Verwaltungsgericht Berlin:
Urteil vom 16. Mai 2012
Aktenzeichen: 90 K 7.10 T
(VG Berlin: Urteil v. 16.05.2012, Az.: 90 K 7.10 T)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Verwaltungsgericht Berlin hat in seinem Urteil vom 16. Mai 2012 den Beschuldigten freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens trägt das Land Berlin und das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beschuldigte ist seit Dezember 2001 als Zahnarzt approbiert und seit Mai 2004 mit kassenärztlicher Zulassung in Berlin tätig. Im Jahr 2009 gründete er gemeinsam mit seinem Bruder eine haftungsbeschränkte Unternehmensgesellschaft, die den Betrieb von Zahnkliniken zum Gegenstand hat. Die Zahnklinik eröffnete im April 2010 ihren ersten Standort in B... und hat mittlerweile zwei weitere Standorte eröffnet. In den Räumen der Praxis betreiben der Beschuldigte und sein Bruder als niedergelassene Zahnärzte eine Zahnarztpraxis. Die Zahnklinik und die Zahnarztpraxis nutzen gemeinsam Rezeption, Wartebereich und Röntgen. Die Zahnklinik wirbt mit einem breiten zahnmedizinischen Leistungsspektrum, das von konservierender Zahnmedizin über Chirurgie bis hin zu kosmetischen Maßnahmen reicht. Die Zahnärztekammer Berlin erließ einen Rügebescheid gegen den Beschuldigten, da er mit berufsrechtswidrigen Rabatten für zahnärztliche Zusatzleistungen in der Werbung geworben habe. Der Beschuldigte erhob Einspruch gegen den Rügebescheid, der jedoch abgelehnt wurde. Daraufhin beantragte der Beschuldigte die Eröffnung eines berufsgerichtlichen Verfahrens, das mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin endet. Das Gericht spricht den Beschuldigten frei, da er sich keiner Verletzung der ihm obliegenden Berufspflichten schuldig gemacht hat. Die Werbung mit Rabatten für zahnärztliche Leistungen wurde von der Zahnklinik und nicht vom Beschuldigten als niedergelassenem Zahnarzt betrieben. Die Zahnklinik unterliegt nicht den berufsrechtlichen Bestimmungen, da sie als Krankenanstalt konzessioniert ist. Die Gründung einer Klinik durch Zahnärzte ist gesetzlich zulässig und es bestehen rechtlich relevante Unterschiede zwischen niedergelassenen Zahnärzten und ärztlichen Inhabern von Kliniken. Es liegen keine ausreichenden Hinweise dafür vor, dass die Klinik nur zur Umgehung der Werbeverbote für niedergelassene Zahnärzte gegründet wurde. Das Gericht verweist auf die weitgehende Angleichung der Werberechte für niedergelassene Zahnärzte und Zahnkliniken und darauf, dass auch niedergelassenen Zahnärzten nicht irreführende sachliche Werbung erlaubt ist. Die Kosten des Verfahrens trägt das Land Berlin und das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
VG Berlin: Urteil v. 16.05.2012, Az: 90 K 7.10 T
Tenor
Der Beschuldigte wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens trägt das Land Berlin.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der 1974 geborene Beschuldigte ist seit Dezember 2001 als Zahnarzt approbiert und seit Mai 2004 mit kassenärztlicher Zulassung in Berlin tätig.
Berufsrechtlich ist er bislang nicht in Erscheinung getreten.
Im Jahr 2009 gründete er gemeinsam mit seinem Bruder, dem gesondert verfolgten Zahnarzt C..., die €Z... (haftungsbeschränkt)€, deren Gegenstand nach dem Gesellschaftsvertrag vom 23. Oktober 2009 war: €Die Übernahme der persönlichen Haftung und Geschäftsführung bei Handelsgesellschaften, insbesondere die Beteiligung als persönlich haftende geschäftsführende Gesellschafterin an der Z... (haftungsbeschränkt) & Co. KG, die u.a. den Betrieb von Zahnkliniken zum Gegenstand hat.€ Einzelvertretungsberechtigte geschäftsführende Gesellschafter sind der Beschuldigte und sein o.g. Bruder, die jeder 500/1000 der Geschäftsanteile halten. Diese Unternehmensgesellschaft wurde im Dezember 2009 unter der Nr. H... im Handelsregister beim Amtsgericht Charlottenburg eingetragen.
