Bundespatentgericht:
Beschluss vom 31. März 2009
Aktenzeichen: 9 W (pat) 100/04

(BPatG: Beschluss v. 31.03.2009, Az.: 9 W (pat) 100/04)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Bundespatentgericht hat mit seinem Beschluss vom 31. März 2009 das Patentamt aufgehoben. Das patentiert Kraftübertragungssystem wird jetzt mit den eingereichten Unterlagen erteilt. Die Anmeldung wurde zuvor abgelehnt, da das System nach Ansicht des Patentamts nicht neu und durch den Stand der Technik nahegelegt sei. Die Anmelderinnen legten Beschwerde ein und legten geänderte Patentansprüche vor. Das Bundespatentgericht kam zu dem Schluss, dass das neu definierte Kraftübertragungssystem mit den ursprünglichen Angaben übereinstimmt und dass es neu und erfinderisch ist. Die Anmelderinnen wurden in ihrer Beschwerde somit erfolgreich und das Patent wird nun erteilt.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BPatG: Beschluss v. 31.03.2009, Az: 9 W (pat) 100/04


Tenor

Der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse B 60 K des Deutschen Patentund Markenamtes vom 6. September 2004 wird aufgehoben.

Das Patent wird mit folgenden Unterlagen erteilt:

-Patentansprüche 1 bis 5 sowie Beschreibung Seite 1, eingegangen beim Bundespatentgericht am 5. März 2009, -Beschreibung Seiten 2 bis 21, eingegangen beim Bundespatentgericht am 31. März 2005, -Zeichnung Figuren 1 bis 10 gemäß Offenlegungsschrift.

Bezeichnung: "Kraftübertragungssystem für ein Fahrzeug"

Anmeldetag: 19. September 1995 Priorität: JP 6-226614 vom 21. September 1994.

Gründe

I Mit dem angefochtenen Beschluss des Deutschen Patentund Markenamts vom 6. September 2004 hat die Prüfungsstelle für Klasse B 60 K die Anmeldung zurückgewiesen. In der Beschlussbegründung ist ausgeführt, das beanspruchte Kraftübertragungssystem ergebe sich für einen Fachhochschulingenieur des Maschinenbaus mit mehrjähriger Erfahrung in der Konstruktion von Fahrzeugantrieben aus der JP 07-186759 A i. V. m. seinem Grundwissen, nachgewiesen durch die Publikation Nr. 05100 "Das Wälzlager im Kraftfahrzeug", F... & Co in S... 1966, Seiten 21-24. Auch die im Rahmen der fachüblichen Tätigkeit naheliegende Anwendung der Kenntnisse aus der DE 42 43 926 A1 führe durch einfache und geläufige konstruktive Maßnahmen zum selben Ergebnis.

Gegen die Zurückweisung wenden sich die Anmelderinnen mit ihrer Beschwerde. Sie legen geänderte Patentansprüche 1 bis 5 vor, mit denen sie ein Kraftübertragungssystem beanspruchen, das nach ihrer Auffassung neu und durch den Stand der Technik nicht nahegelegt ist.

Die Anmelderinnen beantragen, den Beschluss des Deutschen Patentund Markenamtes vom 6. September 2004 aufzuheben und das Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

-Patentansprüche 1 bis 5 sowie Beschreibung Seite 1, eingegangen beim Bundespatentgericht am 5. März 2009,

-Beschreibung Seiten 2 bis 21, eingegangen beim Bundespatentgericht am 31. März 2005,

-Zeichnung Figuren 1 bis 10 gemäß Offenlegungsschrift.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

Auf den geltenden Patentanspruch 1 sind die Patentansprüche 2 bis 5 zurückbezogen.

II Die Beschwerde hat Erfolg, weil der berücksichtigungsfähige, im Verfahren befindliche Stand der Technik dem Beanspruchten nicht patenthindernd entgegensteht.

Die Patentansprüche 1 bis 5 sind zulässig, denn das damit definierte Kraftübertragungssystem stimmt mit der Ursprungsoffenbarung der Anmeldung überein. Der geltende Patentanspruch 1 ist in üblicher Weise zweiteilig abgefasst und beinhaltet sämtliche Merkmale, die auch im ursprünglichen Patentanspruch 1 enthalten waren unter Einfügung von Bezugszeichen aus der ursprünglichen Beispielsbeschreibung. Die in der Formulierung des ursprünglichen Patentanspruchs 1 missverständlich als "starr" bezeichnete Verbindung des Endabschnitts der ersten Abtriebswelle 44 mit der Antriebswelle 42 wurde im Oberbegriff des geltenden Patentanspruchs 1 ersetzt durch die Worte "drehbar in Tandemanordnung". Diese Präzisierung ist offenbart in der ursprünglichen Beschreibung S. 5 Abs. 2. Die geltenden Patentansprüche 2 bis 5 entsprechen inhaltlich den ursprünglichen Patentansprüchen 2, 3 sowie 5 und 6 und sind ebenfalls durch Bezugszeichen aus der ursprünglichen Beispielsbeschreibung ergänzt.

