufige Leistungen für einen begrenzten Zeitraum im Streit standen und die genaue Leistungshöhe dem Hauptsacheverfahren überlassen bleiben musste, auch wenn dies wie dem Prozessbevollmächtigten der Erinnerungsführer zuzugeben ist oft nicht mehr stattfindet.
Wägt man die dargestellten durchschnittlichen Anforderungen der anwaltlichen Tätigkeit mit den unterdurchschnittlichen Vermögensverhältnissen der Antragsteller und der unterdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit ab, so rechtfertigt dies die Zuerkennung einer Verfahrensgebühr in Höhe von 170,00 €. Dabei ist eine Unterschreitung der Mittelgebühr - entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Erinnerungsführer - nicht deshalb gerechtfertigt, weil es sich um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes handelte, sondern weil es sich nach Abwägung der konkreten Umstände in diesem Verfahren um eine insgesamt unterdurchschnittliche Angelegenheit handelte, die die Zuerkennung der Mittelgebühr nicht rechtfertigen kann.
Da der Erhöhungsbetrag wegen eines weiteren Auftraggebers nach Nr. 1008 VV-RVG, die Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV-RVG und die Mehrwertsteuer nach Nr. 7008 VV-RVG im Übrigen nicht im Streit stehen, war der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10. Oktober 2006 nach alledem als zutreffend zu bestätigen.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage (nämlich die Bemessung der Verfahrensgebühr in den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes) wird die befristete Beschwerde zugelassen (§ 56 Abs. 2 i. V. m. § 33 Abs. 3 S. 2 RVG).
SG Lüneburg:
Beschluss v. 23.04.2007
Az: S 25 SF 179/06
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