Durch Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 17. August 2011 wurde der Gegenstand des Unternehmens gegenüber dem ursprünglichen Gegenstand um folgende Gegenstände erweitert: €sowie
- der Betrieb und die Unterhaltung von Zahnkliniken, anderen zahnmedizinischen Einrichtungen, zahntechnischen Einrichtungen und alle damit in Zusammenhang stehenden Tätigkeiten,- die Beteiligung als Gesellschafterin an Gesellschaften, die den Betrieb von zahnärztlichen oder technischen Einrichtungen zum Gegenstand haben,- die Vermietung und Verpachtung von ärztlichen und/oder zahnärztlichen Ausrüstungen, Praxis- und/oder OP-Räumen,- das Event- und Veranstaltungsmanagement von Fortbildungs- und sonstigen Veranstaltungen für Ärzte, Zahnärzte und nichtärztliche Heilberufe,- die Erbringung von Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Betriebsführung, Beratung, Planung und Errichtung von Zahnkliniken, zahnärztlichen und ärztlichen Praxen, anderen medizinischen Einrichtungen sowie zahntechnischen Einrichtungen.Die Z... (haftungsbeschränkt) & Co. KG eröffnete am 1. April 2010 in der D... in B... die €Z...€, für die sie seit diesem Tag die Konzession als Privatkrankenanstalt gemäß § 30 GewO besitzt. Im November 2010 eröffnete die Klinik einen weiteren Standort am H... und am 12. Mai 2012 ihren 3. Standort in der T...
Als zahnmedizinisches Leistungsspektrum gibt die Zahnklinik in ihrem Internetauftritt (Stand: 9.5.2012) an:
Konservierende Zahnmedizin
- Kunststofffüllungen mit Schmelz-Ätz-Technik- Inlays (Gold, Vollkeramik)- Wurzelkanalbehandlungen- Laserbehandlungen der Wurzelkanäle- Ultraschallbehandlungen der Wurzelkanäle- VeneersChirurgie
- Weisheitszahnentfernung- Knochenaufbau- Entfernung von Zysten- Wurzelspitzenresektionen- Implantation- 3D gesteuerte Implantation mit DVT- Interner u. externer Sinuslift- Hemisektionen und TunnelierungenParodontologie
- Rezessionsdeckung- Offene und geschlossene Kürettage- Parodontalbehandlung mit Laser- Parodontalbehandlung mit Knochenaufbau (Emdogain)- Bindegewebs- und Schleimhauttransplantate- Vestibulumplastik- Professionelle ZahnreinigungKosmetische Maßnahmen
- Botox- Faltenunterspritzung- Zahnbleichen/Bleaching- Veneers- Herpesbehandlung mit Laser- Zahnschmuck- Erhöhung des Lippenvolumens- Kosmetische ZahnreinigungKiefergelenksprechstunde
Angstsprechstunde
- Hypnose- Vollnarkose- SedierungStationäre Behandlung mit Einzelzimmer
In den Räumen der Praxis betreiben der Beschuldigte und sein Bruder als niedergelassene Zahnärzte in überörtlicher Berufsausübungsgemeinschaft (ÜBAG) unter dem Logo €Z...€ eine Zahnarztpraxis. Rezeption, Wartebereich und Röntgen werden von der Zahnklinik und der Zahnarztpraxis gemeinsam genutzt. Die Klinik stellt die Räumlichkeiten und die Einrichtung der Zahnarztpraxis sowie des belegärztlichen Bereichs zur Verfügung. Von der Klinik wird diese Zahnarztpraxis als €Partnerpraxis€ bezeichnet. Die Zahnklinik verfügt über ein stationäres Bett für Erwachsene für den Bereich Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG). Mit einem kassenärztlich entsprechend anerkannten Facharzt besteht ein Kooperationsvertrag € bei Antragstellung auf Erteilung der Konzession Dr. D..., inzwischen Dr. med. C..., der eine allgemeinmedizinische Praxis in B... betreibt, die zugleich als f... genannt wird und der auch von weiteren Zahnarztpraxen in B... und H... als MKG-Kooperationspartner im Internet genannt wird (so Praxis Dr. med. dent. M... in H..., der Zahnarztpraxis Dr. B..., Zahnärztin D...