Das zweifellos gewerblich anwendbare Kraftübertragungssystem gemäß geltendem Patentanspruch 1 ist neu, denn eine Reaktionskraftübertragungseinrichtung zur Abstützung einer Schubkraft, die auf eine Abtriebswelle durch Betätigen einer Mehrscheibenreibkupplung einwirkt und auf das Kugellager übertragen wird, durch welches der Endabschnitt der Abtriebswelle in einem Getriebegehäuse gelagert wird, ist dem Stand der Technik nicht entnehmbar.

Als Stand der Technik nicht zu berücksichtigen ist die JP 07-186759 A, auf die sich der angefochtene Zurückweisungsbeschluss hauptsächlich stützt. Diese Druckschrift ist zwar prioritätsälter (Anmeldetag 27. 12. 1993), jedoch erst am 25. Juli 1995 und damit nach dem Prioritätsdatum 21. September 1994 der vorliegenden Anmeldung veröffentlicht worden. Als nach dem Prioritätsdatum der vorliegenden Patentanmeldung veröffentlichte nationale japanische Patentanmeldung ist die JP 07-186759 A auch nicht als Stand der Technik bei der Prüfung der Neuheit zu berücksichtigen. Denn nationale japanische Patentanmeldungen gehören nicht zu den nach § 3 Abs. 2 PatG (abschließend) genannten Patentanmeldungen mit älterem Zeitrang, die erst an oder nach dem für den Zeitrang der jüngeren Anmeldung maßgeblichen Tag der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden und deren Inhalt für die Prüfung der Neuheit als Stand der Technik gemäß gilt.

Dem Kraftübertragungssystem gemäß geltendem Patentanspruch 1 kommt dasjenige nach der DE 42 43 926 A1 am nächsten. Das in dieser Druckschrift beschriebene Kraftübertragungssystem 10 für ein Fahrzeug weist eine Antriebswelle 43 auf, die mit einem Fahrzeugmotor 14 über ein Hauptgetriebe 12 verbunden ist, vgl. insb. Figuren 1 und 2. Koaxial zu der Antriebswelle 43 ist eine erste Abtriebswelle 44 angeordnet, deren linker Endabschnitt drehbar in Tandemanordnung mit der Antriebswelle 43 verbunden ist, vgl. insb. Fig. 3. Dieser Figur ist auch entnehmbar, dass der rechte/andere Endabschnitt der ersten Abtriebswelle 44 drehbar in einem Getriebegehäuse durch ein Kugellager gelagert ist. Eine zweite Abtriebswelle 45 ist parallel zur ersten Abtriebswelle 44 angeordnet, vgl. insb. die Figuren 1 und 2. Die erste Abtriebswelle 44 und die zweite Abtriebswelle 45 sind durch ein Planetengetriebe 67 und eine endlose Kette 63 miteinander verbunden, vgl. insb. Sp. 4 Z. 53 bis 58 i. V. m. Fig. 2. In dem Planetengetriebe 67 ist eine Mehrscheibenreibkupplung 66 vorgesehen, die den Eingriff zwischen der ersten Abtriebswelle 44 und der endlosen Kette 63 gemäß einem Kupplungsdruck variabel ändert, vgl. insb. Sp. 5 Z. 13 bis 19 i. V. m. Fig. 2.

Im Unterschied zum anmeldungsgemäßen Kraftübertragungssystem wird durch Betätigung der Mehrscheibenreibkupplung 66 eine Schubkraft, die auf die erste Abtriebswelle 44 einwirkt, nicht erzeugt. Denn die Abtriebswelle 44 ist vollständig von dem Sonnenrad 69 des Planetengetriebes 67 umgeben, welches mit dem Hohlrad 71 über Kupplungsplatten 73/74 infolge Anregung eines Elektromagneten 75 gekuppelt wird, vgl. insb. Fig. 2. Eine auf das Sonnenrad 69 wirkende Kupplungsreaktionskraft wird offensichtlich von einem Doppelkugellager aufgenommen, durch welches das Sonnenrad 69 am Innenumfang der getriebegehäusefesten Aufnahme des Elektromagneten 75 gelagert ist, vgl. insb. Fig. 3.

Gleiches gilt für das Kraftübertragungssystem gemäß der DE 38 28 083 A1, das mit einer Antriebswelle 41, einer dazu koaxialen ersten Abtriebswelle 43 und einer parallelen zweiten Abtriebswelle 44 ähnlich ausgestaltet ist wie das vorstehend beschriebene, vgl. insb. Fig. 3. Auch hierbei wirkt eine Reibungskupplung 46 innerhalb eines Planetengetriebes 42 und verbindet ein Sonnenrad 73 mit einem Hohlrad 61, um die zweite Abtriebswelle 44 bedarfsweise mit anzutreiben, vgl. insb. Fig. 2 i. V. m. Sp. 12 Z. 15 bis 28 sowie Patentansprüche 1 und 5. Beim Betätigen der Mehrscheibenreibkupplung 46 wird dementsprechend auch hier eine Schubkraft, die auf die erste Abtriebswelle 43 einwirkt, nicht erzeugt. Vielmehr wird die Kupplungsreaktionskraft auch bei dieser Ausgestaltung auf das Sonnenrad 73 übertragen und über ein Kugellager 93 am Innenumfang der getriebegehäusefesten Aufnahme des Elektromagneten 92 an dem Gehäuse abgestützt, vgl. insb. Fig. 4.

