Bundespatentgericht:
Beschluss vom 19. Februar 2001
Aktenzeichen: 11 W (pat) 50/00
(BPatG: Beschluss v. 19.02.2001, Az.: 11 W (pat) 50/00)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Bundespatentgericht hat mit seinem Beschluss vom 19. Februar 2001 (Aktenzeichen 11 W (pat) 50/00) die Beschwerde der Anmelderin gegen den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse E 06 B des Deutschen Patentamts vom 15. Februar 2000 zum Patentantrag "Dichtstreifen" erfolgreich gemacht. Das Patent wird nun auf der Grundlage der eingereichten Ansprüche 1-7, der Beschreibung Spalte 1-5 sowie den Figuren 1-4 erteilt. Die Prüfungsstelle hatte den Antrag zuvor aufgrund fehlender Neuheit abgelehnt, da der Gegenstand des Patentantrags bereits durch die DE 27 02 245 A1 vorweggenommen sei. Die Anmelderin argumentierte jedoch, dass die Ausgestaltung des Patentanspruchs nicht aus der genannten Veröffentlichung abzuleiten sei und für den Durchschnittsfachmann nicht ohne erfinderische Überlegungen erkennbar sei. Das Gericht folgte dieser Argumentation und hob den Beschluss der Prüfungsstelle auf. Es stellte fest, dass der Patentgegenstand neu und gewerblich anwendbar ist und zudem auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Das Patent wird daher erteilt. Die weiteren Ausgestaltungen des Erfindungsgegenstandes in den Ansprüchen 2-7 werden ebenfalls genehmigt.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BPatG: Beschluss v. 19.02.2001, Az: 11 W (pat) 50/00
Tenor
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse E 06 B des Deutschen Patentamts vom 15. Februar 2000 aufgehoben und das Patent erteilt auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung überreichten Ansprüche 1-7, Beschreibung Spalte 1-5 sowie Figuren 1-4, außerdem Beschreibung Seite 1 vom 29. Januar 2001.
Gründe
I.
Die Prüfungsstelle für Klasse E 06 B des Patentamts hat die unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 1. August 1988 am 12. Juli 1989 angemeldete Patentanmeldung, betreffend einen
"Dichtstreifen"
mit Beschluß vom 15. Februar 2000 gemäß § 48 PatG zurückgewiesen. Der Gegenstand des Patentanspruches 1 vom 26. Februar 1998 sei durch die DE 27 02 245 A1 (1) in vollem Umfang vorweggenommen und daher mangels Neuheit nicht gewährbar.
Gegen diesen Beschluß hat die Anmelderin Beschwerde eingelegt. Sie trägt zur Begründung vor, die Ausbildung gemäß dem jetzt geltenden Anspruch 1 sei aus (1) nicht herleitbar und für den Durchschnittsfachmann nicht ohne erfinderische Überlegungen auffindbar. Die GB 21 98 773 A (2) und die Veröffentlichung Pneuma-Seal der "The Presray Corporation" New York, USA, 1987 (3) vermittelten keine Anregungen im Sinne der vorliegenden Erfindung.
Sie beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent zu erteilen auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung überreichten Ansprüche 1-7, Beschreibung Spalte 1-5 sowie Figuren 1-4, außerdem Beschreibung Seite 1 vom 29. Januar 2001.
Wegen weiterer Einzelheiten hierzu und des weiteren Vorbringens wird auf die einschlägigen Schriftsätze verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in dem sich aus der Beschlußformel ergebenden Umfang Erfolg.
Der geltende Patentanspruch 1 lautet:
"Dichtstreifen mit einer Dichtlippe (38, 56) zum dichtenden Anliegen an der Oberfläche eines Flächenelements (8), welches relativ zu einem Rahmen (6) beweglich ist, der den Dichtstreifen (14) trägt, wobei der Dichtstreifen (14) eine Hohlkammer (36, 58) mit einer festen und einer flexiblen (34, 54) Wand sowie ferner eine verschwenkbare Wand aufweist, die durch eine Formänderung der flexiblen Wand (34, 54) bewirkende Druckänderung in der Hohlkammer (36, 58) zwischen einer einen Spalt (10) zwischen Rahmen (6) und Flächenelement (8) überbrückenden Anlagestellung und einer Außereingriffstellung verschwenkbar ist, wobei sich der Drehpunkt (A, B) der Verschwenkbewegung zwischen der verschwenkbaren Wand und der festen Wand befindet, dadurch gekennzeichnet, daß die verschwenkbare Wand (Schenkel 40) über den Drehpunkt (A, B) hinaus verlängert und relativ steif ausgebildet ist, und daß am Ende der Verlängerung die Dichtlippe (38, 56) ausgebildet ist."
Auf diesen Anspruch sind die Ansprüche 2 bis 7 rückbezogen.
Es liegt die Aufgabe zugrunde, einen Dichtstreifen der aus der DE 27 02 245 A1 bekannten Art dahingehend weiterzuentwickeln, daß er ohne die Notwendigkeit eines speziellen Trägerprofils vielgestaltig ausgebildet werden und sowohl durch eine Druckerhöhung als auch durch eine Druckminderung im Innern der Hohlkammer betätigt werden kann.
Als Fachmann ist hier ein Fachhochschulingenieur für Maschinenbau anzusehen, der besondere Kenntnisse und Erfahrungen mit Abdichtungen im Tür- und Fensterbau von Fahrzeugen hat.
1. Die geltenden Ansprüche 1 bis 7 sind zulässig.
Der Anspruch 1 basiert auf Anspruch 1 (Sp 5 Z 44-60), Anspruch 12 (Sp 6 Z 48 bis Sp 7 Z 3) und Anspruch 13 (Sp 7, Z 5-24) sowie der Beschreibung (Sp 3 Z 13-22 und Sp 4 Z 30-38) in Verbindung mit den Figuren 1-4, jeweils der den ursprünglichen Anmeldeunterlagen entsprechende Offenlegungsschrift.