Zur Eröffnung der Zahnklinik am 1. April 2010 wurden in nicht festgestellter Anzahl Werbeflyer an Haushalte in B... verteilt, in denen auf eine Eröffnungsfeier und ein (nicht befristetes) €Eröffnungsangebot: 50 % Rabatt auf alle Zusatzleistungen€ sowie darauf aufmerksam gemacht wurde, dass €Patienten aller Kassen willkommen€ seien.
Die Zahnärztekammer Berlin erließ entsprechend dem hierzu gefassten Vorstandsbeschluss unter dem 23. Juni 2010 einen Rügebescheid gegen den Beschuldigten, verbunden mit der Auflage, einen Betrag von 1.500 Euro zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung an die Zahnärztekammer zu zahlen. Zur Begründung heißt es in dem Bescheid: Das Eröffnungsangebot verstoße gegen das Kollegialitätsgebot aus § 1 Abs. 4 der Berufsordnung (BO), gegen § 9 Abs. 1 i.V.m. § 1 der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ), wonach Grundlage für die Berechnung die GOZ sei. Es sei eines Zahnarztes zudem unwürdig, einen Kollegen dadurch aus seiner Behandlungstätigkeit zu verdrängen, dass er eine angeblich bessere, preiswertere oder unentgeltliche Beratung oder Behandlung anbietet (§ 10 Abs. 2 BO).
Dem Einspruch des Beschuldigten gegen den Rügebescheid half die Zahnärztekammer Berlin mit Einspruchsbescheid vom 25. August 2010 nicht ab.
Auf Antrag des Beschuldigten vom 8. September 2010 hat das Berufsgericht für Heilberufe mit Beschluss vom 22. März 2012 das berufsgerichtliche Verfahren gegen den Beschuldigten wegen des ihm im Rügebescheid zur Last gelegten Verhaltens eröffnet.
Die Zahnärztekammer bezieht sich auf die Begründung des angegriffenen Rügebescheides und fügt erläuternd hinzu: Belegarzt- und Klinikbereich seien in der Zahnklinik miteinander vermengt. Auf Testanrufe unter der Telefonnummer der Klinik hätte sich die Zahnarztpraxis gemeldet, was nicht als Versehen angesehen werden könne. Die gesamten Umstände sprächen dafür, dass die Klinik nur gegründet worden sei, um Werbemöglichkeiten zu nutzen, die niedergelassene Zahnärzte berufsrechtlich nicht hätten.
Die Zahnärztekammer beantragt,
eine Geldbuße in Höhe von 1.500,-- Euro zu verhängen.
Der Beschuldigte beantragt,
ihn freizusprechen.
Er ist der Auffassung, die beanstandete Werbung könne ihm nicht als Zahnarzt zugerechnet worden, weil diese Werbung nur Klinikleistungen der €Z...€ beworben habe. Damit sei nicht die gesamte Palette der zahnärztlichen Zusatzleistungen gemeint gewesen, sondern nur der Bereich kosmetischer Maßnahmen. Welchen unternehmerischen Einfluss er auf die Klinik habe sei unerheblich. Das Werbeprivileg der Klinik erfasse auch ambulante Klinikleistungen. Unerheblich sei, ob die Klinik ihre ambulanten Leistungen durch angestellte oder Beleg-Ärzte erbringe.
Dem Gericht lagen die Verwaltungsvorgänge der Zahnärztekammer Berlin vor, die € soweit erheblich € Gegenstand der Verhandlung und Entscheidung waren.
Gründe
Das Berufsgericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Aufsichtsbehörde in der Hauptverhandlung verhandeln und entscheiden, weil die Aufsichtsbehörde auf diese Möglichkeit in der ordnungsgemäß zugestellten Ladung ausdrücklich hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 3 DiszG und § 24 KammerG). Die Aufsichtsbehörde hat auf eine Teilnahme verzichtet.