Die DE 35 14 370 A1 offenbart ein typisches Kraftübertragungssystem für den Allradantrieb eines Ackerschleppers und ähnliche Fahrzeuge, vgl. insb. S. 3 Abs. 1. Es unterscheidet sich von dem anmeldungsgemäßen Kraftübertragungssystem noch deutlicher als die vorstehend beschriebenen Systeme. Aus dem Beispiel einer in den Figuren 1 und 2 dargestellten Lamellen-Wellenbremse 14 als Stellglied für eine Schaltkupplung 12 zur Verbindung einer zweiten Abtriebswelle 5 mit einer Zwischenwelle 15 eines Verteilergetriebes 4 geht hervor, dass beim Betätigen der Lamellen-Wellenbremse 14 eine Schubkraft erzeugt wird, welche die Schaltkupplung 12 schließt und dabei über eine Feder 31 und einen nicht bezeichneten Sprengring eine axiale Schubkraft auf die zweite Abtriebswelle 5 überträgt, vgl. insb. Ansprüche 1, 5 und 8 sowie S. 9 Abs 4. Eine Übertragung dieser Kupplungs-Reaktionskraft auf die erste Abtriebswelle 3, wie beim Anmeldungsgegenstand, ist damit ebenso wenig vorbekannt wie die Übertragung der von der Kupplung erzeugten Schubkraft auf ein Kugellager, das einen Endabschnitt der ersten Abtriebswelle drehbar in einem Gehäuse lagert.

Die der Amtsakte beiliegenden Seiten 1 sowie 21 bis 24 der Publikation Nr. 05100 der F... & Co mit dem Titel "Das Wälzlager im Kraftfahrzeug" weisen zwar kein Druckdatum auf. Dennoch mag ihr Inhalt als vorveröffentlichtes Fachwissen gelten, denn darin ist lediglich das am Prioritätstag der vorliegenden Anmeldung verfügbare Fachwissen bezüglich der axialen Festlegung von Lagern mittels Sprengringen beschrieben, welches auch dem zuvor gewürdigten Stand der Technik entnehmbar ist. Daraus geht nämlich wiederholt hervor, Lager zur Aufnahme von Axialkräften auf Wellen mittels Sprengringen zu befestigen, vgl. insb. DE 35 14 370 A1 Figuren 2 und 3, DE 38 28 083 A1 Fig. 4 und DE 42 43 926 A1 Fig. 3. Darüber hinaus offenbaren die in Rede stehenden Seiten dieser Publikation keine Gemeinsamkeiten mit dem konkret beanspruchten Kraftübertragungssystem.

Das Kraftübertragungssystem gemäß geltendem Patentanspruch 1 beruht auf einer erfinderischer Tätigkeit.

Wie der vorstehend erläuterte Stand der Technik nachweist, empfehlen die bekannten Kraftübertragungssysteme bzw. Verteilergetriebekonstruktionen sämtlich andere, von der beanspruchten Konstruktion wegweisende Lösungen zur Bewältigung der kupplungsbedingten Schubkraft in einem Kraftübertragungssystem, z. B. durch Anordnung der Kupplung in einem Planetengetriebe oder durch Abstützung mittels einer Feder direkt auf der Abtriebswelle. Vor diesem Hintergrund war die spezielle Art der anmeldungsgemäß vorgesehenen Abstützung der Schubkraft einer Mehrscheibenreibungskupplung auf das Festlager der ersten, koaxial zur Antriebswelle angeordneten Abtriebswelle durch die Kenntnis oder eine beliebige Kombination des zulässig in Betracht gezogenen Standes der Technik am Anmeldebzw. Prioritätstag nicht zu erreichen. Dafür, dass sich das Kraftübertragungssystem gemäß Patentanspruch 1 unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens eines Durchschnittsfachmannes ohne Weiteres ergibt, hat der Senat keinen Anhalt gesehen. Deshalb beruht das beanspruchte Kraftübertragungssystem auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Mithin ist das Kraftübertragungssystem nach dem geltenden Patentanspruch 1 patentfähig.

Dies gilt ebenso für die konkreten Weiterbildungen des Kraftübertragungssystems nach den zurückbezogenen Patentansprüchen 2 bis 5.

Pontzen Bork Friehe Dr. Höchst Ko






BPatG:
Beschluss v. 31.03.2009
Az: 9 W (pat) 100/04


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/9d048e50671c/BPatG_Beschluss_vom_31-Maerz-2009_Az_9-W-pat-100-04




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share