Der Anspruch 2 basiert auf Anspruch 5 (Sp 6 Z 11, 12) sowie Anspruch 6 (Sp 6, Z 21, 22), Anspruch 3 auf Anspruch 12 (Sp 6 Z 48-51, 54, 59-62), Anspruch 4 auf Anspruch 6 (Sp 6 Z 21, 22) sowie Anspruch 13 (Sp 7 Z 7-11), der Anspruch 5 auf Anspruch 14 (Sp 7 Z 25-30), Anspruch 6 auf Anspruch 12 (Sp 6 Z 47 bis Sp 7 Z 3) und der Anspruch 7 auf Anspruch 13 (Sp 7 Z 7-24), jeweils der Offenlegungsschrift.
2. Der im Anspruch 1 angegebene Gegenstand ist neu.
(1) zeigt den gattungsgemäßen Stand der Technik entsprechend dem Oberbegriff des Anspruchs 1, nicht aber dessen Kennzeichen: die verschwenkbare Wand hat über ihren Drehpunkt hinaus eine Verlängerung, an deren Ende die Dichtlippe ausgebildet ist. Jedenfalls der neue Anspruch 1 entzieht dem angefochtenen Beschluß die Grundlage.
(2) und (3) zeigen zwar Dichtstreifen mit einer Hohlkammer, die bei Druckbeaufschlagung in eine dichtende Anlage gelangen, die jedoch dabei keine Schwenkbewegung einer Wand ausführen.
3. Der Patentgegenstand ist unstreitig gewerblich anwendbar und beruht gegenüber dem genannten Stand der Technik auch auf erfinderischer Tätigkeit.
Aus (1) ist ein strangförmiges Hohlprofil 7 zum Abdichten eines Spaltes zwischen einem festen (Rahmen 1) und einem beweglichen Bauteil (Tür 2) bekannt, i. e ein Dichtstreifen 7 mit einer Dichtlippe 8 zum dichtenden Anliegen an der Oberfläche einer Schiebetür 2, welche relativ zu einem den Dichtstreifen in einem Halteprofil 5 aufnehmenden Rahmen 1 beweglich ist. Der Dichtstreifen bildet eine Hohlkammer 7 mit einer festen und einer flexiblen Wand (gefalteten Profilseite) sowie einer verschwenkbaren Wand (frei dehnbare Profilseite), die die Dichtlippe 8 trägt. Durch eine Druckänderung in der Hohlkammer wird eine Formänderung der flexiblen (gefalteten) Wand bewirkt, wodurch die verschwenkbare Wand um ihr mit der festen Wand verbundenes Ende schwenkt und somit die Dichtlippe außer Eingriff bringt.
Von dieser Ausführung unterscheidet sich der beanspruchte Gegenstand dadurch, daß der verschwenkbare Schenkel über seinen Drehpunkt hinaus verlängert ist und am Ende dieser Verlängerung die Dichtlippe trägt. Der Fachmann hatte allenfalls Anlaß, das Profil nach (1) in Richtung einer Vielgestaltigkeit gemäß dem ersten Aufgabenteil weiterzuentwickeln. Die weitere Forderung nach Betätigung durch Druckerhöhung oder -minderung ist durch nichts angeregt und enthält zugleich ein Lösungsprinzip, nämlich alternativ die Anlagestellung der Dichtlippe auch durch Druckminderung zu erreichen. Hierin ist ein erfinderischer Ansatz zu sehen.
Darüber hinaus fehlt es an einem Vorbild, den Schenkel in Form eines zweiarmigen Hebels vorzusehen. Abgesehen davon ist für eine solche Verlängerung des Schenkels bei dem Dichtstreifen nach (1) wegen des dort vorgesehenen Halteprofils gar kein Raum vorhanden. Durch diese Schenkelverlängerung kann die verschwenkbare Wand eine Wippbewegung um den Drehpunkt ausführen, was eine größere Freiheit bei der Variation des Übersetzungsverhältnisses zwischen Formänderungen der flexiblen Wand und der Bewegung der Dichtlippe und vielgestaltigere Einbaumöglichkeiten ergibt. Außerdem ermöglicht die Schenkelverlängerung zu einem zweiarmigen Hebel Gestaltungen des Profils für alternative Druckänderungen, also Bewirkung der Anlagestellung der Dichtlippe durch Druckerhöhung oder -minderung. Für diese geschickte Lösung fand der Fachmann weder Vorbild noch Anregung im Stand der Technik.
(2) und (3) betreffen pneumatische Hohlprofile zum Abdichten zweier beabstandeter Teile und zeigen jeweils einen festen sowie einen flexiblen, eine Hohlkammer bildenden Wandbereich, wobei diese Hohlprofile bei Druckbeaufschlagung ihr Volumen vergrößern und dadurch einen Spalt abdichten, ohne daß ein Wandbereich eine Verschwenkbewegung ausführt. Daher können sie keine Anregung zur Weiterentwicklung von (1) geben.
Nach alledem kann der beanspruchten Lehre erfinderische Tätigkeit nicht abgesprochen werden.
Der Patentanspruch 1 ist somit gewährbar.
4. Die Ansprüche 2 bis 7 enthalten zweckmäßige, jedoch nicht selbstverständliche weitere Ausgestaltungen des Erfindungsgegenstands und können daher im Zusammenhang mit Anspruch 1 ebenfalls erteilt werden.
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BPatG:
Beschluss v. 19.02.2001
Az: 11 W (pat) 50/00
Link zum Urteil:
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