Der Beschuldigte war freizusprechen, weil er sich keiner Verletzung der ihm nach der Berufsordnung der Zahnärztekammer Berlin (BO), in der Fassung vom 30. Januar 1997, zuletzt geändert am 26. April 2007 € ABl. 2008, S. 864 €, obliegenden Berufspflichten schuldig gemacht hat.
Dabei legt das Berufsgericht den Gegenstand des Rügebescheids dahin aus, dass dem Beschuldigten in der Sache ein Verstoß gegen das Verbot der Werbung mit berufsrechtswidrigen Rabatten für zahnärztliche Zusatzleistungen vorgeworfen wird.
Nach § 19 Abs. 1 Satz 2 BO ist dem Zahnarzt berufswidrige, das Ansehen des zahnärztlichen Berufsstandes schädigende Werbung untersagt. Diese das erlaubte bzw. unerlaubte Werbeverhalten des Zahnarztes näher ausführende Regelung ist spezieller als die von der Zahnärztekammer im Rügebescheid herangezogene allgemeine Vorschrift des § 1 Abs. 4 BO, wonach sich der Zahnarzt im freien Wettbewerb aller standesunwürdigen Mittel zu enthalten hat. Die genannte Vorschrift der Berufsordnung der Zahnärztekammer Berlin ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 22. Mai 1996 - 1 BvR 744/88 u.a. -, BVerfGE 94, 372; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Dezember 2008 € 90 H 4.07 €).
Es bedarf keiner weiteren Darlegung, dass Werbung in Hauswurfsendungen mit einem Eröffnungsrabatt von 50 v.H. auf Zusatzleistungen, wobei diese in dem Flyer nicht etwa auf kosmetische Leistungen eingeschränkt war, bei einem Zahnarzt als berufsrechtswidrig einzuordnen wäre, weil die GOZ solche Rabatte verbietet. Gesundheitspolitisch begründete Ausnahmen, wie sie einem vom Kammergericht entschiedenen Fall zu Grunde lagen, sind hier nicht zu erkennen (Kammergericht, Beschluss vom 31. August 2007 € 5 W 253/07 € Angebot einer kostenlosen Fissurenversiegelung der Prämolaren im Rahmen eines Kinderprophylaxeprogramms gegen Karies).
Der Beschuldigte hat jedoch nicht als niedergelassener Zahnarzt für seine Leistungen geworben, sondern die von ihm betriebene Klinik für deren Leistungen. Die Klinik ist der Berufsordnung der Zahnärztekammer aber nicht unterworfen.
Daran ändert sich nicht dadurch etwas, dass eine Klinik durch dort tätige Ärzte betrieben wird. Grundsätzlich ist es rechtlich zulässig, zahnärztliche Leistungen als GmbH durch angestellte Zahnärzte zu erbringen, auch ohne die Konzession als Privatklinik zu besitzen (vgl. BGH, Urteil vom 25.11.1993 € I ZR 281/01 € juris). Auch Ärzten selbst ist es nicht untersagt, Kliniken und Sanatorien zu betreiben, obwohl es sich dabei um gewerbliche, auf Gewinnerzielung ausgerichtete Unternehmen handelt. Der Gesetzgeber, dem die rechtliche Ordnung von Berufsbildern obliegt, hat davon abgesehen, eine ärztliche und eine gewerblich-unternehmerische Tätigkeit für unvereinbar zu erklären. Aus welchen Gründen dies geschehen ist (vgl. dazu Kraßer, GRUR 1980, S. 191 [192]), mag auf sich beruhen. Jedenfalls wird damit auf kommerzielle Interessen stärker Rücksicht genommen, als dies bei niedergelassenen Ärzten geschieht. Wenn aber Ärzte befugt sind, sich trotz ihrer Eigenschaft als Freiberufler gewerblich auf dem Gebiet des Heilwesens zu betätigen, dann führt dies zwangsläufig zu einer Verquickung ärztlicher und gewerblicher Tätigkeiten mit der Folge, dass zwischen niedergelassenen Ärzten und ärztlichen Inhabern von Sanatorien € auch rechtlich relevante € Unterschiede entstehen und dass sich das Werbeverbot für die zweite Gruppe nicht mehr voll rechtfertigen lässt (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19. November 1985 € 1 BvR 38/78 € €Sanatoriumswerbung€ juris Rn. 30).
Duldet etwa ein Vertragsarzt die Anzeigenwerbung einer Klinik-GmbH für von ihm für diese ausschließlich ambulant zu erbringende ärztliche Leistungen (im konkreten Fall: kosmetische Chirurgie), verstößt er nach Ansicht des BGH gegen das standesrechtliche Werbeverbot und zugleich gegen § 1 UWG, auch wenn er für die GmbH vereinbarungsgemäß (lediglich) gegen eine Pauschalvergütung tätig ist; dieses Werbeverbot gilt jedoch nicht, wenn die GmbH als Krankenanstalt i.S.v. § 30 GewO konzessioniert ist (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. April 1994 € I ZR 12/92, juris m.w.N.) € wie es vorliegend der Fall ist. Zwischen ambulanter und stationärer Behandlung bestehen erhebliche betriebswirtschaftliche Unterschiede, die es rechtfertigen, ärztliche Inhaber von Kliniken anders zu behandeln als niedergelassene Ärzte (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19. November 1985 € 1 BvR 38/78 €, juris Rn. 38;).
Fraglich war in Rechtsprechung und Literatur, ob für das Bewerben ambulanter ärztlicher Leistungen durch den ärztlichen Inhaber einer Klinik, die in gleicher Weise von niedergelassenen Ärzten angeboten werden, das Werbeprivileg für Kliniken gilt (verneinend Bundesgerichtshof, Urteil vom 26. November 1998 € I ZR 179/96 € juris; ebenso Landgericht Baden-Baden, Urteil vom 28. Juli 1999 € 4 O 49/99 KfH € MedR 1999, 565 ff m.w.N.). Diese Frage ist inzwischen durch das Bundesverfassungsgericht geklärt worden. Die o.g. Entscheidung des Bundesgerichtshofs wurde durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juli 2000 aufgehoben (1 BvR 547/99). In jener Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt: €Für Kliniken gelten nicht dieselben Werbebeschränkungen. € Kliniken stehen auch dann nicht niedergelassenen Ärzten gleich, wenn dort Eingriffe ambulant vorgenommen werden. Je nach den denkbaren Risiken sind Kliniken auch bei ambulant geplanten Behandlungen vorzuziehen, weil im Fall von Komplikationen kein Transport in ein Krankenhaus nötig wird. Sofern die Eingriffe in der Klinik stattfinden und als klinische Leistungen abgerechnet werden, werden hiermit gewerbliche Umsätze erzielt. Die Berufsordnung betrifft solche Leistungen und die für sie vorgenommene Werbung nicht€ (juris Rn. 16).€ Dem schließt sich das Berufsgericht an.
Dies wäre nur anders zu beurteilen, wenn sich die Klinik-Gründung als Vorwand darstellen würde, um die den niedergelassenen Zahnärzten gezogenen berufsrechtlichen Grenzen zu umgehen. Ob eine Gesetzesumgehung vorliegt, kann nur anhand aller Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. April 1994 € I ZR 12/92 € juris Rn.32). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Einrichtung von Sanatorien oder Kliniken derart kostenaufwendig ist, dass die generelle Annahme wirklichkeitsfremd wäre, sie erfolge lediglich zur Umgehung des Werbeverbots. Werden Kliniken zum Betrieb eines gewerblichen Unternehmens im üblichen Sinn gegründet, handelt es sich nicht um den Fall einer Umgehung (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19. November 1985 € 1 BvR 38/78 € juris Rn. 39). Auch bei Kliniken, die mit Belegärzten arbeiten, darf nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Grenze zwischen der gewerblich tätigen Klinik und dem freiberuflichen Arzt nicht in der Weise verschoben werden, dass die Klinik unmittelbar an die Berufsordnung für Ärzte gebunden wird. Solange die Klinik weder durch Namensnennung noch durch Telefonnummern oder sonstige Kontakte auf einen bestimmten Arzt hinweist, hält sie sich im Rahmen der Klinikwerbung. Soweit sich für Belegärzte in Kliniken zusätzliche Erwerbschancen eröffnen, nehmen sie in zulässiger Weise am gewerblichen Erfolg solcher Einrichtungen teil. Dies ist bei ihnen nicht anders als bei angestellten Ärzten. Da Kliniken generell nicht den ärztlichen Werbeverboten unterliegen, lässt ihr Marketingverhalten auch keinen negativen Rückschluss auf die dort beschäftigten oder sonst tätigen Ärzte zu. Eine Verunsicherung der Patienten oder eine Kommerzialisierung ärztlicher Tätigkeit setzt insoweit das Vorliegen besonderer Umstände voraus (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 4. Juli 2000 € 1 BvR 547/99 € juris Rn 17f).
Ausgehend von diesem verfassungsrechtlichen Maßstab fehlt es vorliegend an ausreichenden Hinweisen dafür, dass die €Z...€ nur zur Umgebung des Werbeverbots der BO der Zahnärztekammer betrieben wird. Dabei kann nicht entscheidend darauf abgestellt werden, dass für den Standort D... € wie auch inzwischen für den Standort am H... € die Klinik nur mit einem Bett konzessioniert ist. Da das Konzessionsrecht keine strengeren Anforderungen stellt, darf aus dessen Inanspruchnahme allein nicht auf einen Vorwand geschlossen werden. Auch die Feststellung der Zahnärztekammer, wonach sich bei zwei Testanrufen unter der Telefonnummer der Zahnklinik das Personal mit €Z...€ gemeldet habe, ist kein Indiz für die Annahme einer €Scheinklinik€; denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich dabei in der Anfangsphase um Versehen des Personals gehandelt hat. Vor allem aber spricht gegen die Annahme, die Klinik sei nur zur Umgehung der Werbeverbote für niedergelassene Zahnärzte gegründet worden, dass weitere Werbeaktionen nicht bekannt geworden sind. Daran hat die Klinik, wie der Beschuldigte in der Hauptverhandlung nachvollziehbar dargelegt hat, auch kein besonderes Interesse, weil klinische Leistungen höher zu versteuern sind als ein niedergelassener Zahnarzt dieselben Leistungen zu versteuern hat. Zudem ist auch jedem niedergelassenen (Zahn-)Arzt nicht irreführende, sachliche Werbung weitgehend erlaubt (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 7. März 2012 € 1 BvR 1209/11 € Werbung einer ÜBAG mit der Bezeichnung €Zentrum für Zahnmedizin€; Beschluss vom 14. Juli 2011 € 2 BvR 407/11 € Werbung mit dem Begriff €Zahnärztehaus€; Beschluss vom 1. Juni 2011 € 1 BvR 233/10 € Werbeaktion in Form einer Verlosung; jeweils bei juris) und einer Zahnklinik irreführende Werbung € wie hier geschehen € aus wettbewerbsrechtlichen Gründen ebenfalls verboten. Diese weitgehende Angleichung der Werberechte für niedergelassene Zahnärzte und Zahnkliniken spricht dagegen, dass eine Klinik (allein) zur Umgehung von Werbebeschränkungen gegründet wird. Zwar wirft geringes Interesse an Umsatz mit zahnärztlichen Gesundheitsleistungen die Frage auf, warum dann überhaupt eine Klinik gegründet wird. Dafür sind vielfältige Interessen denkbar. So mietet die Klinik die Praxisräume an und stattet diese technisch aus. Weitere wirtschaftliche Geschäftsinteressen beschreibt der im Jahr 2011 erweitere Unternehmensgegenstand. Außerdem besteht die Möglichkeit, im Bedarfsfall einen ambulanten Patienten stationär aufzunehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 25 Berliner Kammergesetz i.V.m. §§ 3, 41 DiszG, § 77 Abs. 1 BDG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 25 Berliner Kammergesetz i.V.m. § 3 DiszG, § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
VG Berlin:
Urteil v. 16.05.2012
Az: 90 K 7.10 T
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